AstraZeneca: Der Problemstoff

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Guten Morgen,

im Kampf gegen Corona sind die Impfstoffe unsere wirksamste Waffe. Sagen alle Politiker. Was sie nicht sagen: Manche Impfstoffe wirken wie eine Präzisionswaffe; andere wie eine Schrotflinte.

Womit wir bei dem schwedisch-britischen Konzern AstraZeneca wären. Die volle Wirksamkeit des von ihm vertriebenen Impfstoffcocktails tritt nur bei 65 bis 70 Prozent der Patienten ein, wie sich jetzt herausstellt. Das heißt: Bei 100 Millionen geimpften Personen stehen 30 bis 35 Millionen Menschen ohne den umfassenden Schutz da und können sogar weiterhin am Corona-Virus erkranken. Dafür sind die Nebenwirkungen umso heftiger: Fieber. Erbrechen. Schüttelfrost.

Der Impfstoff von Moderna wies in den Studien eine Wirksamkeit von 94 Prozent auf, das Vakzin von BioNTech eine Wirksamkeit von 95 Prozent. Auch hier treten Nebenwirkungen auf, nur eben weniger heftig. Beide Impfstoffe basieren auf einem grundsätzlich anderen Design und sind in weltweiten Studien umfangreich getestet.

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Da wundert nicht: Bundesweit wurden von 736.800 bislang gelieferten Impfdosen von AstraZeneca nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Dienstag lediglich 64.869 Dosen verimpft. Aus Kreisen des Bundesgesundheitsministeriums heißt es, dass Impftermine „massenhaft“ ausfallen würden. Der Stoff stößt auf Skepsis bis Ablehnung:

  • Im Saarland haben viele Bürger ihren Impftermin abgesagt oder einen anderen Wirkstoff verlangt – die Termine wurden daraufhin an andere Menschen vergeben, da man sich nicht aussuchen kann, mit welchem Mittel man geimpft wird. Es wird geimpft, was auf den Tisch kommt.

  • In Brandenburg wurden die Bestände bislang noch gar nicht angerührt, in Baden-Württemberg wurden gerade mal 0,19 Prozent der vorhandenen Impfdosen gespritzt.

  • Seit mehreren Tagen werden immer mehr Fälle bekannt, bei denen Menschen nach der AstraZeneca-Impfung starke Nebenwirkungen hatten. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mussten sich mehrere medizinische Mitarbeiter aufgrund der Nachwirkungen des Impfstoffes krankmelden. In beiden Bundesländern wurde das Impfen an insgesamt drei Orten gestoppt.

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  • Auch die Gewerkschaft der Polizei in Bayern sieht die Immunisierung von Polizisten mit dem Corona-Impfstoff kritisch und fordert, dass die Polizei wegen permanenter Einsatzbereitschaft nicht durch einen unzuverlässigen Impfstoff gefährdet werden darf.

  • Anfang Februar hat die Zulassungsbehörde der Schweiz den Impfstoff des britisch-schwedischen Konzerns abgelehnt. Der Grund: Unzureichende Daten, es fehlten zusätzliche Angaben zu Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität.

  • In der schwedischen Region Sörmland südwestlich von Stockholm wurden Ende vergangener Woche die Impfungen mit dem AstraZeneca Vakzin ausgesetzt, nachdem 100 der 400 geimpften Krankenhausangestellten Nebenwirkungen zeigten. Inzwischen wird die Impfung schrittweise wieder aufgenommen.

  • Die französische Arzneimittelbehörde empfiehlt, Gesundheitspersonal nur gestaffelt mit AstraZeneca zu impfen. Grund war auch hier die vorübergehende Aussetzung der Impfung in einem Krankenhaus, nachdem sich sieben von 20 Angestellten mit Nebenwirkungen krankmeldeten.

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  • Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, fordert eine Auswahlmöglichkeit bei Impfstoffen:

Es muss eine Auswahlmöglichkeit der Impfstoffe für die Menschen geben, damit die Impfbereitschaft hoch bleibt.

Fazit: Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Die Meinungen – auch die der Regierungsmitglieder – sollten den Fakten folgen.

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Die Angst vor den Corona-Mutanten geht um. Denn sie sind gefährlicher, weil ansteckender als ihre Vorgänger. Denn in der Biologie der Evolution von Viren gilt eben auch: The Survival of the Fiesest. Das Gemeinste überlebt.

Prof. Ulrike Protzer ist die Direktorin des Instituts für Virologie an der TU München; die Grundlagenforschung chronischer Viruserkrankungen ist ihr Spezialgebiet. Sie beantwortet die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Ursprungsvirus und seiner Mutation so:

Bisher war es so: Wenn in einer Familie fünf Menschen zusammen lebten und einer war infiziert, dann hat er im Durchschnitt zwei der Familienmitglieder angesteckt. Wenn in derselben Familie einer an der britischen Variante erkrankt, dann steckt er drei seiner Familienmitglieder an.

Für die Kunden von BioNTech habe das nach bisheriger Kenntnis keine negativen Folgen:

Trotz der Variante hilft der BioNTech-Impfstoff, also der mRNA-Impfstoff anscheinend sehr gut.

Die Weigerung von medizinischem Personal, sich mit AstraZeneca impfen zu lassen, kann Prof. Protzer verstehen:

Wenn man sich die Studienlage anschaut, dann wirken die mRNA-Impfstoffe mit einer etwa 95-prozentigen Wirksamkeit, was für einen Impfstoff wirklich exzellent ist. Der AstraZeneca-Impfstoff hat eine Wirksamkeit zwischen 60 und 70 Prozent. Das ist schon deutlich weniger. Wenn ich jetzt im Gesundheitssystem arbeite und jeden Tag einem hohen Risiko ausgesetzt bin, dann möchte ich vielleicht doch lieber auf Nummer sicher gehen.

Für alle, die wegen des Dauer-Lockdowns in Pessimismus versinken, hält die Virologin Tröstliches parat:

Ich glaube, wenn wir es schaffen, dass wir weiterhin konsequent impfen, haben wir mit dem einsetzenden Frühjahr das Gröbste geschafft.

Von der Pandemie zur politischen Krise ist es womöglich nur ein kurzer Weg. Alle verfügbaren Umfragen deuten darauf hin, dass der zunächst gebildete Konsens innerhalb der Bevölkerung erodiert.

  • Im ARD-Deutschlandtrend sinkt die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Krisenmanagement der Bundes- und Landesregierungenzum ersten Mal seit Beginn der Pandemie sind mehr Menschen unzufrieden als zufrieden.

Eine Infografik mit dem Titel: Wachsende Unzufriedenheit

Zufriedenheit mit dem Corona-Krisenmanagement von Bund und Ländern, in Prozent

  • Auch die Zustimmung zur Union hat gelitten. Gegenüber ihrem Höchststand am 7. Mai 2020 sank die Beliebtheit von CDU und CSU in der Sonntagsfrage des Instituts infratest dimap um fünf Prozentpunkte.

  • Markus Söder muss in Bayern erhebliche Popularitätsverluste hinnehmen. Wurde vom Meinungsinstitut Civey zur ersten Pandemiewelle noch ein Zustimmungswert von 71 Prozent gemessen, schrumpfte dieser Wert inzwischen auf nur noch rund 48 Prozent.

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Die Kommunikation zwischen Regierung und Volk – nicht nur, aber auch in Deutschland – ist auf vielfältige Weise gestört. Eine politische Führung, die im Wochentakt die Parameter von Ziel und Lauftempo der Corona-Politik verändert, wird nicht als stark und bestimmend, sondern als schwach und wirr wahrgenommen.

In bisher sieben gravierenden Fällen hat die Bundesregierung die Marschroute verändert, ohne über die Gründe dieser Veränderung transparent zu kommunizieren.

1. Die Parole „flatten the curve“ galt nur so lange als chic, bis der tödliche Winter begann. Mit der Vervierfachung der Todeszahlen von Anfang Dezember 2020 bis Mitte Februar 2021 (in absoluten Zahlen geht es um den Anstieg von 17.177 Corona-Verstorbenen auf mittlerweile 65.604 Menschen) verschwand diese politische Vorgabe aus dem Sprachgebrauch der Regierung.

2. Im Juni des Jahres 2020 erlebte der R-Wert seinen Aufstieg, dabei handelt es sich um die Zahl der Menschen, die eine infizierte Person durchschnittlich ansteckt. Ohne weitere Begründung wurde diese Kennziffer von der Regierung nicht mehr als prioritär angesehen.

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3. Nunmehr steht die Inzidenz im Vordergrund. Das ist jene Zahl, die uns anzeigt, wie viele Menschen von 100.000 Menschen infiziert sind. Die Höhe der Zahl hängt von der Zahl der Testungen ab, also auch von Wind und Wetter rund um die Testzentren. Die anfängliche Richtinzidenz von 100 wurde mittlerweile auf Drängen der Kanzlerin auf 50 abgesenkt und soll künftig 35 betragen. Armin Laschet:

Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet.

4. Die Härte des ersten Lockdowns wurde damit begründet, dass man alles tun werde, um einen zweiten Lockdown zu verhindern. Im zweiten Lockdown, der vom 1. November bis zum 16. Dezember dauerte, sagte man, dass nach Weihnachten mit der Rückkehr zur Normalität begonnen werden könne, bevor man dann nahtlos in den dritten Lockdown startete. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schlägt nun ohne Angabe von Gründen vor, diese bis zum 6. März terminierte Teil-Schließung der Volkswirtschaft bis zum 4. April zu verlängern.

Eine Infografik mit dem Titel: Sinkendes Ansehen

Zufriedenheit mit der Arbeit von Spitzenpolitikern im Januar und Februar 2021, in Prozent

5. Bei der Impfstoffbeschaffung wurden all jene, die ein nationales Vorgehen für effektiver hielten, von der Regierung als Impfnationalisten bezeichnet. Wenig später geht dieselbe Regierung dazu über, ohne Rücksprache mit den europäischen Nachbarn, die Grenzen zu schließen. Der europäische Binnenmarkt und damit auch das Abkommen von Schengen wurde de facto suspendiert.

6. Die Rückverfolgung der Infektionsketten war zunächst das Schlüsselinstrument der Gesundheitsämter, weshalb die Corona-App entwickelt und Meldelisten ausgelegt wurden. Diese Meldelisten sind verschwunden und die Corona-App findet in der politischen Kommunikation keine Erwähnung mehr, seit erwiesen ist, dass sie aufgrund zu hoher Datenschutzbestimmungen nicht als Frühwarnsystem funktionieren kann.

7. Die wirtschaftlichen Prognosen der Regierung – zunächst war von der V-Erholung die Rede, also der schnellen Erholung nach dem Absturz – wurden ausnahmslos verfehlt, weil es sich in Wahrheit gar nicht um Prognosen, sondern um Wunschvorstellungen handelte.

Fazit: Die Regierungspolitik ist verwackelt, die Kommunikation vernuschelt. Oder wie der Volksmund zu sagen pflegt: Vertrauen kommt zu Fuß und flieht zu Pferde.

Peter Altmaier © dpa

Der „Wirtschaftsgipfel” bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war in weiten Teilen ein Wutgipfel. Vor allem die vom Dauer-Lockdown hart gebeutelten Hoteliers, die Schausteller der Kirmes, die Gastronomie und der Einzelhandel beklagten die fehlende Öffnungsstrategie und den vielfach stockenden Geldfluss vom Staat zu den Betroffenen.

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Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbandes „Die Familienunternehmer”, nahm ebenfalls an der knapp dreistündigen Beratung teil. Im Morning Briefing Podcast fasst er seine Stimmung in einem Wort zusammen:

Gereizt.

Und das ist die Lage am heutigen Morgen:

  • Die neuesten Zahlen des RKI deuten Entspannung an: Innerhalb der vergangenen 24 Stunden meldeten die deutschen Gesundheitsämter dem Robert-Koch-Institut 7556 Corona-Neuinfektionen und es wurden 560 neue Todesfälle registriert.

  • Gesundheitsminister Jens Spahn kündigt an, dass sich alle Bürger ab dem 1. März kostenlos mittels Antigen-Schnelltest auf Corona testen lassen können. Die Tests sollen in Apotheken, Arztpraxen und Testzentren durchgeführt werden.

  • Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson hat eine Notfallzulassung für seinen Corona-Impfstoff bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) beantragt. Das Vakzin aus den USA wies in Studien eine Wirksamkeit von rund 66 Prozent auf. Eine Impfdosis soll nach Angaben des Herstellers ausreichen.

  • In einer Eisfabrik in Osnabrück ist es zu einem Corona-Ausbruch gekommen. Die Folge: 200 Menschen infizierten sich mit dem Virus, 850 müssen in Quarantäne.

  • Die Zahl der Geimpften in Israel ist auf vier Millionen gestiegen. Damit bekamen rund 43 Prozent der Bevölkerung eine erste Dosis verabreicht. Mehr als 2,6 Millionen Menschen in Israel konnten bereits die zweite Dosis empfangen.

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Im Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 nähern sich beide Seiten des Atlantiks einem Kompromiss. Joe Bidens Außenminister Antony Blinken favorisiert die Idee, die Pipeline notfalls zu unterbrechen, sollte Russland Druck auf die Nachbarstaaten, vor allem die Ukraine, ausüben. Ein solcher Abschaltmechanismus würde die Verhandlungspositionen Deutschlands und der EU gegenüber Russland stärken.

Unklar ist nur noch, wer diesen Abschaltmechanismus auslösen darf: Die Bundesregierung besteht auf ihrem Selbstbestimmungsrecht. Die Vereinigten Staaten wünschen sich einen von Washington definierten automatisierten Prozess, der sofort greift, sollte Russland seine Nachbarstaaten bedrohen. Imperialismus light.

Christian Sewing © imago

Christian Sewing, Chef der Deutschen Bank, hat den ehemaligen „Handelsblatt”-Chefredakteur Sven Afhüppe als Repräsentanten der Bank für politische Angelegenheiten berufen. Mithilfe von Büros in Berlin, Brüssel und Washington soll er künftig die politischen Kontakte pflegen und als eine Art Chefdiplomat in beide Richtungen wirken: Von der Politik in Richtung der Bank und von der Bank in Richtung der Politik.

Afhüppe führte seit 2016 die „Handelsblatt”-Redaktion, stieg später zum assoziierten Mitglied der Geschäftsführung auf und stand kurz vor Dienstantritt seines neuen Drei-Jahres-Vertrages, als ein zunehmend erratisch agierender Firmenpatriarch sich ohne Anlass und Aussprache „aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur weiteren strategischen Entwicklung des ‚Handelsblatts’“ von ihm trennte.

Sewing weiß die ökonomische Substanz und die politische Vernetzung des 49-jährigen Afhüppe zu schätzen. Er wird in ihm einen loyalen und in der Wirtschaft- und Medienwelt hoch angesehenen Mitstreiter finden. Bei der nicht ganz leichten Mission, Deutschlands größtes Geldhaus zum Comeback zu führen, wird er ihm behilflich sein. Glück auf, Sven!

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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