Todesfahrt auf Weihnachtsmarkt

Anschlag in Magdeburg: Was wir wissen und was nicht

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 © dpa

Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat fünf Todesopfer gefordert und über 200 Menschen verletzt. Viele bangen noch um ihr Leben. Seither steht die Frage im Raum: Wer ist der mutmaßliche Täter und was trieb ihn zu dieser schrecklichen Tat?

Zwei Tage nach dem verheerenden Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt herrscht weiterhin Fassungslosigkeit. Fünf Menschen sind getötet worden – unter den Opfern befinden sich vier Frauen im Alter von 45, 52, 67 und 75 Jahren sowie ein neunjähriger Junge. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Nach Angaben der Behörden könnte die Zahl der Todesopfer weiter steigen.

Was ist passiert?

Am frühen Freitagabend fuhr ein Auto auf dem Weihnachtsmarkt beim Alten Markt in Magdeburg in eine Menschenmenge. Nach Angaben der Polizei Magdeburg gingen um 19.02 Uhr die ersten Notrufe zu dem Vorfall ein. Wie der MDR unter Berufung auf einen Polizeisprecher berichtet, sei der mutmaßliche Täter „mindestens 400 Meter über den Weihnachtsmarkt“ gefahren. Ein in den sozialen Medien vielfach geteiltes Video soll das Geschehen zeigen.

Der Fahrer des Wagens, der 50-jährige Arzt Taleb A. aus Bernburg, wurde noch am Tatort festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg wirft ihm unter anderem fünffachen Mord, mehrfachen versuchten Mord sowie mehrfach gefährliche Körperverletzung vor. Gegen den Saudi-Araber, der seit 2006 in Deutschland lebt und 2016 Asyl als politisch Verfolgter erhielt, wurde ein entsprechender Haftbefehl erlassen.

Abgesperrter Weihnachtsmarkt in Magdeburg, 21.12.24 © dpa

Wer ist der Tatverdächtige?

Taleb A. ist nach eigenen Angaben einst Muslim gewesen und hat sich später vom islamischen Glauben abgewandt. In sozialen Netzwerken trat er als radikaler Islamkritiker auf und äußerte mehrfach Sympathien für die AfD. Er bezeichnet sich selbst als „aggressivsten Kritiker des Islams in der Geschichte“ und kritisierte zugleich den repressiven Machtapparat in Saudi-Arabien.

Darüber hinaus bemängelte er in Interviews und auf Online-Plattformen wiederholt den Umgang deutscher Behörden mit islamistischen Gefährdern und mit saudi-arabischen Asylsuchenden, die vom Islam losgesagt hätten. Bereits 2013 wurde er in Rostock wegen „Störung des öffentlichen Friedens“ verurteilt, 2024 erhielt er in Berlin einen Strafbefehl wegen „Missbrauchs von Notrufen“, blieb allerdings der Gerichtsverhandlung fern.

Mögliche Motive und Ermittlungsstand

Der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens hält die „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen“ für ein mögliches Tatmotiv. Offizielle Stellen betonen jedoch, dass nach wie vor ermittelt werde und es keine Hinweise auf Mittäter gebe. Das Bundeskriminalamt (BKA) äußerte sich dahingehend, dass es – anders als bei ähnlichen Taten in der Vergangenheit – keinen Hinweis auf einen islamistisch motivierten Anschlag gebe. Der Generalbundesanwalt hat sich noch nicht abschließend zum politischen Motiv geäußert.

Sicherheitsexperten weisen darauf hin, wie schwierig es für Behörden ist, in der Flut an radikalen Äußerungen im Internet diejenigen Personen zu identifizieren, die tatsächlich ein Attentat planen könnten. Wie Peter Neumann, Terrorismusexperte am King’s College London, im ZDF sagte:

Es ist ganz, ganz schwierig zu unterscheiden: Wer meint es ernst, und wer ist nur im Internet und macht Sprüche?

Die Motive und Hintergründe werden weiterhin von der Polizei und den Staatsanwaltschaften in Bund und Ländern intensiv untersucht. Der Prozess gegen Taleb A. wegen des Verdachts auf fünffachen Mord und 205-fachen versuchten Mord dürfte wohl im kommenden Jahr beginnen.

Trauer, Gedenken und Reaktionen

Auf dem Platz vor der Oper legten Menschen Kerzen nieder  © Dpa

Die Tat löste auch international Entsetzen aus. Mehrere Staats- und Regierungschefs bekundeten ihr Mitgefühl. Am Samstagabend kamen Hunderte Menschen zu einem Trauergottesdienst im Magdeburger Dom zusammen, darunter Angehörige von Opfern und Rettungskräften. Vor dem Dom beteiligten sich nach ersten Schätzungen der Polizei mehr als 1.000 Menschen am Gedenken.

Die Oberbürgermeisterin der Stadt, Simone Borris, rief die Magdeburgerinnen und Magdeburger dazu auf, zusammenzuhalten:

Ich wünsche uns allen, dass wir gemeinsam trauern, dass wir die Opfer und die Angehörigen der Opfer unterstützen in ihrer Trauer und dass die Stadtgesellschaft bitte zusammenhält.

Auch in der Berliner Gedächtniskirche wurde der Opfer des Anschlags gedacht. Pfarrerin Sarah-Magdalena Kingreen sagte, Tod und Trauer hätten die Vorfreude auf das Weihnachtsfest genommen.

Teilnehmer einer stillen Andacht in Magdeburg  © Dpa

Opferbetreuung und Sicherheitsfragen im Fokus

Neben der strafrechtlichen Aufarbeitung steht die Betreuung der Opfer und der schockierten Augenzeugen im Vordergrund. Viele Weihnachtsmärkte in Deutschland stehen wenige Tage vor dem Fest unter Schock. Bundesinnenministerin Nancy Faeser riet dennoch nicht grundsätzlich von einem Besuch ab, betonte jedoch, dass jeder für sich selbst entscheiden müsse. In Sachsen-Anhalt wurden einzelne Märkte aus Pietätsgründen abgesagt.

Gleichzeitig rückt das Sicherheitskonzept der Weihnachtsmärkte in den Fokus. Der mutmaßliche Täter konnte nach Angaben von Tom-Oliver Langhans, Direktor der Polizeiinspektion Magdeburg, über einen Flucht- und Rettungsweg auf das Gelände gelangen. Diskutiert wird nun, ob der Markt ausreichend geschützt war. Die Stadt verweist darauf, dass das Sicherheitskonzept „nach bestem Wissen und Gewissen“ erstellt und zuletzt im November verschärft worden sei. Dennoch sieht Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler in den ARD-„Tagesthemen“ Nachbesserungsbedarf: Es sei bekannt, dass Fahrzeuge und Menschenansammlungen eine gefährliche Kombination darstellen.

mit Dpa.