CDU: Kanzleramt a.D.

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Guten Morgen,

erst mit Zeitverzögerung beginnt in der Union das Nachdenken über die Wahlniederlage und die zu ziehenden Schlussfolgerungen. Die Erkenntnis, dass es nach dieser Wählerschmelze kein Weiter-So geben kann, setzt sich durch – wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist ein Blitzmerker. Das Wahlergebnis habe eine Wechselstimmung gegen die CDU gezeigt, sagte er gestern. Ihm erschließe sich die Haltung des Adenauer-Hauses nicht, von einem Regierungsauftrag zu sprechen. Kretschmer wurde deutlicher als deutlich: Diese Linie liege genau auf dem Kurs, der zum Absturz der Union geführt habe.

Armin Laschet ist zur selben Erkenntnis unterwegs, wenn auch im Tempo einer Weinbergschnecke. Hier fünf Anmerkungen, die ihm bei der Beschleunigung behilflich sein könnten:

1. Alle demoskopischen Befunde deuten darauf hin, dass der CDU-Chef beim Bürgertum durchgefallen ist. Die Menschen mögen ihn, aber trauen ihm die Führung des Landes nicht zu.

2. Sein Verweis auf Helmut Schmidt, der trotz seiner Zweitplatzierung Kanzler wurde, führt in die Irre. Schmidt war ein Kraftwerk mit eigener Energieerzeugung. Laschet ist das Derivat fremder Mächte, die ihn aus Furcht vor dem CSU-Einmarsch auf den Schild hoben. Man tritt Laschet nicht zu nahe, wenn man feststellt: Er ist kein zweiter Schmidt, eher ein Schmidtchen.

3. Sein Verweis auf den fehlenden Amtsbonus – eine versteckte Kritik an Merkel, die ihm das hohe Staatsamt nicht angedient hat – führt in die Irre. Denn auch in NRW, wo er sich als Ministerpräsident genau diesen Amtsbonus hätte erwerben können, zog die SPD mit Sieben-Meilen-Stiefeln an ihm vorbei. In seinen Büchern steht: ein Amts-Malus.

Eine Infografik mit dem Titel: Adenauer: Starker Rückhalt

Bundestagswahlergebnis der Union zur Adenauer-Wahl 1957 unter Einbeziehung aller Wahlberechtigten*, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Kohl: Union in Bestform

Bundestagswahlergebnis der Union zur Kohl-Wahl 1983 unter Einbeziehung aller Wahlberechtigten*, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Merkel: Die Schrumpfung beginnt

Bundestagswahlergebnis der Union zur Merkel-Wahl 2013 unter Einbeziehung aller Wahlberechtigten, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Laschet: Das Desaster

Bundestagswahlergebnis der Union zur Laschet-Wahl unter Einbeziehung aller Wahlberechtigten, in Prozent

4. Diese Niederlage ist größer als Laschet. Die stille Auflösung dessen, was einst den Kern vom Kern der CDU ausmachte, hat das Team Merkel zu verantworten, das in seinem Streben nach Modernität und Urbanität das wertkonservative Deutschland aus der Union vertrieb. Everybody’s Darling, um mit Strauß zu sprechen, ist heute Everybody's Depp.

Die CDU wird für ihre Absage an Wehrpflicht und Kernenergie, für die Preisgabe einer rigiden Einwanderungs- und Fiskalpolitik von den Medien gelobt, aber von der einstigen Stammklientel gemieden. Die Kohl-Wähler in Ostdeutschland – das ist nicht Laschets Schuld, aber sein Schicksal – stoßen heute mit Björn Höcke an. Die AfD wurde in Sachsen und Thüringen stärkste Partei.

5. Die Lockangebote an Grüne und Liberale, die der in Bedrängnis geratene Spitzenmann nun vorbereiten lässt, lösen das Dilemma nicht, sondern verschärfen es. Im günstigsten Falle würde er das Kanzleramt erobern und die CDU dafür sprengen.

Der Geistliche Heribert August aus Aachen kommt einem in den Sinn. Das ist jener katholische Priester, der Laschet seit Jahrzehnten seelsorgerisch betreut. Er riet ihm, nach den Sternen zu greifen und für CDU-Vorsitz und Kanzleramt zu kandidieren. Aber: Der lebenskluge Mann sagte, von Laschet um Wegweisung gebeten, auch das Folgende:

Werde damit fertig, wenn es nicht klappt.

Die Stunde ist gekommen, mit dem Fertigwerden zu beginnen. Der gute Mensch aus Aachen sollte den Rückzug antreten, bevor es zu spät ist. Die Häscher des Herodes sind unterwegs.

  • Führende Unionspolitiker fordern eine Aufarbeitung der Wahlschlappe: Sowohl CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak als auch CSU-Chef Markus Söder – beide nicht gänzlich unbeteiligt am Wahlausgang – kündigten eine umfassende Aufarbeitung an.

Eine Infografik mit dem Titel: Farbwechsel in Deutschland

Zweitstimmenmehrheiten je Bundesland bei der Bundestagswahl 2021 und 2017, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Union: Die Abgänge

Abgewanderte Wähler der Union bei der Bundestagswahl 2021

  • Derweil wird die Kritik am CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Armin Laschet lauter. Bayerns Junge-Union-Chef Christian Doleschal kritisiert, dass Laschet bis zum Wahltag jedes Fettnäpfchen mitgenommen habe. Die Junge Union Sachsens fordert den Rücktritt Laschets.

  • Armin Laschet hingegen beteuert weiter, Sondierungsgespräche mit Grünen und der FDP führen zu wollen. „Keine Partei kann aus diesem Ergebnis einen klaren Regierungsauftrag ableiten“, sagte der CDU-Parteichef.

Olaf Scholz © picture alliance
  • Wahlsieger Olaf Scholz will die Ampelkoalition. Dazu soll ein sechsköpfiges Sondierungsteam – bestehend aus ihm, den Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sowie dem Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer – erste Gespräche mit Grünen und FDP aufnehmen.

  • Auch der grüne Co-Vorsitzende Robert Habeck erkennt in dem Wahlergebnis eine Logik, zunächst über eine Ampel-Koalition zu sprechen. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht mit der Union reden werden“, ergänzte er in Berlin.

Robert Habeck © dpa
  • Annalena Baerbock muss womöglich für ihre Wahkampfpatzer büßen: Nach Informationen der „FAZ“ soll Habeck in einer künftigen Regierungskoalition mit Beteiligung der Grünen den Posten des Vizekanzlers bekommen.

  • Da sowohl für eine Ampel-Koalition als auch für ein Jamaika-Bündnis die Zusammenarbeit von Grünen und FDP nötig ist, haben beide Parteien „Vorsondierungen“ beschlossen, um einen gemeinsamen Nenner der inhaltlich weit auseinanderliegenden Parteiprogramme zu erörtern.

  • Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag vom „Spiegel“ wollen zwei Drittel der Befragten Olaf Scholz als Bundeskanzler. Auch die FDP-Wähler haben sich mehrheitlich für den SPD-Spitzenkandidaten ausgesprochen.

Volker Wissing © Anne Hufnagl

FDP-Generalsekretär Volker Wissing ist der starke Mann hinter Christian Lindner. Der FDP-Chef in Rheinland-Pfalz und ehemalige Wirtschaftsminister unter Malu Dreyer kennt die Arbeit in einer Ampel-Koalition. Er hat klare Vorstellungen von dem, was eine Berliner Ampel leisten muss und was sie eben nicht produzieren darf:

Die Menschen wollen nicht, dass der Klimaschutz unseren Wohlstand zugrunde richtet. Sie wollen aber auch nicht, dass unser Wohlstand unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Diese zwei Perspektiven, die beide ihre Berechtigung und ihre Bedeutung haben, müssen zu einem guten Regierungsprogramm zusammengeführt werden.

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Erst nach den Sondierungen mit den Grünen wollen beide Parteien die Gesprächsangebote von Union und SPD annehmen. Dort kommt es laut Wissing weniger auf die Frage Laschet oder Scholz an, sondern auf die Inhalte:

Die Union ist keine Modernisierungspartei. Bei der SPD gibt es die Sehnsucht zum Kollektivieren und die Forderungen von Steuererhöhungen, die uns trennen. Aber wir finden nicht zu einer Lösung, wenn wir jetzt Charakterporträts von Laschet und Scholz entwerfen und uns mit der Frage beschäftigen, wen wir toller finden.

 © imago

Am Wahlsonntag entschieden die Berliner Wähler auch über die Vergesellschaftung von über 220.000 Wohnungen im Besitz großer Wohnungsunternehmen. Mit über 56 Prozent der abgegebenen Stimmen haben sich die Bewohner der Hauptstadt dafür ausgesprochen, das Begehren der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in den Senat zu tragen. Grundsätzlich sollen dabei alle Wohnungsbestände ab einer Schwelle von 3.000 Wohnungen in staatliche Hände fallen. Wichtig ist, Folgendes zu wissen:

  • Das Volksbegehren ist rechtlich nicht bindend. Der Senat ist also nicht verpflichtet, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Die Initiative hat keine Abstimmung über einen Gesetzesentwurf durchgesetzt, sondern lediglich eine Aufforderung an den Senat formuliert.

  • Der Staatsrechtler und emeritierte Professor der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Ulrich Battis, geht davon aus, dass ein solches Gesetz nicht rechtlich umsetzbar wäre. Der Eingriff in das private Eigentum wäre zu groß und das Ziel, nur Besitzer von mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen, würde gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

  • Das Land Berlin würde die Wohnungen den bisherigen Eigentümern abkaufen müssen. Kostenpunkt wären laut Berliner Senat 29 bis 39 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Haushaltsvolumen des Bundeslands beträgt 2021 nur knapp über 32 Milliarden Euro.

Aktivisten der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ © dpa
Franziska Giffey  © Anne Hufnagl

Parallel zur Bundestagswahl und der Volksabstimmung wurde am Sonntag in Berlin auch ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Gegenstand der kommenden Koalitionsverhandlungen wird auch die Frage der Vergesellschaftung von Wohneigentum sein. Wahlsiegerin Franziska Giffey sagt:

Es muss jetzt auch die Erarbeitung eines solchen Gesetzesentwurfs erfolgen. Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden.

Die Immobilienkonzerne lehnen das Volksbegehren logischerweise ab. Beim Dax-Konzern Vonovia zeigt man sich jedoch verständnisvoll:

Vonovia wertet die erfolgreiche Volksabstimmung als weiteres Zeichen dafür, dass sich die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt dringend ändern muss. Eine Enteignung würde die Situation jedoch nicht verbessern, sondern nur verschlimmern.

Im Morning Briefing-Podcast spreche ich heute Morgen mit Joanna Kusiak von der Enteignungs-Initiative. Tapfere Leserinnen und Leser schalten den Podcast ein.

Joanna Kusiak © privat
Was wir von Naturvölkern lernen können

Alev Doğan spricht mit Journalist Thomas Fischermann

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Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Bernd Osterloh © IMAGO

Im Prozess gegen drei frühere sowie einen amtierenden VW-Personalmanager fordert die Staatsanwaltschaft Bewährungsstrafen sowie teils harte Auflagen. Die Angeklagten hätten in Bezug auf die Bezahlung und die Gewährung von Boni für führende Betriebsräte pflichtwidrig und vorsätzlich gehandelt, sagte Staatsanwältin Sonja Walther. Demnach soll unter anderem Ex-Betriebsratschef Bernd Osterloh von VW viel zu gut bezahlt worden sein.

Dem ehemaligen Personalchef Horst Neumann wurde dabei die größte Verantwortung zugeschoben. Er soll, geht es nach dem Willen der Staatsanwaltschaft, zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt werden sowie 1,5 Millionen Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen. Die Verteidiger der vier Angeklagten plädierten dagegen auf Freispruch.

Der heutige Vorstandschef Herbert Diess ist von den fraglichen Vorgängen nicht betroffen, verfolgt das gerichtliche Treiben aber mit Interesse. Er erhofft sich davon eine klare Wegweisung für die künftige Entlohnung von Betriebsräten. Im Gespräch auf der PioneerOne sagte er:

Ich bin ganz froh, dass dieses Thema Bezahlung der Betriebsräte, Gehaltserhöhung der Betriebsräte mal gerichtlich aufgearbeitet wird. Weil das ist praktisch ein rechtsfreier Raum in Deutschland.

Edmund Stoiber © dpa

Der einstige Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, CSU, wurde seinerzeit von vielen Medien belächelt. Heute verkörpert er die gute alte Zeit. Der Mann hatte in seiner Jugend beim Gebirgsjägerbataillon gedient und anschließend sein Jurastudium mit dem zweiten Staatsexamen gekrönt. Im selben Jahr wurde er mit einer Arbeit zum „Hausfriedensbruch im Lichte aktueller Probleme” promoviert.

Bereits 1971 trat er der CSU bei und diente dem damaligen CSU-Gott Franz Josef Strauß von 1978 bis 1983 als Generalsekretär. Stoiber sprach die Sprache seiner Zeit: Er trat zackig, national gesinnt und kompromisslos gegenüber allen Andersdenkenden auf. Das brachte ihm den Ruf des „blonden Fallbeils” ein. Strauß schwärmte, der „Spiegel” kochte.

Strauß und Stoiber © dpa

In der Auseinandersetzung mit Gerhard Schröder im Jahr 2002, die der SPD-Kanzler knapp für sich entschied, holte er als Kanzlerkandidat für die Union 38,5 Prozent. Allein in Bayern reüssierte seine CSU mit 58,6 Prozent. Als bayerischer Ministerpräsident fuhr er 2003 mit 60,67 Prozent das nach Sitzverteilung beste Ergebnis ein, das je bei einer deutschen Landtagswahl geholt wurde.

Edmund Stoiber und Gerhard Schröder während der Elbeflut (2002) © dpa

Doch schon der Kanzlerkandidat war eine gemäßigte Ausgabe seiner selbst. Stoiber erwies sich gegenüber uns „Spiegel”-Leuten als rauflustig, aber respektvoll. Das Bild vom Erzkonservativen bekam Risse, die sich im späteren Fortgang seines Lebensweges weiten sollten und den Blick auf einen anderen, einen zweiten Stoiber freigaben:

Dieser zweite Stoiber konnte mitfühlend sein und war internationalistisch gesinnt. Aus dem bayerischen Nationalisten war ein Europäer geworden, was er bis heute blieb. Für den D-Mark-Nationalismus, der später zur AfD-Gründung führte, war er nicht empfänglich.

Vor zwei Wochen bewies der bayerische Ministerpräsident a.D. bei Markus Lanz, wie viel ihm auch heute noch an der Union und ihren Werten liegt. In der Talkshow polterte Stoiber mit einer solchen Erregtheit gegen die Steuerpläne von Sozialdemokraten und Grünen, dass Lanz sich genötigt sah, zu sagen: „Ich mache mir Sorgen um Ihren Blutdruck.“

Heute wird Edmund Stoiber 80 Jahre alt. Wir gratulieren ihm in Respekt vor seiner Lebensleistung. Der Mann ist einen kurvenreichen, einen weiten Weg gegangen – den Weg nach Europa. Das Fallbeil hat er – Gott sei Dank – irgendwo unterwegs verloren. Einst war er Gegner, heute Vorbild. Herzlichen Glückwunsch, Edmund Stoiber.

Ich wünsche ihm und Ihnen einen schwungvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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