Wirtschaft

Deutsche Bank prognostiziert Deutschlands Abstieg

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Friedrich Merz kann heute eigentlich frei machen. Denn die wichtigste Frage zu Beginn der Koalitionsgespräche – wo steht unsere Volkswirtschaft – hat das neue „Deutsche Bank Research Institute“ mit seinen weltweit 300 Mitarbeitern in großer Klarheit beantwortet.

Die 20-seitige Arbeit von Dr. Robin Winkler und Instituts-Chef David Folkerts-Landau, die The Pioneer exklusiv vorliegt, ist eine schockierende und zugleich Zuversicht spendende Ausarbeitung, die für den Kanzler in spe, Friedrich Merz, seine Minister im Wartestand, aber auch die CEOs der Konzerne heute Morgen zur Pflichtlektüre gehören sollte.

Friedrich Merz im Konrad-Adenauer-Haus am 10.03.2025 © imago

Zuerst der schockierende Befund:

Die goldenen Jahre der Globalisierung sind vorbei und ein immer rauerer Wind im Welthandel deckt Deutschlands Strukturprobleme auf. Deutschlands Wirtschaft sieht einer chronischen Stagnation ins Auge.

No Bullshit: Die wirtschaftliche Ausgangslage für die nächste Bundesregierung sei düster und werde – ohne Kurskorrektur – von düster auf dunkel gestellt:

Bei einem Verharren auf dem Status quo würde das deutsche Wirtschaftswachstum bis Ende des Jahrzehnts weiterhin deutlich unter ein Prozent pro Jahr liegen.

Eine Infografik mit dem Titel: USA überholt Deutschland

Pro-Kopf-Einkommen, in Tausend US-Dollar

Der relative Abstieg: Da die wichtigsten Wettbewerber – vorneweg Amerika – um durchschnittlich bis zu drei Prozent im Jahr wachsen, so die Annahme der Studie, setzt sich der relative Abstieg Deutschlands fort – mit gravierenden Folgen für den privaten Reichtum:

Das deutsche Pro-Kopf-Einkommen – umgerechnet in US-Dollar schon heute ein Drittel unter dem der USA – würde damit weiter zurückfallen. Über zehn Jahre würden die derzeitigen Wachstumsraten das deutsche Pro-Kopf-Einkommen auf die Hälfte des US-Niveaus schrumpfen lassen.

Deutschlands Regierung sei nicht nur Opfer, sondern Täter, sagt die Studie: „Eine verzagte Wirtschaftspolitik hat die Investitionstätigkeit der deutschen Unternehmen in den vergangenen Jahren gehemmt und zunehmend ins Ausland getrieben.“

Eine Infografik mit dem Titel: Hohe Erwerbsquote vs. kürzere Arbeitszeiten

Durchschnittliche Wochenarbeitsstunden und Erwerbsquote in Deutschland

Die Merkel-Jahre waren auf der verwaisten Reformbaustelle verlorene Jahre. Die Wirkungen der Reformagenda 2010 von Gerhard Schröder seien verpufft:

Die überdurchschnittlich hohe Erwerbsquote – das wertvolle Erbe der Hartz-Reformen – kann die kürzeren Arbeitszeiten nicht länger kaschieren.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland arbeitet am wenigsten

Durchschnittlich geleistete Arbeitsstunden pro Jahr im OECD-Vergleich

Wohlstandsverlust: Deutschland habe den Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte verkonsumiert und zu wenig in seine Zukunft investiert. Die geopolitische Zeitenwende kommt dann noch hinzu und verschärft alle bisherigen Probleme:

Das globale Spielfeld, auf dem deutsche Unternehmen konkurrieren, gleicht immer mehr einem Bolzplatz als einem gepflegten Rasen.

Die Abkehr der westlichen Welt vom Freihandel treffe Deutschland zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt:

Die deutsche Wirtschaft ist in hohem Maße von freiem und fairem Welthandel abhängig. Doch dieser gerät zunehmend unter die Räder der Geopolitik.

Wenn es nur Trump wäre. Aber auch in China arbeitet die Regierung gegen die deutsche Volkswirtschaft und ihr Exportmodell:

Während die USA das liberale Paradigma des Freihandels offen über Bord werfen, wird es durch Chinas Handelspraktiken subtiler in Frage gestellt. Die Überproduktion der staatlich geförderten chinesischen Industrie drängt mit Wucht auf die globalen Märkte. Die Konkurrenz chinesischer Unternehmen kostet deutsche Unternehmen, insbesondere die Automobilhersteller, nicht nur in China wichtige Marktanteile.

Vorsicht China-Abhängigkeit: Die schleichende geopolitische Konfrontation zwischen den USA und China berge „das Extremrisiko einer gravierenden Störung“ des deutschen Handels mit China.

Im Extremfall eines eskalierenden Konflikts wären nicht nur die Exportumsätze und Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in China von Ausfällen bedroht, sondern auch die Lieferketten für kritische Einfuhren wie Arzneimittel oder seltene Erden.

Die Alternative: Der Ausbau Europas würde theoretisch eine Alternative bieten – mit tieferer Integration des Kapitalmarktes und der weiteren Vertiefung des Binnenmarktes. Doch die Wirklichkeit sieht derzeit anders aus:

Für die deutsche Wirtschaft ist die EU-Regulierung zu einem erheblichen Wachstumshindernis geworden.

Auch der deutsche Sozialstaat mit seinen millionenfachen Zusagen ist in der gegenwärtigen Stagnation keine Hilfe. Das Deutsche Bank Research Institute verzichtet auf die sonst übliche Zurschaustellung von Zuversicht.

Ohne höheres Wachstum wird es Deutschland schwerfallen, die sozialen Sicherungssysteme aufrechtzuerhalten. Allein um das immer teurere Renten- und Pflegesystem zu finanzieren, braucht Deutschland langfristige Wachstumsraten von mindestens zwei Prozent pro Jahr.

Das bedeutet im Klartext:

Eine wirtschaftliche Stagnation bedroht die Stabilität unserer liberalen Gesellschaftsordnung.

Wo bleibt das Positive? Die Studie unterstützt die Schuldenpolitik von Merz und Klingbeil, um die Innovationslücke zu beseitigen, den Investitionsstau aufzuheben und die Landesverteidigung wieder sicherzustellen.

Lars Klingbeil bei einer Fraktionssitzung der SPD, 10.03.2025 © dpa | Kay Nietfeld

Nach Schätzungen des Instituts würden sich schuldenfinanzierte Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie dank höherem Wachstum über die längere Frist teilweise selbst finanzieren. Denn eine diszipliniert für Verteidigung und Infrastruktur eingesetzte, jährliche Nettokreditaufnahme von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis Ende des Jahrzehnts würde im Zusammenwirken mit Strukturreformen – auf die sich die neue Koalition noch nicht verständigt hat – nicht nur die Konjunktur ankurbeln, sondern auch das Potenzialwachstum wieder auf zwei Prozent im Jahr heben.

Schulden als Wirtschaftstreiber: Deshalb schaue der Kapitalmarkt auch keineswegs verzagt, sondern erfreut auf die Bereitschaft des Staates, seine Verschuldung zu erhöhen:

Die Finanzmärkte würden dem deutschen Staat ihr Vertrauen schenken, wie die Marktbewegungen der vergangenen zehn Tage bereits gezeigt haben.

Eine Infografik mit dem Titel: Union der Schuldner

Die aktuellen Schuldenstände in der EU im Überblick, in Prozent am BIP

Die Schuldenlücke: Gerade Deutschland besitze noch Spielraum.

Deutschlands traditionell verantwortungsvoller Umgang mit seinen Schulden schafft Glaubwürdigkeit.

Fazit: Die neue Regierung sollte die Studie aufmerksam lesen, denn sie ist kein Doom-and-Gloom-Papier, sondern enthält neben der schonungslosen Analyse auch Wege aus der Krise. Der für die SPD-Führung entscheidende Satz lautet:

Strategische und schuldenfinanzierte Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung sind notwendig, aber nicht ausreichend.

Die CDU-Spitze bei einer Sitzung am 10.03.2025 © dpa

Der für Friedrich Merz und Carsten Linnemann wichtigste Satz heißt:

Die Umsetzung einer Reformagenda wird der nächsten Bundesregierung eine historische Kraftanstrengung abverlangen.

Und wer weiß: Wenn die Genossen sich ihrer bisherigen Limitierung und die Christdemokraten sich der reformatorischen Kraftanstrengung bewusst sind, könnte es diesmal was werden. Vielleicht ist das ja die neue Erfolgsformel: Kredite plus Kraftanstrengung = Zuversicht.