Bundesbank: Ende der Stabilitätskultur?

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Guten Morgen,

der Rücktritt von Jens Weidmann als Bundesbankpräsident markiert einen Einschnitt, aber nicht automatisch eine Zäsur. Er bedeutet das vorzeitige Ende einer Amtszeit, aber noch nicht per se das Ende einer Ära.

Wie die Geschichte weitergeht, entscheidet nicht die Geschichte selbst, sondern die in ihrer Zeit handelnden Politiker. Niemand hätte dem allseits geschätzten Bundesbankpräsidenten, dessen Vertrag offiziell noch bis 2027 lief, am Zeuge geflickt. Aber jetzt, wo er freiwillig geht, werden alle politischen Lager vom Adrenalin geflutet.

Linke Sozialdemokraten und Grüne sehen ihre Chance gekommen, die Politik des offenen Geldhahns aus ihrem bisherigen Erklärmuster eines Notfall-Konzepts zu befreien und die Dominanz der europäischen Geld- über die nationale Budgetpolitik zur neuen Normalität zu erklären.

Dass hier linke Politiker zugleich das Geschäft der Hedgefonds und der Private Equity Industrie betreiben, stört niemanden. Bei der neuzeitlichen Bastard-Ökonomie, in der sich Staat und Geldinstitute auf den Finanzmärkten paaren, handelt es sich um eine Liaison zum beiderseitigen Vorteil.

Wann immer die Marktwirtschaft Zeichen von Schwäche zeigt, spritzt der moderne Politiker ihr einen Stimmungscocktail, bis die Wirtschaft zu florieren und der Bürger zu halluzinieren beginnt. Die Geldschöpfung, in Fachkreisen als „Stretching the Euro“ bekannt, befriedigt das Geschäftsinteresse der Investoren genauso wie das Wählerbeglückungsinteresse vieler Politiker. Die Banken tauschen Geld gegen mehr Geld, und der Politiker Geld gegen Wahlerfolge.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Inflationsgeschichte

Inflationsrate im Euroraum, jährliche Veränderung in Prozent

Die bastardisierten Verhältnisse – Banken retten Staaten, Staaten retten Banken, und wenn beide nicht mehr weiter wissen gehen sie zur Notenbank – begannen als Reaktion auf die Lehman-Pleite und sind im Rahmen der Corona-Pandemie in das Stadium der Ekstase übergegangen. Jens Weidmann drängte auf das Ende einer Krisenpolitik, die mittlerweile auch ohne Krise auskommt. Dieses Drängen begründet seine Einsamkeit.

Eine Infografik mit dem Titel: Geld ohne Preis

Leitzins der EZB seit 2010, in Prozent

Bei seiner Nachfolge geht es nun einigen darum, jenes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, das mit der Überschrift „Stabilitätspolitik“ beginnt, zügig zu beenden. Der Bastard, gewissermaßen das uneheliche Kind des schwarzen Schwans, soll als Wappentier einer neuen Zeit eingetragen werden.

Eine Infografik mit dem Titel: EZB auf Einkaufstour

Umfang der EZB-Anleihekaufprogramme, in Billionen Euro

Die FDP will diesen Kräften nicht kampflos das Feld überlassen. Ihr Favorit für die Weidmann-Nachfolge ist Prof. Volker Wieland, der sich auch im Rat der Wirtschaftsweisen einen Namen als Bewahrer deutscher Stabilitätskultur gemacht hat. Bereits im September 2017 sagte er:

Der Krisenmodus der Geldpolitik mit negativen Zinsen und massiver Bilanzausweitung durch Anleihekäufe ist nicht mehr zeitgemäß.

Seine Empfehlung:

Die EZB muss den Ausstieg dringend kommunikativ vorbereiten.

Volker Wieland © dpa

Professorin Isabel Schnabel, derzeit im Direktorium der EZB platziert, hat auch ihre Hand nach der Führung der Bundesbank ausgestreckt. Als „willing executioner“ der Geldflutungspolitik von Christine Lagarde hat sie sich intern einen Namen gemacht. Ihr Standpunkt:

Eine verfrühte Straffung der Geldpolitik in Reaktion auf einen vorübergehenden Inflationsanstieg wäre Gift für den Aufschwung.

Lange bezeichnete sie die anziehende Inflation als mediales Hirngespinst und geißelte die Einwände gegen die fortgesetzte Geldflutung als anti-europäisch: Diese Kritik an der EZB sei gefährlich, „weil sie nicht nur das Vertrauen in die gemeinsame Geldpolitik bedroht, sondern auch den Zusammenhalt in Europa.”

Isabel Schnabel © dpa

Der heutige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, steht als Anwärter für das hohe Amt ebenfalls bereit. Er war einst Chef der Abteilung International Policy Analysis unter EZB-Präsident Mario Draghi. Er plädiert wie Isabel Schnabel für ein Weiter-So:

Die Wirtschaftsentwicklung und die Inflation sind immer noch nicht stark genug für ein Ende der expansiven Geldpolitik.

Marcel Fratzscher © dpa

Auch die bisherige Bundesbank-Vorständin und Stellvertreterin von Jens Weidmann, Claudia Buch, kommt für die Nachfolge in Frage. Sie war in ihrem Vorleben Wirtschaftsweise und hat den Weidmann-Kurs vor allem fachlich abgesichert, wie sie im „Handelsblatt“ vom Januar 2020 betonte:

Die wiederaufgenommenen Nettokäufe von Staatsanleihen bergen die Gefahr, dass die Geldpolitik noch enger mit der Fiskalpolitik verwoben wird.

Claudia Buch © dpa

Auf dieses Kandidatenfeld schauen die Parteien. Aber sie schauen durch ihre jeweiligen Brillengläser. Die Unterschiede könnten grundsätzlicher kaum sein.

  • Die FDP sieht das selbstverantwortliche Individuum im Zentrum des Geschehens, das sich auf freien Märkten seinen Wohlstand selbst erarbeitet. Der Staat – und das ist keine Kleinigkeit – soll sich um die Geldwert-Stabilität kümmern.

  • Die SPD widmet ihr Dasein den Zukurzgekommenen, die sie früher fordern und fördern und mittlerweile nur noch fördern möchte. Dafür braucht sie Geld, viel Geld, weshalb die Geldverdünnung für sie eine gute Idee ist. Wenn das Geld seinen Preis verliert, wird der FDP-Wähler zwar gefoltert, für alle Schuldner aber geht die Sonne auf.

  • Apropos Sonne: Die Grünen wollen das Klima durch eine Mischung aus Wind, Sonne und Schulden retten. Die Öko-Partei betrachtet das billige Notenbankgeld als nachwachsenden Rohstoff. Für sie funktionieren die Gelddruckmaschine in Frankfurt, der Windpark an der Nordsee und das Solarpanel auf dem Giebel als eine Art Block-Chain.

Fazit: Damit liegen die Karten für einen rasanten Polit-Poker auf dem Tisch. Durchaus möglich, dass sich niemand der genannten Damen und Herren durchsetzen kann. Dann müsste eine neue Karte aufgenommen werden. Hinter den Kulissen hat die Suche nach Plan B begonnen.

Friedrich Merz  © dpa

Entscheidungswoche für die Neuaufstellung der CDU: Am Freitag wollen die Kreisvorsitzenden auf einer Sonderkonferenz den Weg zu einem neuen Parteitag und damit auch zu einem neuen Vorsitzenden freimachen.

Die Basis soll mitentscheiden dürfen, wer als neuer Vorsitzender die CDU führt. Doch das wann und wie dieser Mitsprache ist unklar.

Fest steht nur: Die Junge Union mit ihren rund 100.000 Mitgliedern ist ein Machtfaktor. Sie hat sich zweimal in den vergangenen Jahren für Friedrich Merz als neuen Parteichef ausgesprochen – und verloren. Zeit für eine Neuorientierung, auch innerhalb der Jugendorganisation.

Im Morning Briefing-Podcast geht der JU-Bundesvorsitzende Tilman Kuban auf Distanz zu dem 65-jährigen Wirtschaftspolitiker Merz:

Ich bin sicher, dass er in der Neuaufstellung eine Rolle spielen wird. Aber an welcher Stelle werden wir gemeinsam besprechen.

Ein Neuanfang sei es dann nicht, wenn jeder „nur einen Stuhl weiterrückt“, sagt der CDU-Nachwuchspolitiker. Es müssten in der Führungsspitze auch Personen weichen.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Er gibt einen Hinweis, wen die JU gern weiter vorn platzieren möchte:

Ich bin mit Carsten Linnemann freundschaftlich verbunden. Ich werde ihn immer unterstützen.

Carsten Linnemann © dpa

Oder klarer ausgedrückt: Der neue Merz heißt Linnemann.

Der Masterplan für die Macht

Diese Woche beginnen die Koalitionsverhandlungen. Vertraulich und mit strittigen Themen.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

FlixBus-CEO André Schwämmlein © dpa

Vergangene Woche hat das Verkehrsunternehmen Flixmobility, das in Deutschland vor allem für den Flixbus bekannt ist, die US-Fernbusfirma Greyhound gekauft Darüber und über die Koalitionsverhandlungen hat Michael Bröcker, der Chefredakteur von ThePioneer, mit André Schwämmlein, Gründer und Geschäftsführer von Flixmobility, im Morning Briefing-Podcast gesprochen.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Die aktuelle Lage nach dem Wochenende:

Montag:

Facebook veröffentlicht seine Zahlen für das dritte Quartal 2021. Der Konzern war in den vergangenen Wochen unter Druck geraten, nachdem die ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen vor dem US-Kongress über die schädliche Wirkung der Netzwerke des Konzerns auf die mentale Gesundheit seiner Nutzer berichtet hatte.

Frances Haugen © picture alliance

Dienstag:

Der neue Bundestag kommt zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und ist größer denn je: 736 Abgeordnete aus sieben Parteien werden erstmals ihre Plätze einnehmen. Zur Bundestagspräsidentin soll die 53-jährige SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas gewählt werden.

Bärbel Bas © imago

Mittwoch:

Die deutsche Berichtssaison geht in die nächste Runde: BASF, Deutsche Bank und Puma legen ihre Quartalszahlen vor.

Donnerstag:

Die OECD veröffentlicht den internationalen Migrationsausblick für 2021. Darin beleuchtet die Organisation die Migrationsentwicklung im Zuge der Corona-Pandemie und blickt auf die Situation der Einwanderer in den Arbeitsmärkten der OECD.

Die Dax-Schwergewichte Airbus, Lufthansa, Linde und Volkswagen liefern ihre Quartalszahlen.

Carsten Spohr © dpa

Freitag:

Daimler gewährt Einblick in die Bücher für das dritte Quartal dieses Jahres. Analysten gehen davon aus, dass der Stuttgarter Konzern einen leichten Umsatzrückgang verzeichnen muss. Von Juli bis September konnte Daimler lediglich 435.000 PKW der Marke Mercedes-Benz und Smart ausliefern – ein Minus von 30,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Samstag und Sonntag:

Der G20-Gipfel beginnt am Samstag in Rom und erstmals seit Beginn der Pandemie treffen die Regierungschefs wieder persönlich aufeinander. Für Angela Merkel wird es der letzte Besuch und wohl auch der letzte große internationale Auftritt sein.

  • Auf dem Landesparteitag in Bielefeld wurde Hendrik Wüst mit 98,3 Prozent der Stimmen zum neuen Landesvorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen gewählt. Er folgt auf Armin Laschet, der das Amt seit 2012 innehatte. Am Mittwoch soll Wüst zudem zum Ministerpräsidenten gewählt werden.

  • Die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Julia Klöckner, hat sich indes gegen eine Doppelspitze für ihre Partei auf Bundesebene ausgesprochen. Laut Klöckner gehe klare Führung „am besten mit einer Person an der Spitze der Bundespartei.“

Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion © dpa
  • Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken fordert derweil von ihrer Partei, auch nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl geschlossen zu bleiben. Bei der CDU könne man sehen, „wie man sich selbst verliert“, sagte sie am Samstag auf dem Parteitag der baden-württembergischen SPD.

  • Über das Sondierungspapier sagte sie: „Jeder, der sagt, das sei ein gelbes Sondierungspapier, der soll mal nachschauen, was da ganz klar fest vereinbart ist.“ In einer Ampelkoalition müssten alle Partner sichtbar sein, auch die FDP als „Partei des freien Unternehmertums“.

  • Vor dem Beginn der Koalitionsverhandlungen am Mittwoch sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing der „Neuen Osnabrücker Zeitung”, dass ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen „keine Option“ sei.

Volker Wissing © picture alliance/dpa

Museum für Zeitgenössische Kunst in Teheran © dpa

Im Iran treffen zwei Welten aufeinander – nun auch ganz offiziell: Präsident Ebrahim Raisi distanziert sich wo es geht von amerikanischen Einflüssen. Doch im Teheraner Museum für Zeitgenössische Kunst erlebt der religiöse Fundamentalismus derzeit seine liberale Interpretation: Hier hängen neuerdings Darstellungen der Sexikone Marilyn Monroe, verewigt von Andy Warhol.

Andy Warhol: „Classic Marilyn Portfolio“ © dpa

Das 1977 erbaute und jetzt neu eröffnete Museum ist ein Überbleibsel aus einem früheren Iran: Unter Schah Mohammad Reza Pahlavi verwandelte sich in den 1960er Jahren das Land in eine aufstrebende Industrienation westlicher Prägung. Das Frauenwahlrecht wurde eingeführt, Arbeiter am Gewinn ihres Unternehmens beteiligt und auch die Bildung für alle trieb der neue Machthaber großflächig voran. Unter der Schirmherrschaft der Frau des Schahs, Farah Pahlavi, baute man das Museum, auch um dem neuen, dem modernen Iran ein Gesicht zu geben. Zur Eröffnung wurden Werke von Claude Monet, Pablo Picasso und Mark Rothko gezeigt, gekauft während des iranischen Ölbooms.

Der Schah und Farah Pahlavi © dpa

Mit der Islamischen Revolution mussten 1979 neben dem Gedanken an gesellschaftliche Offenheit und Gleichberechtigung auch die westlichen Kunstwerke der neuen Islamischen Republik weichen. Einige Jahrzehnte verbrachte die Sammlung im Tresor und wurde nur vereinzelt gezeigt.

Pierre-Auguste Renoir: „Gabrielle mit offener Bluse“

Doch bis auf einzelne Ausnahmen wie etwa die Darstellung weiblicher Nacktheit in Pierre-Auguste Renoirs „Gabrielle mit offener Bluse“ oder Francis Bacons „Two Figures Lying on a Bed with Attendants“ – angeblich aufgrund von suggerierter Homosexualität – kann die Sammlung heute wieder in ihrer vollen Pracht besichtigt werden.

Francis Bacon: „Two Figures Lying on a Bed with Attendants“

Die neue Liberalität dürfte auch an der Konkurrenz mit den Nachbarn liegen: Die Golf-Staaten positionieren sich als Zentren kultureller Inspiration. Etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten werden Kunst- und Kultureinrichtungen von Weltrang errichtet. Kamran Diba, der Exilarchitekt und Gründungsdirektor des iranischen Museums, sagt:

Der Iran war einst das fortschrittlichste Land Asiens. In Dubai gab es damals nur zwei Supermärkte – im Besitz von Iranern. Schauen Sie sich die Situation in Dubai jetzt an – und schauen Sie sich den Iran jetzt an.

Fazit: Womöglich ist sich der Iran seiner Selbstisolation bewusst geworden. Bertolt Brecht weist den Mullahs den Weg:

Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in die neue Woche. Bleiben Sie mir gewogen. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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