Die One-Woman-Show

„Bündnis” Sahra Wagenknecht

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Wie Sahra Wagenknecht ihre Partei beherrscht und was sich hinter dem Label „linkskonservativ" verbirgt.

Torsten Teichert hat große Hoffnung in das Bündnis Sahra Wagenknecht gesetzt. Der ehemalige Vizepräsident der Hamburger Handelskammer war über 40 Jahre lang in der SPD, immerhin 97 Tage in der Linkspartei und Gründungsmitglied des BSW. Wegen Olaf Scholz und des Cum-Ex-Skandals habe er die SPD verlassen. Der Hamburger wollte einen Neustart: „eine linke SPD“ wie eine Labour-Partei unter Jeremy Corbyn oder eine linkspopulistische Partei nach dem Vorbild des Franzosen Jean-Luc Mélenchon. Doch trotz des rasanten Erfolgs vom BSW wurde er enttäuscht. Von Inhalten, die ihm besonders in der Wirtschafts- und in der Migrationspolitik schnell zu rechts wurden. Und von Strukturen, die er als „extrem undemokratisch“ beschreibt. Wagenknecht wolle keine Partei, sondern einen „Fanclub“, einen „Führerkult“. „Entweder man ordnet sich ihr unter oder man geht“, sagt er.

Er ging.

Torsten Teichert, Ex-BSW-Politiker  © picture alliance

Andere linksorientierte BSW-Mitglieder sind geblieben. Sie hoffen, dass es irgendwann „doch noch demokratisch zugeht”, wie BSW-Mitglied Norbert Weber sagt. Weil es intern keine Diskussionen gebe und Widerspruch schlicht ignoriert werde, sind mehrere unter ihnen auf The Pioneer zugekommen.

Das BSW hat bei der Europawahl bundesweit 6,2 Prozent, in Sachsen 11,8 Prozent und in Thüringen 15,8 Prozent der Stimmen geholt. So kurz nach der Gründung hat das noch keine Partei in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik geschafft. Der richtig große Durchbruch soll nächstes Jahr bei der Bundestagswahl gelingen. Die Landtagswahl am Sonntag in Brandenburg ist da nur eine Etappe. Doch nicht überall hat das BSW so leichtes Spiel wie im Osten.

In Hamburg sind die Mitglieder der Partei derart zerstritten, dass eine Teilnahme an der Bürgerschaftswahl am 2. März nächsten Jahres auf der Kippe steht. Auch einen Landesverband gibt es deshalb bisher nicht. Die erste Generalprobe auf Landesebene im Westen könnte ausfallen, hören wir aus Parteikreisen. Man wolle gar nicht erst antreten, um eine Blamage unter fünf Prozent zu verhindern. Hamburg gehört zu den für das BSW schwierigen Bundesländern mit einer relativ stabilen Linkspartei als Gegner.

Vom Bundesvorstand wird das dementiert. Man werde die Schwierigkeiten im nächsten halben Jahr überwinden.

Angesichts der großen Erfolge des BSW im Osten ist das vielleicht eine Marginalie. Eventuell sogar eine reine „Kinderkrankheit“ einer jungen Partei, wie BSW-Generalsekretär Christian Leye sagt. Doch der Konflikt lässt tief blicken. Er nährt die Vermutung, dass das Linke und das Konservative doch nicht zusammenpassen. Sahra Wagenknecht will beides vereinen. Sie nennt sich „linkskonservativ“.

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine beim Wahlkampf für das BSW  © Imago

Teichert hingegen ist davon überzeugt, dass früher oder später auch viele andere ehemalige Linke das BSW verlassen werden. Ein Tanz auf dem Vulkan, der nur für eine Seite gut ausgehen kann, glaubt er. Was ihn an der Partei störe, seien chronische Probleme, keine vorübergehenden Startschwierigkeiten. Teichert kennt die maßgeblichen Triebfedern hinter dem Projekt – Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine – schon länger persönlich. Er telefonierte regelmäßig mit dem Ehepaar. Sie erkundigten sich bei ihm, wie der Aufbau in Hamburg lief. Im BSW galt er als Hoffnungsträger und wurde als Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl gehandelt. Als ihm erste Zweifel an dem Projekt kamen und er Kritik äußerte, habe sich das geändert. Auf ein Gesprächsangebot von Teichert antworten weder Wagenknecht noch Lafontaine.

Die Landesbeauftragte des BSW in Hamburg, die Bundestagsabgeordnete und enge Vertraute von Wagenknecht, Żaklin Nastić, habe sich bei vielen Mitgliedern „unbeliebt” gemacht, sagen Parteimitglieder. Zudem liegt eine Strafanzeige der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen sie vor. Der Vorwurf hat es in sich: Wie die Hamburger Morgenpost berichtete, soll Nastić Gelder des Bundestages veruntreut haben.

Żaklin Nastić, Landesbeauftragte des BSW Hamburg  © picture alliance

Die Kaminrunden

Die engsten Vertrauten von Sahra Wagenknecht sitzen an allen wichtigen Schaltstellen im BSW. Der harte Kern hat sich im letzten Jahrzehnt nicht verändert. Schon in der Linkspartei traf sich der Kreis mit dem Spitznamen „Kaminzimmer” in Sitzungswochen im Marinehaus am Märkischen Ufer in rustikalem Ambiente in Berlin Mitte. 26 Linken-Abgeordnete nahmen zu Hochzeiten an den Treffen teil. Das Restaurant gehört Freunden von Diether Dehm, Liedermacher und Musikproduzent („1000 und 1 Nacht“ und „Was wollen wir trinken sieben Tage lang?“), Ex-Stasi-Spitzel und langjähriger Koordinator des Wagenknecht-Kreises. Hier sei die frühe Keimzelle des BSW entstanden, erzählt Dehm am Telefon und klingt sichtlich stolz. Nicht alle Teilnehmer der Kaminrunden nahm Wagenknecht ins BSW mit. Die ganz linken wollte sie nicht. Zu sehr befürchtete man, dass sie abschreckend wirken könnten. T-Online berichtete über eine „schwarze Liste” mit den Ausschlusskandidaten, zu denen neben Wolfgang Gehrcke, der seinerzeit einzige bekennende Kommunist im Bundestag, auch Dehm selbst zählte. Im Gespräch merkt man ihm an, wie sehr es ihn kränkt. Nun fürchtet man im BSW, er könne sich revanchieren. Von einem großen deutschen Verlag sei ihm ein hoher Betrag für ein Buch geboten worden. Inhalt: unter anderem seine langjährige Beziehung mit Żaklin Nastić und, pikanterweise, die knapp einjährige Liebesaffäre mit Sahra Wagenknecht vor 15 Jahren. Auf Nachfrage dementiert Dehm nicht.

Die Causa Dehm zeigt, wie eng verbandelt die Gruppe ist. Von Linkspartei-Politikern wurde das Auftreten der Gruppe schon früher als „sektenhaft“ beschrieben. Ihr Umfeld hingegen hebt hervor, wie wichtig Loyalität für „Sahra“ sei. Keiner der Abgeordneten des BSW würde Wagenknecht öffentlich widersprechen, auch wenn sie in Einzelfragen oft unterschiedliche Positionen haben mögen. Das ist der Kitt. Wegen ihrer Loyalität zu Wagenknecht ist Amira Mohamed Ali Co-Vorsitzende des BSW, obwohl sie früher im Bundestag eine völlig andere Migrationspolitik verfolgte, Merkels Politik 2015 von links kritisierte und weniger Abschiebungen forderte.

Dieter Dehm und Sahra Wagenknecht im Jahr 2018 bei den Linken © Imago

Es sind diese rund 20 Menschen, die gerade die Republik aufmischen. Die wichtigsten hat Wagenknecht als Landesbeauftragte losgeschickt, damit beim Parteiaufbau alles stramm in ihren Händen bliebe: Christian Leye, der Generalsekretär, koordiniert NRW, die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali Niedersachsen, Klaus Ernst, langjähriger Teilnehmer der Kaminrunden, Bayern, Fabio De Masi, Wagenknechts ehemaliger Mitarbeiter, führt die BSW-Gruppe im Europaparlament an und Żaklin Nastić spielt die „Statthalterin“, wie die Zeit schreibt, in Hamburg.

Politik-Erfahrene von außerhalb, solche wie Torsten Teichert, will man offenbar nur, solange sie sich unterordnen. Lieber wirbt man Unerfahrene an. Ausführende Hände, keine unabhängigen Denker.

Das BSW gleicht mehr einem Polit-Unternehmen, denn einer Partei. Alles lebt vom medial inszenierten Charisma von Sahra Wagenknecht. Mitglieder treten nicht bei, sie werden eingestellt. In Auswahlgesprächen entscheiden Vertraute von Wagenknecht, wer Mitglied werden darf und wer nicht. Wenn es in Sachsen, in Thüringen und womöglich auch in Brandenburg zu einer Regierungsbeteiligung kommt, ist der Mitgliedsausweis mit hoher Wahrscheinlichkeit an einen Arbeitsvertrag geknüpft. Dann braucht das BSW Minister, Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter. Neben den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern versteht sich. Die 65 BSW-Mitglieder in Sachsen, die 47 in Thüringen und die paar Dutzend in Brandenburg müssten wohl alle in Amt und Würden. Etwa die Hälfte von ihnen hat keine politischen Vorerfahrungen, die andere Hälfte kommt größtenteils aus der Linkspartei. „An Personal wird es nicht fehlen. Wir werden gezielt Leute rekrutieren, aus dem Unterstützerkreis, aber auch aus anderen Bereichen”, sagt ein BSW-Funktionär.

Amira Mohamed Ali, Co-Vorsitzende des BSW  © Imago

Wagenknecht spricht gerne vor Unternehmern. Etwa auf der My Way-Konferenz Mitte September im Westhafen in Berlin, einem Strategiegipfel für Familienunternehmen, den The Pioneer veranstaltet hat. Dort betont sie ihr Volkswirtschaftsstudium und erzählt von ihrer Begeisterung für die Ordoliberale Schule von Walter Eucken.

Während Wagenknecht drinnen vor der deutschen Wirtschaftselite auf der My Way spricht, protestiert draußen eine kleine Gruppe linker Aktivisten gegen Lobbyismus und Milliardärsfamilien. Früher hätte die ehemalige Kommunistin womöglich mit demonstriert, heute richtet sich der Protest auch gegen sie.

Das sind die Momente, in denen Wagenknecht erkennbar zwei Gesichter hat. Vor einem linken Publikum, etwa in der englischsprachigen Publikation „New Left Review“ nennt sie Eucken nicht. Stattdessen aber den französischen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon und seine Partei La France insoumise („Unbeugsames Frankreich”). Mélenchon will Großunternehmen verstaatlichen und eine gesetzliche 32-Stunden-Woche einführen. Wagenknecht hingegen fordert Bürokratieabbau, mehr Polizei und eine bessere Infrastruktur.

Sahra Wagenknecht, Christian Leye und Katja Wolf © dpa

Eine linke Wirtschaftspolitik kann Teichert beim BSW nicht mehr erkennen. Er sagt:

Mit den wirtschaftspolitischen Positionen des BSW gewinnt man in keinem SPD-Ortsverein eine Abstimmung.

Die neue, rechte SPD?

Im thüringischen Landtag hat das große Stühlerücken begonnen. Der rasante Aufstieg des Bündnis Sahra Wagenknecht verändert die Republik – und auch die Sitzordnung. Die gibt Aufschluss: Zwischen CDU und SPD sitzen demnächst 15 Abgeordnete der neuen Partei. Im thüringischen Landtag ist das BSW die neue Mitte. Eine neue, rechte SPD. Oder eben eine linke CDU.

In der Migrationspolitik zeigt sich das am drastischsten. Die Bundestagsgruppe des BSW veröffentlichte Ende August ein gemeinsames Papier zur „Zeitenwende in der Flüchtlingspolitik“ nach Solingen. Merkel habe 2015 „faktisch nach Deutschland eingeladen“, schreiben die BSW-Abgeordneten darin. Nun müsse ein „Stoppsignal“ diese Einladung „in aller Vehemenz“ widerrufen. Sie fordern eine Migrationswende nach dänischem Vorbild: mehr Abschiebung, die Geldzahlung an abgelehnte Asylbewerber sollen eingestellt werden, die Asylverfahren nur noch in Drittstaaten außerhalb der EU stattfinden.

„Beim Thema Migration hört der Einsatz für Vernunft und Gerechtigkeit bei Wagenknecht plötzlich auf“, sagt BSW-Mitglied Dejan Lazić.

Die Forderung der Bundestagsgruppe würde faktisch ein Ende des individuellen Rechts auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention bedeuten, da eine rechtsstaatliche Prüfung wegfallen würde, so Lazić, der als Jurist und Sozialökonom tätig ist. Er ist mit seiner Kritik nicht alleine. Viele Mitglieder in unterschiedlichen Landesverbänden, mit denen wir gesprochen haben, treiben ähnliche Bedenken um.

Für die Parteispitze beruhen solche Bedenken auf Missverständnissen. In der taz beschrieb sich Wagenknecht als Anhängerin eines „aufgeklärten Konservatismus”. Das BSW solle „keine Linke 2.0“ werden, wiederholt Wagenknecht immer wieder. Lange galt das BSW als programmatische Black Box, doch inzwischen fallen die Hüllen. Womöglich gebe es noch einiges an „Projektionsraum“, der werde aber sukzessive abgebaut, kommentiert ein BSW-Politiker aus dem Bundesvorstand auf Nachfrage den Streit um die Migrationspolitik. Mit anderen Worten: Linke sind hier falsch.

Zugeschnitten scheint das BSW eher auf Sozialdemokraten alten Typs. Allen voran Oskar Lafontaine, den früheren Parteichef der SPD und später auch der Linken. Und natürlich Ehemann von Sahra Wagenknecht. Seine Frau mag das Gesicht und die Antriebsfeder des Projekts sein. Er ist der Spiritus Rector – der leitende Geist, der Ideengeber. Schon als SPD-Vorsitzender war er 1992 maßgeblich an der Einschränkung des Asylrechts beteiligt. Mit der Politik der offenen Grenzen, wie sie von vielen in der Linkspartei vertreten wird, war er nie einverstanden.

In der Migrationspolitik schließt das BSW an den restriktiven Kurs von Lafontaine und auch Helmut Schmidt an. Zu starke Einwanderung könne zum Problem für die Demokratie werden, warnte Schmidt einst. Wagenknecht sieht das heute genauso: Eine sozialpolitisch links ausgerichtete Partei, die gegen „Masseneinwanderung” ist, das sei weder neu, noch verwegen, sagt sie.

Ist die Wagenknecht-Partei also eine neue und zugleich alte SPD? Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel meint: Ja.

Merkel ordnet das BSW in die Tradition der alten SPD einerseits und der modernen dänischen Sozialdemokratie andererseits ein, die für ihre restriktive Einwanderungspolitik bekannt ist:

Die alte Sozialdemokratie war gesellschaftspolitisch mit wenigen Ausnahmen immer eher konservativ.

Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel © imago

Die Ost-Politik der SPD, sie ist der Markenkern, den das BSW retten will. Willy Brandts und Egon Bahrs Konzept vom „Wandel durch Annäherung" ist Teil der Lafontaine'schen DNA. So hätte es das BSW gerne. Jedoch standen Brandt und Bahr, trotz Ost-Politik, fest an der Seite des transatlantischen Bündnisses mit den USA. Lafontaine war schon früher der Sonderfall unter den Sozialdemokraten, der die USA als Kriegstreiber beschimpfte und für eine Äquidistanz Deutschlands und Europas gegenüber der amerikanischen Politik ebenso wie der russischen Politik warb.

Ausgerechnet dieses untypische Alleinstellungsmerkmal von Lafontaine innerhalb der alten SPD ist allerdings für das BSW stilprägend. Das zeigt schon, die Grenzen der Vielfalt an möglichen Positionen im BSW sind eng gefasst.

Eine Volkspartei wie die CDU duldet so unterschiedliche Politiker wie Michael Kretschmer und Roderich Kiesewetter in ihren Reihen. Wagenknecht und Lafontaine wollen hingegen eine Partei kultivieren, die allein auf einer sehr speziellen Strömung der Sozialdemokratie fußt. Viele SPD-Politiker hat das bisher nicht angelockt. Thomas Geisel, Ex-SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, ist weiterhin der prominenteste Wechsel.

Überhaupt SPD: Das BSW sei ein „Abrissunternehmen“, so Teichert. Was von der einstigen großen Volkspartei SPD noch übrig ist, werde durch das BSW weiter zertrümmert:

Das ist leider wohl der eigentliche Plan von Oskar Lafontaine.

Späte Rache. Die Wählerwanderung zeigt tatsächlich, am meisten Schaden fügt das BSW der Linkspartei und der SPD zu – nicht der AfD.

Für manche mag das BSW ein Neubeginn sein, für die SPD sei es „eine weitere Phase im schleichenden Niedergang“, orakelt Teichert. Das BSW sei die „rechte Alternative zur SPD“, ebenso wie die AfD „die rechte Alternative für die CDU“.