Carsten Linnemann im Interview

„Es ist kurz nach zwölf”

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Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, erklärt im Interview mit Gabor Steingart, warum ihm das Angebot der Ampel nicht reicht und warum die Tür zum Migrationspaket von CDU und Ampel zu ist – aber nicht abgeschlossen.

Nach dem Bund-Länder-Gipfel am Anfang der Woche ist Olaf Scholz äußert zufrieden mit Olaf Scholz und dem Erreichten. Der Kanzler spricht von einem „sehr historischen Moment”, was die neue Migrationspolitik angeht. Aber die Union und Friedrich Merz sind nicht zufrieden.

Dass der Bundeskanzler es abgelehnt hat, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zusammen mit der Union zu gründen, um die illegale Migration nach Deutschland zu stoppen, brachte Friedrich Merz regelrecht auf die Palme:

Damit ist das Thema Deutschlandpakt zum Thema Migration aus meiner Sicht erledigt.

Doch Carsten Linnemann, ein Konservativer ohne Verkalkungserscheinung, will den Bundeskanzler so leicht nicht aus der Verantwortung entlassen. Im Interview mit Gabor Steingart fordert er einen spürbaren Richtungswechsel in der Migrationspolitik.

Gabor Steingart: Der Deutschlandpakt zur Migration ist für mich in der Sache erledigt, sagt Friedrich Merz. Herr Linnemann, sagen Sie das auch?

Carsten Linnemann: Ja, zumindest für den Moment. Ich meine, wir können ja nicht jede Woche ins Kanzleramt gehen. Wenn wir nicht Instrumente bekommen, Beschlüsse bekommen, wo wir sicher sind, dass die signifikanten Zahlen bei den Flüchtlingszuwächsen, die wir im Moment beobachten, sinken, können wir nicht mitmachen, weil dann haben wir mit Zitronen gehandelt.

Aber wäre jetzt nicht die Stunde des Oppositionsführers und des CDU-Generalsekretärs, rauszuholen, was sie gerne rausholen möchten?

Linnemann: Exakt. Also im Moment sieht es ja fast so aus, als ob sich der Deutschlandpakt für Migration zu einem Rohrkrepierer entwickelt. Es ist richtig, dass die Kommunen jetzt mehr Geld bekommen. Es ist richtig, dass man bei Abschiebungen was macht. Aber das Problem liegt doch ganz woanders. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Das sagen alle namhaften Migrationsexperten Deutschlands, Europas und weltweit. Es sollen nur noch Menschen zu uns kommen, die bereits einen positiven Asylbescheid haben. Und diesen Paradigmenwechsel gibt es mit diesem Deutschlandpakt nicht und deshalb wird er auch die Zahlen nicht senken können.

Aber hat Olaf Scholz sich da schon so festgelegt? Sie sagen ja zu Recht, alle Experten sagen, dass die Verfahren nicht in Bochum oder in Wuppertal stattfinden, sondern in Zentren exterritorial, sozusagen außerhalb unserer Landesgrenzen. Ist da der Bundeskanzler wirklich dagegen?

Linnemann: Ja, sonst hätte er das ja schon lange geprüft. Ich meine, diese Prüf-Klausel steht ja bereits im Koalitionsvertrag. Stattdessen nutzt Olaf Scholz jedes Mal größere Superlative. Jetzt spricht er von Turboabschiebung. In den letzten zehn Jahren sind durchschnittlich jedes Jahr 270.000 Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Und jedes Jahr sind nicht mehr als 20.000 abgeschoben worden, also nicht einmal 10 Prozent. Wir werden mit Abschiebungen gar nicht so viel machen können. Wir werden das Problem so nicht lösen können.

Also Sie wollen jetzt richtig runter mit den Zahlen, signifikant die Migrationsströme nach Deutschland senken. Richtig?

Linnemann: Das ist richtig. Es ist doch offenkundig, dass dieses Land überfordert ist. In Deutschlands großen Städten gehen Tausende von Kindern im schulpflichtigen Alter nicht zur Schule. In Bremen gehen sie zur Schule, werden aber nicht unterrichtet, weil die Lehrer fehlen. Wir sind überfordert. Unsere Systeme sind nicht nur am Limit, sondern es ist eigentlich kurz nach zwölf.

1993 gab es große Demonstrationen, aber am Ende sind die Republikaner verschwunden und das Asylthema wurde durch die Grundgesetzänderung zumindest für die damalige Zeit in den Griff bekommen. Eine ähnliche Sache muss Ihnen daher ja vorschweben. Von daher war das nicht ein bisschen vorschnell, die Tür einfach zuzumachen nach dieser unwirschen Ablehnung durch den Bundeskanzler?

Linnemann: Die Tür kann man sofort wieder aufsperren. Sie ist nicht abgeschlossen, sie ist einfach nur geschlossen. Die kann man gerne wieder aufziehen. Aber dann muss der Bundeskanzler wirklich mit Punkten kommen.

Auf unseren Straßen spielt sich Erstaunliches, auch Erschreckendes ab. Da wird von über 10.000 Menschen in Düsseldorf und anderswo tatsächlich der Krieg gegen Israel forciert. Antisemitismus pur. Was sagen Sie zu diesem Aspekt, der ja auch was mit unserem Thema Migration zu tun hat?

Linnemann: Das treibt mich genauso um. Wir haben eine Situation, wo das Holocaust-Mahnmal nicht von Polizisten geschützt wird, sondern von Polizeiketten. Die Menschen sprechen kaum noch Hebräisch, die Kippa wird abgenommen, man traut sich nicht mehr, die Kinder in die Schule zu schicken, geschweige denn in die Kita. Ich muss einfach zu dem Schluss kommen, dass wir sehr stark den rechtsradikalen Antisemitismus uns angeschaut haben, was richtig ist. Aber es gibt auch linksradikalen und vor allen Dingen muslimischen Antisemitismus. Und wenn der nicht angegangen wird, dann brauchen wir uns nicht wundern, dass die Sache sich so zuspitzt. Und hier ist einfach die Innenministerin in der Pflicht. Wenn sie noch nicht mal in der Lage ist, das Islamische Zentrum in Hamburg, wo es so viele Beweise gibt, dass die mit dem iranischen Mullahregime zusammenarbeiten, wenn sie nicht in der Lage ist, so was zu schließen, dann frage ich mich, was noch passieren soll, damit die Bundesinnenministerin endlich anfängt zu handeln.

Herr Linnemann, ich bedanke mich für den Klartext. Wir verlieren trotzdem nicht die Zuversicht. Ich wünsche einen fröhlichen Tag.

Linnemann: Danke Ihnen auch, Herr Steingart.