Außenpolitik ohne Wumms

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Guten Morgen,

die Tatsache, dass Deutschland ein ökonomischer Riese und zugleich ein politischer Zwerg ist, bildete jahrzehntelang das Betriebssystem unserer Exportnation. Die anderen sollten wie gehabt schießen und streiten. Wir machten im Windschatten der großen Konflikte lieber gute Geschäfte. Und zwar mit Jedermann:

  • 2019 wurden Waren im Wert von 206 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt. Ohne die Erträge aus China stünden unsere Maschinenbauer und auch die Autofirmen auf wackeligen Beinen.

Eine Infografik mit dem Titel: Auch China profitiert

Import- und Exportgeschäft zwischen China und Deutschland 2019, in Milliarden Euro

  • Auch mit Amerika ist die deutsche Exportindustrie groß im Geschäft. Im Saldo der Außenhandelsbilanz erzielte Deutschland 2019 einen Überschuss von 47,29 Milliarden Euro. In Ungleichgewichten wie diesen gründet Trumps „America First“-Kampagne.

Eine Infografik mit dem Titel: Trumps Ärgernis

Import- und Exportgeschäft zwischen Deutschland und den USA 2019, in Milliarden Euro

  • Der Außenhandelssaldo mit den Vereinigten Arabischen Emiraten lag 2019 bei einem Plus von 7,66 Milliarden Euro, gegenüber Saudi-Arabien bei 4,74 Milliarden Euro. Die „wertebasierte Außenpolitik“, von der bei Heiko Maas oft die Rede ist, findet hier ihre Begrenzung.

Diese im Grunde unpolitische Positionierung ist nicht länger haltbar, sagt Wolfgang Ischinger, der frühere Botschafter in London und Washington und heutige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz:

Wir leben in einer Zeitenwende, in der die lieb gewordenen Gewissheiten deutscher Außenpolitik nicht mehr gelten. Es muss sich etwas ändern.

Wolfgang Ischinger © Credit: Anne Hufnagl

In seinem neuesten Report, der gestern im Rahmen einer gemeinsam veranstalten Konferenz an Bord der PioneerOne vorgestellt wurde, heißt es:

Die globale Wirtschaft wird immer stärker von geopolitischen Erwägungen bestimmt. Für den Handelsstaat Deutschland, global vernetzt wie kaum ein zweiter, ist die neue Ära des Großmachtwettbewerbs auch eine ökonomische Herausforderung. Es kann dieser Entwicklung nicht aus dem Weg gehen, sondern wird harte Entscheidungen treffen müssen.

Die Amerikaner verlangen Gefolgschaft, wie sich an den aktuellen Konflikten um die Nordsee Pipeline, die Iran-Sanktion und den Ausschluss von Huawei aus den deutschen Telekommunikationsverbindungen zeigt. Deutschland reagiert verwirrt – oder gar nicht. Der Report weiß warum:

Deutsche Außenpolitik verändert sich – aber die Welt um uns herum verändert sich schneller.

Was bislang fehlt, ist ein von der politischen Klasse getragener Wille zu einer neuen deutschen Außenpolitik, die ein „souveränes Europa“ erst möglich macht.

Eine Infografik mit dem Titel: Wenig Geld für die Außenpolitik

Anteile an den Gesamtausgaben des Bundeshaushalts 1950 bis 2019, in Prozent

Nach dem Fall der Mauer und der Implosion der Sowjetunion habe Deutschland eine Friedensdividende kassieren können, so Ischinger. Anhand der Ausgaben im Bundeshaushalt beweist er, dass die Gelder zur Lösung internationaler Konflikte (siehe Grafik) schrumpften und der Anteil des Etats, der zur Befriedigung von Ansprüchen im Inland ausgegeben werden konnte, gleichzeitig stieg.

Diese Grafik erzählt die Geschichte einer bis dahin glücklichen Nation.

Aber wie denkt die Bevölkerung über das Ende der friedlichen Koexistenz, die sich in der Zeit unmittelbar nach dem Kalten Krieg herausgebildet hat? Zumindest die Zuschauer der Tagesschau, die Leser einer Tageszeitung und auch die Freunde des Morning Briefings sind im Bilde über die sich vollziehende Kontinentaldrift. Je höher die Bildung, das Einkommen und die Position im Berufsleben, so der Report, desto klarer wird die Zäsur in den Auswärtigen Angelegenheiten auch als solche empfunden.

 © Credit: Anne Hufnagl

Die Meinungsumfragen kommen zu folgenden Erkenntnissen:

  • Ein beachtlicher Anteil der Bevölkerung spricht sich für ein selbstbewussteres Auftreten Deutschlands gegenüber den USA, China und Russland aus. So sind 69 Prozent der Bürger der Ansicht, dass Deutschland gegenüber der Volksrepublik zu zurückhaltend auftritt – eine Meinung, die über Parteigrenzen hinweg geteilt wird.

Eine Infografik mit dem Titel: Geringe Ausgaben

Deutsche Militärausgaben 1953 bis 2019

  • 64 Prozent sind der Ansicht, dass sich die EU enger zusammenschließen soll und fordern dafür ein größeres Engagement der Regierung.

  • Das spiegelt sich auch in der Beurteilung der EU-Außenpolitik wieder: 94 Prozent erachten es als sehr wichtig oder wichtig, dass die EU in außenpolitischen Fragen geschlossen auftritt.

Wolfgang Ischinger sagt dazu:

Wir müssen zu Mehrheitsentscheidungen in der EU kommen. Wo bleibt die Initiative der Bundesregierung?

Eine Infografik mit dem Titel: Immer mehr Krisen

Anzahl bewaffneter Konflikte 1946 bis 2018

Fazit: Die Bevölkerung ist weiter als die Regierung. Sie spürt, was die Experten bei diesem Treffen deutlich artikulierten: Die deutsche Außenpolitik muss sich verändern, oder das Land wird verändert.

Der ARD-DeutschlandTrend liefert Hinweise darauf, dass die Bevölkerung der Regierung in Sachen Corona keineswegs blind vertraut. 85 Prozent der Befragten sagen, es gehe in die richtige Richtung, private Feiern wie Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern nur noch für höchstens 50 Gäste zu erlauben.

Gleichzeitig meint eine knappe Mehrheit der Deutschen, man sollte in der Corona-Krise vor allem auf die Eigenverantwortung der Menschen statt auf strenge Regeln setzen. 54 Prozent stimmen dieser Aussage zu; 43 Prozent stimmen ihr nicht zu.

Eine Infografik mit dem Titel: Geteilte Republik

Zufriedenheit der Deutschen mit der Demokratie, in Prozent

Fazit: Die Deutschen führen - womöglich auch in Ermangelung einer ernst zu nehmenden parlamentarischen Opposition - ein Selbstgespräch über das richtige Maß von Kontrolle und Freiheit.

Donald Trump und Hope Hicks © imago

Donald Trump und seine Frau Melania werden einen „quarantine process“ beginnen, sagte der Präsident heute Nacht. Der Grund: Hope Hicks, eine Beraterin, ist positiv auf das Coronavirus getestet worden. Die 31-Jährige war mit dem Präsidenten zur TV-Debatte nach Cleveland in Ohio gereist und hatte ihn am folgenden Tag zu seiner Wahlkampfveranstaltung nach Minnesota begleitet. Nun haben auch Donald Trump und Melania Corona. Der amerikanische Wahlkampf des Jahres 2020 ist um eine Verrücktheit reicher.

Bert Rürup © dpa

Der ehemalige Chef der Wirtschaftsweisen und heutige Präsident des Handelsblatt Research Institute neigt nicht zum Alarmismus. Professor Bert Rürup ist bekannt für sein abgewogenes Urteil und seinen moderaten Ton. Der bekennende Sozialdemokrat ist von Haus aus kein Wirtschaftsliberaler und – als EZB-Kritiker aufgefallen ist er bisher auch nicht.

Umso erstaunlicher fällt seine Abrechnung im heutigen „Handelsblatt“ aus. Härter ist seit langem niemand mehr mit der EZB ins Gericht gegangen. Bert Rürup schreibt:

„Die Notenbanken mutierten zum universalen Retter von Anlegern, Banken und Staaten. Gewinne auf dem Kapitalmarkt blieben privat, während Verluste zunehmend häufiger sozialisiert wurden – zentrale marktwirtschaftliche Prinzipien wurden außer Kraft gesetzt. Ein vom Wähler legitimiertes Mandat für diese wirtschaftspolitische Allkompetenz gibt es nicht.“

„Verlierer dieser Politik könnten die Klein- und Normalverdiener werden.“

Dass es ohne die expansive Geldpolitik weit mehr Arbeitslose gäbe, darf man freilich als Schutzbehauptung hyperaktiver Notenbanker betrachten.

 © dpa

„Neuerdings vertritt die EZB gar die Ansicht, sie müsse bei ihrer Politik Klimaschutzaspekte stärker berücksichtigen. Faktisch betreiben die Notenbanken damit Wirtschafts-, Finanz- und Umweltpolitik, die eigentlich demokratisch legitimiert sein sollten.“

„Das Wegducken der gewählten Politiker vor unangenehmen Entscheidungen und deren Abschieben auf die Zentralbanken kommt einem Offenbarungseid der Demokratie nahe – welch dramatische Fehlentwicklung!“

Pflichtlektüre für alle, die sich um den Zustand unserer Demokratie sorgen.

 © imago

Der Start in den Oktober war für die Bayer AG ein Debakel: Das Unternehmen, das weltweit rund 103.000 Menschen beschäftigt, musste gestern eine Gewinnwarnung veröffentlichen. Es sind drei unbequeme Wahrheit, die Investoren und Mitarbeitern einen Schauer über den Rücken jagten:

  1. Die Corona-Krise, die das weltweite Wachstum bremst und weite Teile der Welt in Armut stürzt, wird das Bayer-Geschäft bis weit ins Jahr 2021 belasten. Die Leverkusener erwarten stagnierende Umsätze und ein Ergebnis pro Aktie, das unter dem Vorjahr liegt.

Eine Infografik mit dem Titel: Das Krisenjahr

Aktienkurs der Bayer AG seit dem 24. Juni 2020, in Euro

2. Die weltweiten Aussichten sind – auch angesichts eines noch immer weitgehend unvorhersehbaren Infektionsgeschehens – derart trübe, dass die britische Investmentbank HSBC kaum Hoffnung auf Kurserholung hegt. Sie stufte das Kursziel von knapp 80 Euro auf und unter 60 Euro zurück.

3. Diese Düsternis wiederum wirkt wie ein Aufputschmittel für Gerüchteköche und Flüsterstrategen. Der Analyst von Union Investment prophezeit:

Wahrscheinlich werden über kurz oder lang wieder die Themen Aufspaltung des Konzerns und Managementwechsel zur Diskussion stehen.

Der Mann weiß, solche Sätze sind zuweilen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Fakt ist: Der Glyphosat-Vergleich hat die Lage von Bayer beruhigt, aber nicht bereinigt. Gestern gab es wieder mehr Verkäufer als Käufer, weshalb die Papiere in der Spitze um 13 Prozent abstürzten. Seit Ende 2019 hat Bayer damit mehr als ein Drittel seines Wertes verloren.

Das profitabelste Geschäft der nächsten Jahre ist offenbar der Abbau von Jobs, wie er im vergangenen Jahr schon mit dem Betriebsrat verabredet worden war: 12.000 Arbeitsplätze sollen – so zumindest wird es den Fondsmanagern vorgerechnet – einen positiven Ergebnisbeitrag von 2,6 Milliarden Euro bringen. So gesehen wäre die Liquidierung der Firma ein Bombengeschäft.

Elon Musk © dpa

Elon Musk als Retter: Der rheinland-pfälzische Autozulieferer ATW wird nach Informationen der Morning-Briefing-Redaktion übernommen – und zwar vom Elektroautobauer Tesla. Im September hatten Betriebsrat und Unternehmensleitung das Aus verkündet und damit 210 Mitarbeiter geschockt.

Das ist nun vom Tisch, die Arbeitsplätze werden gerettet.

Am Dienstag erhielten ATW-Geschäftspartner per Schreiben die Nachricht, dass sich ATW mit „einem Hersteller von Elektrofahrzeugen in Kalifornien“ auf die Übernahme geeinigt habe. Dieser Hersteller ist Tesla, wie das Management mittlerweile in Erfahrung brachte.

Bei einer ATW-Feier am Freitag wurde auf die Übernahme angestoßen. Dazu fuhren Tesla-Fahrzeuge mit dem Kennzeichen „BIT“ für Bitburg vor, dort residiert das Unternehmen Tesla Grohmann Automation GmbH. Die Firma Grohmann wurde bereits im Januar 2017 von Tesla übernommen.

Henryk M. Broder © imago

Im Morning Briefing Podcast unterhält sich Welt-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld mit dem Publizisten Henryk M. Broder über ein Thema, das alle betrifft: das Älterwerden.

Die Corona-Pandemie erlebt der 74-Jährige als Mitglied einer Risikogruppe. Er sagt:

Hüpfen tue ich lange nicht mehr. Ansonsten war ich schon immer eine Risikogruppe. Ich bin zu klein. Ich habe Übergewicht, eine leichte Neigung zu ungesunder Ernährung. Mein einziges Alibi ist: Ich rauche und trinke nicht. Deswegen halte ich mich für kerngesund.

Über den Blick von außen auf seine Altersgruppe sagt er:

Ich brauche mich auf den Blick von außen gar nicht einzulassen. Ich höre nur auf meine innere Stimme. Diese innere Stimme schlägt jeden Tag aufs Neue Alarm.

Über das Coronavirus sagt er:

Über dieses Virus könnte man wieder anfangen, an Gott zu glauben.

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Podcast-Folge

Seine Definition von Alter lautet:

Das Altwerden ist ein unvermeidbares Unglück.

Henryk M. Broder © imago

Seine Strategie dagegen:

Ich versuche, zur Jugend zurückzukehren und immer närrischer und kindischer zu werden.

Henryk M. Broder © imago

Prädikat wertvoll: Henryk M. Broder gibt der uns entwischten Lebenszeit ihren Sinn zurück. Oder um mit Sören Kierkegaard zu sprechen: „Das Leben wird nach vorne gelebt und nach hinten verstanden.

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Start in das Wochenende, das ich meinerseits gerne mit einem Morning Briefing Sonder-Podcast bereichern würde. Alles Weitere dazu morgen früh!

Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer

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