die Lobbyisten aller Branchen haben sich auf den heutigen Tag gefreut wie Kinder auf die Bescherung. Denn der Koalitionsausschuss, der gestern bis 23 Uhr tagte und heute um 10 Uhr weiterverhandeln will, dürfte sie mit einem Konjunkturpaket reich beschenken:
► Die Autoindustrie eilte in den vergangenen Jahren von Gewinn zu Gewinn. Nun freut sich die Branche auf eine Abwrackprämie 2.0, die diesmal aber anders heißt: Innovationsprämie. Das wollen CDU und CSU durchsetzen. Vorgeschlagen ist eine Basisprämie von 2500 Euro, die aufgestockt wird, wenn man besonders umweltfreundliche Autos kauft. Insgesamt könnten die Prämien fünf Milliarden Euro kosten.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Gewinne der großen Autokonzerne
Konzernergebnisse nach Steuern von BMW, Daimler und Volkswagen, in Milliarden Euro
► Die Kommunen sollen entlastet werden, weil in der Corona-Krise die Steuereinnahmen schwinden. Die Union will, dass Bund und Länder die wegbrechende Gewerbesteuer ausgleichen; die SPD will zusätzlich auch die Altschulden der Kommunen auf den Bund übertragen. Beides zusammen könnte den Bund mehr als 28 Milliarden Euro kosten.
► Vor allem die SPD macht sich für einen Familienbonus stark – einmalig 300 Euro pro Kind, auch um den Konsum und damit die Konjunktur anzukurbeln. Geplante Kosten: 4,3 Milliarden Euro.
► Um die 28 Milliarden Euro möchte Verkehrsminister Andreas Scheuer für Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur bereitstellen. Im Gespräch sind auch Milliardenhilfen für die kriselnde Deutsche Bahn.
► Der Rettungsplan der Regierung für die durch Lockdown und Reisebeschränkung in existenzielle Nöte geratene Lufthansa sieht vor, dass der staatliche Wirtschaftsstabilisierungsfonds im Zuge einer Kapitalerhöhung Aktien zeichnet, um eine Beteiligung von 20 Prozent am Grundkapital der Fluggesellschaft aufzubauen. Zudem sind stille Einlagen von insgesamt bis zu 5,7 Milliarden Euro sowie ein Kredit in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro geplant.
Zwei Dinge sind bei den Verhandlungen, die jetzt gleich fortgesetzt werden sollen, bemerkenswert:
Erstens. Es gibt keinen einzigen Teilnehmer der Runde, der mit alternativen Ideen aufwarten kann. Alle wollen die Wirtschaft, nach dem sie ihr im Zuge des Shutdowns die Nachfrage entzogen haben, nun einem staatlichen Nachfrageschock aussetzen, der in Summe Billionen kosten wird. Die kostensparende Idee, die Angebotsbedingungen zu verbessern, also den Staatseinfluss nicht auszubauen, sondern gezielt zurückzunehmen, scheint bei Hofe nicht wohl gelitten. Anmerkungen wie die des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie, man möge doch „Ineffizienz, Bürgerferne und Überregulierung in großen Teilen der öffentlichen Verwaltung“ ins Zentrum der Debatte stellen, stoßen bei CDU, CSU und SPD auf taube Ohren. Der Retterstaat will sich jetzt selber spüren und nicht sich selbst verändern.
Zweitens. Was in der Wirtschaft und auch in jedem privaten Haushalt undenkbar wäre, ist bei den Gesprächen um die Milliardenhilfen bittere Realität. Es wird ausschließlich über Geldausgaben gesprochen. Der zweite Teil der Debatte, der bei jeder Investitionsplanung dazugehört, die Gegenfinanzierung, fehlt. Damit ist die ökonomische Grundrechenart, die besagt, dass jeder Ausgabe eine Einnahme gegenüberstehen muss, außer Kraft gesetzt.
Fazit: Die Marktwirtschaft wird von ihren Feinden bekämpft, aber von ihren Freunden verformt. Der Staat, der in der Vor-Corona-Welt die Rolle des Schiedsrichters spielte, hat den Rasen betreten. Er will nicht mehr nur pfeifen, er will Tore schießen.
► Konsens gibt es im Kreis der Großen Koalition beim geplanten Kinderbonus. Alev Doğan und Rasmus Buchsteiner haben sich deshalb bei Kinderschutzbund und Kommunen umgehört, wie eine einmalige Erhöhung des Kindergeldes eigentlich wirken würde.
► Die Mieten in den Ballungsräumen explodieren, doch ein interner Bericht des Bundesbauministeriums zeigt, dass die Zahl der Sozialwohnungen sogar noch mal gesunken ist. Vor allem in Berlin ist die Lage für Niedrigverdiener dramatisch.
Die Nach-Merkel-Ära hat begonnen, zumindest gedanklich. 29 Bundestagsabgeordnete haben sich mit 35 Experten zusammengetan und über die Zeit danach gesprochen. Das Ergebnis ist jetzt als Buch erschienen und heißt „Neustaat“. Über Nacht kletterte das gestern erst erschienene Werk bei Amazon auf Verkaufsrang Nummer 14. Es liest sich wie der Masterplan für die Zeit nach Merkel, die eine Zeit der Reformen sein soll. In dem Buch wird abgerechnet mit einer Gegenwart, die im Grunde vergangen ist:
Unter der Last neuer Herausforderungen und der Komplexität der eigenen Strukturen fängt die Muskulatur unseres Staates an zu krampfen. Die Folge sind langwierige Prozesse, unzufriedene Bürger und gescheiterte Projekte.
Der Staat in seiner heutigen Verfasstheit sei nicht die Lösung, sondern das Problem:
Staatliche Prozesse sind zu bürokratisch, zu komplex und zu langwierig organisiert, als dass sie mit der Dynamik der Welt noch Schritt halten könnten.
Für die Bürger hat dieser Moloch, der seine Zahler wie Untertanen behandelt, nicht viel zu bieten, schon gar nicht Zuversicht:
Unser Staat bietet den Bürgern kein optimistisches Bild von der Zukunft.
Doch die Autoren kritisieren nicht nur, sie zeigen auch auf, wo der Staat besser werden und den Bürgern eine optimistische Zukunft aufzeigen kann.
Mein Team und ich haben mit einem Dutzend der Autoren und Autorinnen gesprochen. Sie waren bereit, uns ihre radikalsten Reformideen zu präsentieren und die entsprechenden Passagen aus dem Buch vorzutragen. So entstand der Beitrag für das heutige Morning Briefing und – darüber hinausgehend – ein dieser Reformtruppe gewidmeter Sonderpodcast, der um 11:00 Uhr veröffentlicht wird. Der beweist: Hinter der verhärteten Fassade einer in ihrer Denk- und Handlungsweise eingerosteten Regierung tut sich was. Unterm Pflaster wächst der Strand.
Seit Tagen kommt es in zahlreichen US-Städten zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Auslöser ist der Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis (Bundesstaat Minnesota) am Montag vergangener Woche. Das ist die Lage am heutigen Morgen:
► Medienberichten zufolge sind zwei weitere Menschen bei Protesten gegen Polizeigewalt in Cicero, einem Vorort von Chicago, ums Leben gekommen.
► Am Dienstag rief die US-Musikindustrie einen „Blackout Tuesday“ aus. Unzählige Menschen reagierten vor allem bei Instagram, veröffentlichten komplett schwarze Bilder und kommentierten sie mit #BlackoutTuesday.
© dpa► Nach Massenprotesten und erneuten Plünderungen in New York wurde die nächtliche Ausgangssperre bis einschließlich Sonntag verlängert. Auch der Bezirk Los Angeles County in Kalifornien ordnete eine Verlängerung der Ausgangssperre an. Trotz Ausgangssperren wurden die Demonstrationen auch in der Nacht fortgesetzt.
© dpaIm Morning Briefing Podcast beschreibt ThePioneer-Washington-Korrespondent Peter Ross Range die Lage. Über den Präsidenten sagt er:
Trump scheint sich nicht wirklich lebendig zu fühlen, wenn er nicht Krieg mit jemandem führt.
Über die Protestbewegung sagt Peter Ross Range:
Die Empörung an der Basis ist groß und weit verbreitet. Jedoch gehen daraus keine herausragenden Persönlichkeiten hervor, wie es bei Martin Luther King in den 1960er-Jahren der Fall war.
Endlich, sagt Peter Ross Range, habe der demokratische Präsidentschaftskandidat das Basement seines Hauses in Delaware verlassen – wo er sich in der Corona Zeit verschanzt hielt – und sei nun aktiv in den Wahlkampf eingestiegen:
Seine Rede war voller Kampfgeist, aber auch sehr einfühlsam. Sie war in einen historischen Kontext gesetzt. Er verwandelte George Floyds letzte Worte ,Ich kann nicht atmen‘ in ein Symbol der nationalen Stimmung. Er verurteilte Trump dafür, Angst und Spaltung zu verbreiten, in einer Zeit der Krise. Und ich muss sagen: Es war Bidens beste Rede.
Donald Trump polarisiert und nutzt dafür vor allem die sozialen Medien. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2017 tun sich Facebook und Twitter schwer, mit Trumps Aussagen umzugehen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Social-Media-Konzerne zeigten sich in den vergangenen Tagen:
► Twitter stufte am vergangenen Donnerstag einen Trump-Tweet als Verstoß gegen die „Regeln zur Gewaltverherrlichung“ ein. Der Präsident hatte „Schläger“ verantwortlich für die sich ausbreitenden Unruhen gemacht und versichert, dass das Militär auf seiner Seite stehe. Er drohte: „Wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen.“
© dpa► Facebook dagegen ging gegen Trumps Äußerung nicht vor. Konzernchef Mark Zuckerberg verteidigte die Entscheidung. Ihm persönlich widerstrebe zwar solche „spaltende und aufwieglerische Rhetorik“, aber: „Meine Verantwortung ist es, nicht nur persönlich zu reagieren, sondern als Chef einer Institution, die sich der Redefreiheit verschrieben hat.“
Die Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten. Mehrere hochrangige Facebook-Manager gingen auf Konfrontationskurs zu Zuckerberg. Ryan Freitas, der für das Produktdesign des Newsfeeds zuständig ist, schrieb:
Mark liegt falsch – und ich werde so laut wie möglich versuchen, ihn umzustimmen.
Fazit: Trump spaltet – nun auch das Silicon Valley.
Beobachter sind sensibilisiert und die deutschen Anteilseigner alarmiert. Jede Bewegung des Daimler-Aktienkurses wird aufmerksam verfolgt – besonders, wenn sie so extrem verläuft wie derzeit. Allein am gestrigen Handelstag legte der Titel des Stuttgarter Autobauers um zwischenzeitlich fast neun Prozent zu und ging mit einem Plus von 7,7 Prozent aus dem Handel. Seit dem 15. Mai stieg der Daimler-Kurs nunmehr um 28 Prozent.
Eine Infografik mit dem Titel: Spekulationen treiben den Kurs
Aktienkurs von Daimler, in Euro
Über die Gründe wird gerätselt. „Mir fällt dafür keine rationale Erklärung ein“, sagt der Nord-LB-Analyst Frank Schwope im „Handelsblatt“. Raum für Spekulationen gibt es im Zusammenhang mit Daimler derzeit jedenfalls genug. Ob es die Wette auf eine Abwrackprämie, auf eine stärkere Zusammenarbeit mit Renault oder Volatilitäten aus Gewinnmitnahmen sind; keine dieser Optionen bereitet wirtschaftlichen wie auch politischen Beobachtern so viel Sorge wie ein steigender Einfluss durch die Chinesen. Bereits jetzt ist Geely-Gründer Li Shufu mit 9,7 Prozent Daimlers größter Einzelaktionär.
Hinzu kommt der chinesische Autobauer BAIC, der bereits angekündigt hat, sich mit seinen bisherigen Anteilen von fünf Prozent nicht zufrieden geben zu wollen. Erhöht er auf zehn, würde sich damit bereits ein Fünftel des Konzerns in chinesischen Händen befinden. Fazit: Derzeit wird im Falle von Daimler an der Börse nicht nur eine Aktie gehandelt, sondern die Zukunft der Firma. Die Perle der Autoindustrie ist nach Corona zum Schnäppchenpreis zu haben.
Der Podcast-Zyklus „Der achte Tag“ will Orientierung bieten und Sinn stiften. Menschen mit verschiedensten Lebenserfahrungen und Zukunftsvisionen kommen zu Wort.
In der aktuellen Folge spricht Diana Kinnert zu uns. Sie ist Unternehmerin, Publizistin, CDU-Politikerin. Sie fordert uns auf, den Umgang mit älteren Menschen neu zu denken. Das helfe auch der jüngeren Generation:
Das Bild der Alten in unserer Gesellschaft ist entmenschlichend, entwürdigend, hochgradig primitiv, unzureichend, undifferenziert und explizit nicht an den Potenzialen dieser Generation orientiert.
Corona und die Folgen der Pandemie haben die heute Hochbetagten in die Aufmerksamkeit getragen. Doch auch hier eher mitleidsvoll und damit ungemäß.
Wir Jungen müssen verstehen: Wenn wir klimafreundliche, innovative, solidarische, freiheitliche Politik für die Zukunft umsetzen wollen, müssen wir in einer Demokratie zwingend mehrheitsfähig sein. Doch zahlenmäßig sind wir Jungen nicht mehrheitsfähig.
Die Alten müssen zurück in die Mitte der Gesellschaft. Das ist gut für sie. Das ist gut für uns.
Ich habe einen derart empathischen und aufgeweckten Ton in der Politik lange nicht mehr gehört. Daher wünsche ich dieser neuen Stimme das Gehör, das sie verdient. Und Ihnen wünsche ich einen schwungvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr