CDU-Minister attackiert Markenkern seiner Partei

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Guten Morgen,

bei jeder Filmproduktion gibt es für die gefährlichen Szenen das Action-Double. Für Angela Merkel spielt diese Rolle ihr Kanzleramtschef. Helge Braun ist tapfer und treu. Er kennt wie kein Zweiter das Script der Hauptdarstellerin. Geradezu lustvoll nimmt er die Schläge, die für sie bestimmt sind, und greift nach den Splittern, die sonst ihr um die Ohren fliegen würden.

Im „Handelsblatt“ unternimmt er nun den Vorstoß für eine neue, schuldenfinanzierte Sozialpolitik, die in ihrer Konsequenz eine Abkehr von der traditionellen Fiskalpolitik der bürgerlichen Parteien bedeutet: CDU 0.0.

Braun schlägt vor, den Sozialstaat bis 2023 systematisch nicht nur aus Beiträgen, sondern zusätzlich auch aus Steuermitteln zu finanzieren. So will er den Anstieg der Sozialbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber vermeiden.

Diese dauerhafte Subventionierung des Sozialstaates aus der Steuerkasse hat Folgen für die Fiskalpolitik, wie unser Action-Double zu berichten weiß. Der ehemalige Assistenzarzt, der seine Doktorarbeit über „Herzrasen während einer Operation” verfasste, schreibt im „Handelsblatt“:

Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendiziplin nicht einzuhalten.

Die Abweichung von der Schuldenregel sollte auf gar keinen Fall durch jährliche Einzelfallentscheidungen nach Artikel 115 des Grundgesetzes legitimiert werden.

Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen Korridor für die Neuverschuldung vorsieht.

Zur Erinnerung: Derzeit gilt, dass der Bund nur in ganz geringem Maße neue Kredite aufnehmen darf, nämlich maximal in Höhe von 0,35 Prozent der nominalen Wirtschaftsleistung. Diese Schuldenbremse ist seit 2009 im Grundgesetz verankert und kann nur in Notsituationen vorübergehend aufgehoben werden – wie zum Beispiel während einer Pandemie.

Eine Infografik mit dem Titel: Abschied von der schwarzen Null

Nettokreditaufnahme des Bundes in der Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel, in Milliarden Euro

Die Empörung in der Partei über die vorgeschlagene Demontage der Schuldenbremse ist groß. Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet erteilte Braun eine klare Absage: Die Union sei immer die Partei solider öffentlicher Haushalte gewesen, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident in der Online-Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Angaben von Teilnehmern. Und an die Adresse von Braun gerichtet:

Sollten Regierungsmitglieder es für erforderlich halten, die Verfassung zu ändern, sollten sie dies vorher mit Partei und Fraktion abstimmen.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus stufte Brauns Vorstoß als eine „persönliche Meinungsäußerung“ ein:

Das ist nicht meine Position, es ist nicht die Position unserer Haushalts- und Wirtschaftspolitiker, und es ist auch keine mehrheitsfähige Position in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Auch die mediale Reaktion lässt erkennen, wie sehr Braun mit seinem Vorschlag an den Grundfesten der Union rüttelt. Einer Union, die noch im Jahr 2019 auf Twitter mit dem folgenden Satz für sich warb:

In der „Neuen Zürcher Zeitung“ merkt der Berliner Wirtschaftskorrespondent René Höltschi an:

Aus ökonomischer Sicht ist sein Vorschlag eine Schnapsidee.

Ulf Poschardt, Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, stellt fest:

Dass der Kanzleramtsminister dies ohne Absprache in den politischen Raum schiebt, ist undenkbar. Damit wird auch klar, dass das Kanzleramt sich weiter und weiter weg von der politischen Mitte nach links verschiebt.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt Wirtschaftsredakteur Manfred Schäfers:

Armin Laschet versucht als neuer Vorsitzender, die Partei zu einen und Merz einzubinden. Der Querschuss aus dem Kanzleramt ist da kaum hilfreich.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschlands Schuldenberg

Staatsverschuldung* in der Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel, in Billionen Euro

Im „Handelsblatt“ kommentiert Politikchef Thomas Sigmund:

Armin Laschet ist gerade eine Woche CDU-Parteivorsitzender, da zeigt ihm die Bundeskanzlerin auf, wer Köchin und wer Kellner ist.

Die stellvertretende Redaktionsleiterin des „SZ“-Parlamentsbüros Cerstin Gammelin allerdings begrüßt den Strategiewechsel als Annäherung an die Grünen:

Die Grünen wollen ohnehin der Sparregel im Grundgesetz eine Investitionsregel hinzufügen, um nicht wieder Verwaltungen, Brücken und Schulen kaputt zu sparen. Dazu kommen nun die Zwänge der Pandemie. Es war leicht auszurechnen, dass nicht alles so bleiben wird, wie es ist. Und wer weiß, ob die Debatte Grüne und Union nicht näher zueinander bringt, als man dachte.

Fazit: Das Double hat ganze Arbeit geleistet. Überall fliegen die Splitter, aber die Hauptdarstellerin blieb unverletzt.

Carsten Linnemann © imago

Carsten Linnemann ist Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2009 gehört der promovierte Volkswirt dem Deutschen Bundestag an. Der Vorstoß von Helge Braun hat ihn nicht beglückt, sondern aufgeschreckt. Im Gespräch für den Morning Briefing Podcast sagt er:

Die Fraktion hat klar Stellung genommen. Wir machen da nicht mit. Für mich war es eine Einzelmeinung von Helge Braun.

Linnemann verteidigt die Schuldenbremse vehement:

Sie ist ein Schutz. Sie schützt uns vor Versprechen, die wir nicht halten können. Vor Wahlkampf-Bonbons, die wir nicht bezahlen können. Deshalb verstehe ich diesen Vorstoß nicht.

Die Kanzlerin will er in dieser für die Partei problematischen Debatte nicht aus der Verantwortung lassen:

Dass Helge Braun unabgesprochen diesen Vorstoß wagt, bezweifle ich. Ich bin mir sicher, dass auch die Kanzlerin davon wusste.

Ob nach dem erneuten Scheitern von Friedrich Merz, der sich stets auf die Unterstützung durch Carsten Linnemann verlassen konnte, auf ihn bei der nächsten Regierungsbildung mehr Verantwortung zukommt, wollte ich von ihm wissen. Seine Antwort:

Wenn am Ende dabei herauskommt, dass ich mehr Verantwortung übernehmen kann oder soll, bin ich dazu bereit.

Fazit: Der Wirtschaftsflügel der Union lebt. Carsten Linnemann versetzt ihn heute Morgen in Schwingung.

 © dpa

In seinem besten Moment ist das Weltwirtschaftsforum in Davos immer auch ein Ort der Selbstreflektion. So zog die Kanzlerin während ihrer gestrigen Rede eine durchaus kritische Bilanz ihrer Corona-Politik. Es seien in Deutschland Schwachstellen und Stärken sichtbar geworden:

Die Schnelligkeit unseres Handelns lässt sehr zu wünschen übrig.

Wo wir nicht gut aussahen, das zeigt sich bis in die heutigen Tage, das ist der Mangel an Digitalisierung unserer Gesellschaft.

Merkel nannte als Beispiele die mangelnde Vernetzung der Gesundheitsämter, der Verwaltung und des Bildungssystems. Merkel verabschiedete sich mit einem Zitat von Erich Kästner, das man nur als Selbstappell verstehen kann:

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

 © dpa

Die Bundesregierung würde den Ton des Diskurses gern ändern, und legt im Kabinett heute eine 121 Seiten starke Datenstrategie vor. Darin fordert das Kanzleramt, wo das Papier erarbeitet wurde, einen neuen Ansatz: Datensouveränität statt Datenschutz.

Das Land soll vernetzte Daten für Forschung, Wissenschaft und in der Wirtschaft stärker nutzen, Regularien müssten dafür abgebaut und Datenlabore aufgebaut werden. Die Behörden sollen schneller digitalisiert werden, eine Bildungsplattform den Umgang mit Daten lehren. Die Kollegen vom Hauptstadt Team haben sich das Dokument genauer angesehen. Nachzulesen ist ihre Analyse hier: thepioneer.de/hauptstadt.

 © imago

Sie ist eine der aufstrebenden Historikerinnen in diesem Land und eine Expertin für Demokratiegeschichte. Hedwig Richter, Professorin für Neuere Geschichte an der Bundeswehr-Hochschule in München, hält die Pandemie und ihre Beschränkungen für einen Testfall für die Demokratie, der am Ende sogar die Kräfte der liberalen Gesellschaft stärken könnte.

Im Morning Briefing Podcast sagt sie:

Die Pandemie ist in jedem Fall ein Testfall für die Demokratie und wer hätte gedacht, dass all die reichen Länder in Europa so anfällig und verletzlich sind.

Ich denke aber, dass sie sich doch ganz gut schlagen. Eines der ganz zentralen Menschenrechte, das auch in der Französischen Revolution, aber eben auch davor schon gefordert wurde, die Unantastbarkeit des Menschen und damit die Unversehrtheit des Körpers, wird gerade von den Staaten mit aller Kraft verteidigt.

„Demokratie. Eine deutsche Affäre“, heißt ihr Buch. Doch die komplizierte Form des gesellschaftlichen Miteinanders sei meistens eher eine nüchterne Partnerschaft anstatt einer heißen Affäre:

Eine gewisse Nüchternheit ist für Demokratien gar nicht das Schlechteste. Das ist auch gut so, damit sich die Menschen nicht die Köpfe einschlagen.

In jedem Fall würde ich sagen, dass es eine stabile Beziehung geworden ist und dass man in dieser Beziehung Freundschaft geschlossen hat mit anderen Paaren, gerade innerhalb Europas.

Fazit: Hier meldet sich in polarisierter Zeit eine Stimme der Mäßigung. Die Historikerin ermuntert uns, einander auszuhalten. Die Demokratie sei nun mal „voraussetzungsvoll“.

 © imago

Die neue US-Regierung plant den ersten Geldschein mit dem Porträt einer afroamerikanischen Frau. Eine Sprecherin von Präsident Joe Biden, kündigte an, dass das Finanzministerium der im Jahr 1913 verstorbenen Aktivistin Harriet Tubman auf dem 20-Dollar-Schein ein Denkmal setzen möchte. Es sei wichtig, „dass unsere Banknoten die Geschichte und Diversität unseres Landes zeigen“.

Der Plan mit Harriet Tubman, die sich für die Abschaffung der Sklaverei in den Südstaaten einsetzte, war bereits unter Donald Trumps Vorgänger Barack Obama gestartet worden, wo er dann versandete. Trump kritisierte den Kerngedanken als „reine politische Korrektheit“ und stoppte das Vorhaben.

Fazit: 58 Jahre nach der berühmten „I Have A Dream”-Rede von Martin Luther King geht ein Teil-Traum des Menschenrechtlers in Erfüllung.

 © dpa

Friedrich Christian Haas, Geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensberatung, ist ein aufmerksamer Leser und Hörer des Morning Briefings. Ihm ist nach dem Interview mit dem KiK-Vorstandschef folgende Paradoxie in Zeiten des Lockdown aufgefallen. Er schreibt:

„Dazu eine Beobachtung aus dem HUMA Einkaufszentrum in St. Augustin: Sound of Silence, abgesperrte Bereiche, Rolltreppen, …

Seniorenschuhe für meinen Onkel bei Deichmann kaufen? Geschlossen!

Ein Paar Socken, Unterwäsche und eine Jogginghose bei Schulze kaufen? Geschlossen!

KiK ein paar Meter vom Einkaufszentrum entfernt … geschlossen.

Aber dann die Offenbarung: Der real-Supermarkt ist geöffnet und im ersten Stock des rappelvollen Geschäfts gibt es:

- Bekleidung

- Schuhe

- Haushaltswaren

- Kosmetik

- Spielzeug

- Unterhaltungselektronik

- Schreibwaren

- Zubehör für Mobiltelefone

Eigentlich fehlt nur noch ein offener Friseur im real.

Kurz – ich würde gerne verstehen, was der Grund für diese Absurdität der Ungleichheitbehandlung ist.

Fazit: Diese berechtigte Frage richtet sich eindeutig an den Bundeswirtschaftsminister. Peter Altmaier, bitte melden, bitte melden!

Die Pioneer One – unser Redaktionsschiff – wird heute zum Konzerthaus auf dem Wasser. Und Sie können dabei sein – egal, wo Sie sind.

Anlässlich des 76. Gedenktages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz kommen Annika Treutler, preisgekrönte Pianistin, und Sarah Aristidou, eine großartige Sopranistin, auf das Schiff. Im Rahmen ihres Projekts „Respond in Music“ spielen sie Musik von jüdischen, im Dritten Reich verfolgten Musikerinnen und Musikern.

 © Annika Treutler © Anne Hufnagl

Es geht um Menschen, deren Werke diese Künstlerinnen vor dem Vergessen retten wollen. Es geht zum Beispiel um den Komponisten Victor Ullmann, der im Dritten Reich Spielverbot bekam, dessen Musik von den Nazis als sogenannte „entartete Musik” gebrandmarkt wurde – und der im Oktober 1944 in Auschwitz durch Vergasung ermordet wurde.

Der Konzertsaal ist heute unser Schiff. Zusammen mit Christian Wulff, unserem ehemaligen Bundespräsidenten, werden wir um Punkt 12 dieses Konzert an Bord eröffnen. Danach unterhält sich unsere Chefreporterin Alev Doğan mit den Künstlerinnen über das, was Antisemitismus und Rassismus damals an Verwüstung angerichtet haben.

Denn das ist das Motiv unseres Engagements: Wir tragen nicht Verantwortung für das, was damals geschah. Aber wir tragen Verantwortung dafür, dass es sich nie mehr wiederholt.

 © Anne Hufnagl

Um die technisch und damit auch finanziell anspruchsvolle Realisierung dieses Projekts zu ermöglichen, Flügel aufs Schiff und später wieder runter, zehn Kameras und viele Mikrofone, sind wir auf Unterstützung angewiesen. Und deshalb danke ich der Dieter Fuchs Stiftung, der Deutsche Post DHL Group und der Quirin Privatbank, dass sie mitgeholfen haben, das Projekt „Respond in Music” heute auf der Pioneer One zu stemmen.

 © Anne Hufnagl

Um 12 Uhr gehts los. Um 19 Uhr wiederholen wir das Konzert noch einmal live. Und später werden wir – Lehrerinnen und Lehrer aufgepasst – ein Video produzieren, das im Schulunterricht eingesetzt werden kann. Heute aber: „Floating Concert“ mitten im Lockdown, live im Berliner Regierungsviertel – auf Thepioneer.de können Sie dabei sein.

Ich freue mich auf Sie und wünsche Ihnen einen guten Start in den neuen Tag. Bleiben Sie mir gewogen. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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