Es kommt selten vor, dass ein Vermögensverwalter mit einer Studie für Furore sorgt. Flossbach von Storch hat das in dieser Woche geschafft. Die Kernaussage der Studie: Die DAX-Konzerne haben in den Jahren 2016 bis 2023 44 Milliarden Euro an Subventionen erhalten. Und das, obwohl die Bundesregierung zur Sparsamkeit aufruft und die Wirkung dieser Subventionen umstritten sei.
300 Medien berichteten über die Flossbach-Studie. Und auch den Unternehmen blieb die Veröffentlichung nicht verborgen – allerdings stimmten sie mit dem Inhalt nicht überein.
Der Energieversorger E.ON, der laut Flossbach von Storch mit 9,3 Milliarden Euro der größte Nutznießer sein soll, nannte die Studie “irreführend”. RWE – ebenfalls Energieversorger und mit vier Milliarden Euro laut Erhebung der drittgrößte Profiteur, befand auf Anfrage von The Pioneer die Seriosität der Studie für „fragwürdig“.
Die Reaktionen zeigen, dass Flossbach-Autor Philipp Immenkötter einen Nerv getroffen hat. Seine Ausführungen sind der Ausgangspunkt für eine kritische Betrachtung der deutschen Industriepolitik. Fakt ist, dass die Subventionsausgaben in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Eine tiefere Analyse legt den zweifelhaften Nutzen dieser Politik für die deutsche Wirtschaft offen.
© Flossbach von Storch
Doch stimmen Immenkötters Zahlen überhaupt? Oder sind es vielmehr E.ON und RWE mit ihren Vorwürfen, die eine oberflächliche Arbeit entlarven?
So meint E.ON, dass die Gelder, die der Bund während der Energiekrise für die Preisbremse gezahlt hätte, unter großem Aufwand an die Kunden weitergegeben worden seien. Demzufolge sei es „unsinnig“, wenn diese Zahlungen als Subventionen betrachtet würden.
Immenkötter verteidigt seine Aussagen. Im Gespräch sagt er, E.ON hätte mit den Geldern für die Energiepreisbremse „zweckbestimmte Zahlungen des Staates erhalten, durch die Zahlungsausfälle auf Seiten der Kunden verhindert wurden.“. Ergo war E.ON auch Profiteur dieser – in seinen Augen – Subventionen.
Immenkötter legt mit Blick auf deutsche Großkonzerne bei The Pioneer nach:
Ich gehe davon aus, dass die tatsächlichen Subventionen für DAX-Unternehmen noch höher liegen.
Eine exakte Übersicht über gezahlte Subventionen gibt es nicht. Ministerien und Top-Industrieverbände können keine Aussagen über Adressaten und Verwendung der Mittel machen. Weder Unternehmen noch Politik wollen den Anschein erwecken, dass der Steuerzahler die Wirtschaft durchfüttert.
Unstrittig ist, dass Subventionen angesichts von Krisen und Transformationsplänen an Bedeutung gewonnen haben. Um die komplexe Thematik einordnen zu können, sprach The Pioneer mit Ökonomen, Verbänden, Ministerien und Unternehmen. Fünf Fakten zur Industriepolitik.
Fakt 1: Der Anstieg
Noch nie war der deutsche Staat so freigiebig wie heute. Im Jahr 2023 leistete er sich Subventionen in Höhe von 208 Milliarden Euro. 2022 waren es „nur“ 98 Milliarden Euro, 2021 waren es 77 Milliarden Euro, so der Subventionsbericht des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW). Unter Ökonomen gilt der Bericht als der Goldstandard.
Eine Infografik mit dem Titel: Spendierfreudiger Staat
Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes von 2000 bis 2023, in Milliarden Euro
Die Kieler Ökonomen stellen fest: Die von ihnen erhobenen Zahlen weichen deutlich von den Daten der Bundesregierung ab. Die Politik spricht in ihrem Subventionsbericht lediglich von 45,2 Milliarden Euro für das Jahr 2023.
Das hat definitorische Gründe – das IfW fasst den Subventionsbegriff weiter als die Bundesregierung. Zudem würde die Regierung den Unternehmenssektor nicht lückenlos erfassen, so das IfW. So fasst das Kieler Institut die gesamten Sonderhaushalte wie den Energie- und Transformationsfonds sowie den Wirtschaftsstabilisierungsfonds als Subvention auf. Die Bundesregierung tut das nicht.
Den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft lässt sich die Bundesregierung aber einiges kosten. Wurden 2015 aus dem Klima- und Transformationsfonds noch eine Milliarde Euro abgerufen, waren es im vorigen Jahr 34,1 Milliarden Euro.
Angesichts der definitorischen Schwierigkeiten kommen andere Erhebungen auf andere Zahlen als das IfW – der ansteigende Trend bleibt der gleiche.
Wie das IfW beobachtet auch Immenkötter, dass insbesondere in den vorigen beiden Jahren die Subventionen „explodiert“ seien. Beinahe die Hälfte der 44 Milliarden Euro an die DAX-Konzerne zwischen 2016 und 2023 sei in den vergangenen zwei Jahren geflossen.
Fakt 2: Der Größenvorteil
Große Konzerne sind die Hauptprofiteure der gestiegenen Subventionen. Bei fünf DAX-Konzernen machen die Subventionen der vergangenen Jahre mehr als zehn Prozent ihres kumulierten Vorsteuergewinns aus.
Drei Konzerne vereinen den Löwenanteil der von Flossbach erhobenen Subventionen – 18,2 Milliarden Euro – auf sich: E.ON, Volkswagen und RWE.
Bei E.ON und RWE waren die in den Geschäftsberichten ausgewiesenen Steuerzahlungen so hoch wie die erhaltenen Subventionen. Anders ausgedrückt: Die beiden Unternehmen haben in den vergangenen Jahren keinen positiven Beitrag zu den öffentlichen Kassen geleistet.
RWE ist ein besonderes Beispiel für fragwürdige Industriepolitik. Subventionen und Vorsteuergewinn sind laut Flossbach-Studie im Betrachtungszeitraum gleich hoch. Ohne Subventionen hätte RWE demzufolge seit 2016 keinen kumulierten Gewinn ausweisen können.
Eine Infografik mit dem Titel: Milliarden-Subventionen für den DAX
Subventionen für ausgewählte DAX-Konzerne, 2016–2023, in Milliarden Euro
Leidtragende dieser Entwicklung sind die Mittelständler und Kleinstunternehmen. Das hat viel mit der Stärke ihrer Lobby zu tun. Benedikt Schmal, Experte für Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Ilmenau, erklärt:
Große Unternehmen haben die notwendigen Ressourcen, um ihren Einzelinteressen vor der Politik Gewicht zu verleihen.
Kleinere Unternehmen und der Mittelstand müssen sich hingegen in Verbänden organisieren und viele verschiedene Interessen gemeinsam vor der Politik vertreten. Verbände wie Die Familienunternehmer vertreten 180.000 Betriebe unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Branchen. „Das macht eine gemeinsame Interessenvertretung äußerst schwierig“, sagt Schmal. Die Folge: KMUs finden schwerer Gehör bei der Politik – und kommen dadurch nicht so einfach an die staatlichen Gelder.
Von Subventionen halten die kleinen Unternehmen darum wenig. Familienunternehmerin und Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer Marie-Christine Ostermann fordert gegenüber The Pioneer vom Wirtschaftsminister Robert Habeck, „dass er sich für allgemeine Kostensenkungen einsetzt, damit alle aus eigener Kraft wirtschaften können“.
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Fakt 3: Die Ineffizienzen
Subventionen sind im marktwirtschaftlichen Ideal nicht vorgesehen oder maximal die Ausnahme. In der Theorie ist es so: Mit den eigenen Ressourcen erwirtschaften Unternehmen Gewinne, indem sie Güter und Dienstleistungen produzieren.
Kommt ein Unternehmen ins Straucheln, geht es im Extremfall in die Insolvenz. Dadurch scheiden ineffiziente Betriebe aus dem Wirtschaftsleben aus und frei gewordene Arbeitskräfte können produktiver eingesetzt werden.
Dass es in der Praxis zu Subventionen kommt, ist nahezu immer politischen Entscheidungen geschuldet – etwa um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ein bestimmtes unternehmerisches Verhalten zu fördern oder Krisen abzufedern.
Liberale Strömungen der Volkswirtschaftslehre halten solche Begründungen für wenig stichhaltig und kontraproduktiv. Nur weil der Markt versagt, heißt es nicht, dass der Staat eingreifen muss: Denn auch der Staat kann versagen.
Es gibt fünf Hauptgründe, die gegen Subventionen sprechen:
Ineffizienzen: Wenn nicht-wettbewerbsfähige Unternehmen durch Subventionen weiterhin am Wirtschaftsleben teilhaben, bremsen sie das Wirtschaftswachstum. Ferner haben sie aufgrund der staatlichen „Versicherung“ keinerlei Notwendigkeit, durch Innovationen ihre Produktivität zu steigern.
Kontrollverlust: Die Möglichkeiten des Staates sind begrenzt, die Verwendung von Subventionen zu kontrollieren. So nutzen Unternehmen Subventionen oft, um ohnehin geplante Investitionen zu tätigen.
Daueranspruch: Unternehmen tendieren dazu, Subventionen immer mit Krisen zu rechtfertigen: auf die COVID-Krise folgt die Ukraine-Krise folgt die Energiekrise. Und Klimakrise ist ohnehin die ganze Zeit. In dieser Logik gibt es kein Entkommen aus der Subventionsspirale.
Politikversagen: Für Familienunternehmerin Ostermann sind Subventionen oft auch der Versuch „Staatseingriffe an anderer Stelle zu reparieren“. Beispiel Bauen: Das sei durch viele Auflagen so schwierig geworden, dass es staatlich gefördert wird.
Risikoverschiebung: Wenn Unternehmen mit Subventionen investieren, tragen sie nicht das volle unternehmerische Risiko. Sie müssen nicht das eigene Geld nutzen, sondern Mittel, die zuvor die Steuerzahler hart erarbeitet haben.
Für Flossbach-Ökonom Immenkötter überwiegen die Probleme die vermeintlichen Vorteile bei Subventionen. Er fühlt sich von der Wissenschaft bestätigt und sagt:
Die akademische Literatur kann keine belastbare Evidenz für den Nutzen von Subventionen erbringen.
Fakt 4: Der aussichtslose Kampf
Dass Deutschland und andere europäische Staaten die Subventionsausgaben hochfahren, hat auch geopolitische Gründe. Die USA und China, die ihre Unternehmen massiv subventionieren, fordern die hiesige Politik geradezu auf, es ihnen gleichzutun, wenn sie im globalen Standortwettbewerb nicht abrutschen will.
Vor diesem Hintergrund sei allgemeine Wettbewerbspolitik, die nur auf Bürokratieabbau, Deregulierung und allgemeine Steuersenkungen – wie vom Mittelstand gefordert – setzt, ein „Denken der Vergangenheit“, sagte Wirtschaftsminister Habeck im Juni. Denn bestimmte Branchen würden selbst „bei den besten Bedingungen nicht kommen oder abwandern. Andere Länder auf der Welt, wie die USA und China, werden sie mit harten Subventionen abziehen.“
Immenkötter widerspricht: „Es ist illusorisch zu glauben, Deutschland könnte mit der Wirtschaftskraft der USA und China mithalten.“ Mit dem American Rescue Plan, dem Infrastructure Investment and Jobs Act und dem Inflation Reduction Act investieren die USA bis 2032 knapp 4 Billionen Euro in ihre Wirtschaft.
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Sich auf einen Subventionswettlauf mit China einzulassen, ist ebenfalls irrsinnig. Laut Daten des IfW erhielten mehr als 99 Prozent der börsennotierten chinesischen Unternehmen 2022 direkte staatliche Subventionen. Je nachdem, wie man Subventionen definiert, käme man laut IfW in China „gesamtwirtschaftlich auf das Drei- bis Neunfache dessen, was andere OECD-Länder wie die USA oder Deutschland für Unternehmenssubventionen“ ausgeben.
Nicht vergessen werden darf: Die USA und China mögen mit ihren Subventionen ökonomische Impulse freisetzen. Langfristig fördert diese Politik aber auch bei ihnen massive wirtschaftliche Ineffizienzen. Die „Zombie-Quote“ – also der Anteil der Unternehmen, die ohne staatliche Hilfen nicht lebensfähig wären – lagen 2022 in den USA schon bei 20 Prozent. Das zeigt eine Studie der Bank for International Settlement. In China sind wieder die Zahlen das Problem. Weniger Zombieunternehmen als in den USA sind bei der exzessiven Industriepolitik der Chinesen jedoch unwahrscheinlich. In Deutschland liegt der Wert bei 10 Prozent. „Mit starker Subventionspolitik erhöht sich auch die Anzahl der Zombieunternehmen“, sagt uns Gunther Schnabl, Ökonomieprofessor an der Universität Leipzig.
Gerade Deutschland sollte in puncto internationaler Subventionswettläufe aus der Geschichte lernen. Beispiel Automobilindustrie: Der Vorteil der deutschen Autobauer sei „weitestgehend das Ergebnis staatlicher Zurückhaltung und nicht aktiver Industriepolitik“, sagt Immenkötter.
Während die USA in den 1970er Jahren ihre Autobauer durch Subventionen und Protektionismus vor der günstigen Konkurrenz aus Japan schützten, mussten die deutschen Hersteller ohne solche Maßnahmen auskommen.
Die Folge: Geschützt von der Politik, hatten die amerikanischen Firmen nur wenige Anreize für Innovationen und bauten in Folge international kaum wettbewerbsfähige Fahrzeuge. Die deutschen Automobilunternehmen traten hingegen durch Innovationen gestärkt aus der Phase hervor.
Fakt 5: Der Subventions(un)sinn
Dass es trotz aller Bedenken der Volkswirtschaftslehre immer Subventionen geben wird, ist klar. Wenn sie gewährt werden, sollten klare Vorgaben, Transparenz und die richtige Menge berücksichtigt werden.
Es gibt drei Szenarien, in denen Subventionen angebracht sein können:
Externe Effekte: Sie liegen vor, wenn private Handlungen von Unternehmen Kosten für Dritte verursachen. So wie beim CO₂-Ausstoß der Industrie, der verantwortlich für den Klimawandel ist. Subventionen können Betriebe anreizen, in klimafreundliche Technologie zu investieren.
Öffentliche Güter: Sie entstehen, wenn die Handlungen von Unternehmen positive Auswirkungen für die Gesellschaft haben – wie etwa Forschung und Entwicklung. Im Vergleich zum gesellschaftlichen Mehrwert lohnen sie sich aber nicht genug für das Unternehmen, um noch mehr zu investieren. Hier kann der Staat Subventionen rechtfertigen.
Krisensubventionen: Subventionen lassen sich rechtfertigen, wenn die Wirtschaft von einem Schock getroffen wird, den sie nicht selbst zu verantworten hat. Sind die Unternehmen ansonsten profitabel, helfen sie über eine kurze, unverschuldete Durststrecke.
Selbst Stefan Kolev, Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft, FDP-Mitglied und einer Zuneigung zu Staatsausgaben daher unverdächtig, sagt:
Wir können nicht einfach jede Staatsausgabe für Unternehmen als destruktiv werten.
Die staatliche Förderung von Forschungsausgaben müsse zum Beispiel anders bewertet werden als die Förderung der Produktion einer bestimmten Technologie.
Auch argumentiert er, dass Subventionen für industriepolitische Maßnahmen, wie Gelder an den amerikanischen Chiphersteller Intel zum Bau einer neuen Fabrik bei Magdeburg, etwas fundamental anderes seien als Preisstützen in Ausnahmesituationen wie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine: „Es braucht Begriffsklarheit.“
Selbst Immenkötter, der der Bundesregierung zu statt Subventionen zu Bürokratie- und Regulierungsabbau rät, hält staatliche Zahlungen an die Wirtschaft im Einzelfall für gerechtfertigt. Gerade bei kleineren lokalen Programmen, bei denen ein kommunales Interesse besteht, kann es sinnvoll sein, Förderungen auszuschreiben.
Wo sich die Ökonomen einig sind: Es braucht mehr Transparenz. Besonders in Zeiten eines angespannten Haushalts wollen Bürger nachvollziehen können, wie ihre Steuermittel verwendet werden.
Dass das Bundeswirtschaftsministerium auf Nachfrage nicht aufschlüsseln kann, welche Unternehmen wie viele Subventionen erhalten haben, ist bedenklich. Vertrauen in Staat und Wirtschaft schafft die Politik so nicht.
Fazit
„Die einen haben die Subventionen, die anderen die Märkte”, sagte einst der deutsche Unternehmer Hans Knürr. Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum sollte die Politik schnell wieder den Schwenk vom Ersteren auf das Zweite angehen.