Aufschlag Scholz

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Guten Morgen,

Olaf Scholz darf zwar die SPD nicht führen, aber Deutschland regieren, das soll er schon. Ausgerechnet die, die ihn schlugen, küssen ihn nun. Das gab es bisher nur in den Filmen von Altmeister François Truffaut.

Drei Anmerkungen zu dieser Entscheidung aus dem Regiebuch der Parteipolitik.

Erstens: Die nach links gerückte SPD baut mit der Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz ein potemkinsches Dorf, das dem Publikum eine gediegene Bürgerlichkeit vorspielen soll, die es im wahren Innenleben der SPD schon länger nicht mehr gibt. Scholz ist der Attrappenkandidat, der nun ins Schaufenster gestellt wird, um mit seiner biederen Verlässlichkeit jene Laufkundschaft zu locken, die früher bei Gerhard Schröder oder Helmut Schmidt anschreiben ließ.

Zweitens: Das Copyright für die Scholz-Politik, das allerdings müssen die Käufer wissen, liegt bei Angela Merkel. Er und sie sind einander durch ein unsichtbares Leitungssystem symbiotisch verbunden. Beide verkörpern den Typus des Gegenwartspolitikers, der fleißig das Hamsterrad der Probleme bewegt, ohne der Zukunft damit näher zu rücken. Scholz ist bekennender Antivisionär. Die Agenda 2010, das zur Erinnerung, hat der damalige SPD-Generalsekretär verkauft, aber nicht konzipiert.

Drittens: Die Chancen eines Kandidaten Scholz hängen auch davon ab, welches Gegenangebot Union und Grüne dem Wahlvolk zu unterbreiten haben. Ein Angebot zu taxieren, derweil noch kein Alternativangebot feststeht, gleicht journalistischem Voodoo. Immerhin wurde hier ein Politiker nominiert, der Regierungserfahrung besitzt, der aus der Mitte der Gesellschaft stammt und der in seiner persönlichen Lebensführung durch keinerlei Extravaganzen aufgefallen ist. Über diese Latte müssen die anderen Parteien erst mal springen.

Fazit: Olaf Scholz ist durchaus aus Kanzlerholz geschnitzt, auch wenn die Deutschen in ihm derzeit nicht einen idealen Regierungschef sehen. Er ist nun mal ein Vernunftspolitiker, der keinen Wärmestrom auslöst. Für Olaf Scholz gilt daher der alte Sponti-Spruch: Du hast keine Chance, also nutze sie.

Eine Infografik mit dem Titel: Wer hat welche Chance?

Antwort auf die Frage nach der direkten Kanzlerwahl

John Bolton ist das Schreckgespenst des liberalen Amerikas: Erzkonservativ. Wortgewaltig. Der Vater aller Falken. Donald Trump versuchte, ihn zu mäßigen, was im Zerwürfnis der beiden Männer endete. Als Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus wollte Bolton am liebsten Kampfgeschwader gegen missliebige Regime aller Art losschicken, derweil sich Donald Trump in aller Regel mit dem Abfeuern von Twitter-Nachrichten begnügt.

 © dpa

Am Freitag erscheint in Deutschland das neue Buch von John Bolton. Das Weiße Haus hat versucht, dessen Erscheinen zu verhindern. Vergeblich. Der Titel lautet: „Der Raum, in dem alles geschah“. Es bietet mit scharf gestellter Linse einen Blick in das Innenleben der Weltmacht USA.

 © ThePioneer

Per Skype-Video habe ich für den Morning Briefing Podcast mit John Bolton gesprochen: Er in seinem Büro in Washington DC und ich auf der Pioneer One in Berlin. Wir haben gesprochen über Donald Trump, seinen Charakter und seinen Arbeitsstil. Und wir haben gestritten über John Bolton und seine belletristische Weltsicht, in der Scharfschützen und militärische Luftschläge mehr zählen als Nachdenklichkeit und Argumente.

 © imago

Über seinen ehemaligen Chef sagt er:

Er trifft keine Entscheidungen aufgrund von philosophischen, gesamtstrategischen oder politischen Überlegungen, so, wie es in Washington üblich ist. Er fällt alle Entscheidungen nur unter dem Gesichtspunkt seiner Wiederwahl.

Trumps Arbeitsstil charakterisiert er wie folgt:

Er bevorzugt definitiv einen anderen Zeitplan als alle anderen Präsidenten vor ihm, die immer relativ früh in den Tag gestartet waren. Vor mittags um zwölf macht er keine offiziellen Termine.

Über Trumps Kapazität urteilt John Bolton hart:

Ich glaube nicht, dass er kompetent genug ist, um Präsident zu sein.

 © dpa

Porsche erzielte im ersten Halbjahr einen operativen Gewinn von 1,23 Milliarden Euro. Damit ist der Sportwagenhersteller nicht nur im deutschen, sondern auch im europäischen Vergleich Spitzenreiter. Das Ziel von 15 Prozent Umsatzrendite konnte Porsche damit zwar nicht erreichen. Doch in Zeiten von Corona sind 10 Prozent Umsatzrendite spektakulär.

Eine Infografik mit dem Titel: Porsche liegt in Europa vorn

Operatives Ergebnis des 1. Halbjahres 2020, in Milliarden Euro

Im weltweiten Vergleich der Autohersteller schneidet nur Toyota mit einem Gewinn von 2,91 Milliarden Euro im ersten Halbjahr besser ab. Zwar erzielte der japanische Autobauer in den Monaten April bis Juni nur rund 110 Millionen Euro im operativen Geschäft, 98 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. In den ersten drei Monaten von 2020 konnte Toyota sich allerdings mit einem operativen Gewinn von 2,8 Milliarden Euro einen beeindruckenden Puffer erwirtschaften.

 © ThePioneer

Heute feiert der ehemalige ZDF-Journalist Steffen Seibert, 60, sein zehnjähriges Jubiläum im Amt des Regierungssprechers. Er ist damit der dienstälteste Kommunikator eines europäischen Regierungschefs. ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker wartet mit einer Analyse auf, die Seiberts Stärken, seine Schwächen und seine Zukunft beschreibt.

 © dpa

Während die großen Einkaufszentren ums ökonomische Überleben kämpfen, treibt Amazon seine Bequemlichkeitsrevolution voran.

Die großen Einkaufszentren sollen demnach nicht mehr belebt, sondern als Logistikzentren gefleddert werden. Das „Wall Street Journal“ berichtet, dass Amazon mit der Simon Property Group, Amerikas größtem Mall-Besitzer, über leere Einzelhandelsflächen verhandelt. Amazon würde die stadtnahen Räumlichkeiten von Sears und JCPenney gern übernehmen, um die gut gelegenen Flächen als Außenlager zu benutzen. Der Einzelhändler geht, der Bote kommt. Die Welt wird so kein besserer, nur ein kühlerer Ort.

 © imago

Immer mehr Experten warnen davor, dass die Zahl der Kreditausfälle coronabedingt steigen könnte. Im Extremfall würde auf die Wirtschaftskrise eine Bankenkrise folgen, wenn eine Reihe großer Zahlungsinstitute dadurch in Schieflage geriete.

► Die Unternehmensberatung Accenture rechnet in ihrer Untersuchung „How Banks Can Prepare for the Looming Credit Crisis” damit, dass europäische Banken in diesem Jahr Kredite in Höhe von bis zu 415 Milliarden Euro abschreiben müssen. Damit seien die möglichen Verluste fast doppelt so hoch wie während der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009.

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► Dafür sprechen auch die jüngsten Quartalszahlen von HSBC. Europas größte Bank meldete im zweiten Quartal einen Nettogewinnrückgang von 96 Prozent auf 192 Millionen Dollar. Der Grund: Die Rückstellungen für mögliche Kreditausfälle im Zuge der Coronakrise fielen mit 3,8 Milliarden Dollar deutlich höher aus als erwartet. Die Bank warnt, ihre Risikovorsorge für das Gesamtjahr könne nun acht bis 13 Milliarden Dollar betragen.

► Für die größtmögliche Unklarheit im Finanzsektor sorgen ausgerechnet jene Hilfspakete, die zur Linderung der Lage gedacht waren: Die im März von der Bundesregierung beschlossenen Hilfen für Unternehmen haben nämlich dazu geführt, dass eine große Zahl von Unternehmen, die überschuldet sind, keinen Insolvenzantrag stellen müssen.

Die nicht gestellten Insolvenzanträge stauen sich auf – und sorgen im Finanzsektor für ein Höchstmaß an Intransparenz. NordLB-Firmenkundenvorstand Günter Tallner hält mit seiner düsteren Einschätzung nicht hinterm Berg:

Die Einschläge werden kommen.

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In Weißrussland brodelt es. Das Wahlergebnis für den Diktator Alexander Lukaschenko von 80 Prozent erscheint immer mehr Bürgern in der Landeshauptstadt Minsk als Provokation.

In den sozialen Medien wird von schweren Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten berichtet. In Minsk soll das Gebäude des Geheimdienstes angegriffen worden sein.

 © dpa

Die Polizei versucht, die Demonstranten aus dem Zentrum zu verdrängen. Mit Veröffentlichung des offenbar gefälschten Wahlergebnisses brach nicht die Diktatur, wohl aber deren bürgerliche Fassade zusammen.

Oder um es mit dem Satiriker Wolfgang Neuss zu sagen:

Man muss die Leute belügen, damit sie die Wahrheit herausfinden.

 © ThePioneer

Das journalistische Leben auf dem Reaktionsschiff ThePioneerOne kennt keine Sommerpause:

Heute um 16:00 ist die Schriftstellerin Juli Zeh zu Gast, die mit ihrem 2016 veröffentlichten und inzwischen verfilmten Roman „Unterleuten“ eine dichte Milieustudie der ostdeutschen Provinz vorlegte. Im Gespräch mit Marina Weisband und ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker geht es um das Thema „Kontrolle“.

 © ThePioneer

Am Donnerstag ist die Berliner Starfotografin Anne Hufnagl an Bord. Im Interview mit dem stv. Chefredakteur Gordon Repinski spricht sie über das perfekte Politiker-Motiv, überraschende Perspektiven – und die Eitelkeiten des Hauptstadtbetriebs. Und sie gibt Einblicke in ihre neustes fotografisches Projekt.

Ich habe für treue Leserinnen und Leser des Morning Briefings ein paar wenige Karten bei Seite legen können. Wer Zeit und Lust hat, mein Ehrengast zu sein: bitte melden! Am besten per Mail an events@mediapioneer.com

Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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