mit Joe Biden ist die Rationalität in die amerikanische Außenpolitik zurückgekehrt. Auch schwierige Charaktere – im Wahlkampf Trump und gestern der russische Präsident Wladimir Putin – weiß der 78-jährige Berufspolitiker offenbar zu nehmen. In einer aufgewühlten Welt, in der China versucht, ökonomische Kraft in politische Macht zu verwandeln, und Putin sich bemüht, die ökonomische Zwergenhaftigkeit Russlands durch politische Großspurigkeit zu kaschieren, sorgt er für einen Ton der Moderation.
Gestern gelang es ihm, Putin für sich einzunehmen. Der russische Präsident versuchte anschließend gar nicht erst, seine Anerkennung für das diplomatische Geschick und die menschliche Qualität des Joe Biden zu verheimlichen.
Er wertete das Gespräch „im Großen und Ganzen als produktiv, substanziell und konkret“ und sprach von „einer Atmosphäre, die darauf abzielte, Ergebnisse zu erzielen“. Biden charakterisierte er als einen „sehr konstruktiven und ausgewogenen“ Mann. Er sprach − so der englische Übersetzer − von einem „glimmer of trust“.
Eine Infografik mit dem Titel: Biden gegen Putin: der Vergleich
Bruttoinlandsprodukt, Rüstungsausgaben, Bevölkerungsanzahl, Durchschnittseinkommen in den USA und Russland im Vergleich sowie die Marktkapitalisierung der Börse in New York City und Moskau
Die Ergebnisse des Gipfels im Überblick:
Biden und Putin haben sich darauf geeinigt, dass beide Staaten ihre Botschafter nach Washington und Moskau zurückkehren lassen. Im Frühjahr wurden diese in ihre Heimat abberufen, nachdem die USA den Russen eine Einmischung in die US-Wahlen vorgeworfen hatten. Putin gestern:
Wir haben vereinbart, dass sie zu ihrem Dienst zurückkehren. Was den Zeitplan betrifft, morgen oder übermorgen, ist das eine technische Frage.
Auch über Alexei Nawalny, den oppositionellen Politiker, der seit Februar dieses Jahres in Haft sitzt, wurde gesprochen. Der Kreml-Chef verwies darauf, dass Nawalny durch seine Rückkehr nach Russland die Absicht hatte, verhaftet zu werden. Putin sagte:
Dieser Mann wusste, dass er gegen geltendes Recht verstößt.
Biden versicherte, er habe gegenüber Putin deutlich gemacht, dass ein Tod Nawalnys im Gefängnis „verheerende Folgen“ für Russland haben würde.
Der Ärger Putins über Bidens Bemerkung, Putin sei ein Killer, scheint verraucht. Biden habe ihn direkt nach der Aussage angerufen und seine Bemerkung erklärt. Der Kreml-Chef versicherte gestern, er sei damit zufrieden.
Biden sagte, die Männer hätten auch „im Detail“ Schritte zur Rüstungskontrolle besprochen, einschließlich eines „Mechanismus“ zur Begrenzung „neuer und gefährlicher Waffen“, die das Risiko eines Krieges erhöhen könnten.
Eine Infografik mit dem Titel: Wehrkräftig
Anzahl der Atomwaffen im Januar 2021 laut dem aktuellen SIPRI-Bericht
In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten die Präsidenten, „die Grundlage für zukünftige Rüstungskontroll- und Risikominderungsmaßnahmen“ schaffen zu wollen. „Heute bekräftigen wir den Grundsatz, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“, heißt es in dem Papier.
Der US-Präsident sagte, dass Putin nach dem Gespräch verstehe, dass Amerika reagieren werde, wenn Russland sich wieder in die amerikanischen Wahlen einmische. Biden wörtlich:
Er weiß, dass es Konsequenzen gibt.
Biden machte deutlich, dass er seine Agenda, die weltweite Förderung der Menschenrechte, nicht hintenangestellt habe:
Wie kann ich der Präsident sein und nicht mit Putin über Menschenrechte sprechen?
Der Triumphalismus des Vorgängers war Biden auch gestern fremd. Was nicht mit mangelndem Selbstbewusstsein zu verwechseln ist. Sein Fazit in Genf:
© dpaI did what I came to do.
Das Presseecho in den Vereinigten Staaten fiel für Biden unbefriedigend aus. Die US-Medien hatten erkennbar eine stärker zur Schau gestellte Weltmachtsambition erwartet:
Brian Bennett vom „Time“ Magazin meint:
Bidens Gipfel gab Putin die Bühne, nach der er sich sehnte.
Elena Chernenko schreibt in der „New York Times“:
Sorry, Biden. Putin hätte es nicht weniger interessieren können.
Bei „CNN“ schreiben Matthew Chance und Luke McGee:
Keine noch so freundlichen Worte, so scheint es, werden den russischen Staatschef davon abhalten, seine politische Agenda sowohl im eigenen Land als auch im Ausland nahezu ungestraft weiter zu verfolgen.
Das ultrarechte Nachrichtenportal „Breitbart News“ schreibt:
Was Biden nicht versteht − und was Präsident Barack Obama nicht verstanden hat, und der damalige Außenminister John Kerry auch nicht − ist, dass Putin sich nicht kümmert. Putin kümmert sich um Öl, und Waffen, und Währung, und Macht.
Der amerikanische Präsident war angesichts der vielen negativen Fragen, die ihm von den amerikanischen Medien nach dem Gipfel gestellt wurden, sichtlich frustriert. Die „CNN“-Reporterin Kaitlan Collins giftete er an, dass sie offenbar im falschen Beruf gelandet sei.
© dpaDafür entschuldigte er sich später beim Besteigen der Air Force One. Ich sollte nicht ein solch altkluger Typ sein, sagte er. Um sodann seine Kritik an den amerikanischen Medien zu erneuern:
Um als guter Reporter zu gelten, muss man offenbar negativ sein. Niemand fragt jemals eine positive Frage.
Der ehemalige Außenminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel − mittlerweile Chef der Atlantik-Brücke, Mitglied des European Council on Foreign Relations und Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank und Siemens Energy − zieht im heutigen Morning Briefing Podcast eine deutlich positivere Bilanz des ersten Europa-Besuchs von Biden als US-Präsident.
Wenn er denn eine Überschrift über die dichte Abfolge von G7-Gipfel, Nato-Gipfel, EU-Spitzentreffen und Putin-Begegnung zu setzen hätte, dann diese:
American leadership is back.
Gabriel wertet die Zurückhaltung Bidens nicht als Schwäche, sondern als diplomatisches Geschick, das bei der Neupositionierung der amerikanischen Außenpolitik nützlich sei:
Biden erfindet den Westen neu. Die große Mission des amerikanischen Präsidenten ist es, wieder so etwas wie eine Gemeinschaft von Demokratien zu bilden und die Werte von liberalen Demokratien zu erneuern.
Gabriel geht davon aus, dass diese Mission zunächst eine Phase neuerlicher Turbulenzen bedeuten wird.
Er will diejenigen um sich und mit sich versammeln, die die gleichen Ideen verfolgen und die, die das nicht tun, konfrontieren. Ich glaube, dass Biden einen Dreiklang aus Konfrontation, da sind wir gerade, Wettbewerb und am Ende Kooperation verfolgt.
Gabriel rät den Europäern, die ausgestreckte Hand Bidens nicht zögerlich, sondern kraftvoll zu ergreifen:
Es gibt keine Äquidistanz Europas zu den USA, Russland oder China, sondern unsere Idee ist der liberalen, amerikanischen am nächsten. Europas Suche nach der Balance zwischen Konfrontation, Wettbewerb und Kooperation fängt gerade erst an.
Fazit: Die fast ausschließlich negative Kommentierung in den USA und die Zuversicht, die aus der Bewertung von Gabriel spricht, bedingen einander. Der Triumphalismus der USA ragt über Trump hinaus. So wie bei uns das Echo der Entspannungspolitik von Brandt und Scheel bis heute nachklingt.
Die Amerikaner wollen sich spüren, wir Europäer wollen uns vertragen. „Der Russe“ ist für sie der Antipode − und für uns immer auch der Nachbar.
© imagoDie Kanzlerkandidaten würden sich gern im wärmenden Licht der neuen US-Regierung sonnen − oder zumindest doch ein Foto fürs heimische Publikum ergattern. In Wahlkampfzeiten ist alles willkommen, was zusätzlich Größe und Relevanz und einen Hauch von Weltniveau verspricht.
Die Teams von Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU/CSU) bemühen sich zeitgleich um repräsentative Termine in den USA − obwohl man dort penibel darauf bedacht ist, nicht in den deutschen Wahlkampf einzugreifen. Vor allem ein gemeinsames Bild mit der Vize-Präsidentin Kamala Harris würden die Kampagnenmanager der drei deutschen Spitzenpolitiker als attraktiv betrachten, weil es eine progressive Note verleiht.
Die Wege, auf denen es Laschet, Scholz und Baerbock versuchen, sind unterschiedlich. Wer die größten Erfolgsaussichten hat, lesen Sie in der neuen Ausgabe von Hauptstadt - Das Briefing.
Noch spektakulärer als das Eigentor des Abwehrspielers Mats Hummels ist die Protestaktion eines Greenpeace-Aktivisten vor dem EM-Spiel zwischen Deutschland und Frankreich gewesen. Der 38-Jährige landete mit einem Motorschirm im Stadion und verletzte dabei zwei Personen. Ursprünglich hatte der Aktivist geplant, lediglich einen gelben Latexball über dem Stadion abzuwerfen. Friedrich Merz stellte daraufhin für Greenpeace den Status der Gemeinnützigkeit infrage. Er twitterte:
Nach dem Vorfall von gestern mit einer ernsthaften Gefährdung der Stadionbesucher wird es Zeit, die Gemeinnützigkeit von Greenpeace zu überprüfen.
Merz bekommt für seine Forderung Rückendeckung aus den eigenen Reihen, so beispielsweise von dem CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak, der dem „Handelsblatt“ sagte:
Wer wie Greenpeace aus billiger Effekthascherei Leib und Leben von Menschen gefährdet, schadet nicht nur dem wichtigen Anliegen Klimaschutz, sondern setzt auch seine Gemeinnützigkeit aufs Spiel.
Die Mehrheit der Twitter-Gemeinde, die sich unter dem Merz-Kommentar versammelt, scheint aus Greenpeace-Fans und Merz-Gegnern zu bestehen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler kommentiert:
Das war eine dämliche, falsche Aktion von #Greenpeace. Aber dass Sie und andere Politiker der Union den Entzug der #Gemeinnützigkeit fordern, zeigt nur ihr autoritäres Denken. Der Vorfall dient als Vorwand um kritische Zivilgesellschaft mundtot zu machen. Orban lässt grüßen!
Der User Thomas Fischer schreibt:
Die Aktion ist schief gelaufen & das muss kritisch aufgearbeitet werden. Ihre Forderung zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Greenpeace ist allerdings grober Unfug. Fehlt nur noch, dass Sie fordern, Greenpeace als Terrororganisation einzustufen.
Genau das hätte, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der Polizei beim Schutz des EM-Spiels schnell passieren können. Der „Bild“-Zeitung sagte er:
Man hat aufgrund der Beschriftung 'Greenpeace' davon abgesehen, dass Scharfschützen eingegriffen haben.
Fazit: Der Greenpeace-Aktivist hat mit dem Leben von Menschen gespielt − auch mit dem eigenen.
Der Lebensmittelmarkt ist attraktiv für Start-ups, die Agrar-Tech, Fleischersatz, Milchalternativen und Lieferdienste bieten wollen. Im Tech Briefing beschäftigt sich Christoph Keese mit den jüngsten Börsengängen und den innovativsten Start-ups im Segment der sogenannten Food-Tech-Unternehmen.
Nachdem Zalando vor sieben und die Global Fashion Group vor zwei Jahren den Gang an die Frankfurter Börse gewagt hatten, beschritt am gestrigen Tag auch das Online-Modeportal About You den Weg aufs Parkett. Der Ausgabepreis der Aktie lag bei 23 Euro, zwischenzeitlich erreichte sie einen Wert von 26,80 Euro. Das Modeportal, das mehrheitlich zum Versandriesen Otto gehört, wird rund ein Viertel seiner Anteilsscheine im Wert von 842 Millionen Euro an der Börse platzieren. Dividende gibt es vorerst keine.
About You erzielte im Jahr 2020 einen Umsatz von rund 1,17 Milliarden Euro und ist auf etwa 23 Märkten in Europa aktiv. Ob About You dem Online-Versandhändler Zalando in Zukunft Konkurrenz machen wird, bleibt abzuwarten. Während About You mit 3,9 Milliarden Euro bewertet wurde, liegt der Wert von Zalando bei 24,71 Milliarden Euro. Das Unternehmen könnte im September in den Dax aufsteigen.
In Großbritannien haben mittlerweile mehr als 62 Prozent der Bevölkerung die erste und fast 45 Prozent die zweite Corona-Impfdosis erhalten − deutlich mehr als in Deutschland. Trotzdem scheint der Blick auf die Inselnation bedrohlich.
Aus Angst vor einer dritten Welle entschied sich Premierminister Boris Johnson den ersehnten „Freedom Day“ um vier Wochen zu verlegen. Der Grund: Die sich rasant ausbreitende Delta-Mutation. Wie gefährlich ist sie und was bedeutet ihre Ausbreitung für Deutschland?
Woher kommt die Delta-Variante?
Ursprünglich stammt die sogenannte Delta-Variante aus Indien, wo sie das erste Mal im Oktober 2020 nachgewiesen wurde. Seit April steigen die Zahlen auch in Großbritannien stark.
© dpaWie verbreitet ist sie?
In Deutschland ist die Delta-Variante nicht besonders verbreitet. Laut Robert Koch-Institut liegt der Anteil an den untersuchten Proben noch unter drei Prozent. In Großbritannien sieht die Lage anders aus: Dort liegt der Anteil der Delta-Variante bei über 90 Prozent der Neuinfektionen.
Warum ist die Delta-Variante ein Problem?
Studien zufolge ist das Ansteckungsrisiko zwischen 40 und 80 Prozent höher.
Was sagt zu alledem der Hamburger Virologe Professor Schmidt-Chanasit, der sich als kühler Kopf inmitten der pandemischen Turbulenzen einen Namen gemacht hat? Um das herauszufinden hat der Pioneer-Journalist Stefan Lischka für den Morning Briefing Podcast mit ihm gesprochen.
Prädikat: beruhigend.
Es gibt einige Menschen, die man zu den „mächtigsten Idioten der Welt” zählen könnte. Zu dieser Spezies rechnet Roger Waters, Kopf der britischen Rockband Pink Floyd, auf jeden Fall Mark Zuckerberg. Hintergrund der deftigen Fehde war eine Anfrage des Facebook-Managements, ob man nicht den bekannten Song „Another Brick in the Wall” für einen Instagram-Werbespot benutzen dürfe.
Waters lehnte mit „No fucking way!” ab und kritisierte die Praktiken des Social-Media-Riesen scharf:
Es ist eine hinterlistige Bewegung, die über wirklich alles die Kontrolle übernehmen will. Ich werde nicht an diesem Mist teilhaben, Zuckerberg.
Zuckerberg, der in der Öffentlichkeit die Rolle des Mr. Cool pflegt, hat sich bisher zu keiner Replik hinreißen lassen. Vielleicht ist er nicht halb so dumm, wie der Rockmusiker meint. Oder wie Ernest Hemingway einst sagte:
Man braucht zwei Jahre, um sprechen zu lernen, und 50, um schweigen zu lernen.
Zuckerberg wäre demnach mit seinen erst 37 Jahren ein Hochbegabter.
Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Start in diesen neuerlichen Sommertag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr