Ekrem İmamoğlu gilt als der aussichtsreichste politische Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Offiziell wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen wurde er vergangenen Mittwoch inhaftiert und sitzt seit Sonntag in Untersuchungshaft – im selben Gefängnis, in dem auch der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel über 290 Tage in strenger Einzelhaft verbringen musste. Im Gespräch mit The Pioneer betont dieser:
Deniz Yücel © DpaEs gibt keine Beweise. Also das ist vollkommen konstruiert. Und das ist wirklich auch miserabel konstruiert.
Erdoğan gehe es einzig und allein darum, einen politischen Bewerber auszuschalten – einen Bewerber, „der nicht gute Chancen hätte, sondern gegen den Erdoğan umgekehrt keine Chance hätte, bei der nächsten Präsidentschaftswahl“.
Bereits seit seiner Wahl zum Istanbuler Bürgermeister im Jahr 2019 gilt İmamoğlu als größter Herausforderer des türkischen Präsidenten. Yücel meint:
Es gibt keinen Zweifel daran, dass er ihn bei der nächsten Wahl schlagen würde.
Unklar ist, ob İmamoğlu nun zur Präsidentschaftswahl antreten kann. Die Leiterin des Auslandsbüros Türkei der Konrad-Adenauer-Stiftung Ellinor Zeino rechnet ihm keine guten Chancen aus. Sie sagt im Pioneer-Podcast:
Man geht eigentlich davon aus, dass İmamoğlu in Haft bleibt. Und ich gehe auch nicht davon aus, dass er vor den Wahlen freikommt. Also das sieht im Moment gar nicht gut für ihn aus.
Hintertür in der Verfassung: Laut dem türkischen Gesetz dürfte zumindest Erdoğan nicht erneut kandidieren. Jedoch gibt es Ausnahmen: Etwa bei vorgezogenen Neuwahlen oder einer Verfassungsänderung. Laut Yücel bereite der türkische Präsident genau diesen Fall vor. Allerdings: „Dafür bräuchte er eine Zweidrittelmehrheit – die hat er nicht, auch mit seinen Bündnispartnern nicht.“
Yücel weiter:
Wenn er es könnte, würde Erdogan nicht scheuen, so viele Abgeordnete der Opposition verhaften zu lassen und das Mandat zu entziehen, bis die notwendige Mehrheit erreicht ist. Die Frage ist, ob er das kann.
Seit der Festnahme İmamoğlus werden die Proteste immer lauter. Trotz Verboten gehen in Städten wie Istanbul, Ankara und Izmir Zehntausende Menschen auf die Straße. Teils kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Einsatzkräften und Demonstrierenden sowie Berichten über Polizeigewalt. Laut dem türkischen Innenministerium sind mehr als tausend Menschen festgenommen worden.
In der Türkei kam es zu Protesten mit teils heftigen Ausschreitungen © dpaLetzte Instanz: Diese Proteste sind es laut Yücel, die Erdoğan davon abhalten, in der Beschneidung der Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger noch weiter zu gehen:
Diese Quantität wie Qualität des Protests hat das Regime davon abgehalten, einen Schritt zu machen, der mit Sicherheit geplant war – nämlich İmamoğlu nach seiner Verhaftung nicht nur abzusetzen und zu verhaften, sondern auch die Stadt Istanbul unter Zwangsverwaltung zu stellen.