Boom der politischen Gewalt

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Guten Morgen,

heute vor 40 Jahren wurde der hessische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Heinz-Herbert Karry in den frühen Morgenstunden erschossen. Die bis heute nicht gefassten Täter drangen in sein Privathaus im Frankfurter Stadtteil Seckbach ein und streckten den schlafenden FDP-Politiker mit sechs Schüssen nieder.

Mit Heinz-Herbert Karry fiel zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte ein amtierender Minister einem terroristischen Mord zum Opfer.

Das Grab von Heinz-Herbert Karry in Frankfurt a.M. © imagoHeinz-Herbert Karry © imago

Was mit den RAF-Morden in den siebziger Jahren begonnen hatte, setzte sich fort. Politische Gewalt in Deutschland, die man bis dahin für ein Phänomen der Weimarer Republik gehalten hatte, wurde auch im Nachkriegsdeutschland heimisch.

  • Detlev Karsten Rohwedder wurde am 1. April 1991 in seinem Düsseldorfer Privathaus erschossen. Auch von diesen Tätern fehlt bis heute jede Spur.

Detlev Rohwedder © dpa
  • Das Tötungsdelikt am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 zeigte, dass die Spur der Gewalt auch vor der Kommunalpolitik nicht Halt macht.

Walter Lübcke © dpa
  • In Halle wurde im Oktober 2019 auf die Synagoge im Paulusviertel ein Anschlag verübt, der nur aufgrund der massiven Holztür aus Eiche nicht im Blutbad endete.

  • Insgesamt weist die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2020 einen Anstieg der politisch motivierten Straftaten um 8,5 Prozent auf 44.692 aus.

Eine Infografik mit dem Titel: Politische Gewalttaten auf dem Vormarsch

Anzahl der Gewalttaten nach politischer Motivation 2019 und 2020 sowie deren Zunahme zwischen den Jahren, in Prozent

  • Auch die Straftaten gegen die Polizei haben im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahr sind diese Delikte in Deutschland um 73,5 Prozent auf 5757 gestiegen. Bei 24,5 Prozent dieser Straftaten handelte es sich um Gewaltdelikte.

Demonstrationen in Berlin am 1. Mai 2021 © dpa
  • Die Corona-Pandemie führte auch und gerade in der Hauptstadt Berlin zu einer Phase gesteigerter Aggression, die von Linken, Rechten und der neu konfigurierten Querdenker-Szene ausging. Die Beinahe-Erstürmung des Deutschen Bundestages durch Reichsbürger und der Gewaltexzess der autonomen Szene am vergangenen 1. Mai waren die Tiefpunkte einer politischen Unkultur, die laut Berliner Polizeistatistik in 2020 rund 6000 politisch motivierte Straftaten hervorbrachte.

Thilo Cablitz  © imago

Im heutigen Morning Briefing Podcast spreche ich über die aufgeheizten Stimmung im Lande mit Polizeidirektor Thilo Cablitz. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines sudanesischen Vaters – dem die besorgte Mutter nachträglich einen deutschen Vor- und Nachnamen eintragen ließ – ist der erste Berliner Polizeisprecher mit Migrationshintergrund. Er kennt die Gesichter der politischen Gewalt aus eigener Anschauung und den täglichen Rassismus kennt er ebenfalls, auch den innerhalb der Polizei.

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Wir sprechen über Ursachen und Ausdrucksformen der politischen Gewalt. Hier äußert sich kein Politiker, sondern ein praktizierender Demokratie-Verteidiger. Prädikat: bewegend und erhellend.

 © dpa

Die Regierungen Europas sind in Spendierlaune: Sie wollen ihre nationalen Fluggesellschaften vor dem Untergang bewahren. Milliardenschwere Rettungspakete wurden in der EU geschnürt: In Frankreich hat man die Regierungsbeteiligung an Air France-KLM auf 30 Prozent aufgestockt, die Bundesregierung hält 20 Prozent an der Lufthansa und die italienische Präsenz am Himmel, Alitalia, befindet sich nunmehr gänzlich in Staatshand.

Eine Infografik mit dem Titel: Der großzügige Staat

Liquiditätsaufnahme der europäischen Fluggesellschaften seit der Pandemie, in Milliarden Euro

Die britische Konkurrenz ist empört. British Airways und Ryanair erhielten keine direkte Staatsbeteiligung, sondern profitierten lediglich von einem Ankauf kurzfristiger Schuldscheine durch die Bank of England.

Ryanair-Chef Michael O’Leary, dessen Airline in Irland angemeldet ist, empfindet die Milliarden-Zahlungen als diskriminierend gegenüber den kleineren Fluggesellschaften. Er spricht auch für easyJet und die Holding-Gesellschaft IAG, Eigentümer von British Airways und Iberia, wenn er sagt:

Wir müssen mit diesen staatlich geförderten Crack-Junkies konkurrieren.

Er befürchtet „Subventionierung und Unterdrückung des Wettbewerbs für das nächste Jahrzehnt“.

Michael O'Leary © dpa

Bislang hat der irische Manager 16 Klagen eingereicht, um die Regeln für staatliche Beihilfen vor europäischen Gerichten zu Fall zu bringen. Alle fünf bisher entschiedenen Fälle hat Ryanair zwar verloren, doch gegenüber der „Financial Times“ versicherte O’Leary, es sei „sehr wahrscheinlich“, dass die Urteile in der Berufung gekippt werden könnten.

Der Mann ist nicht nur optimistisch, sondern naiv. Die Rettung der ehemals staatlichen und später dann privatisierten Luftfahrtgesellschaften gehört überall in der EU zur Staatsraison.

Janine Wissler und Dietmar Bartsch © dpa

Nun weiß auch die Linke, wer sie in den Bundestagswahlkampf führen soll: Die Parteimitglieder votierten mit deutlicher Mehrheit für die neue Co-Parteichefin Janine Wissler und den altgedienten Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Angesichts der aktuellen Umfragewerte, die zwischen sechs und sieben Prozent rangieren, ist die Partei der Fünf-Prozent-Hürde plötzlich gefährlich nahe und müsste kommunikativ deutlich zulegen, um ihr letztes Bundestagswahlergebnis von 9,2 Prozent zu erreichen.

Derzeit ist es so und nicht anders: Der Aufstieg der Grünen bedeutet den Niedergang der Linken. In der Physik spricht man vom Prinzip der kommunizierenden Röhren.

Die Linke sieht rot

Die Partei kommt der Fünf-Prozent-Marke gefährlich nahe - und betont nun ihren Regierungswillen.

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Marina Kormbaki .

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 © imago

Der Impfstoff von BioNTech gilt als der Mercedes der Vakzine – und macht das Mainzer Unternehmen zum Topverdiener der deutschen Pharmabranche. Angesichts weiterer Lieferverträge hat BioNTech nun die Umsatzprognose für 2021 um ein Viertel erhöht – Erlöse in Höhe von 12,4 Milliarden Euro werden erwartet.

Nach Angaben des Unternehmens wurden bislang 1,8 Milliarden Impfdosen für das laufende Jahr bestellt.

Eine Infografik mit dem Titel: Beachtlicher Höhenflug

Kursverlauf der BioNTech-Aktie seit dem 1. Januar 2021, in Euro

Für das erste Quartal meldet BioNTech einen Umsatz von 2,05 Milliarden Euro und einen Reingewinn von 1,13 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum vor einem Jahr betrug der Umsatz lediglich 28 Millionen Euro und ein Verlust von 53 Millionen war zu beklagen. Geht man von den bisherigen Ertragsrelationen bis zum Jahresende aus, steuert BioNTech jetzt auf einen Reingewinn von sechs bis sieben Milliarden Euro zu.

Fazit: Nur als Goldwäscher oder Drogenproduzent kann man ähnliche Gewinnmargen erzielen.

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 6125 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden 283 weitere Todesfälle registriert.

  • Laut RKI hat ein Drittel der deutschen Bevölkerung mindestens eine Corona-Impfung erhalten. 32,8 Prozent sind mindestens einmal geimpft und 9,4 Prozent haben den vollen Impfschutz. Zum Vergleich: In den USA sind 46 Prozent der Bevölkerung einmal und 34,8 Prozent vollständig geimpft.

  • Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kündigte gestern an, dass die Priorisierung für den Impfstoff von Johnson & Johnson bundesweit aufgehoben werde. Die Ständige Impfkommission empfiehlt das Vakzin für Menschen ab 60, es können sich nun jedoch auch Jüngere nach ärztlicher Aufklärung mit dem Vakzin impfen lassen.

  • Nachdem in Hamburg die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen am Montag den fünften Werktag in Folge unter 100 gelegen hatte, gab die Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard bekannt, dass die Corona-Notbremse am Mittwoch aufgehoben werden soll.

  • Bundesinnenminister Horst Seehofer wurde positiv auf das Coronavirus getestet und befindet sich momentan in häuslicher Isolation. Nach eigenen Angaben hatte er Mitte April eine erste Dosis des BioNTech-Impfstoffes erhalten.

  • Dem Jahresbericht des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ zufolge ist die Zahl der Anrufe im Corona- und Home-Office-Jahr 2020 um rund 15 Prozent auf 51.407 gestiegen.

„Wird die Gier der Unternehmen die Pandemie verlängern?“

Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz über seine Sicht auf die Patent-Freigabe

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Veröffentlicht in The Pioneer Expert von Joseph E. Stiglitz.

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Immanuel Kant erklärte in einer seiner Vorlesungen zur Moralphilosophie:

Die Sparsamkeit ist keine Tugend, denn zum Sparen gehört weder Geschicklichkeit noch Talent.

Die Deutschen sehen das anders, denn sie haben das Sparen zu ihrer Maxime erhoben. Die Bundesrepublik sicherte sich zum achten Mal in Folge den Titel als sparsamste Nation Europas.

Die Direktbank ING Deutschland berichtet in einer europaweiten Studie, dass die Deutschen im vergangenen Jahr rund 388,5 Milliarden Euro sparten, was einem Anstieg um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 entspricht. Deutschland ist in seinem Spartrieb nicht aufzuholen, denn die zweitplatzierten Franzosen kommen gerade einmal auf ein angespartes Volumen von 260,7 Milliarden Euro. Jeder Europäer sparte durchschnittlich 3121 Euro, während es in Deutschland stolze 4671 Euro waren.

Immerhin: Sparen meint nicht mehr nur Sparbuch, Sparschwein und Sparstrumpf. Vor allem Aktien sind als Geldanlage beliebt geworden – beim Aktienkauf erreichen die Deutschen ein Rekordhoch: Im vergangenen Jahr wurden 49 Milliarden Euro in Anteilsscheine investiert. Im Vergleich zum Jahr 2019 entspricht dies einem Anstieg von 160 Prozent. Insgesamt waren 17,5 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren 2020 am Aktienmarkt engagiert.

Fazit: Die Deutschen hat man durch die Null-Zinspolitik der EZB zum Aktien-Sparen regelrecht verdammt. Wer klassisch spart, war zuletzt nicht mehr sparsam, sondern dumm.

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Hildegard Hamm-Brücher © dpa

Heute vor 100 Jahren wurde die Grand Dame der FDP – Hil­de­gard Hamm-Brü­cher – in Essen ge­bo­ren. Als ihre El­tern An­fang der 1930er Jah­re kurz nach­ein­an­der ver­star­ben, zog sie zu ihrer Gro­ß­mut­ter müt­ter­li­cher­seits nach Dresden.

Seit den Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­zen galt sie als „Halb­jü­din“. Dem da­mit ver­bun­de­nen Druck des NS-Staates versuch­te sie sich durch mehrere Schul­wech­sel, zu­nächst auf das In­ter­nat in Sa­lem, dann an das Kon­stan­zer Mäd­chen­gym­na­si­um, wo sie 1939 das Ab­itur ab­leg­te, zu entziehen.

1940 begann Hildegard Hamm-Brücher in Mün­chen mit einem Che­mie­-Stu­di­um, das sie kurz vor Kriegsen­de mit einer Promotion bei Hein­rich Wie­land, Trä­ger des No­bel­prei­ses für Che­mie, abschloss. Immer wieder hielt ihr Doktorvater sei­ne schüt­zen­de Hand über die junge Frau, zu de­ren Freundes­kreis auch Mit­glie­der der Wi­der­stands­grup­pe „Weiße Rose“ ge­hör­ten. Später sagte sie über ihre Erfahrungen während der NS-Zeit:

Das kriegt man nicht mehr aus dem Kopf und aus dem Herzen, wie die Deutschen waren. Sie waren grässlich.

Hildegard Hamm-Brücher im Deutschen Bundestag in Bonn, 1982 © dpa

Nach dem Krieg arbeitete sie als Re­dak­teu­rin bei der von der ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zungs­macht her­aus­ge­ge­be­nen „Neu­en Zei­tun­g“. Während eines Interviews riet ihr 1946 der spätere Bundespräsident Theodor Heuss:

Mädle, Sie müsset in die Politik.

Und das tat sie dann auch. Hamm-Brücher wurde Mitglied in der FDP und kandidierte be­reits im Alter von 27 Jahren für das Münch­ner Stadt­par­la­ment und wur­de Deutsch­lands jüngs­te Stadt­rä­tin. 1950 konnte sie die­sen Er­folg mit der Wahl zur jüngs­ten bayerischen Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten wiederholen. Trotz mancher Widerstände innerhalb der Partei zog sie 1964 in den FDP-Bun­des­vor­stand ein, dem sie – mit ei­ner Un­ter­bre­chung zwi­schen 1976 und 1984 – bis 1991 angehörte.

An Gedenktagen, kritisierte sie, würde sich die bundesdeutsche Elite in Betroffenheit üben, doch es gelinge ihr nicht, im Alltag „den Mantel der eigenen Gleichgültigkeit zu zerreißen“. Das nahm sie im Konflikt mit dem FDP-Politiker Jürgen Möllemann selbst in die Hand: So protestierte sie gegen dessen rechtspopulistische und antiisraelische Äußerungen während des Bundestagswahlkampfes 2002 – und lehnte sich auch gegen das von Parteichef Guido Westerwelle ausgerufene „Projekt 18“ auf.

Den „Mantel der Gleichgültigkeit“ hat sie damit selbst zerrissen. Am 22. September 2002 verließ sie nach 54 Jahren Mitgliedschaft die FDP.

Jürgen Möllemann und Guido Westerwell © dpa

Früh schon war in ihr die Erkenntnis gereift, dass die Funktionärsapparate der Parteien sich selber dienten und weniger der Demokratie:

Unsere Parteien-Demokratie funktioniert in ihren äußeren Abläufen. Aber sie verliert sowohl an Erneuerungs- und Gestaltungskraft nach innen als auch das Vertrauen der Bürgergesellschaft.

Hildegard Hamm-Brücher ist im Alter von 95 Jahren schließlich von uns gegangen. Ihr Erneuerungsauftrag an die politischen Parteien blieb.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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