die schicksalhaften Ereignisse im Leben einer politischen Partei sind immer die mit vollem Risiko vollzogenen Richtungsänderungen. Das gilt auch für die Grünen:
Die hessischen Grünen brachen zuerst mit dem von Petra Kelly stammenden Selbstverständnis von den Grünen als „Anti-Parteien-Partei“. Mit dem ersten rot-grünen Regierungsbündnis und der Minister-Werdung von Joschka Fischer endete Mitte der Neunzigerjahre die Phase als Systemopposition.
Mit dem Bekenntnis zur NATO und der Befürwortung des Kriegseinsatzes im Kosovo 1998 in der von Gerhard Schröder geführten rot-grünen Regierung wurde ebenfalls ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Pazifismus war nicht länger der die Partei strukturierende und damit auch limitierende Faktor.
Die Lösung aus der Umklammerung der SPD brachte den nächsten Modernisierungsschub. Schwarz-grün erweiterte die Machtoptionen der Grünen. Im Stammland der Konservativen, in Baden-Württemberg, stellen die Ökologen seit mehr als zehn Jahren den Ministerpräsidenten.
Eine ähnlich bedeutsame Zäsur wäre in diesen Tagen erneut geboten. Die Grünen, die ihre Wurzeln der Anti-Atomkraft-Bewegung verdanken, haben sich mit ihrer rigorosen Absage an die friedliche Nutzung der Kernenergie international isoliert. Sechs Gründe sprechen für eine Richtungsänderung, auch wenn bei den tonangebenden Grünen sich derzeit niemand diesen Tabubruch zutraut:
1. Entgegen der grünen Ursprungserwartung ist die Welt ihrem Anti-AKW-Kurs nicht gefolgt. Die Öko-Partei war nicht vor, sondern hinter der Welle. Nahezu überall (siehe unten den Twitter-Post von Ian Bremmer) setzen Regierungen und Wirtschaft auf die Nutzung der Kernenergie, die den Vorteil hat, dass sie nahezu CO2-frei Strom produzieren kann und von Wind und Sonne unabhängig funktioniert. Frankreich führt mit 56 Reaktoren die europäische Liste an und übertrifft damit die Chinesen.
Eine Infografik mit dem Titel: Hitparade der Atommächte
Die größten Atomkraft-Länder weltweit nach Anzahl der Reaktoren
© Twitter / @ianbremmer
2. Die Horrorszenarien vom Atomtod sind bisher nicht eingetreten. Enorme Sicherheitsauflagen der Staaten und Milliardeninvestitionen der Industrie in die Sicherheitstechnologie haben zu verhindern gewusst, dass nach Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima weitere Unfälle passierten. Allerdings: An den direkten Früh-und Spätfolgen des Reaktorunglücks von Tschernobyl starben nach Schätzungen der WHO rund 4000 Menschen, viele an Leukämie oder Schilddrüsenkrebs.
3. Ausgerechnet unser wichtigster europäischer Verbündeter, Frankreich, unter Führung des ehemaligen Sozialisten Emmanuel Macron, setzt auf neue Miniatur-Reaktoren, sogenannte „Small Modular Reactors“. In Ermangelung von grundlastfähigen Energiearten – Sonne und Wind sind unsichere Kantonisten – muss Deutschland den französischen Atomstrom nicht permanent, aber immer wieder importieren.
Eine Infografik mit dem Titel: Atomstrom: Frankreich liefert
Deutsch-französischer Stromaustauschsaldo 2020, in Terawattstunden
4. Die EU-Kommission hat eine Neubewertung der Kernkraft vorgenommen. Aufgrund ihrer erwiesenen Klimafreundlichkeit sollen Investitionen in die Atomenergie mit einem grünen Label geadelt werden. Das hilft beim Verkauf von Aktien und Anleihen an die wachsende Zahl der Nachhaltigkeitsfonds.
5. Die deutsche Klimapolitik, die den Atomstrom zum Ende 2022 endgültig abschaltet, trägt so zur Verschlechterung der hiesigen CO2-Bilanz bei. Und: Da alle CO2-haltigen Energiearten mit der neuen, weiter steigenden CO2-Steuer belegt wurden, führt der Verzicht auf die Kernenergie zur Inflation. Der Haupttreiber: Die Verteuerung der Energiepreise.
6. Last but not least: Die große Mehrheit in Deutschland, die einst den Atomausstieg befürwortet hatte, ist dahin. Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem Sommer 2021 geht der Anteil der Ausstiegs-Befürworter seit Jahren zurück. Stimmten im Jahr 2012 noch 73 Prozent für den Atomausstieg wurde zuletzt nur noch eine Zustimmungsrate von 56 Prozent gemessen.
Eine Infografik mit dem Titel: Schwindende Unterstützung
Antwort auf die Frage „Halten Sie die Entscheidung zum Atomausstieg für richtig oder für nicht richtig?“, in Prozent
Fazit: Wir müssen die Atomenergie nicht bejubeln, aber wir sollten sie zumindest neu denken. Der Bruch mit dem dogmatischen Anti-AKW-Glaubensbekenntnis der 80er und 90er Jahre setzt eine kritische Selbstbefragung voraus, die freilich nicht ohne Risiko für die Grünen sein kann. Wilhelm Busch wusste warum:
Wer in Glaubenssachen den Verstand befragt, kriegt unchristliche Antworten.
© imago
„Wahrheit gibt es nur zu zweien”, lautet der bei Hannah Arendt abgelauschte Slogan der Pioneer-Mission. Deshalb kommt im Morning Briefing Podcast ein grüner Europaabgeordneter zu Wort, der in den Nachbarländern unermüdlich für das Aus der Kernenergie wirbt. Michael Bloss ist sein Name. Der 35-jährige Europaabgeordnete fühlt sich auch durch das Nachhaltigkeits-Label der EU-Kommission für die Atomindustrie nicht entmutigt:
In Tschechien gibt es eine große Kernenergie-Tradition und in Frankreich ist sie ein großer Wirtschaftsfaktor. Aber eine Renaissance der Atomkraft sehe ich in Europa nicht. Es gibt bisher keine neuen Atomkraftwerke, die ans Netz gehen.
Dass die Kommission die Kernkraft tatsächlich als grün und nachhaltig einstuft, sei noch keine beschlossene Sache.
Wir werben dafür im Parlament, diesen Rechtsakt abzulehnen.
Hierzulande habe selbst die Wirtschaft das Ende der Atomkraft akzeptiert, sagt der Politiker aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg.
In Deutschland will niemand mehr die Atomkraft, auch auf Unternehmensseite haben sich alle darauf eingestellt. Die Atomkraft ist das Gegenteil von nachhaltig. Sie hat das Potenzial, Landstriche für Jahrzehnte und Jahrtausende zu verseuchen. Wir haben mit den erneuerbaren Energien bereits die Lösung.
Die Omikron-Welle erfasst die Welt – doch die Krankenhäuser sind weit vom Ausnahmezustand entfernt. Während in Europa überall die Quarantänezeiten verkürzt werden, wartet Deutschland auf die nächste Zusammenkunft der Ministerpräsidenten.
Es ist Zeit umzudenken und gesellschaftliche Risiken neu zu justieren, schreibt mein Kollege Gordon Repinski in einem Kommentar zur aktuellen Corona-Politik. Die wahren Risiken sieht er darin, dass eine Gesellschaft sich in Abschottung begibt, obwohl sich die Anzeichen mehren, dass mit der Omikron-Variante die Notsituation sich entspannt und nicht verschärft.
Eine Impfpflicht und andere weitreichende Freiheitseinschränkungen, schreibt Gordon Repinski, seien nicht mehr vertretbar, wenn das gesellschaftliche Risiko einer Virus-Infektion beherrschbar wird.
Die Inflation in der Türkei hat den höchsten Wert erreicht seit Recep Tayyip Erdogan vor fast zwei Jahrzehnten an die Macht kam: Um 36 Prozent stieg der Verbraucherpreisindex im vergangenen Dezember gegenüber dem Vorjahresmonat.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Erdogan-Inflation
Jährliche Änderungsrate des Verbraucherpreisindex in der Türkei seit 2014, in Prozent
Damit legte die türkische Geldentwertung einen erneuten Sprung gegenüber der Inflationsrate von 21 Prozent im Vormonat hin – das neueste Ergebnis von Erdogans turbulenter Zinspolitik. Der Präsident hatte die Zentralbanken in den vergangenen Monaten angewiesen, die Zinssätze trotz durchgehend zweistelliger Inflationsraten zu senken.
Sein Beharren darauf, dass die Bank ihren Leitzins seit September um insgesamt 5 Prozentpunkte auf 14 Prozent senkte, hat zu stark negativen Realzinsen geführt, was Investoren wiederum dazu veranlasste, aus der türkischen Lira zu fliehen und die Inflation anzuheizen.
Fazit: Erdogan, der 2003 als Modernisierer und Wirtschaftsfreund begonnen hatte, stürzt sein stolzes Land immer tiefer in die ökonomische Misere. Sein heimliches Motto: Ist der Ruf erst ramponiert, ruiniert sich's gänzlich ungeniert.
Apple hat es geschafft: Als erstes Unternehmen in der Geschichte erzielte der iPhone-Hersteller aus Kalifornien heute Nacht einen Börsenwert von drei Billionen US-Dollar. Zeitweise meldete der Aktienkurs das dafür nötige Rekordhoch von 182,88 Dollar.
Eine Infografik mit dem Titel: Apple: Rasantes Wachstum
Wie viele Jahre hat Apple pro Billion Börsenwert gebraucht?
Eine kleine Interpretationshilfe dieser immensen Geldsumme:
Die Wirtschaftsleistung Großbritanniens lag 2020 bei 2,7 Billionen Dollar, die von Deutschland bei 3,8 Billionen.
Alle 40 Unternehmen des Dax kommen gemeinsam auf einen Börsenwert von rund 2,16 Billionen Dollar.
Fazit: Apple ist die Ausnahmefirma des Internetzeitalters. Der amerikanische Traum wohnt derzeit nicht im Weißen Haus und nicht in Hollywood, sondern in Cupertino.
Halbleiter- und Chipmangel, aber auch die gestörten Lieferketten halten Tesla nicht davon ab, neue Rekorde aufzustellen: Im vierten Quartal konnte der Elektropionier 308.600 Fahrzeuge an seine Kunden ausliefern und lag damit 28 Prozent über dem bisherigen Rekord, der im dritten Quartal 2021 aufgestellt wurde. Damit übertraf das Unternehmen auch die Schätzungen der Analysten.
Die Gesamtzahl der Auslieferungen stieg 2021 auf 936.172, gegenüber 499.550 im Vorjahr. Nun blicken die Analysten optimistisch ins neue Jahr: Durch die Inbetriebnahme von zwei neuen Fabriken rechnen sie mit einem weiteren Anstieg der Verkaufszahlen, wobei die Auslieferungen laut ihren Prognosen in 2022 voraussichtlich 1,42 Millionen erreichen werden.
Diese Zahlen lassen auch die Börse nicht kalt: Bereits im frühen Handel stieg das volatile Papier um bis zu zehn Prozent. Bis zum Ende des Tages schoss es an der Nasdaq um insgesamt rund dreizehn Prozent nach oben. Dem sprunghaften Anstieg der Aktie folgte auch der Börsenwert: 1,2 Billionen US-Dollar ist das Unternehmen von Elon Musk nun wert.
Fazit: Apple light!
Die Medienlandschaft in Hongkong dünnt sich weiter aus: Aus Angst vor staatlicher Repression stellt das unabhängige Onlinemedium „Citizen News“ seine Arbeit mit dem heutigen Tag ein. „Schweren Herzens“ gab das Nachrichtenportal bekannt, dass die Internetseite nach fünf Jahren abgeschaltet werde. Die Plattform sei in einer „kritischen Lage“ und müsse die „Sicherheit und das Wohlergehen“ ihrer Mitarbeiter schützen. Am Sonntagabend teilte das Medium über Facebook in einer Stellungnahme mit:
Wir können leider unsere Überzeugungen in der Realität nicht mehr ohne Angst umsetzen.
Bereits in der vergangenen Woche wurde die Einstellung des Onlineportals „Stand News” verkündet, nachdem die Polizei sieben Journalisten und Unterstützer des Mediums festgenommen, die Redaktionsräume durchsucht und Vermögenswerte beschlagnahmt hatte. Bereits im Juni hatte die Tageszeitung „Apple Daily“ des Medienunternehmers und Demokratieaktivisten Jimmy Lai nach 26 Jahren ihre Arbeit eingestellt.
Fazit: Erst stirbt die Meinungsfreiheit, dann die Demokratie. In Hongkong zeigt Chinas KP, dass sie mit ihrer Redewendung von der „harmonischen Gesellschaft” die Harmonie einer Friedhofsanlage meint.
2021 war das Jahr, in dem die Top-Stars der Musikbranche Kasse machten indem sie ihre Rechte verkauften. Dabei konnte vor allem Bruce Springsteen eine spektakuläre Verkaufssumme erzielen: Er kassierte rund 500 Millionen US-Dollar. Es handele sich um den größten Deal, der bisher für das Werk eines einzelnen Künstlers abgeschlossen wurde.
2020 hatte bereits Bob Dylan seine Rechte verkauft – der Preis soll sich im neunstelligen Bereich bewegen. Gestern wurden von den Erben die Musikrechte an den Songs von David Bowie verkauft.
Diese Ereignisse zeigen: Die Zeiten, in denen von brotloser Kunst gesprochen werden durfte, sind Gott sei Dank vorbei.
Wir erinnern uns: Es ist noch nicht lange her, dass Sänger und Schriftsteller zwar mit Weltenruhm bedacht, aber eben nicht in gleicher Weise finanziell entlohnt worden. Theodor Storm beispielsweise, der Verfasser des Schimmelreiters und damit einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, musste schon zwei Jahre nach seinem Einzug in das neue Haus im Husumer Hafenviertel aus finanziellen Gründen die gesamte untere Etage vermieten und sich mit seiner Frau und einem halben Dutzend Kindern in die obere Etage verziehen. Nur durch eine nachträglich eingebaute Notstiege ließ sich dieses geschrumpfte Refugium des schon damals gefeierten Schriftstellers betreten.
Der Heimatdichter mit Weltruhm scheint diese Ungerechtigkeit geahnt und für sich akzeptiert zu haben:
Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man hat, und wenn es krumm und knorrig wäre.
Heutzutage würde einer wie Theodor Storm nicht nur die untere Etage wieder sein Eigen nennen. Wahrscheinlich gehörte ihm auch ein Gutteil der Husumer Altstadt.
Andererseits: Sein Zeitgenosse und Brieffreund Theodor Fontane mahnte wie viele andere Geistesgrößen der damaligen Zeit zur unbedingten Demut:
© dpaWenn man glücklich ist, soll man nicht noch glücklicher sein wollen.
Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in diesen neuen Tag. Bleiben Sie mir gewogen.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr