der Westen hat in Afghanistan alle verraten, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey gestern Abend im Fernsehen. Er sprach vom moralischen Versagen des Westens.
Widerspruch: Was da versagt und seit Vietnam immer und immer wieder versagt, ist nicht „der Westen“, sondern ist die Logik der westlichen Militärintervention. Man muss kein Pazifist sein, um an der Effizienz einer militärisch dominierten Außenpolitik zu zweifeln.
© dpaDemokratie, Frauenrechte, Pressefreiheit, sie lassen sich nicht exportieren wie ein iPhone oder ein Mercedes. In Wahrheit werden unsere Werte schon dadurch verraten, dass man sie mit vorgehaltener Maschinenpistole durchzusetzen versucht. Auf Kuba. In Vietnam. Im Iran. Im Irak. In Angola. In Nicaragua. Wir züchten auf diese Art Diktatoren wie Somoza und Religionsfanatiker wie Khomeini. Wir haben nicht die Afghanen verraten. Viel schlimmer: Wir haben uns selbst verraten. Nicht dadurch, dass wir gehen, sondern dadurch, dass wir im Militärrock gekommen sind.
© dpaVon allen außenpolitischen Niederlagen des Westens ist die in Afghanistan die seit Vietnam schmerzhafteste: Die Frauen waren und sind rechtlos, der Andersdenkende war und ist Freiwild, religiöse Gewalt hat sich erneut auf breiter Front durchgesetzt.
Eine Infografik mit dem Titel: Afghanistan: Der Kriegsverlauf
Anzahl gefallener oder tödlich verunglückter Soldaten der westlichen Allianz in Afghanistan seit 2001
Die militärische Intervention unter dem zu Beginn vielversprechenden Titel „Enduring Freedom” kostete den amerikanischen und den deutschen Steuerzahler in Summe über eine Billion Dollar und die vereinigten Streitkräfte 3.596 Menschenleben. Mit letzter Anstrengung versuchten westliche Militärs und Geheimdienste am Wochenende ihr Personal und ihre Kontaktleute in der heimischen Bevölkerung auszufliegen. Ein Hauch von Saigon lag über der Szenerie gestern Abend. „Die Großen haben nur gepokert, die Kleinen sind krepiert“, lautete damals die Schlagzeile des „Stern“.
© dpaDie Folgen der aktuellen Ereignisse sind heute Morgen noch schwer abzusehen:
Präsident Aschraf Ghani hat das Land verlassen. Berichten zufolge soll er nach Tadschikistan geflohen sein.
Die Taliban wollen nach ihrem Sieg die Wiedererrichtung des Islamischen Emirats Afghanistan verkünden. So hieß das Land bereits vor der westlichen Intervention.
Industrielle Großprojekte wie die im vergangenen November vereinbarte Zusammenarbeit von Siemens Energy mit der afghanischen Regierung, mit der die noch nicht ans Netz angeschlossene Bevölkerung mit Strom versorgt werden soll, sind nun gefährdet. Wie der Konzern mitteilte, müsse man nun die „Präsenz und Aktivitäten vor Ort hinterfragen“.
Womöglich entsteht in diesen Tagen ein neuer Flüchtlingstreck, der in den kommenden Monaten die westliche Solidarität und Humanität erneut testen wird.
Am Sonntag hatte auch die Berliner Politik bemerkt, dass es sich bei der Ankunft der Taliban in Kabul um eine Chefsache handelt. Am Abend lud die Bundeskanzlerin, assistiert von ihrer Verteidigungsministerin und dem Generalinspekteur der Bundeswehr, die Fraktionsspitzen im Bundestag zu einer Telefonkonferenz, um über die nächsten Schritte in der Krisenbewältigung zu informieren.
Das vorläufige Ergebnis:
Noch in der Nacht sollten zwei Airbus A 400M Transportmaschinen der Bundeswehr nach Kabul starten, um unter größtem Zeitdruck deutsche Staatsangehörige zu evakuieren.
Dabei will Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor allem Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte einsetzen.
Deutsche Staatsbürger, die etwa bei Hilfsorganisationen arbeiten, wurden mit der Unterstützung anderer Nationen bereits in Drittländer wie Katar ausgeflogen.
Fazit: Der Afghanistan-Krieg drängt mit Wucht in den Bundestagswahlkampf. Es ist nach der Flut das zweite ungeplante Ereignis, das die Laufrichtung der öffentlichen Debatte verändern wird.
Historische Ereignisse wie diese sind immer auch ein Test für das Urteilsvermögen unserer politischen Elite. Einer, der den Afghanistan-Test nicht bestanden hat, ist Außenminister Heiko Maas. Vor genau zwei Monaten konterte er im Deutschen Bundestag kritische Fragen eines FDP-Abgeordneten zur Situation in Kabul mit der folgenden Antwort:
All diese Fragen haben die Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban in Afghanistan das Zepter in der Hand haben. Das ist nicht die Grundlage meiner Annahme.
Guten Morgen, Herr Außenminister.
Der Mindestlohn in Deutschland beträgt derzeit 9,60 Euro die Stunde und soll im Fall eines SPD-Wahlsiegs auf zwölf Euro angehoben werden. Das sei sein wichtigstes politisches Vorhaben, sagte Olaf Scholz kürzlich:
Wir brauchen für alle eine Absicherung nach unten. Das heißt einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro, was dazu führen würde, dass 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger eine Gehaltserhöhung bekommen.
Eine Infografik mit dem Titel: Scholz im Kanzlerrennen
Aktuelle Umfrage zur Bundestagswahl, in Prozent
Damit macht der SPD-Spitzenkandidat ein Versprechen, dass später dann die Unternehmer für ihn bezahlen müssen. Denn das Geld kommt weder von der Sozialversicherung noch aus der Staatskasse, sondern aus den Schatullen der Unternehmen. Drei Dinge sprechen gegen den Mindestlohn von zwölf Euro:
1. Durch diese staatlich verordnete Lohnerhöhung schwingt die Parteipolitik einmal mehr die Produktivitätspeitsche. Der Einsatz von Maschinen, ob beim Kartoffelschälen in der Küche oder beim Reinigen von Schulgebäuden, gewinnt an Attraktivität. Die menschliche Arbeitskraft wird weiter verdrängt.
2. Viele Handwerker und Kleinstgewerbetreibende dürften die verteuerte Arbeitskraft nicht auf ihre Kunden abwälzen können. Die Flucht in die Schwarzarbeit wird zunehmen. Schon heute werden am Schwarzmarkt rund 319 Milliarden Euro und damit neun Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.
3. Erneut macht die SPD die Armut für die Armen erträglicher, ohne deren wahre Ursachen zu adressieren. Diese Menschen brauchen mehr Bildung, als Voraussetzung für mehr Lohn. Der Aufwärtsmobilität in der Gesellschaft, einst das Kernanliegen der Arbeiterpartei SPD, wird durch die Fokussierung auf den Mindestlohn kein Dienst erwiesen.
Im Gespräch mit dem studierten Maschinenbauingenieur Luc Degla, der ursprünglich aus Benin stammt, heute in Braunschweig eine Zeitungskolumne schreibt und die Kult-Gaststätte „Sowjethaus“ betreibt, sprechen wir über die Folgen der SPD-Forderung für ihn und seinesgleichen. Er sagt:
Mit der Höhe des Mindestlohnes bin ich als Kleinunternehmer überfordert. 12 Euro bedeuten für mich letztendlich 15,20 Euro – man muss bedenken, dass ich 30 Prozent für Sozialausgaben dazurechnen muss.
Ich muss das Geld irgendwo herholen und der Gast ist nicht bereit, 5 Euro für sein Bier zu bezahlen.
Deshalb würden viele Betriebe, insofern sie dazu in der Lage sind, zu industriellen Produktionsprozessen übergehen. Dies verdeutlicht Luc Degla anhand einer einfachen Rechnung:
Ein Mitarbeiter braucht 2 Stunden um 10 Kilo Kartoffeln zu schälen. Bei 13 Euro die Stunde bekommt er dafür 26 Euro. Der Kartoffelsack kostet zusätzliche 8 Euro. Wenn ich jedoch industriell geschälte Kartoffeln kaufe, kosten diese nur 20 Euro. Dann entscheide ich mich natürlich für Letzteres.
Die Sozialpolitik der SPD, die eigentlich dem kleinen Mann nützen soll, kommentiert Luc Degla wie folgt:
Wirtschaftsfeindliche Politik ist zu nett ausgedrückt. Es handelt sich um gesellschaftsfeindliche Politik.
Am vergangenen Donnerstag ist Kurt Biedenkopf im Alter von 91 Jahren verstorben. Am Freitagmorgen, wenige Stunden nach Erscheinen des Morning Briefings, gab die Familie seinen Tod bekannt. Daher folgt erst heute morgen dieser Nachruf:
Im Grunde gab es diesen außergewöhnlichen Menschen dreimal. Da war zum einen der Manager, der Anfang der Siebziger Jahren in die Geschäftsführung des Henkel-Konzerns aufrückte.
Zweitens war da der Intellektuelle Kurt Biedenkopf, der Nationalökonom und Jurist, den der damalige Oppositionsführer und CDU-Vorsitzende Helmut Kohl in die Politik locken konnte.
© dpaBiedenkopf bekleidete von 1973 bis 1977 nicht nur das Amt des CDU-Generalsekretärs, er füllte es aus. Er veränderte den Diskurs. Er dachte quer und er schürfte tief. Er sorgte dafür, dass konservativ nicht mehr länger als Synonym für das Gestrige galt. Sein großes Thema: die Neue Soziale Frage.
Gemeinsam mit Heiner Geißler unternahm er den Versuch, den Sozialstaat nicht länger als Vormund der Menschen und Solidarität nicht länger als eine mechanistische Hilfsleistung zu begreifen. Er forderte seine Partei-Freunde auf, sich der Moderne zu öffnen:
© dpaWer von der Vergangenheit in die Zukunft schaut, betrachtet diejenigen, die von der Gegenwart in die Zukunft schauen, immer als Aussteiger.
Der dritte Kurt Biedenkopf hatte nach der Deutschen Einheit in Sachsen seinen großen Auftritt. Er war ein begnadeter Populist in dem Sinne, dass er als König Kurt in der Lage war, mit seiner sächsischen Bevölkerung auf direkte und empathische Art zu kommunizieren. Ausgerechnet er, der Ludwigshafener, wurde zum wortmächtigen Verfechter einer ostdeutschen Identität:
Dass ich hier aufgenommen wurde, hing damit zusammen, dass die Chemie stimmte, nicht damit, dass die Herkunft stimmte.
Die Andersartigkeit seiner Regierung manifestierte sich damals in der Dresdner Schevenstraße Nr. 1, wo das halbe Kabinett unter einem Dach lebte. Als „Spiegel“-Korrespondent in Leipzig durfte ich diese Wohngemeinschaft mehrfach besuchen und dann auch porträtieren. Der Sozialdemokrat Wolfgang Nowak war der Kultus-Staatssekretär der Regierung Biedenkopf, späterer Leiter der Abteilung Politische Analyse und Grundsatzfragen im Kanzleramt von Gerhard Schröder. Er war Mitbewohner in der Schevenstraße.
Der bekennende Gourmet ging in meiner Reportage auf Distanz zu den Kochkünsten von Ingrid Biedenkopf: „Ingrids Nudeln sind nicht meine Nudeln“, sagte er. Daraus entwickelte sich in der Folge die sogenannte Nudelkrise dieser Wohngemeinschaft, die nur der Ministerpräsident und Hausherr schließlich schlichten konnte.
Im heutigen Morning Briefing-Podcast wirft Wolfgang Nowak einen freundschaftlichen Blick zurück auf die verrückte Zeit an der Seite eines außergewöhnlichen Politikers:
© Mikro Joerg KellnerKurt Biedenkopf ist der beste Bundeskanzler, den wir nicht haben durften.
Summer Night Sensation ’21. Nach langer Zeit in Homeoffice und Wechselschicht endlich wieder vereint: Die mittlerweile 50-köpfige Pioneer Crew feierte ihr Sommerfest, mit Fotografin Anne Hufnagl und DJ Stefan Rupp, im Hauptberuf Leiter des Podcast-Teams. Das Motto des Abends: Zukunft ist nur ein anderes Wort für Zuversicht.
© MediaPioneer © MediaPioneer © MediaPioneer © MediaPioneerIch wünsche Ihnen einen unbeschwerten Start in diese neue Sommerwoche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr