Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen am hiesigen Arbeitsmarkt derzeit etwa 573.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Das bremst die Wirtschaft und kostet viel Geld: „Wenn Unternehmen diesen Fachkräftebedarf decken könnten, würde das deutsche Produktionspotenzial im Jahr 2024 um 1,1 Prozent oder 49 Milliarden Euro höher liegen. Bis zum Jahr 2027 könnten es 74 Milliarden Euro sein“, schreiben die IW-Fachleute.
Bei der Besetzung offener Stellen ist vor allem die Suche nach erfahrenen Experten schwierig: Knapp sechs von zehn offenen Stellen (55,8 Prozent) konnten nicht besetzt werden, schreibt das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung in seinem Jahresrückblick 2023. Besonders betroffen sind mittelständische Unternehmen. Die Situation wird sich zusätzlich verschärfen, da bis 2036 insgesamt 13 Millionen Babyboomer in den Ruhestand gehen werden.
Arbeitswillige Generation
Für Prof. Dr. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, steht fest:
Die älteren Erwerbstätigen sind mit Blick auf die Potenziale, die wir in Deutschland haben, der wichtigste Baustein – ganz einfach, weil es der größte Baustein ist.
Weber schwebt vor, die Erwerbsquoten der 60- bis 69-Jährigen so weit zu erhöhen, dass sie den Quoten derjenigen entsprechen, die heute fünf Jahre jünger sind. Das würde bedeuten: 64-Jährige arbeiten in Zukunft genauso häufig wie heute 59-Jährige, 63-Jährige wie 58-Jährige und so weiter. Könnte man das erreichen, was Weber für realistisch hält, ließen sich so zweieinhalb Millionen Arbeitskräfte gewinnen. Dass alle Menschen immer früher in Rente gehen wollten, ist laut Weber durch die Entwicklung der Erwerbstätigkeit älterer Menschen widerlegt: Im Jahr 2000 waren von den 60- bis 64-Jährigen noch zehn Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Heute sind es über 50 Prozent, Minijobs eingeschlossen. Weber sieht auch ein weitgehend ungenutztes Potenzial: die Selbstständigkeit.
Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland: Fachkräftemangel bedroht Gewinnwachstum
Offene Stellen, für die es keine entsprechend qualifizierten Arbeitslosen gibt, 2023*
Umfragen des Gründungszentrums 50Plus unterstützen diese Aussagen. Eine selbstständige Tätigkeit ist für viele Best-Ager attraktiver als eine Festanstellung, weil sie selbstbestimmtes Leben und Arbeiten, die Nutzung und Weitergabe des Erfahrungsschatzes und die Übernahme anspruchsvoller Projekte ermöglichen. 90 Prozent der Befragten können sich vorstellen, bis mindestens zum 70. Lebensjahr beruflich tätig zu sei. Die meisten sogar länger.
(Solo-)selbstständige Wissensarbeiter leisten einen wichtigen Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum.
So werden, anstatt das Potenzial von soloselbständiger Wissensarbeit als Wachstumstreiber zu nutzen, Hürden in den Weg gelegt. Ehemalige Fach- und Führungskräfte verfügen über ein enormes Erfahrungswissen, das Unternehmen auch in Zukunft nutzen sollten.
Aus der Not eine Tugend machen
Welche Auswirkungen der Einsatz mehrerer soloselbständiger Experten über 50 auf ein Unternehmen haben kann, zeigt folgendes Beispiel: In einem Unternehmen mit 50 Mitarbeitern, spezialisiert auf die Veredelung und den Vertrieb von Elektromotoren, war der Logistikleiter krankheitsbedingt ausgefallen. Die Gefahr steigender Fehlerquoten in der Produktion und im Vertrieb bedeuteten ein Risiko von mindestens 500.000 Euro. Auf dem Arbeitsmarkt konnte auf die Schnelle kein geeigneter Kandidat gefunden werden. Ein sehr erfahrener, bereits pensionierter Cheflogistiker, der die gesamte Logistik eines internationalen Lebensmittelkonzerns organisiert hatte, stand spontan zur Verfügung. Er konnte auf Anhieb die Abläufe optimieren und effiziente Prozesse dokumentieren: So ist es ihm gelungen, „verharzte Strukturen“ aufzubrechen, die das Unternehmen bislang bremsten und damit nicht nur die unmittelbare Krise bewältigen, sondern auch die Digitalisierung des Unternehmens vorantreiben.
Das Unternehmen hat einen weiteren Fachmann Ü50 engagiert, um die Einkaufsabteilung professionell aufzustellen. Innerhalb von drei Tagen konnte auch dieser Experte ein Einsparpotenzial im Einkauf von insgesamt 80.000 Euro finden und umsetzen. Der Geschäftsführer hat im Nachgang bestätigt, dass der Einsatz dieser externen Experten 50-plus ein Change-Maker für das Unternehmen war.
Uns fehlten einfach das Knowhow und der Blick von außen. Diese Experten wussten genau, was zu tun ist, und haben unser Unternehmen zukunftssicher gemacht.
Die systematische Nutzung des Potenzials der Babyboomer und die projektweise Beauftragung kann den Mittelstand und die Wirtschaftskraft unseres Landes stärken. Die Politik und Wirtschaft sollten alles dafür tun, die Option Selbstständigkeit für erfahrene Fach- und Führungskräfte attraktiv zu machen, um dieses schlummernde Potenzial der Experten 50-plus zu nutzen.
Dieser Text stammt von unserer Pioneer-Expertin Yani Neugebauer. Möchten auch Sie Ihre Expertise einbringen? Hier erklären wir, wie Sie ein Pioneer-Expert werden können.