keine Idee von der Zukunft schien zu wild, als dass nicht einer der großen Science-Fiction-Autoren sie aufgeschrieben hätte: Aldous Huxley errichtete in seiner „Schönen neuen Welt“ eine Diktatur, die ihre Untertanen zu Konsum und zur Kritiklosigkeit erzog. George Orwell ließ in „1984“ eine Welt entstehen, in der ein Wahrheitsministerium und eine politische gesäuberte Sprache, der Neusprech, die Untertanen in Schach hielten.
© Youtube/MGMJules Verne schickte Professor Otto Lindbrock durch einen Höhleneingang in Island „zum Mittelpunkt der Erde“, um eine fantasiereiche Unterwelt mit offenem Meer, Wäldern aus Riesenchampignons und bislang unentdeckten Meeressauriern zu erkunden. Nur auf die Idee, eine Welt zu erfinden, in der die Besitzer von Geld wie Aussätzige behandelt werden, ist niemandem gekommen. Zu absurd schien der Gedanke, sie mit einer Strafzahlung zu züchtigen, um ihnen die bürgerlichen Tugenden, als da wären Fleiß und Sparsamkeit, auszutreiben. Zu verwegen schien die Pointe, ausgerechnet Hasardeure und Schuldenmacher mit Bargeld zu belohnen.
© dpaDiese verrückte Welt aber ist unter Führung von Mario Draghi nun wahr geworden, wie der aktuelle Monatsbericht der Deutschen Bundesbank enthüllt:
► 23 Prozent der 220 befragten Banken belasten die Giro- und Tagesgeldkonten ihrer Kunden mit einem Strafzins. Rund ein Viertel der gesamten Spareinlagen privater Haushalte sind davon betroffen. Ihre Ersparnisse verlieren mit jedem Tag an Kaufkraft. Der Sparer ist der Dumme.
► Den Unternehmenskunden geht es nicht besser. Sie werden sogar von 58 Prozent aller Banken belastet. 79 Prozent dieser Einlagen, sagt die Bundesbank, unterliegen der allmählichen Verdampfung.
► Der Frevel wird keineswegs nur von den privaten Großbanken begangen. Auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken halten sich bei ihrer Kundschaft schadlos. Die Volksbank Raiffeisenbank Fürstenfeldbruck in Bayern verlangt von Neukunden eines Tagesgeldkontos Einlagezinsen in Höhe von minus 0,5 Prozent – ohne jeden Freibetrag.
Eine Infografik mit dem Titel: Zinsniveau: Der Verfall
Entwicklung des durchschnittlichen Zinssatzes für Spareinlagen, in Prozent
Erhielt der deutsche Sparer 2008 auf seinem Sparbuch im Schnitt noch 2,5 Prozent Zinsen, waren es zehn Jahre später nur noch 0,2 Prozent (siehe Grafik).
Eine Infografik mit dem Titel: Der Sparer leidet
DZ-Bank-Prognose: Geldvermögen 2019 gegenüber Summe der Zinseinbußen privater Haushalte seit 2010
Der Zinsschaden der deutschen Sparer, den die DZ Bank im Mai dieses Jahres auf 358 Milliarden Euro netto seit dem Jahr 2010 bezifferte (siehe Grafik) wird sich damit weiter vergrößern. Fazit: Es gibt viele Arten, eine bürgerliche Gesellschaft zu vergiften. Die vorsätzliche Bestrafung von Fleiß und Sparsamkeit ist eine der zuverlässigsten.
Im Studio für den Morning Briefing Podcast hatte ich mich mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak verabredet, um über die Lage der Sparer, die Politik der EZB und die Verantwortung der Politik zu sprechen. Der 34-jährige Vater zweier Kinder und Sohn polnischer Einwanderer, der Deutschland zunächst als Bewohner des Aussiedler-Lagers Unna-Massen kennenlernte, weiß um die zerstörerische Kraft der Geldpolitik. Er sagt:
Das größte Problem, was wir gerade bei der Strategie der EZB erleben, ist, dass die Menschen Vertrauen in dieses Geldsystem verlieren.
Wir erleben eine Umverteilung von unten nach oben.
Ziemiak stellt – wie Peter Gauweiler, der vor dem Bundesverfassungsgericht klagt – infrage, ob die EZB mit ihren Anleihenaufkaufprogrammen noch im Rahmen ihres Mandats handelt:
Wir müssen dieses System mittelfristig ändern. Und es steht jetzt die Frage im Raum: Ist das eigentlich noch rechtmäßig oder sind hier Rechte der Deutschen verletzt?
Wenn dieser Ankauf von Staatsanleihen so weitergeht, dann braucht es eine europäische Lösung. Insofern, sagen wir Nein! Wir wollen diesen grenzenlosen Ankauf von Staatsanleihen in Zukunft nicht mehr.
Wir wollen, dass die EZB sich auf ihr Mandat fokussiert.
Ziemiak kündigt eine politische Initiative aus Deutschland an, um sich die Geldpolitik und die geltenden Verträge von Maastricht bis zum Stabilitätspakt auf europäischer Ebene noch einmal vorzunehmen. Prädikat Tapfer.
Keine Bewegung ohne Gegenbewegung: Derweil die traditionellen Banken unter der EZB-Politik leiden, nutzt der Finanzdienstleister Wirecard genau dieses Leiden für eine spektakuläre Offensive: Man lockt Sparer auf das Finanzportal „boon.PLANET“. Dort gibt es, was es nirgendwo sonst gibt: Ein gebührenfreies Girokonto mit der Verzinsung von 0,75 Prozent. Bis 2025 will Wirecard mit diesem Lockangebot weltweit „Hunderte Millionen Bankkunden“ gewinnen. Diese Menschen sollen für andere Dienstleistungen zahlen, zum Beispiel Dispo-Kredite und Anlage-Produkte. Sie sollen Online-Versicherungen kaufen oder Mobilitätsdienste wie Taxis bestellen, um zur Refinanzierung das Lockangebots beizutragen. Wirecard, das darf als Gewissheit gelten, ist keine karitative Einrichtung. Die Firma besitzt nur das, was den Traditionsbanken fehlt: Pioniergeist. Die knappste Ressource im deutschen Finanzwesen ist derzeit nicht Geld, sondern Zuversicht.
Es war eine Einigung in letzter Minute: Die Europäische Union hat ihren Haushalt für 2020 unter Dach und Fach gebracht – es ist der letzte des scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Damit besitzt Europa eine finanzielle Obergrenze von 168,7 Milliarden Euro, das sind 1,5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Die Gespräche über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 dagegen sind ins Stocken geraten. Kein Staat möchte den Beitrag der Briten übernehmen. Nach vollzogenem Brexit wird ein Loch von rund 13 Milliarden Euro im Haushalt klaffen. Vor allem die Netto-Empfänger der EU-Gelder, wozu Polen, Portugal, Griechenland und Spanien gehören, drängen auf Einigung. Eine rätselhafte Sehschwäche hat diese sonst so stolzen Nationalstaaten befallen: Sie alle schielen nach Berlin.
Kampf der Kulturen: Innerhalb der CDU gibt es eine starke Strömung, die sich gegen das Tragen von Kopftüchern bei Mädchen an Grundschulen und Kitas ausgesprochen hat. Man setze auf die Überzeugung der Eltern, schließe aber „als letztmögliche Maßnahme auch ein Verbot nicht aus“, heißt es in einer Beschlussempfehlung der Antragskommission. Und weiter:
© dpaDas Tragen des Kopftuchs macht aus den kleinen Kindern schon erkennbar Außenseiter, etwa auf dem Spielplatz oder auf dem Schulhof. Dies wollen wir in jedem Fall verhindern.
CDU-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler aus dem Kabinett von Armin Laschet, die als Kind türkischer Einwanderer in Deutschland aufwuchs, unterstützt die Vorgehensweise ihrer Partei. Im Morning Briefing Podcast sagt sie:
© imagoIch halte überhaupt nichts davon, dass Kinder im Kita- oder im Grundschulalter ein Kopftuch tragen sollen. Jedes Kind in diesem Land sollte die Möglichkeit bekommen, die ich auch bekommen habe, sich frei zu entfalten und frei zu entscheiden.
Aber erlaubt das Staatsrecht eine solche Vorgabe zum Tragen oder Nichttragen einer Kopfbedeckung überhaupt? Der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland sagt klipp und klar: Nein. Im Morning Briefing Podcast erläutert er:
Man darf dem Kind und seinen Eltern nicht verbieten, dass sie ein Kopftuch tragen. Ein Kopftuchverbot durch den Gesetzgeber, also durch den Staat, würde gegen die Verfassung verstoßen. Diese garantiert das Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung.
Fazit: Die CDU sollte sich genau überlegen welche Symbole sie setzt. Die Integration in den deutschen Rechtsstaat kann mit fragwürdigen Rechtsakten nur schwerlich gelingen. Den muslimischen Mädchen das Kopftuch abnehmen und den jüdischen Jungs das Tragen der Kippa erlauben? Man muss kein Verwaltungsrichter sein, um hier eine Unmöglichkeit zu erkennen.
Das oberste chinesische Gericht verweigert Joshua Wong, Gründer der Protestpartei Demosistō und Gesicht der Freiheitsbewegung in Hongkong, die Ausreise. Via Twitter teilte der 23-Jährige mit, das Land aus Sorge vor Fluchtgefahr nicht verlassen zu dürfen. Wongs Ziel war Europa, wo er auch in Berlin um Verbündete werben wollte. Doch Wong lässt sich durch die nunmehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit nicht den Schneid abkaufen:
We shall find ways.
Die KP Chinas wird einen hohen Preis für dieses Festival der Repression bezahlen. Die Erfahrung lehrt: Revolutionäre kann man behindern und verhaften, revolutionäre Ideen nicht.
Vor jedem Parteitag beginnt das Taktieren und Finassieren. Auch die von Tilman Kuban angeführte Junge Union (JU) und die CDU-Mittelstandsunion wissen, wie das Spiel funktioniert. Auf dem Bundesparteitag am Wochenende wollen sie die Pläne für die bisher abgelehnte Grundrente unterstützen, vorausgesetzt, sie werde an ein paar Bedingungen geknüpft. Von denen sind zwei aber nicht erfüllbar:
► Der automatisierte Einkommensabgleich zwischen den Finanzbehörden und der Deutschen Rentenversicherung soll fehlerfrei funktionieren, was kein Mensch garantieren kann. Klappt er nicht, sollen die Grundsicherungsämter ran – gerade das wollte die SPD verhindern.
► Die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer soll die Finanzierung der Grundrente sichern. Aber aufgrund der Widerstände innerhalb der europäischen Staaten – allen voran Großbritannien und Schweden, aber auch die Niederlande und Luxemburg sind strikt dagegen– wird es dazu nicht kommen. Das vorgelegte Papier ist daher der Tarnkappenbomber unter den Anträgen. Wer ihm zustimmt, unterläuft die Verabredungen der Großen Koalition – und zerstört die Grundrente.
Immer mittwochs veröffentlicht meine Kollegin Chelsea Spieker ihren Podcast „The Americans“ . In der jüngsten, nunmehr vierten Ausgabe spricht sie mit US-Whistleblower Daniel Ellsberg. Der 88-Jährige enthüllte im Jahr 1971 die „Pentagon-Papiere“ und machte damit die geheimen Vietnamkriegspläne der damaligen US-Regierung publik. Über den in einem britischen Gefängnis sitzenden Wikileaks-Gründer Julian Assange sagt er:
Ich bin sehr gegen die Idee einer Auslieferung von Julian Assange an die Vereinigten Staaten, wo er sicher zu Unrecht verurteilt werden und den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen würde.
Das gesamte Gespräch hören Sie in der neuen Folge von „The Americans“. Die gibt es unter www.the-americans.com und über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer.
Wo wir schon beim Thema sind: Freuen Sie sich auf zwei neue Podcasts, die Media Pioneer in Kürze startet. Im Dezember noch beginnt Börsenreporterin Sophie Schimansky mit ihrem Ausblick auf die neue Börsenwoche. Der Titel: „Wall Street Weekly“. Sie präsentiert Analysen und Prognosen und lässt uns zuhören bei den vertraulichen „Earning Calls“ der wichtigsten CEOs der Welt, von Google, Coca-Cola bis Tesla.
Im ersten Quartal 2020 folgt dann der politische Feierabend-Talk „Überstunde“: Das heimliche Motto dieser Show ist der Satz von Hannah Arendt: „Wahrheit gibt es nur zu zweien.“ Die Publizistin und frühere Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband und Pioneer-Chefredakteur Michael Bröcker treffen auf prominente Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
© Anne HufnaglDas ganze ist als Live-Show geplant, zunächst bei uns im Studio, später auf dem Redaktionsschiff Pioneer One.
Heimtückische Tat in Berlin-Charlottenburg: Während eines Vortrages an seinem eigenen Arbeitsplatz wurde der Sohn des früheren Bundespräsidenten und Regierenden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker von einem bislang nicht identifizierten Täter getötet. Prof. Dr. med. Fritz von Weizsäcker, seit 2005 Chefarzt für Innere Medizin an der Schlosspark-Klinik, sprach in einem Tagungsraum zum Thema Fettleber, als der Mann nach vorne stürmte und mit einem Messer auf ihn einstach. Christian Lindner gestern Abend auf Twitter:
Mein Freund Fritz von Weizsäcker wurde heute Abend in Berlin erstochen. Ein passionierter Arzt und feiner Mensch. Neulich noch war er bei uns zuhause zum Grillen. Ich bin fassungslos und muss meine Trauer teilen. Einmal mehr fragt man sich, in welcher Welt wir leben.
In Gedanken sind wir heute Morgen bei der Familie des Verstorbenen, insbesondere bei seiner Frau und den drei Kindern. Nicht nur ihre Welt ist heute Morgen kälter geworden. Ich wünsche uns allen einen nachdenklichen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie Ihr