Bildung & Blamage

Teilen
Merken

Guten Morgen,

so nach und nach beginnt an deutschen Schulen der Unterricht wieder. Die Schülerinnen und Schüler erwartet das bestorganisierte Chaos, das Politik und Ministerialbürokratie mit großer Akkuratesse für sie vorbereitet haben.

In einem vielseitig angelegten Menschenexperiment gilt es als pädagogisches Lernziel zu zeigen, wie man es nicht macht.

► Auf einheitliche Regeln in den verschiedenen Bundesländern wurde bewusst verzichtet. Die Schüler sollen von der Pike auf verstehen, dass Föderalismus nur ein anderes Wort für Wirrwarr ist.

► Früher schaute man in den Sommermonaten auf das Thermometer, um nur ja das erlösende Hitzefrei des Schuldirektors nicht zu verpassen. Diesmal wartet man zusätzlich noch auf das Anschlagen eines Corona-Testkits, wie es sich in der Ostsee-Grundschule in Graal-Müritz ereignete. Für zwei Wochen bleibt das Schulgelände nun erneut geschlossen, nachdem ein Schüler dort positiv getestet wurde.

 © imago

► Auch die Differenzen zwischen Elternschaft und Lehrkörper werden nun mustergültig herausgearbeitet, sodass jede Schulklasse wie beim Fußballfinale sich selbst einen Favoriten aussuchen kann. Die große Corona-Battle ist eröffnet. Die Schulen wurden „zu schnell und unvorsichtig geöffnet“, sagte der Vorsitzende des Bundeselternrats Stephan Wassmuth. Die Angegriffenen widersprechen heftig. Die Schülerinnen und Schüler sitzen da, wo man sonst erst im späteren Leben sitzt, zwischen allen Stühlen.

 © dpa © dpa © dpa

► Richtig interessant wird die Sache beim Thema Maskenpflicht, denn offenbar gibt es Coronaviren, die je nach Bundesland unterschiedlich mutiert sind. In einigen Bundesländern muss der Mund-Nasen-Schutz nur auf den Gängen oder in Pausenräumen getragen werden, weil sich eine besonders heimtückische Spezies des Virus offenbar hier versteckt hält. In anderen Bundesländern sind auch die Klassenräume verseucht, weshalb der Unterricht nur mit Maskenschutz zu absolvieren ist.

 © imago

► In einer Speziallektion lernen die Schüler und Schülerinnen, was man vor Corona erst zehn Jahre später lernte: Es gibt keine ewige Wahrheit, nur verschiedene Interessen. Einfühlsam wird in den Beruf des Lobbyisten eingeführt. So warnt der Ärzteverband Marburger Bund ausdrücklich und wortgewaltig vor der Maskerade im Unterricht, die Bundesvorsitzende Susanne Johna sagt:

Wenn alle auf ihren Plätzen sitzen und Abstand sichergestellt ist, macht das Tragen von Masken während der Unterrichtsstunden überhaupt keinen Sinn.

 © dpa

► Die Lehrer wissen, wie man Corona in der Schule am wirkungsvollsten bekämpft: Durch das konsequente Fernbleiben während des Unterrichts. In einigen Bundesländern haben sich bis zu 15 Prozent der Lehrkräfte abgemeldet. Das Zauberwort lautet Risikogruppe. Die durchschnittliche Krankenquote für Lehrkräfte lag vor der Corona-Pandemie bei rund zehn Prozent.

 © imago

Fazit: Das nun beginnende Schuljahr könnte eines der interessantesten werden. In einer Art Crashkurs werden die Schülerinnen und Schüler in das eingeführt, was man gemeinhin „das Leben“ nennt.

 © dpa

Für BaFin-Chef Felix Hufeld wird es langsam eng. Sein Versprechen, den Fall Wirecard nach bestem Wissen und Gewissen aufzuklären, entpuppt sich als der Versuch, die eigene Verantwortung auf möglichst viele Schultern zu verteilen.

Denn bei der Frage, wer Wirecard fälschlicherweise als Technologieunternehmen einstufte und somit den Wirkradius der Finanzaufsicht BaFin massiv verkleinerte, hat Hufeld mittlerweile viele Schuldige identifiziert.

► Bei seinem Auftritt am 1. Juli im Finanzausschuss berichtete Hufeld, BaFin und Bundesbank hätten die Einstufung Anfang 2017 „übereinstimmend“ getroffen. Die EZB habe ihr später zugestimmt.

 © dpa

Im Frankfurter Ostend, dem Sitz der Europäischen Zentralbank, will man sich diese Sicht der Dinge keinesfalls zu eigen machen. Der Chef der EZB-Bankenaufsicht Andrea Enria schreibt:

Die Bankenaufsicht der EZB spielte keine Rolle bei der Frage, ob die Wirecard AG aus einer aufsichtlichen Perspektive ein Finanzholdingunternehmen ist.

Dies sei die alleinige Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörde, sprich der BaFin.

Auch im weniger noblen Frankfurt-Bockenheim, wo die Deutsche Bundesbank ihren Hauptsitz hat, spricht man mittlerweile von einem taktischen Foul. Eine Bundesbank-Sprecherin sagt:

Über die Einstufung als Finanzholding-Gesellschaft entscheidet entsprechend der gesetzlichen Kompetenzzuweisung letztlich die Bafin.

Ergo: Hufelds Unterstützerkreis in Frankfurt ist von klein auf winzig geschrumpft.

 © dpa

► Auch Edgar Ernst, Chef der mittlerweile gekündigten Bilanzpolizei DPR, fühlt sich von Hufeld vorgeführt. Dessen Behauptung, die BaFin habe keinen Prüfbericht von der DPR zu den Wirecard-Bilanzen erhalten, und er sei damit „unzufrieden“, will der Ex-Deutsche-Post-CFO nicht stehen lassen.

Die DPR habe am 14. Mai und am 24. Juni jeweils einen Zwischenbericht an Hufelds Adresse geschickt. Damit hatte sich die BaFin seinerzeit sehr wohl zufriedengegeben. Das Aufbegehren des Felix Hufeld ist demnach gut gespielt. Es wurde nachgereicht.

Fazit: Jedes weitere Zuwarten beschädigt den Bundesfinanzminister. Führung bedeutet Handeln, auch Handeln unter den Bedingungen von Unsicherheit.

 © dpa

Für Joe Biden beginnt die heiße Phase des US-Wahlkampfs und es stellt sich die Frage, ob er wirklich das Zeug dazu hat, Donald Trump zu beerben. Wie steht es um seine Fitness? Kann er das große Fernsehduell mit dem Amtsinhaber wirklich bestehen? Das bespreche ich im Morning Briefing Podcast mit zwei Journalistinnen, die in den USA leben. Annett Meiritz arbeitet für das Handelsblatt und Juliane Schäuble für den Tagesspiegel. Die beiden US-Korrespondentinnen beobachten Joe Biden schon seit längerer Zeit. Annett Meiritz ist skeptisch:

Es wird auf jeden Fall kein Selbstläufer, schon gar nicht, wenn man wie Joe Biden dazu neigt, vor laufenden Kameras die Kontrolle teilweise über das zu verlieren, was man sagen will.

Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere Berater ganz froh ist, dass Joe Biden gerade nicht auf einer großen Bühne steht.

 © dpa

Es entsteht der Eindruck, dass Joe Biden seine eigenen Aussagen nicht so richtig im Griff hat.

Und Juliane Schäuble vom Tagesspiegel urteilt:

Der Druck, dass er eine Woman of color wählt, ist sehr groß. Deswegen und auch wegen ihrer Kompetenz glauben viele, und ich glaube es auch, dass die ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien Kamala Harris es wird.

 © Tagesspiegel

Manchmal, wenn er vom Skript abweicht, das man ihm gegeben hat, haut er Sachen raus, für die er sich schnell wieder entschuldigt. Alle, die für ihn sind, werden bei der großen Präsidentschaftsdebatte viel Zeit vor dem Fernseher zitternd verbringen.

Wir lernen: Biden ist ein schwieriger Kandidat, aber eine großartige Projektionsfläche.

Nach Microsoft hat nun auch Twitter Interesse an der Übernahme des US-Geschäfts der Videoplattform TikTok gezeigt. Der Kurznachrichtendienst soll laut Insidern den chinesischen Eigentümer ByteDance kontaktiert haben. Microsoft gilt allerdings als Favorit im Rennen um TikTok.

Denn ob Twitter überhaupt an das nötige Geld für die Übernahme kommt, ist fraglich. Erst 2017 verließ der Kurznachrichtendienst die Verlustzone. Experten gehen davon aus, dass das US-Geschäft von TikTok einen Wert in zweistelliger Milliardenhöhe besitzt.

 © dpa

Der entstandene Wettbewerb dürfte den Preis allerdings noch mal nach oben treiben. Das Ironische daran: Trumps Ankündigung, die App in den USA verbieten lassen zu wollen, hat den chinesischen Verkäufern genutzt.

Die Konsumentenstimmung in den USA kann sich unter den Bedingungen immer neuer Todesfälle nicht entfalten. Interessanter als die aggregierten globalen Daten zum Konsum ist der Blick auf Mega Malls, berühmte Einkaufsstraßen und das Nachtleben in den Amüsierbezirken von New Orleans, Nashville und Las Vegas:

Eine Infografik mit dem Titel: Mega Malls

Veränderung des geschätzten Fußverkehrs im Vergleich zu 2019, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Nightlife Hotspots in den USA

Veränderung des geschätzten Fußverkehrs im Vergleich zu 2019, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Noble Shopping Streets

Veränderung des geschätzten Fußverkehrs im Vergleich zu 2019, in Prozent

Wer ernsthaft die Frage stellt, ob wir Deutsche in Zeiten von Corona noch in einer Demokratie oder schon in einer Diktatur leben, der sollte heute Morgen nach Weißrussland schauen: Minsk liegt keine 1200 km von Berlin entfernt und damit deutlich dichter als Rom. Und dennoch liegt diese Hauptstadt in einer prähistorischen Zeit. In einer Zeit ohne Demokratie, ohne Menschenrechte und ohne freie Wahl.

 © dpa

Drei mutige Frauen haben sich gegen den dortigen Diktator Lukaschenko gestellt. Das Ergebnis: Mit brutaler Gewalt wurde am Wahltag gegen normale Bürger vorgegangen. In den Wahllokalen wurde nach allem was man weiß fingiert und gefälscht. Staatsmedien berichten von 79 Prozent für Lukaschenko.

In manchen Meldungen steht heute Morgen, die drei Frauen hätten die Wahl verloren. Aber sie haben in Wahrheit gewonnen, an Respekt und an weltweiter Unterstützung. Unsere demokratische Leidenschaft haben diese drei in jedem Fall neu entfacht. Demokratie beginnt, wenn die Angst vor dem Autoritären schwindet.

 © imago © dpa © imago

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing