Ai Weiwei: Der Westen ist opportunistisch

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 © Media Pioneer

Guten Morgen,

heute Morgen müssen Sie tapfer sein. Der chinesische Dissident und Aktionskünstler Ai Weiwei, den ich in den Katakomben seines Berliner Ateliers getroffen habe, hält Sie und mich für Opportunisten.

 © dpa

Die deutsche Gesellschaft, sagt er, würde ihn als „Dekoration“ ihrer guten Gesinnung betrachten, aber zum Freiheitskampf der Hongkonger Jugend und zur Freiheitsunterdrückung in China mit routinierter Lässigkeit schweigen. China wisse um diese Kurzfristigkeit der westlichen Aufmerksamkeit: „Der Westen ist für die KP nur ein Haufen von Opportunisten, der mit Menschenrechten argumentiert, es am Ende aber nur auf das Geld anderer Leute abgesehen hat.“ Das Zentralmotiv auch der deutschen Politik seien keineswegs die Menschenrechte, sondern im Zentrum stehe die schlichte Frage: Wie werde ich reich? Mit seinen Beobachtungen hat er nicht ganz unrecht: Die chinesische und die deutsche Wirtschaft sind auf das Engste miteinander verflochten. Diese sehr besondere Beziehung schafft ökonomischen Wohlstand – und politische Abhängigkeiten. Kommt es zum Freiheitskampf der Menschen in Hongkong ist das Auffälligste an der Reaktion der deutschen Regierung die Unauffälligkeit. Die Gründe für das beredte Schweigen finden sich in der Handelsstatisik:

► 2018 belief sich das Volumen des chinesisch-deutschen Warenhandels auf 199,3 Milliarden Euro. China ist weltweit unser drittgrößter Handelspartner. ► Die Unternehmenszukäufe chinesischer Firmen in Deutschland lagen 2018 der Unternehmensberatung EY zufolge bei 10,7 Milliarden US-Dollar – ein Anstieg von fast 7.000 Prozent gegenüber 2006 (siehe Grafik).

Eine Infografik mit dem Titel: China überholt Deutschland

Jährliche Direktinvestitionen (FDI) zwischen Deutschland und China seit 2004, in Millionen US-Dollar

Geografisch begehrt: Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern – genau die Regionen, in denen sich die „Hidden Champions“ der deutschen Familienunternehmen befinden. ► In den Umsätzen deutscher Konzerne ist das China-Geschäft inzwischen eine wichtige Säule – vor allem in der Autoindustrie: Volkswagen setzte 2018 in China 22 Prozent aller verkauften PKW ab, BMW 25 Prozent und Daimler sogar 27 Prozent (siehe Grafik).

Eine Infografik mit dem Titel: Autobauer: Die Abhängigkeit von China

Anteil der PKW-Absätze in China am Gesamtumsatz, 2018

Ai Weiwei erinnert uns im Podcast-Gespräch daran, dass wir mit China die Handelswege teilen, aber nicht die Werte:

China ist nicht demokratisch, lehnt die Werte Deutschlands ab, es gibt keine Menschenrechte, keine freie Meinungsäußerung, keine unabhängige Justiz. Wenn also hierzulande offen davon gesprochen wird, dass die Zukunft Deutschlands von China abhängt, ist das eine ziemlich ernste Angelegenheit.

Strafmildernd für Sie und mich stellt Ai Weiwei fest, dass sich auch die übrige westliche Welt nicht besser verhält:

Der ganze Westen ist opportunistisch.

Die schönen Theorien der Asienexperten von der Konvergenz der Systeme seien von der Wirklichkeit widerlegt:

Die Kommunistische Partei Chinas hält die Stabilität aufrecht mit Hilfe von Polizei und Internetzensur. Sie versucht der jungen Generation mit Staatspropaganda eine Gehirnwäsche zu verpassen.

In Hongkong müssten sich auch die Deutschen entscheiden, auf welcher Seite der Barrikade sie stehen. Eine friedliche Lösung wünscht sich der Künstler und Bürgerrechtler zwar, aber er glaubt nicht daran:

Der Protest ist wie eine Maus hinter einer Vase: Du kannst etwas werfen, um die Maus zu töten, aber dann zerbricht das Porzellan.

Fazit: Die Installation, die Ai Weiwei für uns aufgebaut hat, sieht aus wie ein großer Spiegel. Wir hören im Podcast-Interview seine Stimme. Aber wir sehen uns selbst.

 © Kevin Fuchs © Kevin Fuchs

Die Kritiker der „schwarzen Null“ bekommen prominente Unterstützung. Nobelpreisträger Paul Krugman erhebt schwere Vorwürfe:

Die Welt hat ein Deutschlandproblem.

Paul Krugman © imago

Das schreibt der 66-Jährige in der „New York Times“. Die „ruinöse Besessenheit“ der deutschen Regierung, keine neuen Schulden zu machen, bedrohe die globale Wirtschaft. Seine Argumente: ► Der Ursprung des Problems liege im Jahr 2010, als Deutschland den europäischen Krisenstaaten Sparzwang diktierte, anstatt die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. ► Europa leide bis heute unter einem chronischen Mangel an privater Nachfrage. ► Die Notenbank könne Europa nicht mehr retten, der Instrumentenkasten sei leer:

Eine Geldpolitik, die an ihre Grenzen stößt, hat keine Möglichkeit zu reagieren, wenn etwas schiefgeht.

Krugmans Lösungsvorschlag sieht wie folgt aus:

Die europäischen Regierungen, und insbesondere Deutschland, sollten ihre Volkswirtschaften durch neue Schulden und zusätzliche Ausgaben ankurbeln. Der Anleihenmarkt bittet sie geradezu, dies zu tun.

Denn dort können mittlerweile Staaten wie Deutschland Geld aufnehmen und werden dafür von den Investoren belohnt. Fazit: Krugmans Argumente sind das Schwarzpulver, auf das man in den Munitionsfabriken der SPD gewartet hat. Bald wird man damit auf Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier schießen – und am Ende den Steuerzahler treffen.

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Apropos Geld: Die Notenbanker der westlichen Welt treffen sich heute dort, wo die Welt noch in Ordnung ist – in der US-Kleinstadt Jackson im idyllischen Grand Teton National Park (Bundesstaat Wyoming). Wenn die versammelten Geldexperten ehrlich zueinander sind, werden sie feststellen, dass ihr Schießpulver weitestgehend verschossen ist. Die Politik des billigen Geldes kann im konjunkturellen Abschwung nicht mehr richtig wirken. Es findet keine rentablen Anlagen, weshalb sich die Investoren sowohl in der Realwirtschaft als auch am Aktienmarkt zurückziehen. Als Spiegel dieser Investitionszurückhaltung funktioniert der Gold­preis. Denn Investoren, die nicht mehr in Fabriken und Forschungslabors investieren, legen sich seit jeher verstärkt Edelmetalle zu. Auch die Nullzinspolitik treibt den Goldpreis. So erzählt denn der Goldmarkt die Geschichte von der zunehmenden Impotenz der Notenbanken: ► Seit Jahresbeginn stieg der Kurs in US-Dollar um rund 17 Prozent, in Eu­ro so­gar um 21 Prozent. ► Mit 1520 US-Dollar liegt die Notierung nah am Sechs-Jahres-Hoch, in Euro läuft sie auf ein Allzeithoch zu (s. Grafik).

Eine Infografik mit dem Titel: Der Run aufs Gold

Goldpreis pro Feinunze, in US-Dollar und Euro

Von den Notenbankern in Jackson wird jetzt eine hohe schauspielerische Leistung verlangt. Sie dürfen sich alles anmerken lassen, nur nicht ihre Verzweiflung.

 © NASA

Ungeachtet der internationalen Klimadebatte wird die „grüne Lunge der Welt“, der Amazonas-Regenwald, von illegaler Abholzung, Brandstiftung und wilden Feuern heimgesucht. Satellitenbilder zeigen, wie eine riesige Rauchwolke über das Land zieht. Die illegale Abholzung – so sagen es Experten – sei fast drei Mal so hoch wie im Vergleichsmonat des Vorjahres. Erwartet wird ein Anstieg um insgesamt 45 Prozent. Unglaublich aber wahr: Große Teile des südlichen Amazonasbeckens und des Pantanal-Feuchtgebietes stehen in Flammen: 72.000 Brände seit Jahresanfang wurden allein in Brasilien registriert – ein neuer Negativrekord. Hinter dem Hashtag #PrayForAmazonia bildet sich eine neue internationale Umweltschutzbewegung. Vor allem junge Menschen können die kollektive Unvernunft kaum fassen: Derweil man sie zum Schulbesuch drängt, auch an den Freitagen, scheint die Erwachsenenwelt gänzlich unbelehrbar.

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Wegen des Konflikts zwischen den USA und Dänemark über den von Trump offenbar angepeilten Kauf Grönlands, hat der US-Präsident seinen Staatsbesuch in Kopenhagen kurzfristig abgesagt. Zuvor hatten Mitglieder der dänischen Regierung sein Vorhaben als „hoffnungslos“ bezeichnet. Trumps Ansinnen sei „zutiefst beleidigend“.

 © dpa

Dabei ist das US-Interesse an Grönland nicht neu: Schon im Jahr 1946 wollte Washington die an Bodenschätzen reiche Insel in der Arktis kaufen. Die Regierung unter Harry S. Truman bot Dänemark damals 100 Millionen US-Dollar (heute umgerechnet 1,3 rund Milliarden Dollar). Auch damals lehnten die Skandinavier ab.

Eine Infografik mit dem Titel: Landkauf: Eine amerikanische Tradition

Käufe von Territorien in der US-Geschichte, in heutige Kaufpreis umgerechnet

Die Liste der Landkäufe der USA ist lang: Zwischen 1803 und 1917 kauften die USA sechs Territorien – darunter Alaska, Florida, Kalifornien oder Arizona – für die heutige Summe von rund 3,7 Milliarden US-Dollar. Wir lernen: „The Art of the Deal” gab es bereits, bevor Donald Trump das Licht der Welt erblickte. Schon Präsident Calvin Coolidge, der in den 1920er-Jahren im Weißen Haus präsidierte, sprach seinen Landsleuten aus der Seele, als er sagte: „The chief business of the American people is business.”

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den neuen Tag.

Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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