Biden hält, Trump punktet

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Guten Morgen,

was wir heute Nacht gesehen haben, war nicht die dritte, sondern die erste Debatte Trump vs. Biden. Erstmals wurde um das Argument gerungen, nicht nur um Redezeit. Ausreden, zuhören, erwidern: Die Standards einer zivilisierten Unterhaltung sind nach Amerika zurückgekehrt.

Damit hatten die Unterschiede eine Chance, dass man sie nicht nur fühlt, sondern hört und sieht. Die beiden Kandidaten wurden dadurch kenntlich.

Ob Donald Trump diese Debatte gewonnen hat, lässt sich wenige Minuten später noch nicht mit Sicherheit sagen. Aber was sich sagen lässt: Er hat sie nicht verloren.

Donald Trump und Joe Biden © imago

Er konnte diesmal sein Profil als Gegner staatlicher Gesundheitsvorsorge, als Türsteher gegenüber den Migranten aus Lateinamerika und als Mann der Wirtschaft deutlich herausarbeiten. Sein Amerika ist weniger empathisch und weniger international als das der Demokraten; sein Amerika ist maskulin, traditionell, schießfreudiger, riskanter - und damit amerikanischer.

Trump verspricht, Gewinne zu optimieren, nicht Gefühle. Biden ist der bessere Mensch, aber Trump womöglich der vitalere Präsident. Biden hat den Plan, Trump den Instinkt. Das war seine Kernbotschaft an Millionen von Wechselwählern: Ihr müsst mich nicht lieben, nur wählen.

Der 77-jährige Biden wirkte in dieser Debatte nicht wie der Herausforderer, sondern wurde immer wieder in die Rolle des Verteidigers gezwungen. Trumps stärkster Moment: „Ich bin wegen dir angetreten, Joe. Wegen dir und Barack Obama. Wenn Ihr einen guten Job gemacht hättet, wäre ich nicht angetreten.“

Donald Trump © imago

Trump immer wieder:

Du hast nichts hinbekommen.

Ihr hattet acht Jahre Zeit.

Im Verhältnis zu Nordkorea habt ihr mir ein Schlamassel hinterlassen.

Biden war nicht das Gesicht einer neuen Zeit, sondern wirkte wie der Testamentsverwalter der Obama-Jahre. Selbst seine Kernaussagen während der Debatte - We are not the blue states or the red states, but the United States of America; Lets put hope over fear - waren das Echo einer untergegangenen Ära. Trump fühlte sich ermuntert, ebenfalls in sein Standardrepertoire zu greifen: „All talk, no action.“

So würden sie halt reden, diese Berufspolitiker.

Selbst der Tiefpunkt der Trump-Bilanz, das Management der Covid-19-Pandemie, die in Amerika bisher über 220.000 Tote gefordert hat, wurde für ihn nicht zum Tiefpunkt der Debatte. Er, der Genesene, wandte sich vehement gegen den Pessimismus eines Joe Biden, der einen „schwarzen Winter“ prophezeite. „Wir können uns nicht im Keller einschließen, wie Joe es getan hat.“

Trump war gerade auf diesen Punkt, das morbide Minus in seiner Bilanz, exzellent vorbereitet, und - das unterschied diese Aussprache von den bisherigen - diesmal hielt er sich an das Regiebuch. Eindringlich beschrieb er die Situation im demokratisch regierten New York („…jetzt eine Geisterstadt“), erinnerte an die von den Demokraten kritisierte Entscheidung eines Einreiseverbots für China und versicherte, das er die weltgrößte Volkswirtschaft nicht in den Lockdown schicken werde.

Nahtlos ging er von der Selbstverteidigung zum Angriff auf die Biden-Familie über, die in den vergangenen Jahrzehnten weltweit erfolgreich Geschäfte betrieb. Die Biden-Kinder hätten von der hohen Position des Vaters profitiert, so Trump, und überall Tonnen von Geld eingesammelt - „wie ein Staubsauger“.

Joe Biden © dpa

Biden war authentisch, was in diesem Fall nur ein anderes Wort für leichtsinnig ist. „Würdest du die Öl-Industrie dichtmachen?“ fragt ihn Trump. Bidens Antwort:

Ich will einen Übergang von der Ölindustrie, ja. Die Ölindustrie verschmutzt erheblich. Es muss einen Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien geben.

Das war der Rohstoff, der in Trumps Munitionsfabrik unverzüglich zu einem Projektil weiter verarbeitet wurde:

Was er sagt, ist, dass er die Öl-Industrie zerstören wird. Werdet Ihr Euch daran erinnern, Texas, Pennsylvania, Oklahoma, Ohio?

Bidens Blick auf die Uhr erzählte vermutlich die wahre Geschichte eines Politikers, der froh ist, wenn er diese Machtspiele im Spätherbst seiner Karriere unbeschadet übersteht. Dass er die starke Frau hinter ihm, die Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris mit keiner Silbe erwähnte, war ein Zeichen seiner Unsicherheit, die sich als Selbstbewusstsein tarnte.

Joe Biden © dpa

Fazit: Alles hängt in den kommenden elf Tagen davon ab, wie Amerika sich selber sieht. Jede Präsidentenwahl ist nicht nur eine Abstimmung über Programme und Personen, sondern liefert das Selbstporträt eines Landes, gemalt mit Millionen von Pinselstrichen.

Will Amerika der übrigen Welt die Hand reichen oder sich die Welt vom Leibe halten?

Spielt man gegenüber China auf Sieg oder auf Halten?

Will man im Innern Interessen maximieren oder Interessen ausgleichen?

Ist die politische Polarisierung nur ein Hitzeschub oder die neue Betriebstemperatur im Zeitalter der Überforderung?

Der Präsidentschaftswahlkampf 2020 ist bisher ein Festival der Gemeinheiten. Das war nicht immer so. Die Geschichte der Präsidentschaftsdebatten bis dahin war geprägt von Humor und Schlagfertigkeit. Der Gegner – so lehren es auch die Strategieberater beider Lager – soll entwaffnet, nicht erdrückt werden. Das Wappentier der Debatte sei der Adler, nicht das Stinktier.

 © dpa

Die erste im Fernsehen übertragene Debatte fand im Jahr 1960 statt. Zur Wahl standen der Republikaner Richard Nixon und sein demokratischer Gegenspieler John F. Kennedy. Nixon, der in den Debatten nervös wirkte und erkennbar schwitzte, verlor erst das Rededuell und später auch die Wahl. Das lag auch daran, dass sein jugendlicher Herausforderer Kennedy – damals 43 Jahre alt – die Zukunft der USA in rosaroten Farben malte.

Wir können es uns nicht länger leisten, Zweitbester zu sein. Die Welt soll wissen, dass unser High Noon erst noch vor uns liegt.

 © imago

Ein Präsident musste, zumindest im Jahr 1976, nicht nur stilsicher, sondern auch bei den Fakten sattelfest sein. Als der Republikaner Gerald Ford in der Debatte mit dem demokratischen Angreifer Jimmy Carter die geopolitischen Realitäten des Eisernen Vorhangs leugnete, war es um seine Zustimmungswerte geschehen. Er verlor die Wahl auch aufgrund des törichten Satzes:

Es gibt keine sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa.

 © u.s.news

1980 trat dann der republikanische Bewerber Ronald Reagan mit dem Vorhaben an, die Präsidentschaft des Demokraten Jimmy Carter zu beenden. Er forderte die Wähler auf, ein sehr schlichtes, aber wirkungsvolles Fazit der zurückliegenden vier Jahre zu ziehen:

Fragen Sie sich selbst: Geht es Ihnen jetzt besser als vor vier Jahren?

Die Wähler gaben die Antwort an der Wahlurne – und wählten Jimmy Carter ab.

Eine Infografik mit dem Titel: Trump besser als Obama

Anteil der Amerikaner, die die Frage "Geht es Ihnen besser als vor vier Jahren?" mit Ja beantworten, in Prozent

Bei seiner Wiederwahl vier Jahre später musste sich Reagan sein hohes Alter – er war mittlerweile 73 Jahre alt – vorwerfen lassen. Doch Reagan spielte seine liebste Rolle, die des charming boy. Verbal umarmte er den 17 Jahre jüngeren Walter Mondale:

Ich werde das Alter nicht zum Thema dieser Kampagne machen. Ich werde die Jugend und Unerfahrenheit meines Gegners nicht für politische Zwecke ausnutzen.

Selbst Mondale musste lachen.

 © dpa

In der Auseinandersetzung zwischen Mitt Romney und Obama im Wahlkampf 2012 ging es um die Frage, was die größte sicherheitspolitische Bedrohung für die USA darstelle. Romney zeigte auf Russland, während Obama die Terrorgruppe al-Qaida nannte. Obama konterte Romneys Bewertung auf humorvolle Art:

Die 1980er Jahre haben angerufen und fordern ihre Außenpolitik zurück.

 © imago

Donald Trump dagegen fiel bereits bei der Wahl 2016 mit seinen Boshaftigkeiten auf. Während der dritten Fernsehdebatte beschrieb er seine demokratische Mitbewerberin Hillary Clinton so:

Sie ist eine fiese Frau.

Sie ist korrupt.

 © imago

Damals wurde Trump nicht trotz, sondern wegen seiner Gemeinheiten gewählt. Viele Wähler wollten keine Clinton-Dynastie begründen.

In der neuen Episode unseres Podcasts „Race to the White House“ diskutieren der ehemalige Obama-Kampagnenmanager Julius van de Laar und ThePioneer-Vizechefredakteur Gordon Repinski, einst Washington-Korrespondent des „Spiegel“, den Ausgang des TV-Duells. Darüber hinaus analysieren Julius und Gordon die neuesten Umfragen und schauen auf die spannendsten Duelle in den zeitgleich anstehenden Senatswahlen. Ab 17 Uhr finden Sie die neue Episode hier.

Die Corona-Pandemie spitzt sich zu – in Deutschland, in Europa und weltweit. Hier die aktuelle Lage:

USA: Die Zahlen neuer Corona-Infektionen in den USA sind auf ihren höchsten Stand gestiegen. Mehr als 220.000 Amerikaner sind gestorben.

Frankreich: Frankreich hat mit 41.622 Corona-Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden ebenfalls einen Spitzenwert erreicht. Premierminister Jean Castex kündigte an, dass die bereits in Paris und anderen Metropolen geltende Ausgangssperre auf rund zwei Drittel des Landes ausgedehnt wird.

 © dpa

Tschechien: Mit knapp 15.000 Fällen binnen 24 Stunden stiegen die am Donnerstag gemeldeten Neuinfektionen ein weiteres Mal auf einen Rekordwert. Die Regierung verhängte weitgehende Ausgangsbeschränkungen. Die EU kündigte die rasche Lieferung von 30 Beatmungsgeräten an.

Italien: Italien hat binnen 24 Stunden mehr als 16.000 Neuinfektionen verzeichnet. Die Zahl der Todesfälle stieg um 136 auf 36.968. Besonders schwer getroffen ist wie schon bei der ersten Welle der Pandemie die Lombardei.

Iran: Die Zahl der Corona-Toten ist nach Angaben aus dem Krisenstab des Landes mehr als doppelt so hoch wie vom Gesundheitsministerium angegeben. Die Gesamtzahl der Corona-Toten liegt seit dem Ausbruch der Pandemie im Iran Ende Februar bei mehr als 31.000. Der Iran hat etwa so viele Einwohner wie Deutschland.

Eine Infografik mit dem Titel: Die zweite Welle

Corona-Neuinfektionen in Deutschland

Deutschland: Die Zahl der Corona-Neuinfektionen innerhalb eines Tages ist auch hierzulande stark gestiegen und hat erstmals den Tageswert von 10.000 Fällen deutlich überschritten. Allerdings sind die Werte nur bedingt mit denen aus dem Frühling vergleichbar. Es wird deutlich mehr getestet. Und: Deutlich weniger aus der Gruppe der Erkrankten sterben.

Die Corona-Beschlüsse der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten bringen neun Wissenschaftler und Gesundheitsexperten auf die Palme. In einer brisanten Stellungnahme, die meinen Kollegen vom Hauptstadt-Newsletter vorliegt, fordern sie ein Umdenken in der Corona-Politik, eine bessere Kommunikation und gezielte Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen. De facto werfen die Autoren der Politik statistische Unzulänglichkeiten und Panikmache vor.

Man sehe sich gezwungen „auf besorgniserregende Fehlentwicklungen“ hinzuweisen, heißt es. Die Inzidenzzahl von 35 oder 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern sei wegen der hohen Dunkelziffer bei der nicht-getesteten Bevölkerung als Gradmesser untauglich.

 © The Pioneer

Zu den Autoren zählen unter anderem der frühere Vizechef des Sachverständigenrats für Gesundheit, Professor Matthias Schrappe, der Bremer Gesundheitsforscher Gerd Glaeske und BKK-Chef Franz Knieps.

Wer dieses Papier liest, braucht Mut. Oder Lust auf einen Perspektivwechsel.

Mehr unter thepioneer.de/hauptstadt.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier © dpa

Die Corona-Politik der Bundesregierung ist mittlerweile auch im Bundestag heftig umstritten. Wie die Regierung zu dieser Kritik steht und ob Steuererhöhungen wegen der hohen Verschuldung zu erwarten sind, das bespricht „Welt”-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld im Morning Briefing Podcast mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU.

Über die ansteigenden Corona-Infektionszahlen und einen potenziellen zweiten Lockdown sagt Peter Altmaier:

Ich bin überzeugt, dass wir einen flächendeckenden Lockdown, wie wir ihn beim ersten Mal hatten, nicht brauchen werden, weil sich herausgestellt hat, dass viele Tätigkeiten nicht zu Infektionen oder zu größeren Infektionsgeschehen führen, beispielsweise das Einkaufen im Supermarkt oder das Tanken an der Tankstelle.

Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, die Ansteckungszahlen so weit zu reduzieren, dass der Aufschwung, der sich am Horizont zeigt, durch das Aufflackern der Pandemie nicht abgewürgt oder gefährdet wird.

 © dpa

Tesla schreibt im fünften Quartal in Folge schwarze Zahlen. Im dritten Quartal erzielte der US-Elektroautobauer einen Gewinn von 331 Millionen Dollar (279 Millionen Euro), der Umsatz wuchs um 39 Prozent auf 8,8 Milliarden Dollar und erreichte damit einen neuen Rekordwert. Musk kommentierte:

Das dritte Quartal war das beste in unserer Geschichte.

Eine Infografik mit dem Titel: Auf der Erfolgsspur

Gewinne von Tesla in den zurückliegenden fünf Quartalen

Probleme gibt es allerdings in Deutschland. Evan Horetzky, Gesamtbauleiter der Gigafactory in Grünheide (Brandenburg), wurde entlassen. Der Grund soll eine nicht bezahlte Rechnung an den Wasserverband Strausberg-Erkner sein. Nachdem der Zahlungsrückstand von 15.000 Euro nach mehrmaliger Abmahnung nicht beglichen wurde, drehte der Verband der Tesla-Baustelle das Wasser ab. Es kam zum Stillstand der Bauarbeiten.

 © dpa

Zu den bereits bekannten Krisengewinnern kommen nun noch zwei weitere dazu: Einerseits spielt der bevorstehende Corona-Winter den Herstellern von Heizpilzen in die Hände. Das einst gescholtene Gerät soll Gastronomiebesuche auch in dieser Jahreszeit möglich machen und so zum Restaurant-Retter werden. Bei vielen Herstellern steigt die Nachfrage – auch, weil die Anschaffung mit der Überbrückungshilfe bezuschusst wird.

 © dpa

Andererseits beflügeln milde Temperaturen und Reiseverbote viele Verbraucher zum Kauf des Motorrads. Allein im September meldeten Käufer laut Kraftfahrt-Bundesamt mehr als 18.500 neue Krafträder an, was einem Wachstum um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat entspricht.

 © Anne Hufnagl

Am Samstagabend gehen wir mit der PioneerOne auf Fahrt: „Floating Ideas“. Ich werde vor Publikum aus meinem Buch „Die unbequeme Wahrheit“ lesen und im Anschluss mit allen Interessierten diskutieren. Chelsea Spieker führt durch den Abend. Ab 19:15 können Sie sich auf ThePioneer.de oder auf Facebook dazu schalten. Ich freue mich auf Sie!

 © Anne Hufnagl

Und: Ich würde Ihr Wochenende gern mit einem Sonder-Podcast bereichern. Das ausführliche Gespräch mit der französischen Schriftstellerin Emma Becker, 31, die als teilnehmende Beobachterin für zwei Jahre im Bordell arbeitete, haben wir aufwendig produziert. Mit schöner Musik und mit Texten aus ihrem erotischen Roman „La Maison“. Ein literarischer Hörgenuss.

 © Anne Hufnagl

Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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