Militärische Manöver trainieren in der Regel ein Worst-Case-Szenario – für Moskau war die Zapad 2017 eine Best-Case-Übung. Damals simulierten russische und belarussische Militäreinheiten einen Krieg mit der Nato. Konkret: die Eroberung der Suwałki-Lücke.
Der 65 Kilometer breite Landkorridor verläuft entlang der Grenzen von Polen und Litauen – und gilt als Europas militärische Achillesferse. Wenn dieser Korridor einmal von Russland eingenommen werden würde, könnte die Nato das Baltikum nur noch über die Ostsee versorgen. Denn über die Suwałki-Lücke würde sich Russland direkten Zugang zur Ostsee sichern – via Belarus und der russischen Enklave Kaliningrad.
Man hätte schon vor acht Jahren wissen können, was Moskau im Schilde führt.
Heute ist die theoretische Option real auf dem Tisch. „Russland will die Suwałki-Lücke nach wie vor kontrollieren, was einen Angriff auf Nato-Gebiete impliziert“, sagt Viljar Veebel. Er forscht seit Jahren bei der OECD und dem Estonian National Defence College über die Verteidigung des Baltikums.
Moskau trainiert den Ernstfall, Moskau rüstet auf. Quasi im Gleichklang mit den Debatten um Ukrainehilfe, Friedensgespräche und Nato-Strategie schafft der Kreml militärische Fakten: aggressive Drohungen, milliardenschwere Aufrüstung, patriotische Kindererziehung. Ein dritter Weltkrieg ist eine Dystopie mit Realitätsgehalt.
Nördlich des Baltikums, etwa 250 Kilometer östlich von Helsinki, steht Russlands massive Streitkraft. Vor den Toren der Hauptstadt des zweitjüngsten Nato-Mitglieds sind hier zehntausende Soldaten, Piloten und Matrosen stationiert. Erst vor einem Jahr wurde der „Leningrad Militärdistrikt“ als Reaktion auf Finnlands Nato-Beitritt wieder ins Leben gerufen. Damit einher ging laut dem Polnischen Institut für Internationale Beziehungen eine „stetige Aufrüstung der dortigen Militärkapazitäten“.
Eine Infografik mit dem Titel: Russische Streitkräfte um die baltischen Staaten
Russische und Belarusische Militäreinheiten von Kaliningrad bis St. Petersburg, Stand 7. März 2025
In Verbindung mit einer Luftwaffenbrigade nahe der estnischen und lettischen Grenzen könnte von hier ein Angriff auf das Baltikum beginnen. „Ein sogenannter Zangenangriff aus mehreren Richtungen könnte das Baltikum innerhalb kürzester Zeit überwältigen“, ist David Batashvili überzeugt. Er forscht bei der georgischen Rondeli-Stiftung, die Russlands militärische Kapazitäten überwacht.
Die Kontrolle über die Suwałki-Lücke ist ein strategisches Ziel für Moskau, weil es mit vergleichsweise geringem Aufwand eine vergleichsweise wertvolle Verhandlungsmasse ergattern kann, mit der sich andere wirtschaftliche und diplomatische Ziele erreichen lassen.
So könnte es laufen, wenn Europa nicht aufpasst. Russlands Militärbudget erreichte 2024 kaufkraftbereinigt 462 Milliarden Dollar, hat das International Institute for Strategic Studies errechnet. Immerhin: Alle Staaten Europas investieren ähnlich viel. Aber Russland investiert fast ein Drittel der Staatsausgaben in die Aufrüstung. Europa streitet über eine Erhöhung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Deutschlands jüngstes Super-Paket für Verteidigung wäre immerhin ein Zeichen an Moskau. Schwarz-Rot will mehrere Hundert Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren. Aber die Differenz bliebe beträchtlich. Denn was der Wahlsieger Friedrich Merz einmal für Infrastruktur und Verteidigung ausgeben will, investiert Russland kaufkraftbereinigt jedes Jahr.
Eine Infografik mit dem Titel: Rüstungsausgaben Europa und Russland
Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten und Russland 2024, in Milliarden Dollar
„Russlands Wirtschaft ist auf dem Kriegspfad. Russland bereitet sich auf eine langfristige Konfrontation vor. Mit der Ukraine und mit uns“, sagte Mark Rutte, Nato-Generalsekretär, am 20. Februar in Bratislava.
Mark Rutte in Bratislava am 20. Februar 2025 © IMAGO / CTK PhotoDie Zeichen stehen auf dauerhafte Konfrontation. Das größte Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses – die USA – droht offen damit, seine Beistandsverpflichtung aufzukündigen. „Wenn sie nicht zahlen, werde ich sie nicht verteidigen“, sagte US-Präsident Donald Trump am Donnerstag.
Das dürfte Moskau ermutigen. Ohnehin kann der Kreml kaum noch hinter die eigene Rhetorik zurück. Eine Diplomatin aus einem Nachbarland Russlands, die ihren Namen nicht nennen möchte, sagt uns: „Die Drohkulisse aus Russland sorgt schon jetzt dafür, dass ausländische Investoren fernbleiben.“ Soll heißen: Nur der Krieg sichert noch Putins politisches Überleben.
Dänische Geheimdienste prognostizieren, dass Moskau in fünf Jahren kriegsbereit sein könnte. Nato-Generalsekretär Rutte warnt: „Wir sind nicht bereit für das, was in vier bis fünf Jahren auf uns zukommt.“
Unsere Kollegen Ozan Demircan und Lennart Roos haben Satellitenbilder ausgewertet und mit Experten gesprochen. Das Bild ist eindeutig: Russland rüstet auf. Die Mittel der Wahl sind nicht Diplomatie und Soft Power. Sondern Macht und Militär.
Die Moskau-Doktrin:
#1 Systematische Aufrüstung
Bereits in den zwei Jahrzehnten vor der Invasion der Ukraine 2022 investierte Russland in den Aufbau einer professionellen Armee – und zwar systematisch, sagt Dara Massicot vom Carnegie Endowment for International Peace, einem amerikanischen Think-Tank. „Die Streitkräfte führten interne Umfragen durch, um die Motivation der Soldaten zu verstehen, übernahmen Konzepte westlicher Armeen und verbesserten bereits ab 2009 systematisch die Bedingungen für Militärangehörige.“
Dazu gehörten höhere Löhne, bessere Unterkünfte, modernisierte Ausrüstung sowie Maßnahmen gegen Korruption und Schikane.
Die Reformen zeigen Wirkung. „Die Armee gewann an Prestige, die Zahl der Berufssoldaten wuchs, und die Zufriedenheit der Soldaten stieg.“ Bis Ende der 2010er-Jahre wurden mehr Berufssoldaten als Wehrpflichtige rekrutiert, und die Militärakademien füllten sich.
Russland lockt neue Soldaten mit hohen finanziellen Anreizen. Vertragssoldaten erhalten eine Einstiegsprämie und ein monatliches Gehalt von mindestens 204.000 Rubel, rund 2.280 US-Dollar – mehr als das Doppelte des russischen Durchschnittslohns und in manchen Regionen sogar das Fünffache.
2024 stiegen die Anwerbeprämien weiter und übertrafen umgerechnet 15.000 US-Dollar. „Diese großzügigen Zahlungen haben es Russland ermöglicht, alleine seit 2023 rund 300.000 neue Soldaten zu rekrutieren“, sagt Rob Lee vom Foreign Policy Research Institute.
Auch die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren. Trotz westlicher Sanktionen hat Moskau seine Wirtschaft auf Kriegsproduktion umgestellt. Waffenfabriken arbeiten im Mehrschichtbetrieb, Löhne in der Verteidigungsindustrie steigen, und staatliche Anreize für den Militärdienst nehmen zu. Geld fließt gezielt in arme Regionen, um wirtschaftliche Abhängigkeit zu schaffen.
Zuletzt ordnete Kremlchef Putin im September 2024 eine Truppenaufstockung um 180.000 Soldaten auf 1,5 Millionen an. „Der bedeutendste russische Truppenaufbau der vergangenen drei Jahre ist die Aufstellung neuer Landeinheiten, wie man sie gezielt in Kriegen braucht“, sagt David Batashvili von Rondeli in Georgien. Dort ist Russland bereits 2008 eingefallen und besetzt seitdem die Regionen Südossetien und Abchasien. Die russischen Militärbasen in diesen Gebieten sind vollkommen in die Streitkräfte eingebunden, die Territorien werden von Russland als de-facto Staatsgebiet verstanden.
Um zu verstehen, wofür Wladimir Putin aufrüstet, lohnt es sich, Johannes Regenbrecht zuzuhören. Der ehemalige Diplomat im Auswärtigen Amt hat zur Zeit des Mauerfalls an der Botschaft in Moskau gedient, anschließend die Botschaft in Minsk aufgebaut und war anschließend Vizebotschafter in Kiew. Zuletzt war er Gesandter der Deutschen Botschaft in Peking und Generalkonsul in Istanbul. Unter den westlichen Diplomaten kennt er die Region wie kein Zweiter.
Johannes Regenbrecht beim Sino-German Sustainability Summit, 2019 © Sino-German Center for Sustainable DevelopmentEr sagt The Pioneer: „Putin betrachtet die Welt nicht als Netzwerk souveräner Staaten, sondern als eine Arena konkurrierender Großräume, die von wenigen Mächten dominiert werden.“ Die Ukraine und andere postsowjetische Staaten seien demnach Teil eines Großraums, in dem Hegemonialmächte über definierte geopolitische Sphären Einfluss ausüben, während externe Interventionen ausgeschlossen bleiben. „Westliche Einmischung sieht er als illegitimen Eingriff, die Nato-Osterweiterung als Bedrohung“, so Regenbrecht. Der Krieg gegen die Ukraine diene der Wiederherstellung dieser Ordnung.
#2 Made for Russia
Satellitenbilder zeigen den Aufbau von Produktionsstandorten für Feststoffraketentriebwerke. Die Artillerieproduktion liegt mit 250.000 Geschossen pro Monat fast dreimal so hoch wie die der USA und Europas für die Ukraine, wie Erhebungen von Carnegie ergeben. Russlands Waffenexporte sind stark eingebrochen – von 31 Empfängerländern im Jahr 2019 auf nur noch 12 in 2023.
Das heißt: Russland produziert immer mehr für sich.
Die russischen Rüstungsbemühungen lassen sich in drei Kategorien einteilen, erklärt die Russland-Expertin Massicot. „Sie bieten höhere Löhne und Sozialleistungen an, kontrollieren das öffentliche Engagement und die Wahrnehmung des Krieges, um schlechte Nachrichten zu unterdrücken, und verstärken die militärisch-patriotische Erziehung an den Schulen, um die nächste Generation von Rekruten anzusprechen.“ Das Budget für „patriotische Bildung“ stieg 2023 auf 430 Millionen Dollar, um den Militärdienst als moralische Pflicht zu verankern.
Die militärische Aufrüstung soll den Rückstand zum Westen aufholen.
Russland verfügt Schätzungen zufolge über rund 1,3 Millionen bis 1,5 Millionen aktive Soldaten, die Nato über 3,5 Millionen. Alleine die EU kann ohne Mobilisierungen eine Truppenstärke von 1,3 Millionen vorweisen.
Russland hat maximal 4500 Flugzeuge, mindestens 1000 weniger als die Europäer. Die Nato hat weit mehr als 22.000 Bomber, Aufklärer und Jagdflugzeuge.
Die Anzahl russischer Panzer ist schwer einzuschätzen. Immer wieder werden alte Modelle aus Sowjetzeiten reaktiviert. 2022 hat das International Institute for Strategic Studies die Zahl der Panzer noch auf 17.500 geschätzt. Bis Januar 2024 hat Russland davon mindestens 2.619 verloren. Andere Schätzungen beziffern die Zahl russischer Panzer bei nur noch 12.267. Die EU hat 4.327 Panzer, die Nato insgesamt 11.309.
Marine: Russland verfügt über etwa 650 Schiffe, die in diversen, voneinander getrennten Meeren liegen. Die Europäische Union alleine hat 1500, die Nato 2500. Diese Marinestreitkraft ist lokaler und kann gezielt eingesetzt werden, beispielsweise in der baltischen See.
#3 Provokation Kaliningrad
Wozu das führt, kann man mitten in Europa beobachten. Die russische Exklave Kaliningrad an der Ostsee war unter dem Namen Königsberg lange Hauptstadt Ostpreußens. Inzwischen nennen viele in Moskau, aber auch im Baltikum, die Region den „unsinkbaren Flugzeugträger des Kremls“.
Der Stadtkern von Kaliningrad © Creative Commons / Aleksander KaasikHier befindet sich das Hauptquartier der Baltischen Flotte und ein stetig wachsendes Arsenal taktischer Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper. Im Mai 2022 simulierte Russland hier Atomschläge gegen Europa.
„Russland benutzt die geostrategischen und militärischen Vorteile der Kaliningrad-Region als Trumpfkarte, um den Westen mit einer Konflikteskalation zu bedrohen“, sagt Viljar Veebel.
Einige Flugstunden südöstlich von hier, im Kaukasus, befindet sich eine der größten Ansammlungen russischer Bodentruppen außerhalb Moskaus. Rund um die Stadt Rostow sind gleich vier Hauptquartiere diverser Armeeeinheiten situiert, sowie die Hauptzentrale des gesamten Südlichen Militärdistrikts, der sich von der ukrainischen Grenze bis Georgien zieht. Während des Aufstands der Wagner Gruppe 2023, einer durch Russland unterstützen Paramilitärorganisation, eroberten die Männer um Anführer Jewgeni Prigoschin zuerst diese strategisch wichtige Stadt.
Eine Infografik mit dem Titel: Russische Streitkräfte in und um die Ukraine
Russische Militäreinheiten von Sewastopol bis Rostow, Stand 7. März 2025
„Russland wird in dieser Region stets ein Faktor für Unsicherheit bleiben“, ist der Historiker Ulrich Schlie von der Universität Bonn überzeugt.
#4 Provokation Arktis
Die russische Insel Alexandraland liegt mitten im Polarmeer, tausende Kilometer vom russischen Festland entfernt, aber nur wenige hundert Seemeilen vom norwegischen Festlandschelf – auch Kanada ist in Reichweite. Von Mitte September bis Mitte Juli ist die westlichste Insel des zu Russland gehörenden Franz-Josef-Lands im Arktischen Ozean mit Eis bedeckt.
Trotzdem traf sich im September 2008 hier der russische Sicherheitsrat, bestehend aus gut zwei Dutzend russischen Spitzenbeamten, darunter der damalige Verteidigungsminister und mehrere Geheimdienstler. „Die Arktis muss zu Russlands hauptsächlicher strategischer Rohstoffbasis werden“, zitierten russische Medien den Generalsekretär des Sicherheitsrates damals. „Sonst werden wir hier herausgedrängt.“
Im Abschlussdokument des Treffens hieß es demnach: Bis 2020 soll eine umfassende Strategie zur Erschließung der Arktis erarbeitet werden. Und: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Kampf um Rohstoffe mit militärischen Mitteln geführt wird.“ In der russischen Staatszeitung Rossiiskaja Gaseta hieß es nach dem Treffen im eisigen Norden: „Der Kampf um die Arktis wird zur Initialzündung für die Neuaufteilung der Welt.“
Die Strategie scheint pünktlich abgeschlossen worden zu sein. 2017 wurde ein Gebäudekomplex mit drei Flügeln fertiggestellt, der über 150 Soldaten dauerhaft beherbergen kann. Während die Außentemperatur auf minus 54 Grad absinken kann, heizen Ölkessel die Innentemperatur 365 Tage im Jahr auf wohlige 26 Grad. Seit 2019 können auf dem Fliegerhorst kleinere Kampfflugzeuge mit Nuklearsprengsätzen landen. Ein Jahr später ließ das russische Militär für größere Bomber die Landebahn verlängern, zeigen Satellitenbilder. Der Außenposten erweitert Russlands nukleare Schlagkraft in Richtung Europa und Nordamerika.
Darüber hinaus geht es um Handelswege und Rohstoffe. Aufgrund des Klimawandels schmilzt das Eis und öffnet die sogenannte Nordostpassage für Schiffe. China will den Korridor für sein Seidenstraßen-Projekt nutzen. Auch die anderen Anrainer wie die USA, Kanada und Norwegen haben Strategien entwickelt, den verwaisten Teil der Erde nutzbar zu machen.
Wladimir Putin bei der Ankunft auf Alexandra Land, 2017 © Creative Commons / Presidential Press and Information Office#5 Provokation Norwegen
An drei Stellen gibt es Grenzkonflikte mit Norwegen. Regelmäßig kreisen russische Kampfjets über diesen Gebieten. Kriegsschiffe kontrollieren die Durchfahrt und verlangen Geld von ausländischen Reedern. Im März 2021 ließ die russische Marine Bilder verbreiten, auf denen zu sehen ist, wie U-Boote durch das ewige Eis brechen – eine Demonstration der militärischen Macht.
Die gesamte Westfront, von der Arktis bis Georgien, unterliegt außerdem seit dem vergangenen Jahr nicht mehr zwei organisatorischen Militärdistrikten, sondern dreien. 2024 wurde der Westliche Militärdistrikt in den Leningrad Militärdistrikt und Moskau Militärdistrikt geteilt. Insbesondere die Kapazitäten des nördlichen Leningrad Militärdistrikts wurden seitdem auffällig aufgestockt, also entlang der Territorien der Nordischen Länder und des Baltikums.
Wenige Kilometer von der Grenze zu Norwegen und Finnland entfernt befindet sich ein großes Aufgebot von Marineeinheiten, Luftwaffenstützpunkten und des 14. Armeekorps, das wiederum aus mehreren zehntausend Soldaten starken Divisionen besteht. Angeordnet hat die Expansion Sergei Schoigu, Ex-Verteidigungsminister und inzwischen Sekretär des russischen Sicherheitsrates, der die russische Außen- und Verteidigungspolitik befiehlt. Vergrößerungen existierender Einheiten, sowie Neugründungen sind ein klar erkennbarer Trend, sagt Rondeli-Experte Batashvili.
In der deutschen Rüstungsindustrie und im Verteidigungsministerium reift die Erkenntnis allmählich, dass Russlands Expansionsdrang eine reale Gefahr geworden ist. „Im Bundesverteidigungsministerium sind gedanklich immer mehr Beamte auf Krieg eingestellt“, erzählt ein Manager aus der Rüstungswirtschaft, der häufig im Berliner Bendlerblock zu Gast ist.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte nach Ausbruch der russischen Invasion in der Ukraine eine unmissverständliche Parole ausgegeben: „Deutschland muss bis 2027 kriegstüchtig sein.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius am 13.11.2024 © imagoEin Problem dabei: die Bürokratie. Der Operationsplan, mit dem der Kriegs- und Krisenfall vorbereitet werden soll, ist 1000 Seiten lang. Inzwischen gibt es immerhin eine „Heimatschutzdivision“: 20.000 Soldaten, die vor allem Versorgungsnetze und Verkehrswege schützen sollen.
Die Bundeswehr ist außerdem nach Recherchen von The Pioneer mit vielen Wirtschaftsverbänden in Kontakt. Das Anliegen ist immer dasselbe: Die Unternehmen sollen ihr Bewusstsein für mögliche Krisen schärfen und sich entsprechend vorbereiten.
Ein Beispiel, das so banal wie einleuchtend klingt: Viele Fahrer für deutsche Logistikfirmen kommen aus Osteuropa. Wenn zuerst dort der Kriegsfall ausbrechen sollte, könnten diese Fahrer als Soldaten eingezogen werden – und so zu einem Zusammenbruch des deutschen Logistiksektors führen.
Point of no Return
Russland-Experte Michael Kofman warnt: Kremlchef Putin habe einen „Point of no Return“ erreicht, schreibt Kofman in einem Artikel für das US-Magazin Foreign Affairs. Also einen Punkt, ab dem er seine Politik nicht mehr ändern könne.
„Russlands revisionistische Ambitionen und Aggressionen verschwinden nicht von selbst.“ Wer glaube, Russland ließe sich ignorieren oder nebenbei handhaben, während die USA sich auf China konzentrierten, unterschätze die Gefahr. „Besser, der Westen stellt sich ihr jetzt entschlossen entgegen – bevor die nächste Eskalation noch teurer wird.“
Entscheidend für Moskaus künftige Kriegsfähigkeit sei die westliche Unterstützung der Ukraine, sagt Mathieu Boulègue, Russland-Experte bei Chatham House. „Eine anhaltende Abnutzung des russischen Militärs durch lange Gefechte und westliche Sanktionen erschwert Moskaus Fähigkeit zur Modernisierung.“ Auch die Fähigkeit, mit Cyberangriffen und Desinformation Einfluss zu nehmen, könne geschwächt werden.
Seine Analyse klingt drastisch, trifft aber einen Schwachpunkt bei der russischen Aufrüstung. „Je länger der Krieg andauert, desto schwieriger wird es für den Kreml, seine militärische Macht wiederherzustellen.“
Fazit: Russland rüstet systematisch auf und schafft militärische Fakten – mit hohen Soldzahlungen, massiver Waffenproduktion und geopolitischen Drohkulissen. Während der Kreml eine langfristige Konfrontation vorbereitet, streitet Europa noch über Verteidigungsausgaben. Doch die Zeit drängt: Fünf Jahre bleiben dem Westen, um sich auf das vorzubereiten, was Moskau plant.