Berliner Politik

Das Stadtversagen

Teilen
Merken

Die Gewalttaten in der Silvesternacht in Berlin haben Deutschland erschüttert. Einst Anziehungspunkt für Künstler und Kreative, ist Berlin nun die Hauptstadt der Verbrecher. Warum diese Probleme zum Imageverlust der Stadt führen, analysiert Michael Bröcker.

Die Hauptstadt der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt gibt in diesen Tagen ein erschütterndes Bild ab.

Die Ausschreitungen und Übergriffe auf Rettungsdienste und Polizisten in einigen Stadtteilen am Silvesterabend nähren das Bild einer versagenden Staatlichkeit in Berlin.

Die Bilanz: 16 verletzte Beamtinnen und Beamte. Sachschaden in Millionenhöhe. 103 Festsetzungen, aber alle Personen sind wieder auf freiem Fuß. Die Ermittlungen laufen, heißt es.

Rettungskräfte löschen brennendes Auto in der Silvesternacht in Berlin © Twitter/@morgenpost

In den sozialen Netzwerken kursieren Videos der Schande.

Jugendliche und junge Männer zünden Pyro-Raketen und nutzen sie als Waffen, Böller fliegen in Menschenmengen, pure Gewalt.

 © Twitter/@GdPHauptstadt

In einem Video läuft eine Mutter mit zwei Kindern durch eine Straße, neben ihr schießen Männer mit Schreckschusspistolen in die Luft. Raketen fliegen über den Bürgersteig.

Die Berliner Feuerwehr meldet Beschuss mit Pyrotechnik von mehreren Einsatzstellen. © Twitter/@Berliner_Fw

In einem Video schmeißt ein Mann einen Feuerlöscher auf einen Rettungswagen, ein anderes Video zeigt eine Person, die gezielt mit einer Pistole in einen stehenden Streifenwagen schießt.

Person schießt an Silvester gezielt in einen Streifenwagen © Twitter/@Djeron7

Ein junger Mann ballert neben einem Feuerwehrmann mit seiner Schreckschusspistole in die Luft und zeigt stolz den Doppeladler in die Kamera, das Zeichen für den albanisch besiedelten Teil im ehemaligen Jugoslawien.

Er ruft:

Wir haben gewonnen.

Mann zeigt Doppeladler in die Kamera © Twitter/@mz_storymakers

Szenen wie aus einem Banlieue in Paris.

Szenen wie im Krieg.

Verbrannte Autos nach der Silvesternacht in Berlin © Twitter/@rbb88acht

Zu dem Hintergrund der Täter gab die Polizei nach einigen Tagen bekannt: Man habe 18 verschiedene Nationalitäten bei den insgesamt 145 Festgenommenen festgestellt. Später wurden die Zahlen der Festgenommenen nach unten korrigiert.

Zunächst hatte die Polizei nicht über den Hintergrund der Täter informieren wollen.

Aber wenn man nicht nach einem solch staatsverachtenden Gewaltexzess nach den Tätern fragen sollte, wann dann?

Kann vielleicht auch die kulturelle Herkunft einiger dieser jungen Männer und ihre offenbar tief verwurzelte Ablehnung der Staatlichkeit Teil des Problems sein?

Klartext kommt von Persönlichkeiten, die selbst Migrationshintergrund haben.

Güner Balci, Integrationsbeauftragte in Neukölln, sagte dem Spiegel:

Gehen Sie bei uns in die Sonnenallee. Jeder zweite Ladenbesitzer wird Ihnen sagen: Die muss man alle ins Gefängnis stecken. Die Mehrheit der Menschen in Neukölln wünscht sich ein härteres Durchgreifen, einen stärkeren Staat.

Ahmad Mansour, deutsch-arabischer Psychologe und Extremismus-Forscher in Berlin, kommentierte nüchtern:

Am dringendsten braucht Berlin eine Debatte über Integration.

Und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey? Sie regte ein Böllerverbot an und wünscht sich eine bundesweite Debatte über die „neue Art der Gewalt“.

Lasst uns reden!

Der Rechtsstaat – er wirkt in Berlin apathisch, ja hilflos.

Polizeibeamte während der Silvesternacht © dpa

Einen Monat vor der Neuwahl des Berliner Abgeordnetenhauses – die nur notwendig wurde, weil die Stadt 2021 nicht in der Lage war, eine verfassungsgemäße Wahl zu organisieren – wird es Zeit, die Gretchenfrage zu stellen:

Ist Berlin noch sexy oder nur noch armselig?

Fünf drängende Probleme machen Berlin zur failed city. Hier lesen Sie die schonungslose Analyse der größten Stadt Deutschlands.

1. Hauptstadt der Verbrecher

Berlin ist ein Anziehungspunkt für Künstler und Kreative, aber eben auch ein Hort für Kriminelle.

Nicht nur an Silvester. Im Jahr 2021 (aktuelle Kriminalitätsstatistik) ging die Zahl der Straftaten im Vergleich zum Vorjahr leicht zurück, doch lag Berlin mit 13.158 Straftaten pro 100.000 Einwohner vor Bremen und Hamburg an der Spitze. Auch im Städtevergleich liegt Berlin auf Platz 1 vor Frankfurt und Hannover.

Eine Infografik mit dem Titel: Berlin: Hauptstadt der Verbrechen

Kriminalitätsrate in allen Bundesländern 2021, in Kriminalfällen pro 100.000 Einwohner

Alleine 20 Clan-Familien mit Tausenden Mitgliedern leben in Berlin. Es sind ethnisch abgeschottete Gruppen, die sich in ihrer eigenen Welt, vom Radiosender bis zur eigenen Justiz, eingenistet haben.

Nicht alle, aber eben zu viele Mitglieder tauchen in der Kriminalitätsstatistik auf.

Doch die Berliner Politik zieht die Samthandschuhe an. Man will ja niemanden diskriminieren.

In Neukölln werden Razzien gegen die Clans sogar behindert. Laut der linken Stadträtin Sarah Nagel sind diese Ausdruck „struktureller Diskriminierung“.

Sie untersagte dem Ordnungsamt unlängst, an einem gemeinsamen Einsatz mit der Polizei teilzunehmen.

Die Staatsanwaltschaften sind überlastet und chronisch unterbesetzt. Während Polizeikräfte und Rettungssanitäter in den vergangenen zehn Jahren in 70.000 Fällen beleidigt oder angegriffen wurden, haben Kriminelle in Berlin gute Chancen, ungeschoren davonzukommen.

Wahlplakat der CDU in Berlin © Twitter/@PaulGaebler

So lag die Aufklärungsquote 2021 nur bei 45 Prozent aller Straftaten, damit ist Berlin Schlusslicht in Deutschland.

Zum Vergleich: In Bayern war die Quote 22 Prozentpunkte höher.

„Das ist weder regional, noch genetisch, noch religiös zu erklären, sondern schlicht damit, wie die Berliner Politik mit Strafverfolgung umgeht“, kritisiert der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel die Zahlen.

Ralph Knispel © Anne Hufnagl

Wenn aber 55 Prozent der Straftaten in einem Rechtsstaat nicht aufgeklärt werden, ist das ein Konjunkturprogramm für Rechte und eine Gefahr für die Demokratie.

Dass Berlin auch beim Fahrraddiebstahl Spitzenreiter ist, wirkt angesichts dieser Probleme fast belustigend.

2. Chaos in der Verwaltung

Man muss gar nicht an den BER denken, wenn man Beispiele für die dysfunktionale Verwaltung in Berlin sucht.

Die Vergabe einer Steuernummer dauert im Schnitt 42 Tage, für einen Schulneubau braucht es laut Bauwirtschaft aufgrund diverser Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren zehn Jahre.

Immerhin: Wer heute im Bürgeramt einen neuen Reisepass beantragen muss, bekommt schon im März einen Termin.

Sieben Jahre braucht der städtische Bus- und Bahnbetreiber BVG, um einen Bahnhof barrierefrei zu bauen und einen Aufzug zu installieren. 30 Verwaltungsstellen müssen dafür befragt werden.

Die Doppelstrukturen in der Verwaltung, die die Berliner FDP als einzige Partei ohne Bezirksamts- und Senatsbeteiligung nun abschaffen will, lähmen die Stadt.

Michael Müller © dpa

Und dass eine sichere Stadt meist auch eine saubere ist, weiß inzwischen auch der ehemalige Regierende Bürgermeister.

Michael Müller, viele Jahre nur im Dienstwagen unterwegs, überraschte nun mit einer Alltagserfahrung, die Millionen Berlinerinnen und Berliner täglich machen.

Dem Spiegel sagte der SPD-Politiker nun:

Ich fahr jetzt wirklich viel Fahrrad und laufe viel, von einem Termin zum anderen. Und was mir da wirklich auffällt: Dass die Stadt schmutzig ist. Ist mir vorher nicht aufgefallen. Ich bin natürlich immer in den Limousinen gefahren, 80 Prozent meiner Termine waren in Mitte. Und wenn ich jetzt unterwegs bin in den Kiezen, in den Quartieren, jetzt fällt mir das auf. Ganz merkwürdig.

3. Die klamme Kasse

Es gibt sie, die Statistik, bei der Berlin Spitzenreiter ist: Seit Jahren ist der Stadtstaat der größte Zahlungsempfänger des Länderfinanzausgleichs – alleine 2021 erhielt Berlin 3,6 Milliarden Euro aus dem Topf aller Bundesländer.

Eine Infografik mit dem Titel: Berlin: Der größte Empfänger

Geber und Empfänger des Länderfinanzausgleichs 2021, in Milliarden Euro

Gleichzeitig wächst der Schuldenberg: Im Kernhaushalt waren es 2021 rund 66 Milliarden Euro. Die Zinsausgaben steigen von 1 Milliarde Euro 2021 auf 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2026.

4. Der kaputte Wohnungsmarkt

Neubaugebiet in Berlin © imago

20.000 neue Wohnungen sollen in Berlin jährlich gebaut werden, kündigte Franziska Giffey vor einem Jahr an.

2022 waren es 16.500 – für Berliner Verhältnisse ist das fast schon ein Erfolg.

Allerdings: Die Versäumnisse der Vergangenheit können damit nicht ansatzweise kompensiert werden. Bis 2030 werden 184.000 Wohnungen benötigt.

Nun muss die Stadt bei höheren Zinsen, Preisen, Lieferengpässen und Fachkräftemangel bauen.

Eine Infografik mit dem Titel: Berlin: Die Aufholjagd

Anzahl der fertiggestellten Wohnungen im Wohn- und Gewerbebau in Berlin seit 2000

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen steuern finanziell dem Abgrund entgegen.

Konstantin Kholodilin, Immobilienexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, erklärt, die Unternehmen könnten nicht günstige Mieten bieten und gleichzeitig im großen Stil Gebäude bauen, kaufen und sanieren:

Die Schulden aller sechs städtischen Wohnungsunternehmen liegen bei 17 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Ein Drittel der Mieteinnahmen wird direkt für Kreditzahlungen abgeschöpft.

Die Investoren wenden sich vom verkrusteten Wohnungsmarkt ab.

Tausende Berliner zogen durch Neukölln, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel gekippt hatte.  © imago

Die Zahl der neu genehmigten Wohnungen sinkt seit Jahren – in den ersten drei Quartalen 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8,7 Prozent, bei Ein- und Zweifamilienhäusern sogar um 27,2 Prozent.

Die Forderungen nach einer Enteignung von privaten Wohnungskonzernen und das Chaos rund um den verfassungswidrigen Mietdeckel schrecken ab.

Zugleich gibt der größte Grundbesitzer, das Land Berlin, zu wenige neue Flächen frei.

Im alten Westen gilt noch weitgehend das Baurecht von 1960 (Bloß kein Dach ausbauen und vermieten!), in der gesamten Stadt fehlt ein schlüssiges Hochhauskonzept.

Fazit: Investoren, Bauherren und potenzielle Eigentümer verzweifeln – oder gehen direkt nach Brandenburg.

5. Das marode Bildungssystem

Berlin kann durchaus sehr lebenswert sein, man darf nur keine Kinder haben.

Die Schulen in der Stadt sind ein Dauerärgernis.

Seltenheitswert: Eine Berliner Schule mit moderner IT.  © imago

Marode Gebäude, eine desaströse IT-Ausstattung (nur 130 von 654 Schulen haben Glasfaseranschluss), Lehrermangel, fehlende Sonderpädagogen, hoher Krankenstand, ein bizarrer Kampf um Schul- und Kitaplätze.

In einer E-Mail an die Eltern räumte eine Grundschul-Rektorin in Berlins Südwesten neulich den Mangel offen ein.

Leider sei „nur noch eine Ausstattung mit weniger als 100% an allen Schulen der Stadt vorgesehen“, teilte sie den verdutzten Eltern mit Verweis auf den Senat mit.

Man habe zwar Bewerbungen, könne aber aufgrund der Vorgaben keine Lehrer eigenständig einstellen.

Folge: Unterrichtsausfall. Insgesamt fehlen derzeit in der Stadt 20.000 Schulplätze und rund 17.000 Kita-Plätze.

Beim Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, bei dem anhand von 98 Indikatoren die Qualität der Bildung in allen Bundesländern untersucht wird, landet Berlin nur auf dem 12. Platz.

Eine Infografik mit dem Titel: Wer die beste Bildung bietet

Gesamtergebnis* der Bundesländer im INSM-Bildungsmonitor 2022

Der jüngste Vergleichstest des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Grundschulen zeigt ein noch größeres Desaster:

Im Schnitt sind Berliner Viertklässler in Rechtschreibung und Mathematik rund acht Prozentpunkte schlechter als der Bundesschnitt.

Jeder dritte Viertklässler scheitert beim Lesen und Zuhören an den Mindeststandards. Zwischen einem bayerischen und einem Berliner Grundschüler liegen Welten.

Fazit: Berlin ist eine vitale, kreative und wunderbar bunte Stadt. Sie wird weltweit von Millionen Touristen geschätzt.

Es wäre nur schön, wenn Politik und Verwaltung endlich wahrmachen würden, was Franziska Giffey vor zwei Jahren im Pioneer-Interview so klug wie knapp gesagt hat:

Dass Berlin toll ist, wissen wir alle. Aber die Leute wollen auch, dass es funktioniert.

Franziska Giffey  © Anne Hufnagl

Der Text wurde am 12. Januar aktualisiert.