AfD: 6 Gründe für ihren Aufstieg

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Guten Morgen,

wenn der von CDU, SPD, Grünen und FDP ausgerufene „Kampf gegen Rechts“ wirklich ein Kampf sein soll und nicht nur Selbstvergewisserung, dann kann man nach dieser Thüringen-Wahl nur feststellen: Dieser Kampf ging mit Pauken und Trompeten verloren. Wenn die etablierten Parteien so weiterkämpfen, katapultieren sie die AfD noch ins Bundeskanzleramt. Die erklärten Gegner von Björn Höcke waren in Wahrheit seine engsten Verbündeten. Der Mann wurde nicht nieder-, sondern großgekämpft. Monatelang bekam er mehr Aufmerksamkeit, dadurch mehr Gewicht und schließlich über 100 Prozent mehr Wählerstimmen als bei den vergangenen Wahlen. Jeder nur halbwegs unzufriedene Thüringer musste doch denken: Eine Medizin, die so bitter schmeckt, wirkt bestimmt. Die „Nazi Raus“-Rufe waren in den Ohren der Unzufriedenen die Hymne für einen Mann, der gegenüber der etablierten Politik maximales Nervpotenzial versprach.

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Wenn es in der Politik gerecht zuginge, müsste Höcke nicht nur seinen Wählerinnen und Wählern, sondern auch vielen Journalisten danken. Die nämlich agieren, als seien sie spät berufene Mitglieder des Widerstandskreises Weiße Rose und nicht Teil einer Berufsgruppe, die den Prinzipien von Unabhängigkeit und Aufklärung verbunden ist.

Schreiben, was ist.

Das war nach den finsteren Hitler-Jahren das Vermächtnis von Rudolf Augstein.

Verhindern, was nicht passt.

Das ist das Motto vieler der heutigen Journalisten. In zahlreichen Redaktionen wurde von Journalist auf Aktivist umgeschult. Doch die effektivste Waffe gegen die AfD ist womöglich nicht die laute Stimme, sondern das scharf gestellte Gehör. Hier die sechs Gründe für den Aufstieg der AfD:

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► Die Migration aus Afrika, Lateinamerika und den nahöstlichen Kriegsgebieten stößt in nahezu allen westlichen Staaten auf erhebliche Widerstände, auch in Deutschland. Die Politik versagt bei der Durchsetzung des gültigen Aufenthaltsrechts. ► Die Integration in den Arbeitsmarkt kommt kaum voran. Von den seit 2016 rund 1,2 Millionen Menschen, die aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland Asyl beantragt haben, hatten laut Bundesagentur für Arbeit im Sommer dieses Jahres Zweidrittel keinen Job. Nur die Integration in den Sozialstaat funktioniert reibungslos. ► Viele Bundesbürger sind in Sorge um die ökonomische Zukunft. Zu Recht: Die Sozialsysteme werden überdehnt. Die Zukunftsfirmen des Digitalzeitalters sind in China und den USA angesiedelt. Neun Millionen Menschen arbeiten inzwischen laut DIW im Niedriglohnsektor – und zwar nicht in Indien, sondern bei uns. ► Die Politik lässt Lehrer, Eltern und Kinder mit vorsätzlicher Lässigkeit im Stich. Der Lehrermangel ist chronisch. Der Zustand der Bildungseinrichtungen hat vielerorts das Niveau eines Drittweltlandes erreicht. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau beziffert den Investitionsstau mit 42,8 Milliarden Euro. ► Die Stabilität der Sparguthaben ist im Zeitalter der Negativzinsen nicht gesichert. Laut DZ Bank haben sie dem Sparer seit 2010 einen Zinsschaden von 358 Milliarden Euro zugefügt, weil die Inflation über der Verzinsung liegt. ► Die Bevölkerung sorgt sich um den Klimawandel, die Hysterie aber teilt sie nicht. Die Bürger wissen: Deutschlands Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß beträgt zwei Prozent. Unter den 20 Unternehmen, die in den vergangenen Jahrzehnten das meiste CO2 ausgestoßen haben, findet sich kein einziges deutsches. Eine 16-Jährige darf hysterisch sein, eine Bundesregierung nicht.

Fazit: Der Aufstieg der AfD manifestiert das Versagen der anderen. So gesehen ist die AfD eine Defizit-Partei. Die Volksparteien haben erkennbar den Begriff der Mitte mit Mittelmäßigkeit übersetzt. Die Große Koalition regiert nicht links und nicht rechts, sondern ambitionslos. „Die politischen Primärfarben sind vergraut“, schreibt Peter Sloterdijk. Seit über einer Dekade moderiert Kanzlerin Angela Merkel das Gleichgewicht der ungelösten Probleme. Und die AfD? Ist nicht die Partei der Abgehängten, sondern die Partei der Unerhörten, die deshalb am Wahltag das Unerhörte tun.

Meinungsfreiheit wird am besten dadurch verteidigt, dass man von ihr Gebrauch macht. Deshalb würde mich Ihre Meinung interessieren. Wie sollten die traditionellen Parteien auf die AfD reagieren? Unter der Telefonnummer 030 – 54 90 93 700 erreichen Sie heute die Morning-Briefing-Mailbox. Hinterlassen Sie uns eine Nachricht mit Ihrem Namen und Ihrem Kommentar. Am kommenden Montag, wenn wir als Schwerpunktthema den „Umgang mit der AfD“ noch einmal tiefer behandeln, kommen Sie zu Wort.

Annegret Kramp-Karrenbauer © dpa

In der CDU rumort es. Die Führungsqualitäten der Vorsitzenden werden mittlerweile von einer Mehrheit des Vorstands und der Präsidiumsmitglieder bezweifelt. In der gestrigen Sitzung des CDU-Vorstandes wagte sich der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, aus der Deckung.

Wenn wir die Leute emotional erreichen wollen, müssen wir auch die Führungsfrage endlich klären. Die Wähler sind verunsichert, weil ungeklärt ist: Wie geht es weiter im Kanzleramt? Mit welchem Kopf will die CDU in einen Wahlkampf gehen.

Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer trat wenig später die Flucht nach vorne an. Vor Pressevertretern antwortete sie:

Wer meint, die Frage müsse in diesem Herbst entschieden werden, hat dazu auf dem Bundesparteitag Gelegenheit.

Friedrich Merz © imago

Friedrich Merz dürfte sich angesprochen fühlen. Er hatte, freilich diplomatischer als der JU-Chef, noch am Wahlabend seine Kampfbereitschaft via Twitter signalisiert:

Das Wahlergebnis von #Thüringen kann die @CDU nicht mehr ignorieren oder einfach aussitzen.

Im ZDF legte er gestern nach, im Fokus dieses Mal aber die Kanzlerin, die „im Mittelpunkt der Kritik“ stehe.

Wir sind in einer ganz schwierigen Situation. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich seit Jahren über dieses Land wie ein Nebelteppich die Untätigkeit und die mangelnde Führung durch die Bundeskanzlerin legt.

Er könne sich nicht vorstellen, „dass dieser Stil des Regierens noch zwei Jahre so weitergeht bis zum Ende dieser Wahlperiode bis 2021.“ Fazit: Was jetzt noch fehlt, ist die taktische Einigung der Kontrahenten Friedrich Merz, Jens Spahn und Armin Laschet. Es geht um die schlichte Frage: Wer führt, wer folgt? Wenn diese Einigung gelingt, sind die Stunden der CDU-Chefin als selbsternannte Kanzlerkandidatin gezählt. Wenn sie nicht gelingt, freuen sich zwei: AKK und die AfD.

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Auch in der thüringischen CDU weiß man, wie Intrige funktioniert. Kaum hatte Spitzenkandidat Mike Mohring seine Offenheit für Gespräche mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow signalisiert, da funkte ihm Michael Heym, Fraktions-Vize der CDU im thüringischen Landtag, dazwischen:

Rechnerisch reicht es für ein Bündnis aus AfD, CDU und FDP. Ich finde, das sollte man nicht von vornherein ausschließen.

Eine Infografik mit dem Titel: Mohrings Haltung findet Zuspruch

Deutschlandtrend-Umfrage zu CDU-Koalitionen in Thüringen, in Prozent

Die Meinung der Wähler, falls das jemanden interessiert, unterstützt eher Mohrings Linie (siehe Grafik): Eine Verhandlung mit den Linken ist willkommen. So bahnt sich denn womöglich die erste schwarz-knallrote Zusammenarbeit an. Oder um es mit Kurt Biedenkopf zu sagen: Die Wirklichkeit frisst sich durch.

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Am Freitag tritt Christine Lagarde ihren Job als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Diesem Amtsantritt schaut man in Kreisen der Notenbanker mit Sorge entgegen. Erst kürzlich haben namhafte Autoren ein Memorandum verfasst, in dem sie ihren Befürchtungen vor einer „Zombiefiziierung der europäischen Wirtschaft“ Ausdruck verleihen. Den zunächst niedrigen und neuerdings negativen Zinsen bescheren den Schuldnern ein frivoles Leben. Das Leihgeld hat praktisch seinen Preis verloren, was Investoren zu Fehlinvestionen ermuntert. Auf der anderen Seite verlieren die Sparer ihre Belohnung, also den fairen Zins für ihr Erspartes. Wohin soll das alles führen? Kann dieses währungspolitische Experiment gelingen?

Darüber spreche ich im Morning Briefing Podcast mit einem der Unterzeichner des Memorandums – mit Jürgen Stark. Er war unter Helmut Kohl als Sherpa für alle internationalen Wirtschafts- und Währungskonferenzen zuständig und bei Theo Waigel als Staatssekretär an der Einführung des Euro beteiligt, bevor er zur Bundesbank und von dort in das Direktorium der EZB wechselte. Er sagt:

Wir haben die höchste globale Verschuldung in Friedenszeiten. Das ist erheblich befördert worden durch die EZB. Die Zinsen zeigen nicht mehr die Risiken an. Deshalb können Länder, die hoch verschuldet sind, sich sogar mit negativen Zinsen verschulden.

Insgesamt haben sich seit 2007 Zinsersparnisse ergeben, die 1,4 Billionen Euro für die Staaten im Euro-Raum ausmachen, davon etwa 360 bis 370 Milliarden für Deutschland. Das ist eine gewaltige Umverteilung. Die Sparer werden bestraft.

Wir haben klare Übertreibungen bei den Vermögenspreisen, bei Immobilien, Aktien und in den Anleihemärkten. Da gibt es eine ganz klare Blase. Irgendwann werden diese Übertreibungen korrigiert werden müssen. Die große Gefahr dabei ist, dass diese Korrektur abrupt erfolgt.

Wer dieses Interview gehört hat, wünscht sich keinen Kommentar mehr. Nur eine Kurskorrektur.

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Spotify beherrscht die Klaviatur der Digitalisierung: Gestern gewann die Aktie des schwedischen Musikstreaming-Anbieters mehr als 14 Prozent. Das Unternehmen überraschte mit einem Gewinnsprung im dritten Quartal von über 560 Prozent auf 241 Millionen Euro oder auf 36 Cent je Aktie. Inzwischen zählt Spotify 113 Millionen zahlende Kunden, bis zum Jahresende sollen es 125 Millionen sein. Spotify zieht der Konkurrenz davon: ► Damit hätte Spotify mehr als doppelt so viele Kunden wie Apple Music und fast viermal so viel wie Amazon Music. ► In diesem Jahr setzen die Schweden mit knapp sieben Milliarden Euro erstmals mehr um als die Traditionskonzerne Universal Music und Sony Music. ► Allein im September haben 342.000 User die App heruntergeladen, 41.000 mehr als YouTube. Die Schweden Daniel Ek und Martin Lorentzon haben Spotify vor gerade einmal 13 Jahren in Stockholm gestartet. Fernab der Musikindustrie in Santa Monica und New York. Diese Firma zeigt, was das Zeitalter der Digitalisierung auch bedeutet: Eine Welt der Chancen für Menschen mit Mut.

Eine Infografik mit dem Titel: Börsen-Lieblinge

Die besten deutschen Börsengänge der vergangenen Jahre nach Kursentwicklung, in Prozent

Ausgerechnet ein Batteriehersteller elektrisiert die Börse: Keine Aktie aus den großen deutschen Indizes hat im laufenden Jahr besser abgeschnitten als die der Varta AG aus dem süddeutschen Ellwangen. Mit einem Kursplus von über 400 Prozent seit dem Börsengang 2017 ist Varta das drittbeste IPO der vergangenen zehn Jahre (siehe Grafik). Der Grund: Dank seiner Minibatterien ist Varta Weltmarktführer bei der Herstellung von Hörgeräten. Noch schneller wächst die Nachfrage nach kabellosen Kopfhörern. Samsung und Sony gehören zu den Kunden. Jetzt treibt die Spekulation, dass auch Apple für seine AirPods auf Varta setzen könnte, den Kurs nach oben. Das Wertpapier gehört inzwischen zu den teuersten Aktien in Deutschland: Mit seiner Marktkapitalisierung übertrifft Varta seinen Buchwert um das Neunfache, die Bewertung an der Börse ist zwölfmal höher als der Jahresumsatz. Heute präsentiert Varta seine Quartalszahlen.

Halle Berry und Aldi Süd: Das war bislang eine nur schwer miteinander in Einklang zu bringende Kombination. Die Betonung liegt auf „bislang“. Denn plötzlich umweht ein Hauch von Hollywood den Discounter und dessen Unternehmenssitz in Mülheim an der Ruhr: Die 53-jährige Oscar-Preisträgerin („Monster’s Ball“) hat für den Lebensmittelriesen eine eigene Herbst-Winter-Kollektion entworfen. „Schick, zeitlos und stylisch“, wie Aldi verkündet. Ab dem 4. November wird die Modelinie des ehemaligen Bond-Girls („Stirb an einem anderen Tag“) unter dem Namen „blue motion by Halle Berry“ in den Filialen des Discounters zu finden sein. Die Preise für Pullover, Strickkleider und Futterjacke reichen von 8,99 Euro bis 34,99 Euro pro Stück. An dieser Linie ist also alles günstig, nur nicht das Engagement von Halle Berry. Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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