Ärger um Russengas

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Guten Morgen,

der Bau der wichtigsten Energiebrücke zwischen Ost- und Westeuropa namens Nord Stream 2 entwickelt sich zu einer handfesten politischen Kontroverse. Höchste Zeit also, in aufklärerischer Absicht einen Blick auf die fünf wichtigsten Fragen dieses Großkonflikts zu werfen:

Was genau verbirgt sich hinter dem Namen „Nord Stream“?

Nord Stream ist ein weitverzweigtes Rohrsystem, zu dem die Nord Stream 1 sowie die im Bau befindliche Nord Stream 2 gehören. Die Nord Stream 1 verläuft durch die Ostsee und transportiert Gas von Russland nach Deutschland. Das System hat seine Kapazitätsgrenzen mittlerweile erreicht.

Eine Infografik mit dem Titel: Transatlantischer Zankapfel

Verlauf der beiden Nord-Stream Pipelines

Die Nord Stream 2, deren Rohre einen Durchmesser von 3,1 Meter haben und nahezu komplett parallel zur Nord Stream 1 verlaufen, soll den Mehrbedarf an Gas decken. Derzeit fehlt allerdings noch ein ca. 160 Kilometer langes Teilstück, von dem 120 Kilometer in dänischen und mehr als 30 Kilometer in deutschen Gewässern unweit der dänischen Insel Bornholm verlaufen. Weil die USA mit Sanktionen drohen, liegen die Bauarbeiten seit sieben Monaten still.

Eine Infografik mit dem Titel: Nord Stream 2 in Zahlen

Kerndaten der neu gebauten Pipeline

Warum pocht Deutschland auf den Bau der Nord Stream 2?

23,4 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie wird durch Gasverbrennung erzeugt. Aus Russland kommen 40 Prozent davon, fast genauso viel aus Norwegen.

Durch den Atomausstieg und den mittlerweile auch geplanten Ausstieg aus der Kohle braucht Deutschland einen stabilen und schwankungsfreien Energie-Ersatz. Sonne und Wind können diesen nicht bieten, Russland rettet daher die deutsche Energiewende.

 © dpa

Wieso will die US-amerikanische Regierung den Bau von Nord Stream 2 verhindern?

Durch die Nord Stream 2, so sehen es die US-Amerikaner, wird Deutschland sowohl politisch als auch wirtschaftlich abhängig von Russland. Im Streitfall könnte Russland damit drohen, den Gashahn zuzudrehen und damit die Energieversorgung Deutschlands gefährden.

Hinzu kommt: Russland erwirtschaftet durch den Verkauf des Gases jede Menge Geld, das es für Verteidigung ausgeben kann. Deutschland gibt also in den Augen der Amerikaner nicht nur zu wenig für die Nato aus, sondern finanziert auch noch den Erzfeind Russland.

Eine Infografik mit dem Titel: Nord Stream 2 gehört Gazprom

Eigentümerstruktur der Ostseepipeline Nord Stream 2 nach Energiekonzernen, in Prozent

Warum reichen die Widerstände bis in die amerikanische Unternehmerschaft?

Die Amerikaner würden die deutsche Energielücke gerne mit einem eigenen Alternativprodukt füllen, das zwar nicht aus der Erde schießt, aber durch das Fracking-Verfahren aus Schiefergas gewonnen wird. Mithilfe der Fracking-Technologie haben sich die USA innerhalb weniger Jahre zum größten Erdgasproduzenten der Welt entwickelt. Russland ist ein strategischer Rivale.

Einer der schillerndsten Öllobbyisten ist Ted Cruz, der als Senator von Texas den Kampf gegen Nord Stream 2 im US-Senat führt. Im Jahr 2015 erhielt Cruz 25 Millionen US-Dollar an Spenden von Unternehmen der Fossil-Energiebranche, die ca. 57 Prozent seines Wahlkampfbudgets ausmachten.

 © imago

Wie könnte der Streit um Nord Stream 2 ausgehen?

Amerika spielt hart. Der Energiekonzern Uniper schließt ein Scheitern der Pipeline nicht mehr aus. Durch die Sanktionsandrohungen habe „sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zu Verzögerungen im Bau der Gasleitung oder überhaupt nicht zu einer Fertigstellung kommt“, schreibt Uniper in einem Zwischenbericht für das erste Halbjahr 2020.

Die von Amerika nach wie vor abhängige Exportnation Deutschland – ökonomisch abhängig, militärisch abhängig und politisch letztlich auch – braucht einen Plan B. Auch ein demokratischer Präsident im Weißen Haus wird die deutsche Energiepolitik nicht retten. Charles de Gaulle wusste warum:

Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.

 © imago

Joe Biden hat sich entschieden: Kamala Harris wird an seiner Seite in die heiße Phase des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes ziehen. Die Juristin aus Kalifornien hat in ihrer politischen Laufbahn drei herbe Niederlagen einstecken müssen:

Erstens: Entgegen ihren eigenen Ambitionen wurde sie 2014, als die Nachfolge von Justizminister Eric Holder anstand, nicht in das Kabinett der Obama-Regierung berufen. Loretta Lynch zog an ihr vorbei.

Zweitens: Bei den demokratischen Vorwahlen versuchte sie in einer Fernsehdebatte, ihren Mitbewerber Joe Biden als Rassisten darzustellen, indem sie eine Geschichte aus den 70er-Jahren ausgrub. Das wurde auch parteiintern als Foulspiel gewertet.

Drittens: Weil ihr die Unterstützer und damit auch das Geld ausgingen, zog sich Kamala Harris im Dezember 2019 aus dem Vorwahlspektakel zurück.

 © imago

Ihre bisher größten Erfolge:

Als zweite afroamerikanische Frau zog sie in den US-Senat ein. Sie machte sich vor allem als Kritikerin der Einwanderungspolitik von Donald Trump einen Namen.

Im Jahr 2011 kämpfte sich Harris in das Amt der Generalstaatsanwältin von Kalifornien und machte eine gute Figur.

 © dpa

Im Mai 2019 grillte Harris den Justizminister und Trump-Vertrauten William Barr mit präzisen Fragen zum Abschlussbericht des Sonderermittlers Robert Mueller. Barr entging nur knapp einem Rücktritt.

Fazit: Mit Kamala Harris hat Biden gute Chancen, bei Frauen, Afroamerikanern und Hispanics überdurchschnittlich zu punkten. Andererseits: Harris ist eine progressive Elitistin, die dem Polterpolitiker Trump fortan als Projektionsfläche dienen wird.

 © dpa

Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz beschäftigt auch heute Morgen das politische Berlin. Der stellvertretende Chefredakteur von ThePioneer, Gordon Repinski, unterzieht den zur Zeit mächtigsten Sozialdemokraten einer Analyse – und entdeckt unter der spröden Oberfläche einen komplexen politischen Charakter.

 © imago

Die Coronakrise kennt viele Verlierer – der Immobilienmarkt gehört nicht dazu. Die Preise für Wohnungen und Häuser klettern dank Coronavirus weiter nach oben.

Die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser stiegen im zweiten Jahresquartal um 2,9 Prozent, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar um neun Prozent.

Im zweiten Quartal haben Eigentumswohnungen in Deutschland durchschnittlich 1,3 Prozent mehr gekostet als noch zum Jahresbeginn. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2019 stiegen die Preise sogar um 5,9 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Wohneigentum wird immer teurer

Entwicklung des F+B-Wohnpreisindex, quartalsweise in Punkten

Als Preistreiber funktioniert vor allem der gestörte Flugverkehr und die mittlerweile schwierig gewordenen Ein- und Ausreisebedingungen der verschiedenen Staaten. Dadurch sind alle Länder auf den heimischen Immobilienmarkt zurückgeworfen, was in Deutschland zu einer Angebotsverknappung führt. Der soziale Sprengstoff, den steigenden Immobilienpreise auch bedeuten, lässt sich politisch nur schwer entschärfen. Die Reallöhne stagnieren, aber die Mieten werden weiter steigen.

 © dpa

Der Duden wurde soeben um ein paar Wörter erweitert, eher pflichtgemäß. Lustvoll dagegen erfindet Juli Zeh die Worte. Die ausgebildete Juristin, die als leidenschaftliche Schriftstellerin große Publikumserfolge feiert, war gestern an Bord der Pioneer One – die sie gleich beim Eintritt in den Bugsalon in MS Steingart umtaufte. Im Gespräch mit Michael Bröcker, dem Chefredakteur von ThePioneer, und Marina Weisband legte sie sprachlich nach.

Zum Menschsein in der Gegenwart sagt sie:

Wir sind Ethnologen des Unglücks.

Sie warb einfühlsam für ein Menschsein in Eigenverantwortung und sprach sich gegen das „Beglückungsverlangen“ aus, das „man dann an den Staat richtet.“

 © Anne Hufnagl

Auf die Frage, ob sie sich beim eigenen Schreibprozess kontrolliert, antwortet die Autorin:

Ich erlebe das Schreiben selber als einen sehr unkontrollierten Prozess und habe ein ausgefeiltes System der Kontrollumgehung, um mir dieses Unkontrollierte zu erlauben.

Über das gegenwärtige gesellschaftliche Diskursverhalten äußert sie sich kritisch:

Wir sind an einem Punkt, wo jeder, der eine kleine Verfehlung begeht, fürchten muss, aussortiert zu werden, geshitstormt zu werden und auf vielfältige Weise abgestraft zu werden. Dass das Ängste schürt, Rausfallensängste, ist völlig klar.

Das ganze Gespräch mit dieser Ausnahme-Schriftstellerin – die im Nebenjob als Verfassungsrichterin in Brandenburg arbeitet – hören Sie in einer neuen Ausgabe der „Überstunde“, ab morgen 18.00 Uhr, kostenlos auf Spotify, Deezer, Apple Podcast – und natürlich in der Morning Briefing App. Prädikat: inspirierend.

 © ThePioneer

In NRW wird die Festivalsaison am 4. September mit einem Konzert beginnen. Bryan Adams und Sarah Connor sollen rund 13.000 Zuschauer in die Düsseldorfer Merkur-Arena locken, trotz Coronavirus. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sprach von „keinem guten Signal“, Söder gar von „katastrophaler Signalwirkung“.

 © dpa

Im Morning Briefing Podcast setzt sich SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel zur Wehr. Er hatte das Konzert des Musikmanagers Marek Lieberberg von Beginn an verteidigt und letztlich auch genehmigt.

Die Corona-Schutzverordnung sieht vor, dass Konzerte mit mehr als 300 Besuchern zulässig sind, wenn ein Hygienekonzept vorliegt. Nach Einschätzung des Gesundheitsamtes genügt dieses hygienische Konzept nicht nur den Anforderungen, sondern übertrifft sie sogar.

 © dpa

Es gilt das Rechtsstaatsprinzip: Alles, was nicht verboten werden kann, ist erlaubt.

Wer Herrn Söder oder Herrn Laschet hört, hat den Eindruck, es geht gar nicht um die Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien, sondern um politische Opportunität in Zeiten weitverbreiteter Coronaangst.

Fazit: Möge sich die Stadt Düsseldorf durchsetzen. Kunst und Kultur sind nicht die Fußnoten der Gesellschaft. Im Gegenteil: Musik, Malerei, Tanz und Theater stärken mit ihrer lebensbejahenden Kraft die kulturelle Immunabwehr – gerade in Zeiten der Pandemie. Der Staat sollte sich weitestmöglich aus den kulturellen Angelegenheiten heraushalten; auch das gehört zu den demokratischen Abstandsregeln.

Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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