Boris Johnson, britischer Westentaschendiktator

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Guten Morgen,

der britische Premierminister Boris Johnson ist der erfolgreichste Verführer unserer Zeit: Erst hat er das Volk, dann seine Partei und nun auch die Queen auf seine Seite gezogen. Elisabeth II. hat seinem Antrag, das widerspenstige Parlament in eine sommerliche Zwangspause zu schicken, doch tatsächlich stattgegeben. Johnson will damit eine Brexit-Blockade des Parlaments vor dem Austrittsdatum am 31. Oktober verhindern. Lieber ein No-Deal als ein Weiterleben mit der EU. Das ist seine Maxime. Viele Parlamentarier sind entrüstet ob ihrer Entmündigung. Der knorrige Parlamentssprecher John Bercow sprach von einem „Frevel an der Verfassung“. Ein Liberaler wertete das Vorgehen des konservativen Premiers als „Kriegserklärung“ gegen das Parlament, das mit „eiserner Faust“ beantwortet werden müsse. Inzwischen läuft eine Petition gegen den „Westentaschendiktator“ (Mary Creagh, Labour) und die von ihm verordnete Zwangspause: Bis heute Morgen hatten sich über 1,1 Millionen britischer Bürger eingetragen. Das Volk begehrt auf gegen seinen Volkstribun. So macht Populismus allen Spaß.

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Die soziale Wärme durchströmt jetzt auch die Chefetagen. Commerzbank-Chef Martin Zielke, der den Wert seines Geldhauses in rund einem Jahr halbiert hat, darf als schmerzlindernde Maßnahme Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken werden.

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Wenn das Beispiel Schule macht, muss sich der Vorstandsvorsitzende von ThyssenKrupp Guido Kerkhoff keine Sorgen machen. Sein Unternehmen hat ebenfalls das alte Geschäftsmodell und damit an Börsenwert (fast 30 Prozent seit Jahresanfang) verloren und wird am Mittwoch nächster Woche sicher aus dem Dax fliegen. Zur Entschädigung sollte der Mann mindestens Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie werden.

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Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit arbeitet ein deutscher Traditionskonzern an seiner Selbstauflösung: Die Siemens AG schafft derzeit die Voraussetzungen für ein Leben nach dem Konglomerat. Die letzte große Idee des im Jahr 1847 von Artillerieoffizier Werner Siemens gegründeten Unternehmens ist offenbar seine lautlose Verpuffung.

Die einzelnen Geschäftsfelder des Konglomerats werden derzeit filetiert und tranchiert, bevor der alte Mischkonzern im Grande Finale flambiert werden kann.

In Ermangelung einer beeindruckenden „breakthrough innovation“, wie die Amerikaner sagen würden, hat sich der Konzern unter Führung seines ehemaligen Finanzchefs Joe Kaeser auf die Methoden des „financial engineering“ verlegt:

Eine Infografik mit dem Titel: Die Krankenstation von Siemens

Bereinigtes EBITA der "Portfolio Companies", in Millionen Euro

Ertragsschwache Bereiche mit rund 25.000 Mitarbeitern und knapp fünf Milliarden Euro Umsatz wurden in eine Art industrielle Bad Bank verschoben, die so natürlich nicht heißen darf. Der Bereich nennt sich sprachlich veredelt „Portfolio Companies“ und werde nach den Methoden eines Private-Equity-Fonds geführt, sagt der zuständige Spartenchef der „Börsen-Zeitung“. Das Blatt bezeichnet das neue Segment respektlos, aber treffend als „Krankenstation von Siemens“.

Profitable Segmente wurden derweil separat an die Börse gebracht, so wie etwa das Gesundheitsgeschäft unter dem Kunstnamen „Healthineers“. Dahinter steht die berechtigte Annahme, dass diese Zellteilung den Konglomeratsabschlag zumindest mildert. Noch handelt es sich bei „Healthineers“ um eine Scheinselbständigkeit, denn die Firma gehört zu 85 Prozent der Siemens AG. Noch.

► Weitere Bereiche wie die Energiesparte Gas & Power und die Bahntechnik, die sich hinter dem Namen Mobility verbirgt, sollen ebenfalls in eine neue Eigentümerschaft übergehen, zunächst natürlich nur teilweise. Den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat wurde ein starker „Ankeraktionär Siemens“ versprochen. Was man so verspricht, wenn man einen kühnen Plan verfolgt.

Der Plan ist deshalb kühn, weil er das Ende der Siemens AG, wie wir sie bisher kennen, bedeutet. Das Unternehmen und Deutschland haben die meiste Zeit ihrer Existenz gemeinsam verbracht. Die Parallelität von Dax-Entwicklung und Siemens-Kurs erzählt die Geschichte der Deutschland AG, jener Handvoll von Unternehmen, die das Land geprägt haben.

Doch spätestens im Jahr 2012 hat die Entkopplung begonnen (siehe Grafik). Siemens ist in den Augen der Investoren ein Traditionskonzern aus der Zeit der industriellen Romantik, der nur durch entschlossene Transformation noch den Weg in die Moderne findet. Das Zeitalter der Digitalisierung ist nun einmal das Zeitalter der Disruption und damit des ökonomischen Surrealismus.

Eine Infografik mit dem Titel: Dax vs. Siemens: Die Entkopplung

Indexierter Börsenkurs von Siemens gegenüber dem Dax

Kaeser ist ein Antreiber, der in Wahrheit ein Getriebener ist. Seine Strategie reflektiert den Gezeitenwechsel, aber nach Ansicht der internationalen Geldgeber nicht gründlich genug – gedanklich und in der Exekution.

Es gebe ein „Umsetzungs- und ein Geschwindigkeitsproblem“, sagt Andreas Willi, ein langgedienter Aktienanalyst von JP Morgan in London, der mit seinem Team seit über 20 Jahren die Siemens-Aktie und die dazugehörigen Vorstandsvorsitzenden betreut.

Eine Infografik mit dem Titel: Rentabilität: Abwärtstrend seit 2017

Entwicklung der bereinigten Gewinnmarge (EBITA) von Siemens pro Quartal, in Prozent

Unklar ist, ob der Kapitalmarkt dem Siemens-Chef noch die Zeit lässt, bis seine Strategie Erfolge produziert, die sich in Euro und Cent berechnen lassen. Wer dem Mann von JP Morgan zuhört, mit dem ich für den Morning Briefing Podcast gesprochen habe, der spürt die Ungeduld.

Die Cash-Generierung, aber auch die Gewinnrendite, haben sich in den vergangenen Jahren nicht verbessert. Das ist eine Enttäuschung. Das ist sicherlich nicht das, was die Investoren ursprünglich erwartet hatten.

Die Aktienanalysten der Deutschen Bank sehen es ähnlich. Eine Studie von Anfang August kommt unter den Überschriften „Loosing Ground“ und „Negative Margin Momentum“ zur Sache:

► „Das Ergebnis des Industriegeschäfts ging gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent zurück. Alle Geschäftsbereiche – mit Ausnahme von Mobility – verzeichneten einen Rückgang der Margen gegenüber dem Vorjahr.“

► „Die Siemens-Marge im dritten Quartal 2019 war die schlechteste Quartalsperformance seit dem zweiten Quartal 2015.“

Eine Infografik mit dem Titel: Siemens unter Margendruck

Bereinigte Gewinnmarge (EBIT) nach Segmenten im 3. Quartal 2019* im Vergleich zum Vorjahr, in Basispunkten

► „Wir sind besorgt, dass die Ausführung in den kommenden Quartalen herausfordernd bleiben wird, da die angekündigte Umstrukturierung des Portfolios zu weiteren Komplikationen führen könnte.“ Die Studie spricht von „near-term disruption“.

► „Wir gehen für die kommenden Quartale zudem von einer zunehmenden Volatilität der Erträge aus, da mit der geplanten Abspaltung von Gas & Power erhebliche Restrukturierungskosten verbunden sind.“

► „Zum Ende des laufenden Geschäftsjahres wird die Gruppe voraussichtlich das niedrigste Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen seit 2009 abliefern.“

Eine Infografik mit dem Titel: Auf dem Niveau von vor zehn Jahren

Entwicklung der bereinigten Gewinnmarge (EBITA) von Siemens pro Jahr, in Prozent

Andreas Willi, der Managing Director von JP Morgan, ist berufsbedingt kein Mann nostalgischer Gefühle. Er glaubt, dass die Möglichkeiten der Zellteilung, die Kaeser jetzt schafft, eines nicht so fernen Tages auch genutzt werden müssen. Entweder von Kaeser oder seinem Nachfolger. Die Tage des Mischkonzerns Siemens wären demnach gezählt:

Ich glaube, wenn man jetzt diesen Weg einschlägt, ist die wirkliche Zerteilung am Schluss das logische Resultat.

Fazit: Die Siemens AG geht mutmaßlich ihrer Zerschlagung entgegen. Das Neuland, von dem Kanzlerin Angela Merkel einst sprach, hat das vielleicht deutscheste aller Industrieunternehmen bisher lediglich mit den Fußspitzen berührt. Joe Kaeser ist ein Agent des Übergangs. Aber Übergang wohin? Noch ist unklar, ob er als Pionier oder als Totengräber in die Siemens-Geschichte eingehen wird.

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Über Erfolg und Misserfolg deutscher Firmen in China werden nicht mehr nur der Markt und das Produkt entscheiden. Wirtschaften darf zukünftig nur, wer sich der Kommunistischen Partei unterwirft. Denn China installierte ein „Social Credit System“ für seine Bürger, das bis zum Jahr 2020 auf jedes im Land tätige Unternehmen ausgeweitet werden soll. Daran gibt es nun massive Kritik von der EU-Handelskammer und der Deutschen Handelskammer in Peking.

Ziel sei es, „dass nicht vertrauenswürdige Unternehmen nicht weiter erfolgreich Geschäfte im chinesischen Markt machen können“, heißt es in einer Studie des deutschen China-Thinktanks Sinolytics:

Das soziale Kreditsystem der Unternehmen könnte für einzelne Unternehmen Leben oder Tod bedeuten

sagt der Präsident der EU-Handelskammer in China Jörg Wuttke, der die Studie mitverfasst hat.

Dieses Sozialkreditsystem greift tief in die Aktivitäten internationaler Unternehmen ein:

► Jedes Unternehmen in China muss an dem System teilnehmen. Informationen aller Behörden sollen in einer einzigen Datenbank zusammengefasst werden.

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► Große chinesische Tech-Firmen wie Huawei, Alibaba und Tencent sind beteiligt und bauen das System kontinuierlich aus. Die neueste Version soll Ende des Jahres an den Start gehen.

► Die Sanktionen sind hart: Strafzahlungen, penible Kontrollen, Verweigerung von behördlichen Genehmigungen (zum Beispiel für Produktion), höhere Zölle und Steuern, Streichung von Subventionen, Ausschluss von Ausschreibungen – bis hin zur öffentlichen Ächtung.

Der Westen ist um die Entscheidungen, die ihm ins Haus stehen, nicht zu beneiden. Er hat China die Hand gereicht. Aber die KP will den Kopf.

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in den neuen Tag. Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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