CDU: Der Helmut-Kohl-Moment

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Guten Morgen

die Rangordnungskämpfe im konservativen Lager haben am vergangenen Samstag weder ihr Ende, noch ihren Höhepunkt erlebt. Fest steht bisher nur:

Friedrich Merz spielt in der Architektur des bürgerlichen Lagers keine Rolle mehr. Seine Anhängerschaft ist emotional zwar stark aufgeheizt, aber auf Delegierten-Parteitagen schafft es der aufrechte Marktwirtschaftler nicht, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Mit seinen Reden stärkt er ein ums andere Mal die Überzeugung der Überzeugten. Aber die politische Laufkundschaft ist ihm entwischt.

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Seine größte Schwäche offenbarte sich im Abspann des Parteitages. Der Glaube, er könne ausgerechnet als Wahlverlierer der Bundeskanzlerin eine Kabinettsbildung aufnötigen, war von strategischer Naivität geprägt. Sie hatte ihm 2002 den Fraktionsvorsitz abgenommen, sie hat ihm im Herbst 2018 die nur mittelprächtig begabte Saarländerin vor die Nase setzen lassen. Sie war auch an seiner Niederlage vom Wochenende tatkräftig beteiligt. Wenn es denn eine Konstante der deutschen Innenpolitik über die vergangenen 20 Jahre gibt, dann ist es diese: Angela Merkel bringt Friedrich Merz zu Bette; und das wird sie immer wieder und wieder tun.

Das muss man nicht bejubeln, wie es jetzt einige tun. Aber das muss man zur Kenntnis nehmen. Die Machtarchitektur der Union hat sich unwiderruflich verschoben. Leserinnen und Leser des Morning Briefings übrigens waren auf den „Abschied von Merz“ präzise vorbereitet.

Schon am 25. Mai 2020 hieß es an dieser Stelle:

Merz ist Solist, kein Teamspieler. Jenseits seines Büros beginnt das Feindesland. Alle infrage kommenden Kandidaten für den CDU-Vorsitz und die Kanzlerschaft sind sich einig in dem Ziel, ihn verhindern zu wollen. Armin Laschet hat es ihm bei einem vertraulichen Treffen im Industrie-Club von Düsseldorf auch genau so gesagt: ‚Friedrich, du wirst es schon mal auf keinen Fall.’

Noch hat Merz den innerparteilichen Wettbewerb nicht verloren, wohl aber das politische Momentum. Wenn der legendäre Unternehmer Henry Ford Recht hat mit seiner Erkenntnis – ‚Erfolg besteht darin, genau jene Fähigkeiten zu besitzen, die im Moment gefragt sind.’ – dann hat Friedrich Merz derzeit keine Chancen.

Die zweite Gewissheit des vergangenen Wochenendes betrifft Jens Spahn. Der tatkräftige Nachwuchs-Politiker wird von seiner Partei nicht in gleicher Weise geschätzt wie von den Medien. Die Funktionärs-CDU, die Wirtschaftselite und seit dem Impf-Debakel auch wichtige Teile der Öffentlichkeit wollen von ihm nachprüfbare Leistungen sehen, bevor sie ihn weiter promovieren. Sein Eintritt in das Team des NRW-Ministerpräsidenten hat dem neuen Vorsitzenden mehr genutzt als Spahn selbst. Die Rechnung ist aufgegangen, aber eben nur für den anderen. Spahn sollte auf Nachzahlung bestehen.

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Damit sind wir bei Armin Laschet, der seit dem Parteitag mächtiger ist als zuvor. Aber der mächtigste Politiker der Konservativen ist er deshalb nicht. Seine Bastion ist noch gänzlich unbefestigt. Er ist ein Schlossherr ohne Schlossgraben und Mauer. Die dürre Rosenhecke seiner knapp 53 Prozent wird einen tollkühnen Prinzen nicht aufhalten können.

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Der Parteivorsitz ist, das lehrt die Parteigeschichte der Union, keineswegs automatisch die Vorstufe zur Kanzlerschaft. Von den bisher acht CDU-Vorsitzenden hat es überhaupt nur einer im ersten Anlauf auf den Chefposten im Kanzleramt geschafft. Dieser eine war Konrad Adenauer.

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Ludwig Erhard und Kurt Kiesinger wurden erst Parteichefs, nachdem sie die politische Fortune ins Bundeskanzleramt gespült hatte. Beide erhielten das Parteiamt erst, als die Verblühung ihrer Macht bereits begonnen hatte. Das Parteiamt war für sie kein Sprungbrett, sondern eine Art Trostpreis.

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Rainer Barzel wurde zwar CDU-Chef und dann auch Kanzlerkandidat, aber er verlor die Bundestagswahl 1972 gegen Willy Brandt. Begleitet von den Vorschusslorbeeren der Medien („zugreifend“/„Hamburger Abendblatt“, „ehrgeizig“/„Der Spiegel“) schoss er kometenhaft an die Spitze der Konservativen, um wenig später zu verglühen.

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Helmut Kohl, der gegen Rainer Barzel im Kampf um den Parteivorsitz 1971 noch unterlegen war, kam nun endlich zum Zuge. Aber: Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur wurden unverzüglich nach der Kohl'schen Wahlniederlage von 1976 getrennt, denn der frühe Kohl war noch zu schwach, das konservative Lager hinter sich zu versammeln. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß musste ran, um die Truppen gegen den amtierenden SPD-Kanzler Helmut Schmidt anführen. Er holte absolut und relativ mehr Stimmen als der SPD-Mann, aber ihm fehlte die FDP als Koalitionspartner. Erst die gewendete FDP machte den unterlegenen Kohl doch noch zum Kanzler.

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Auch die forsche CDU-Generalsekretärin Angela Merkel – damals 45 Jahre jung – konnte nach dem putschartig errungenen Sieg über den CDU-Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl und der bald schon folgenden Amtsübergabe von Wolfgang Schäuble an sie keineswegs als Kanzlerkandidatin durchstarten. Die eigenen Leute zwangen Merkel zu jener Demutsgeste, die in der Kanzlerkandidatur von CSU-Chef Edmund Stoiber ihren Ausdruck fand. Merkel lernte zunächst wie andere vor ihr nicht die Machtfülle des Parteiamtes, sondern dessen Limitierung kennen.

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Armin Laschet ist kein zweiter Adenauer. Eher schon ist er ein zweiter Helmut Kohl, ein Mann, der dazu einlädt, dass man ihn unterschätzt. Dessen Leutseligkeit die Öffentlichkeit als fehlenden Machtwillen fehlinterpretiert. Dessen Unlust an der öffentlich vorgetragenen Vision ihm als Mangel an Ideen und eben nicht als strategische Gelassenheit ausgelegt wird. Dessen Fähigkeit zum Knüpfen und Betreiben größerer Netzwerke zwar gesehen, aber nicht gewürdigt wird.

Armin Laschet muss wohl noch einige Siege erringen, wenn er tatsächlich auf dem Platz der heutigen Bundeskanzlerin landen will. Er braucht Wahlerfolge in den Ländern. Er braucht steigende Umfragewerte. Er braucht – kurz gesagt – das, was ihm heute noch fehlt: Relevanz und Reichweite.

Der Union stehen bewegte Monate ins Haus. Nach dem Machtkampf ist vor dem Machtkampf – und niemand sollte sich deshalb grämen: Der glatte Durchmarsch gehört aus guten Gründen nicht zu den Erkennungsmerkmalen der Demokratie.

Dieses kräftezehrende Auswahlverfahren, angetrieben vom Selbstbewusstsein der Kandidaten und begleitet vom Selbstzweifel der Mitglieder, ist das beste, was die Parteiendemokratie zu bieten hat. Führung wird nicht vererbt, sondern erzeugt. Oder um es mit Albert Camus zu sagen: „Gibt es eine Partei der Leute, die nicht sicher sind recht zu haben? Bei der bin ich Mitglied.“

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Damit sind wir bei Markus Söder. Er ist Chef der mächtigen Schwesterpartei und Bayerns Ministerpräsident. Er ist laut ZDF-Politbarometer der Mann, den 54 Prozent der Deutschen für geeignet befinden, Bundeskanzler zu werden. Armin Laschet kommt in dieser Umfrage nur auf 28 Prozent.

Der Chefredakteur von The Pioneer, Michael Bröcker, hat mit Söder nicht nur über den Parteitag, sondern auch über die K-Frage gesprochen. Bestärkt durch gute Umfrageergebnisse blickt der Parteivorsitzende der CSU optimistisch ins Wahljahr. Er sagt allerdings auch:

Man darf die jetzigen Umfragezahlen nicht zum alleinigen Maßstab machen oder gar als festes Fundament betrachten, von dem aus man sicher in die nächste Bundesregierung kommt.

Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet für Söder vor allem eine Sache:

Das Allerwichtigste ist Geschlossenheit. Parteien, die nicht geschlossen sind, können keine Attraktivität beim Wähler finden.

Auf dem CDU-Bundesparteitag sagte Armin Laschet in seiner Bewerbungsrede, er sei kein Mann der perfekten Inszenierung. Söder kommentiert:

Ich glaube eher, dass das eine Untertreibung war. Denn wenn ich die drei Vorstellungen sehe, dann war die einzige, die schon eine wirkliche Inszenierung war, die von Armin Laschet. Ich glaube, diese Unschulds-These ist seit letztem Samstag widerlegt.

Verglichen mit Ländern wie den USA oder Israel geht es mit den Corona-Impfungen in Deutschland bekanntlich nur sehr schleppend voran. Söder sieht darin einen klaren Wettbewerbsnachteil für Deutschland:

Die Impfgeschwindigkeit wird am Ende auch über den wirtschaftlichen Wohlstand unseres Landes entscheiden.

Fazit: Der CSU-Chef trumpft hier nicht auf, aber er meldet sich vernehmbar zu Wort. Das Ergebnis des CDU-Parteitages, das die Zweiteilung der CDU sichtbar machte, hat ihm in die Karten gespielt.

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Das ist die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) 7141 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet. Außerdem wurden 214 neue Todesfälle verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI 12.497 Neuinfektionen und 343 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet.

  • Als erster Bundesminister fordert Außenminister Heiko Maas, Menschen mit Corona-Impfung früher als anderen den Besuch von Restaurants oder Kinos zu erlauben. Der „Bild am Sonntag“ sagte er:

Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen.

  • Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte den Vorschlag. Vorstand Eugen Brysch sagte, Maas befeuere eine „Gespenster-Diskussion“ über Impf-Privilegien. Es gebe zu wenig Impfstoff.

Bei der Organisation des Impfangebots hapert es. Auch weiß heute niemand, ob ein Geimpfter das Virus weitergeben kann.

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  • Aus Sorge vor der weiter kritischen Corona-Lage und einer neuen, wohl ansteckenderen Virus-Variante wollen Kanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs morgen eine vorgezogene Zwischenbilanz ziehen. Der neue CDU-Chef und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sagte im ZDF, er gehe davon aus, „dass wir noch einmal zu Verschärfungen kommen”.

  • Österreich verlängert den Corona-Lockdown bis zum 7. Februar. Bundeskanzler Sebastian Kurz begründete dies gestern damit, dass ansteckendere Mutationen des Virus nun auch in Österreich angekommen seien. Die Lage habe sich deutlich verschärft.

Alexei Nawalny © dpa

Fünf Monate nach seiner Vergiftung in Sibirien ist der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in seine Heimat zurückgekehrt – und nach seiner Landung in Moskau festgenommen worden. Bis zur Entscheidung des Gerichts bleibe er in Untersuchungshaft. Nawalnys Team spricht von einer politischen Inszenierung.

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Die Deutsche Bank sieht die Hilfskredite, die die staatliche Förderbank KfW und die Geschäftsbanken in der Corona-Krise vergeben haben, als Erfolgsgeschichte an. Mehr noch: Das Geldinstitut plädiert dafür, das Modell auch für die nächsten Mammutaufgaben der deutschen Wirtschaft zu übernehmen: beispielsweise die Verkehrswende oder die Nutzung von Künstlicher Intelligenz.

Solche Transformationen könnten nicht allein über Bankkredite und den Kapitalmarkt finanziert werden. Diese These und ein ganzes Bündel von Lösungsvorschlägen will die Bank laut der „FAZ“ in dieser Woche mit der Bundesregierung diskutieren.

Stefan Hoops, Leiter des Unternehmenskundengeschäfts der Deutschen Bank:

Ein Blick in die Vereinigten Staaten und nach China zeigt: dort haben Unternehmen Zugang zu einem großen privaten und staatlichen Finanzierungspool, der in dieser Breite und Tiefe in Europa nicht existiert.

Unternehmen brauchen einen besseren Zugang zu Kapital – staatliche Fördermittel sind dabei ein wesentlicher Baustein.

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Die wegen des Wirecard-Skandals in der Kritik stehende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young hat die Deutsche Telekom als Kunden verloren. Laut „Handelsblatt“ haben Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der Telekom darauf gedrungen. EY hätte ursprünglich das Bilanztestat für das laufende Geschäftsjahr 2021 übernehmen sollen.

Die Telekom wies darauf hin, dass für 2020 die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC mandatiert sei. Für 2021 müsse noch ein Vorschlag erfolgen, über den die Aktionäre auf der wohl Anfang April stattfindenden Hauptversammlung abstimmen sollen.

Fazit: Der Wirecard Skandal wirft seine Schatten. Zu Recht. Die im Dunkeln sieht man jetzt.

Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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