CDU vs. Grüne: Regression zur Mitte

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Guten Morgen,

das menschliche Gehirn spielt uns die größten Streiche. Es neigt dazu, Ereignisse im politischen, im wirtschaftlichen und privaten Leben zu extrapolieren, also das einmal Gesehene, Gemessene und Gefühlte in die Zukunft zu verlängern.

  • Wenn eine Aktie sechs Monate hintereinander steigt, glauben die meisten Anleger, dass sie auch in Zukunft steigen wird.

  • Wenn die Kriminalität seit einiger Zeit zunimmt, hat die Mehrheit das Gefühl, dass bald schon Kriminelle ihre Stadt übernehmen.

  • Wenn eine Partei in den Umfragen über einen längeren Zeitraum zulegt – wie die Grünen – oder über einen längeren Zeitraum abnimmt – wie die Union – dann prognostiziert eine Mehrheit der Kommentatoren, dass die Grünen bald das Kanzleramt übernehmen werden und die Union ihre besten Zeiten hinter sich hat.

Genau das nennen die Psychologen die Regressionsfalle, in die unser Denken immer wieder tappt. Denn in Wahrheit beobachtet die Wissenschaft nach statistischen Extremausschlägen die sogenannte „Regression zur Mitte“.

  • Die Aktien mit den höchsten Zuwächsen weisen bald schon die geringsten Zuwächse auf und fallen relativ zurück.

  • Die Kriminalitätszahlen flachen wieder ab, weil die staatlichen Gegenkräfte aktiviert wurden.

  • Und politische Parteien fallen oder steigen ihrer historischen Mitte entgegen. Die zuvor prognostizierten Extremausgänge von Wahlen fallen meist am Wahlabend in sich zusammen wie ein erkaltetes Soufflé.

Eine Infografik mit dem Titel: Totgesagte regieren länger

Umfragewerte und Hochrechnungen von CDU, AfD und Grünen in Sachsen-Anhalt seit dem 23.4. in Prozent

Für seine Forschungsarbeiten zum Thema „Die Regressionsfalle“ erhielt Prof. Dr. Klaus Fiedler den renommierten Leibniz Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er sagt:

Intuitiv neigen Menschen dazu, von positiven Ergebnissen auf positive Eigenschaften und von negativen Ergebnissen auf negative Eigenschaften zu schließen. Das Prinzip der Regression verlangt aber das genaue Gegenteil.

Prof. Dr. Klaus Fiedler  © Universität Heidelberg

Was regressive Prozesse intuitiv so schwer zu verstehen macht, ist, dass sie dem vorherrschenden Trend zuwider laufen.

Womit wir beim Wahlabend von Sachsen-Anhalt wären: Die AfD wurde nicht stärkste Partei in Sachsen-Anhalt, wie von manchen prognostiziert. Die CDU hat stark zugelegt und nicht verloren, wie von vielen erwartet. Die FDP verschwindet nicht aus dem Landtag und das Wahlergebnis der Grünen ging nicht durch die Decke. Nahezu alle Medien befinden sich seit Wochen in der Regressionsfalle.

Eine Infografik mit dem Titel: Regression zur Mitte

Umfragewerte von Union und Grünen bundesweit seit dem 20.4. in Prozent

Im Bund dasselbe psychologische Spiel: Der anschwellende Abgesang auf die Union nach Merkel und die Überhöhung der Grünen sind Fehlurteile, die auch dann Fehlurteile bleiben, wenn sie von einer Mehrheit der professionellen Beobachter geteilt werden. Oder um noch einmal mit dem Psychologen Fiedler zu sprechen:

Die ‘Regressionsfalle’ ist tückisch und schwer zu erkennen; selbst intelligente und in formalem Denken ausgebildete Menschen übersehen sie nur allzu oft. Sie zu meistern, verlangt eine ungewohnte Denkweise.

Fazit: Mit ihrem stark ausgeprägten Herdentrieb werden die Medien ein ums andere mal in die Regressionfalle tappen und dem Journalismus keinen Dienst erweisen können. Eine politische Berichterstattung, die den zur Gewissheit prolongierten Augenblick als Wahrheit verkauft, kann auf Dauer das Vertrauen des Publikums nicht rechtfertigen und wird auch bei den Spitzenpolitikern immer neue Traumata hervorrufen. Martin Schulz, Annegret Kramp-Karrenbauer und womöglich bald auch Annalena Baerbock wissen, was hier gemeint ist.

Armin Laschet hat eine Einladung zur CSU-Klausur im bayerischen Kloster Seeon angenommen. Was er da vorhat und wann die beiden Schwesterparteien ihr Programm vorlegen wollen, lesen Sie im Newsletter „Hauptstadt – Das Briefing“.

Außerdem:

  • Wie die Staatsbank KfW der belarussischen Wirtschaft mit Krediten und Darlehen geholfen hat.

  • Warum Veranstalter von Kultur-Events wegen der Corona-Beschränkungen bis zu 100.000 Euro Zuschuss kassieren sollen.

  • Wieso die WerteUnion nach der Wahl von Max Otte zum Bundesvorsitzenden Mitglieder verliert.

Wie Sachsen-Anhalt Laschet gegen Söder hilft

CDU-Chef Laschet geht gestärkt in den Friedensgipfel mit Markus Söder. Und er kommt nach Bayern.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Carsten Linnemann © dpa

Carsten Linnemann versteht sich als Vertreter einer aussterbenden Spezies in diesem Land: Er ist Marktwirtschaftler.

Im Morning Briefing Podcast analysiert er die Lage wie folgt:

Ich glaube, dass dieses Land nach links gerutscht ist und die Staatsgläubigkeit gestiegen ist. Es ist eine unserer größten Herausforderungen, wie wir die soziale Marktwirtschaft verteidigen.

Der Sozialstaat, so Linnemann, ist kein fürsorgender mehr, sondern ein übergriffiger. Er beglückt Menschen – wie seine Mutter – die gar nicht beglückt werden möchten. Linnemann sagt:

Wahlkampfgeschenke oder Rentenbonbons, mit denen wir aus taktischen Erwägungen Stimmen bekommen wollen. Damit muss Schluss sein.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Er wünscht sich eine gesetzlich fixierte Obergrenze für alle Sozialausgaben:

Wir müssen uns selbst Schranken schaffen. Die erfolgreichste Schranke, die die Union geschaffen hat, war die schwarze Null. Das war eine der besten Erfindungen. Das bräuchten wir auch im Sozialversicherungsbereich.

„Wir brauchen eine Staatsreform“

Im Interview: Carsten Linnemann (CDU), Vize-Fraktionschef CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Podcast hören

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Podcast mit der Laufzeit von

Olaf Scholz © dpa

Am Wochenende einigten sich die Finanzminister der G7-Nationen in London auf eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent. „Eine Steuerrevolution“, nannte es Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Zu früh gefreut, heißt es in einer Analyse des Handelsblatts“. Hier die Argumente von Redakteur Martin Greive, die bedenkenswert sind:

1. Die Zeiten, in denen die G7-Länder wirtschaftliche Entscheidungen für die ganze Welt treffen konnten, seien vorbei, schreibt er. Es komme nun auf die OECD und die G20 an: „In diesen größeren Runden ist die Mindeststeuer nur leider umstritten.“

2. Der Kern vom Kern ist nicht der Steuersatz, sondern die Bemessungsgrundlage. Was wird versteuert und was nicht. Greive schreibt:

Wenn sie löchrig ist, bringen die 15 Prozent wenig.

3. Die globale Mindeststeuer soll neu regeln, wo Konzerne ihre Steuern zu zahlen haben. Anders als bisher wären Unternehmenssteuern nicht nur im Land des Firmensitzes fällig, sondern auch in den Ländern, in denen Umsätze erzielt wurden. Sein Fazit: Für die exportgetriebene deutsche Wirtschaft könnte diese Steuerreform bedeuten, dass mehr Steuern im Ausland und weniger im Inland gezahlt werden müssen.

4. Pech für den Finanzminister, der sich in Heldenpose präsentierte: „Deutschland könnte Milliardeneinnahmen verlieren“, schreibt Greive.

Fazit: Die schnellen Jubler bestraft das Leben. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Jens Spahn © imago

Vor Beginn der Pandemie war Jens Spahn einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Nach dem verpatzten Impfstart und einer Verspätung bei Maskenbeschaffung und Teststrategie sehen die Beliebtheitswerte des Gesundheitsministers nicht mehr ganz so rosig aus. Eine Recherche des „Spiegel“ hat nun das Potential, seine Reputation weiter zu beschädigen.

Laut dem Magazin soll das Bundesgesundheitsministerium Anfang 2020 Atemschutzmasken aus China geordert haben – allerdings ohne das europäische CE-Kennzeichen. Zwar wurden die Masken vom TÜV Nord geprüft, jedoch in einem verkürzten Verfahren.

Maske bei TÜV Nord auf dem Prüfstand © dpa

Anfang dieses Jahres schlug das Gesundheitsministerium vor, die Masken ohne Siegel gratis an Behinderte, Obdachlose und Arbeitslose zu verteilen. Das von Hubertus Heil geführte Arbeitsministerium wehrte sich erfolgreich gegen diese Empfehlung und forderte, dass die nicht durchgeführten Prüfschritte nachgeholt werden sollten.

Für Spahns Vorschlag hagelt es nicht nur Kritik aus der Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans forderte im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ gar den Rücktritt des Gesundheitsministers:

Es ist unwürdig und menschenverachtend, wenn ein Gesundheitsminister Menschen in zwei Klassen einteilt, nämlich die mit Anspruch auf qualitätsgeprüfte Masken und die, für die absolut untaugliche Masken gut genug sind, um ihr Leben eben nicht zu schützen.

Michael Theurer © dpa

Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, ist ebenfalls entrüstet, wenn auch nicht so weitgehend wie die SPD:

Das ist zutiefst unanständig, und eine Entschuldigung des Bundesgesundheitsministers ist das allermindeste, sollte sich dieser ungeheuerliche Fehltritt von Herrn Spahn tatsächlich bewahrheiten.

Sahra Wagenknecht von den Linken twitterte:

Nach #Corona-Dauerversagen bei Beschaffung von Masken, Impfstoff, Tests nun auch noch d. menschenverachtende Versuch im Ministerium von Jens #Spahn, unbrauchbare Masken an Hartz-IV-Empfänger, Behinderte & Obdachlose zu verteilen. Wann reicht es eigentlich?

Der Gesundheitsminister bestreitet nicht, dass die Schutzmasken an sozial schwächere Gruppen hätten verteilt werden sollen. Aber er bestreitet, dass die Masken minderwertig waren: Die vom TÜV Nord geprüften Schutzmasken hätten alle nötigen Eigenschaften gehabt, um ihre Träger zu schützen, sagte der CDU-Politiker gestern.

Fazit: Der Wahlkampf hat erkennbar begonnen. Und Jens Spahn ist vom Minister zum Zielobjekt geworden.

  • Entwarnung an der Corona-Front: Die Corona-Inzidenz liegt in Deutschland unter 25. Einige Landkreise steuern auf die ersehnte Null zu.

Eine Infografik mit dem Titel: Auf dem Weg in die Normalität

Bestätigte Neuinfektionen je 100.000 Einwohner der vergangenen sieben Tage in deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten.

  • Der britische Premierminister Boris Johnson strebt die Impfung der gesamten Weltbevölkerung bis Ende 2022 an und fordert konkrete Verpflichtungen der G7-Staaten bei der globalen Impfung.

  • In dem Dresdener Studentenwohnheim, das nach dem Tod eines aus Indien zurückgereisten Bewohners unter Quarantäne gestellt wurde, sind sieben weitere Bewohner positiv auf Corona getestet worden.

  • Die aus Indien stammende Delta-Variante ist 40 Prozent ansteckender als die Covid-19 Ursprungsform, so die britische Regierung. In Deutschland wurde die Mutation in einer Stichprobe bei circa zwei Prozent der Fälle festgestellt.

  • In Israel werden seit Sonntag 12- bis 15-Jährige geimpft. In Deutschland wird ab heute die Impfpriorisierung aufgehoben.

Hans Dieter Pötsch © dpa

Hans Dieter Pötsch bekommt fünf weitere Jahre an der Spitze des VW-Aufsichtsrats – wenn es nach dem Willen des Gremiums geht. Am Samstag wurde beschlossen, Pötsch im Juli während der Hauptversammlung für die Wahl vorzuschlagen. Es wäre die zweite Amtszeit des 70-Jährigen, der seit Oktober 2015 als Nachfolger des mittlerweile verstorbenen Konzernpatriarchen Ferdinand Piëch an der Spitze des 20-köpfigen Kontrollgremiums steht.

Die Beförderung des früheren Finanzvorstands bedeutet für viele Investoren eine Zumutung. Denn: In der Schlussphase der Dieselaffäre war er der treueste Diener von Martin Winterkorn und hatte in dieser Funktion den Anlegern zu lange das Milliardenrisiko „Dieselgate“ verschwiegen – so die Anklage von Staatsanwaltschaft und Investoren. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte das Verfahren nach drei Jahren wegen Mangels an Beweisen ein.

Herbert Diess © Anne Hufnagl

Aber: Pötsch genießt das Vertrauen aller wichtigen Aktionärsgruppen und bewies zuletzt im Konflikt zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh und Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender von VW, sein Verhandlungsgeschick. Da die Vorteile seiner Moderationsfähigkeit die Nachteile seiner Vorgeschichte überwiegen, soll sein Vertrag verlängert werden. Pötsch ist damit der große Gewinner der Dieselaffäre. Winterkorn sitzt zu Hause, Stadler saß im Knast, Pötsch aber thront auf dem Chefsessel des Aufsichtsrates. Die alten Netzwerke hat er gekappt. Der Mann hat seinen Machiavelli gelesen:

Es ist unklug, zu verteidigen, was man ohnehin aufgeben muss.

Das Kreuzfahrtschiff MSC Orchestra in Venedig © dpa

Venedig ist im Wasser zu Hause. Die Stadt zieht mit ihren Gondeln, dem Markusdom und der Rialtobrücke jährlich 30 Millionen Touristen an. Dabei kommt sie in der Regel ganz ohne Autos und Motorroller aus. Doch vor ein paar Tagen feierte die Kreuzschifffahrt – die pandemiebedingt ihre Fahrten aussetzen musste – ihr Comeback. Als das erste Kreuzfahrtschiff, die 16-stöckige und 92.000 Tonnen schwere MSC Orchestra, in den Hafen Venedigs einfuhr, protestierten einige Anwohner lautstark.

Einer, der sich ebenfalls an der CO2-Schleuder störte, war Mick Jagger. Der Frontmann der Rolling Stones unterzeichnete eine Petition gegen die Kreuzfahrtindustrie.

Mick Jagger © dpa

Doch das Verfahren kennen wir: Links blinken, rechts überholen. Denn wie viele Stars ist auch Jagger gerne auf großen Privatjachten unterwegs, die jeder Klimaaktivist am liebsten untergehen lassen würde. So hat der 77-Jährige Songs für sein Projekt „SuperHeavy“ auf einer Superjacht des mittlerweile verstorbenen Microsoft-Mitbegründers Paul Allen aufgenommen. Neben zwei Helikoptern und U-Booten verfügt das Schiff über eine Disco, ein Kino, einen Pool und einen Basketballplatz. Der CO2-Fußabdruck eines solchen Schiffes gleicht der Schuh-Übergröße des Riesen Rübezahl.

Paul Allens Superjacht © dpa

Vielleicht sollte Mick Jagger nicht nur „Sympathy For The Devil“ haben, sondern auch für die kleinen Kreuzfahrer. Ihr Schiffsdiesel riecht wie sein Schiffsdiesel. Nur, dass ihr CO2-Fußabdruck (gemessen an seinem) sich im Bereich der Kindergrößen bewegt.

Das eben ist das teuflische Wesen der Doppelmoral. Die heftige Beschimpfung der anderen bedeutet den Freispruch für die eigenen Missetaten. Oder um es mit Mark Twain zu sagen:

Kaum verloren wir das Ziel aus den Augen, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.

Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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