der wichtigste Unterschied zwischen einem Spielkasino und der Börse ist der: Im Kasino fliegt jeder raus, der mit gezinkten Karten erwischt wird. Bank und Spieler dürfen nicht kooperieren. Ein gestrenger Staat überwacht das Treiben an den Spieltischen. An der Börse aber, dem Marktplatz zum Kauf und Verkauf von Firmenanteilen, findet die freie Preisbildung nur noch in der Theorie statt. Der Aktienwert als Spiegelbild unternehmerischer Leistung ist eine Illusion geworden. In Wahrheit machen die Firmen selbst den Markt, in dem sie ihre eigenen Wertpapiere nach Belieben kaufen oder abstoßen. Es gibt an der Börse kein „rien ne va plus“. Der Lauf der Kugel wird manipuliert. Die Banken spielen mit. Ein schläfriger Staat schaut zu. 2018 haben die Dax- und MDax-Unternehmen für 8,6 Milliarden Euro eigene Aktien zurückgekauft, 20 Mal so viel wie im Jahr 2009. SAP hat erst in dieser Woche angekündigt, bis zu 1,5 Milliarden Euro für eigene Aktien ausgeben zu wollen. Derzeit laufen bei Dax und MDax Aktienrückkaufprogramme im Gesamtwert von rund 13,1 Milliarden Euro. Das allerdings ist erst der Eröffnungsspielzug in einer neuen Runde spekulativer Übertreibungen. In den USA ist die Pervertierung der freien Preisbildung bereits weit fortgeschritten: ► Die größten Aktienkäufer sind nicht mehr private Anleger, Vermögensverwalter oder Pensionsfonds, sondern die Unternehmen selbst. ► In den vergangenen zehn Jahren gaben die Unternehmen im S&P 500 fünf Billionen Dollar für eigene Aktien aus. 450 der 500 Firmen haben dafür nach Angaben der „Finanzmarktwelt“ mehr als die Hälfte ihrer Gewinne investiert.
Eine Infografik mit dem Titel: USA: Die größten Aktienrückkäufe
Gesamtvolumen nach Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren, in Milliarden US-Dollar
► US-Firmen gaben 2018 erstmals mehr Geld für Aktienrückkäufe aus als für produktive Investitionen, meldete das Newsletter „Börse Intern“. ► Allein 2018 kauften die 3000 größten börsennotierten US-Unternehmen für eine Billion Dollar eigene Aktien zurück, befeuert von der Unternehmenssteuerreform, mit der Donald Trump eigentlich Investitionen auslösen wollte. Die Wall Street ist heute Trumpland.
Eine Infografik mit dem Titel: Apple geht an die Substanz
Wert der Aktienrückkäufe im Vergleich zum Cashflow in 2018, in Milliarden Euro
Der mit Abstand größte Käufer ist ausgerechnet der Börsenstar Apple: Der iPhone-Hersteller kaufte in den vergangenen zehn Jahren für 239 Milliarden Dollar eigene Aktien zurück (siehe Grafik), allein 2018 gab der Konzern dafür 61 Milliarden Euro aus und griff sogar auf sein Kapitalpolster zurück. Apple gab 6,3 Milliarden Euro mehr aus als das Unternehmen im selben Zeitraum an Cashflow (54,7 Milliarden Euro) erwirtschaftete. Die kreativsten Entwickler sitzen seit dem Tod von Steve Jobs offenbar nicht mehr in der Forschungs-, sondern in der Finanzabteilung von Apple. Das „Financial Engineering“ ist das neue Hobby der Finanzvorstände, das sie zusammen mit den Investmentbanken perfektioniert haben. Aktienrückkäufe wirken meist unmittelbar auf den Kurs: Kauft ein Unternehmen eigene Aktien zurück, sinkt die Zahl der an der Börse verfügbaren Aktien. Der Gewinn pro Aktie steigt. Ohne dass sich an den Fundamentaldaten der Firma irgendetwas verbessert hätte, scheint die Aktie in allen Rankings der Wirtschaftsmedien deutlich günstiger bewertet. Man kann diese exzessiven Aktienrückkäufe, die nichts mehr gemein haben mit der früher üblichen harmlosen Kurspflege, eine „spekulative Übertreibung“ oder eine „neue Normalität“ nennen. Mit gleichem Recht kann man aber auch vom legalen Betrug sprechen. Irgendjemand müsste die Börsenaufsicht mal wecken!
Bei der SPD sitzt derzeit nur einer fest im Sattel: Rolf Mützenich. Der neue Fraktionsvorsitzende spricht mit meinem Kollegen Michael Bröcker im Morning Briefing Podcast, über seine Strategie. So will er die Sozialdemokratie, anders als viele Funktionäre, nicht weiter nach links verschieben:
Wir sind eine Volkspartei und nicht nur der Betriebsrat der Gesellschaft.
Den Vorstoß seines Parteifreundes Norbert Walter-Borjans, angesichts der niedrigen Umfragewerte auf einen SPD-Kanzlerkandidaten zu verzichten, lehnt er ab:
Eine Kanzlerkandidatur ist auch eine Selbstachtung und Selbstverpflichtung. Das hat mich schon getroffen.
Die GroKo will er fortsetzen, weshalb er sich eine Brille mit rosa-roten Gläsern besorgt hat:
Insgesamt ist das Klima in der Großen Koalition schon gut.
In Frankreich macht sich der Präsident keine Sorgen um den Zustand, sondern um den Fortbestand der Nato. „Was wir gerade erleben, ist für mich der Hirntod der Nato”, sagte Emmanuel Macron dem „Economist“. Es gebe bei strategischen Entscheidungen keine Koordinierung zwischen den Nato-Ländern und den USA. Er bezieht sich dabei vor allem auf die Geschehnisse in Nordsyrien:
Wir sind Zeugen des Angriffs eines anderen Nato-Partners, der Türkei, ohne Abstimmung, in einer Region, in der unsere Interessen auf dem Spiel stehen.
Auf die Frage, ob er noch an Artikel 5 des Nato-Vertrags, den gemeinsamen Verteidigungsfall, glaube, sagte Macron:
Ich weiß es nicht.
Die Verspannungen zwischen Trump und den Europäern spricht er in einer bisher nicht gekannten Klarheit an:
Wir verhandeln zum ersten Mal mit einem amerikanischen Präsidenten, der unsere Idee des europäischen Projekts nicht teilt.
Diese Aussagen sind noch keine Lösung, aber immerhin eine realitätsnahe Analyse. Das militär-strategische Vakuum, das Macron beschreibt, bedeutet allein schon eine Gefahr für die Sicherheit Europas. So gesehen ist dies kein Interview, sondern ein Hilferuf.
Womit wir bei Annegret Kramp-Karrenbauer wären. Im Wochentakt feuert sie neue Vorschläge ab, die den Eindruck strategischer Tatkraft erwecken sollen. Bisher endeten diese Ideen allerdings als Rohrkrepierer: ► Eine von Deutschen bewachte Schutzzone in Syrien wird es nicht geben. Der Vorschlag war gefahrlos, denn Erdogan und Putin hatten diesen Teil Syriens bereits unter sich aufgeteilt. Auf AKK hat in Nahost keiner gewartet. ► Die von ihr geforderten Erhöhung des Wehretats wird es auf absehbare Zeit auf keinen Fall geben. Finanzminister Olaf Scholz strich AKKs Forderung nach einem klaren Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel aus dem Fahrplan für die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Zuvor hatte er sich der Rückendeckung durch das Kanzleramt versichert. ► Nun will sie einen Nationalen Sicherheitsrat installieren, der Deutschland auf größere militärische Aufgaben vorbereiten soll. Dieses Plagiat des entsprechenden US-Gremiums wäre allerdings ohne praktische Relevanz: Deutschland besitzt – anders als die USA – eine Parlamentsarmee. Das bedeutet: Das Entscheidungszentrum liegt bei der Legislative, nicht der Exekutive. Deutschland solle eine Rolle als „Gestaltungsmacht“ annehmen, sagt sie: „Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen.” Richtiges Thema, falscher Absender: Eine Debatte dieser geopolitischen Relevanz kann eine ehemalige Lokalpolitikerin, die gerade auf Bundeswehr umschult, nicht glaubwürdig führen. Immerhin zwingt sie mit ihrem Feuerwerk der Ideen die Weltöffentlichkeit, von Putin über Assad bis Macron zur Aufmerksamkeit. Das Pressereferat der Hardthöhe macht Überstunden, weil aus aller Herren Länder die Depeschen eintreffen. Der amerikanische Außenminister, der sich zurzeit in Berlin aufhält, wird intern Fragen haben und sie öffentlich nachher loben. AKK ist schon darüber glücklich. Der bekennende Zyniker Karl Kraus wusste warum: „Die kleinen Stationen sind sehr stolz darauf, dass die Schnellzüge an ihnen vorbei müssen.“
Apropos Schnellzug: Bahnchef Richard Lutz rast mit Hochgeschwindigkeit ins Abseits. Lutz spielt laut „Handelsblatt“ ein schmutziges Spiel, das seinem ohnehin lädierten Renommee nicht zuträglich ist. Er versucht die geschrumpfte Werthaltigkeit der Bahn-Tochter Arriva dem seit 2017 als Güter- und Logistik-Vorstand eingetretenen Alexander Doll anzulasten. Dieser hatte das Finanzressort erst Anfang des Jahres von Lutz übernommen. Arriva soll verkauft werden und könnte am Ende nicht einmal die 1,8 Milliarden Euro Kaufpreis plus 900.000 Millionen Euro Schuldenübernahme einspielen, die die Deutsche Bahn vor einem Jahrzehnt für das Unternehmen ausgab. Heute habe die Firma 1,9 Milliarden Euro Schulden und 432 Millionen Euro Pensionslasten in der Bilanz, so das „Handelsblatt“. Unklar ist, worauf Verkehrsminister Andreas Scheuer noch wartet. Mit Roland Pofalla, dem Ex-Kanzleramtsminister und heutigem Vorstand für Infrastruktur, steht ein Mann zur Verfügung, der bewiesen hat, dass er managen kann. Das Fazit der vergangenen Jahre fällt bitter aus: Richard Lutz war streng genommen kein Bahnchef, sondern nach dem überraschenden Rücktritt von Rüdiger Grube zunächst eine Verlegenheit, und dann ein Irrtum.
Jetzt schreckt auch die Commerzbank nicht mehr davor zurück, die Negativzinsen der Europäischen Zentralbank an ihre Kundschaft weiterzugeben. Stephan Engels, Finanzchef der Bank, erklärt, dass die Commerzbank einen solchen Schritt prüfe. „Das Potenzial ist sehr groß“, sagte er. „Wir fangen mit Kunden mit hohen Einlagen an.“ Wir können die Banker dafür beschimpfen. Aber die wahren Übeltäter sitzen bei der EZB, die mit ihrer Null- und Negativzinspolitik dem Geldgeschäft die Preise versaut hat. Die Commerzbank will sich nicht an ihren Kunden bereichern. Sie will nur überleben.
Michael Bloomberg ist ein Mann für alle Gelegenheiten: Unternehmer, Autor, Finanzier, Politiker, Aktivist – und jetzt vielleicht Präsidentschaftskandidat. Der ehemalige Bürgermeister von New York und Gründer des Medienhauses Bloomberg steht wohl kurz davor, für die Demokraten gegen Trump anzutreten, meldet die „New York Times“. Das Gute an Bloomberg: Er besitzt politische Empathie und eine Zuversicht, die sich nicht mit Naivität übersetzt. Er ist nicht links und nicht rechts, sondern tatkräftig. Seine drei Prinzipien:
Das Leben ist zu kurz, um einfach nur Fehler zu vermeiden.
Wenn du keine Rückschläge in deiner Karriere erlebt hast, wenn du nie Zweifel hast und keine Enttäuschung kennst, dann sage ich dir das eine: Du träumst nicht groß genug.
Ein Unternehmer zu sein, bedeutet nicht nur einfach eine Firma zu gründen. Es ist eine Art, die Welt zu sehen. Möglichkeiten zu entdecken, wo andere Hindernisse sehen, Risiken einzugehen, wo andere die Deckung suchen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen inspirierenden Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr