CDU will Parteitag verschieben

Teilen
Merken

Guten Morgen,

die Spitzengremien der CDU werden heute Morgen ein neues Datum für den CDU-Bundesparteitag beraten. Die Führung würde ihn gerne vom 4. Dezember auf den 16. Januar verschieben.

Dann sollen, dieser Idee folgend, sich auf einem Digital-Parteitag die Bewerber um den Parteichef-Posten präsentieren, anschließend wird per Briefwahl abgestimmt. Corona-freie Zone, lautete das neue Leitbild der CDU nach einem fünfstündigen, teilweise hitzig geführten Treffen der Kandidaten gestern im Adenauer-Haus. Friedrich Merz wollte unbedingt im Dezember die Führungsfrage klären, Armin Laschet - in den Umfragen hinter Merz - wollte in das Frühjahr verschieben. Jetzt wird es Januar. Norbert Röttgen war der Erste, der sich damit anfreunden konnte.

Ein Parteitag mit 1001 Delegierten mitten in der Pandemie - das wäre kaum zu vermitteln. Hier sind fünf Gründe, die ausnahmsweise für eine Cancel Culture sprechen:

Eine Infografik mit dem Titel: Mitte-Kurs fortsetzen

Umfrage unter CDU-Mitgliedern, wie sich die Partei nach dem Ende der Ära Merkel positionieren soll, in Prozent

Erstens: Nur 24 Prozent der CDU-Mitglieder sind laut der jüngsten Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL der Meinung, dass der Parteitag wie bisher geplant als „Präsenz-Parteitag“ stattfinden sollte. Das heißt: 76 Prozent sind dagegen, dass die 1001 Delegierten sich an einem Ort versammeln. Die Führung kann das Votum der einfachen Mitglieder nicht kaltschnäuzig ignorieren.

Zweitens: 68 Prozent der Mitglieder wollen zwar, dass die kraftlos dahin amtierende Annegret Kramp-Karrenbauer am 4. Dezember abgelöst wird, meinen aber, dass die Wachablösung auch per Briefwahl erfolgen kann. Denn in der Tat: Wenn in Deutschland nationale Wahlen per Briefwahl möglich sind, werden auch 1001 Delegierte damit klarkommen.

Eine Infografik mit dem Titel: Merz klar in Führung

Umfrage unter CDU-Mitgliedern, wer nächster Parteivorsitzender werden soll, in Prozent

Drittens: In Zeiten der Pandemie, wo die Kanzlerin von den Bürgern verlangt, ihren Aktionsradius auf ein Minimum zu reduzieren, darf die eigene Partei sie nicht dementieren. Oder um es mit Kurt Tucholsky zu sagen:

Das erste der zehn Gebote sollte heißen: Tue, was du predigst.

Viertens: Angesichts der unklaren Situation verschafft eine Verschiebung in das neue Jahr hinein dem Team Armin Laschet/Jens Spahn - das derzeit hinter Friedrich Merz in der Parteigunst liegt - eine Atempause. Beide gewinnen Zeit, das Profil zu schärfen - und womöglich zwischen Fahrer und Beifahrer den Sitzplatz zu wechseln.

Fünftens: Ausweislich vieler Umfragen in der Gesamtbevölkerung hätte ein Unions-Kanzlerkandidat Markus Söder, CSU, die besten Chancen bei der Bundestagswahl 2021. Die Klärung von CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur könnten im Falle einer Verschiebung in das neue Jahr terminlich und strategisch aus einem Guss erfolgen. Dem bürgerlichen Publikum bliebe ein monatelanger Stellungskrieg zwischen dem neuen Parteichef, der Noch-Kanzlerin und dem Mann in Bayern erspart.

Anmerkung: Nur der Hintergrundgedanke einiger Parteiaktivisten, die Wirren der Corona-Zeit könnten womöglich zu einer AKK-Renaissance führen, sollte den Halbschatten der Spekulation besser nicht verlassen. Oder um es mit dem britischen Philosophen und Literatur-Nobelpreisträger Bertrand Russell zu sagen:

Man sollte im Leben niemals die gleiche Dummheit zweimal machen, denn die Auswahl ist ja so groß.

 © dpa

Am Sonntag ist Thomas Oppermann unerwartet und tragischerweise mit 66 Jahren verstorben. Der langjährige Fraktionschef der SPD im Bundestag, der sein letztes Interview dem Morning Briefing Podcast gab, war ein früher Unterstützer der Agenda 2010 und bekennender Realpolitiker. Er wird der SPD fehlen. Wir sind heute Morgen in Trauer mit der Familie vereinigt. Thomas Oppermann hinterlässt vier Kinder.

Einen Nachruf meines Kollegen Gordon Repinski auf den Bundestagsvizepräsidenten lesen Sie hier.

Der positiv auf Corona getestete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meldet sich aus der häuslichen Quarantäne:

Bitte helfen Sie weiter mit und hören Sie nicht auf diejenigen, die Verharmlosen und beschwichtigen. Es ist ernst.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung widerspricht indirekt. Er kritisiert einen „Alarmismus, der niemandem nutzt“:

Wir brauchen endlich ein Rendezvous mit der Realität. Es bringt nichts, die Farbskala immer weiter dunkelrot einzufärben.

 © dpa

Dessen ungeachtet sprang die Corona-Ampel in München am Sonntagabend auf dunkelrot, weshalb ab heute folgende Einschränkungen gelten: Die Sperrstunde in der Gastronomie wird auf 21 Uhr vorgezogen. Von diesem Zeitpunkt an gilt stadtweit das Verbot, Alkohol zu verkaufen.

Auch in Frankfurt wurden die Maßnahmen verschärft: Nach einem Anstieg des Inzidenzwerts auf 122 wurde für das gesamte Stadtgebiet der Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum ab 23 Uhr verboten. Im öffentlichen Raum dürfen sich jetzt maximal fünf statt bisher zehn Menschen oder alternativ die Angehörigen von zwei Hausständen treffen.

Angesichts steigender Zahlen bei den Corona-Infektionen verschärft auch der Hamburger Senat die Schutzmaßnahmen. Bis zunächst Ende November dürfen sich im privaten Bereich und in der Gastronomie nur noch bis zu zehn Menschen aus maximal zwei Haushalten treffen.

 © imago

In Berlin fanden am Sonntag erneut Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen statt. Laut Polizei versammelten sich rund 2000 Menschen auf dem Alexanderplatz in Berlin-Mitte. Da weder der Abstand eingehalten noch eine Maske getragen wurde, löste die Polizei die Versammlung auf.

Die Bundeshauptstadt wird immer mehr zum Hotspot der Pandemie. In Neukölln liegt der Inzidenzwert bei 235,1, in Mitte bei 215,3 und in Tempelhof-Schöneberg bei 165,6. Für ganz Berlin liegt der Wert durchschnittlich bei 119,6.

Eine Infografik mit dem Titel: Coronavirus breitet sich aus

Bestätigte Neuinfektionen je 100.000 Einwohner der vergangenen sieben Tage in deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten

Die Anzahl derjenigen Infizierten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, steigt seit Anfang Oktober kontinuierlich. Gegenwärtig werden 1296 Menschen intensivmedizinisch behandelt, 578 sind an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Insgesamt sind auf den Intensivstationen 21.736 Betten belegt und 7784 frei.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen sagt, dass es nicht so schnell einen Impfstoff für die deutsche Bevölkerung oder gar sieben Milliarden Menschen weltweit geben werde.

Wir müssen uns an das Virus gewöhnen und dürfen dabei nicht vergessen, dass es neben COVID-19 auch noch andere Krankheiten gibt.

 © dpa

Mitten in der Corona-Krise haben Gewerkschaften und Arbeitgeber eine kostspielige Einkommenssteigerung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vereinbart; die mehr als zwei Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen erhalten eine zusätzliche Lohn- und Gehaltssumme von 4,9 Milliarden Euro. Den Bund belastet es mit 1,2 Milliarden Euro, weil der Abschluss wirkungsgleich für die rund 225.000 Beamten übernommen wird. Die wesentlichen Punkte des Tarifabschlusses:

  • Verdi-Chef Frank Werneke erklärte, das Gros der Beschäftigten erhalte eine Steigerung von 4 bis 4,5 Prozent. Nur für die oberen Einkommensgruppen gilt eine aufsummierte Steigerung von 3,2 Prozent.

  • In der Pflege beträgt die Steigerung 8,7 Prozent. Intensivkräfte sollen bis zu 10 Prozent mehr Lohn erhalten.

 © dpa
  • Die Laufzeit beträgt 28 Monate.

  • Es gibt eine einmalige Corona-Sonderzahlung: für die unteren acht Einkommensgruppen von 600 Euro, für die mittleren 400 Euro und für die oberen Einkommensgruppen 300 Euro.

  • Ärzte in den Gesundheitsämtern erhalten ab März 2021 eine Zulage von 300 Euro monatlich.

Eine Infografik mit dem Titel: Komplizierte Kompromisse

Veränderung der tariflichen Monatsverdienste im Öffentlichen Dienst* gegenüber dem Vorjahr, erzielter Tarifabschluss für 2021 und 2022, jeweils in Prozent

Fazit 1: Die Beschäftigten im Gesundheitssektor haben diese Gehaltserhöhung voll und ganz verdient.

Fazit 2: Aber nur sie. Mit der pauschalen Erhöhung für alle Staatsbeschäftigten ist die Entkoppelung zwischen Öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft perfekt. Derweil die Beschäftigten der Privatwirtschaft angesichts von Rezession, Lockdown, Insolvenzen und Kurzarbeitergeld Nettolohn-Verluste hinnehmen werden, polstert der Staat auf - auch bei jenen Beschäftigten, die im Lockdown waren und durch die Schließung von Museen, Schwimmbädern und Kindergärten nicht gearbeitet haben. Bei einer Staatsverschuldung, die derzeit mit dem Tempo von 10.000 Euro pro Sekunde zulegt, ist das kein Kavaliersdelikt.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer lässt nicht locker. Er fordert von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gesetzliche Unterstützung für den Austausch von Daten über kriminell gewordene Flüchtlinge. Palmer über die Mehrfachtäter in seiner Stadt:

Der Anteil der Asylbewerber an schweren Straftaten ist etwa fünfmal größer als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung.

Damit man die Straftäter dingfest machen kann, bevor sie Mehrfachtäter werden, will er Polizei, Flüchtlingshilfe und Behörden vernetzen. Weil ihm das der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg untersagt hat, wendet sich Palmer nun an die Bundesebene.

Mehr Details dazu finden Sie im Newsletter „Hauptstadt. Das Briefing“ unter thepioneer.de/hauptstadt.

 © dpa

Auch drei Tage nach der letzten Präsidentschaftsdebatte haben die Demokraten zu kämpfen mit der Tatsache, dass Donald Trump nicht Donald Trump war. Dass er beherrscht wirkte. Dass er Joe Biden ausreden ließ. Dass er für seine China-, Öl-, Gesundheitspolitik und auch für seine Weigerung, das Land nicht in den Lockdown zu schicken, nicht nur Emotion, sondern diesmal auch Argumente zu bieten hatte.

Der ehemalige Obama-Berater David Axelrod stellte fest:

Die Republikaner waren erleichtert, dass er mit Messer und Gabel aß. Aber es war immer noch dasselbe Gericht.

Er ist einer der bedeutendsten Intellektuellen der Gegenwart: Yuval Noah Harari. Der israelische Historiker wird von Staatschefs wie Emmanuel Macron empfangen, Obama und Zuckerberg empfehlen seine Bücher.

Neuerdings publiziert der Gelehrte seine wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur in der Fachliteratur, sondern macht sie in Comics und sogenannten Graphic Novels einem größeren Publikum zugänglich. Mit ihm habe ich im Morning Briefing Podcast über die Corona-Krise, die beschleunigte Digitalisierung und seine Ambition als Lehrer gesprochen:

Auf die Frage, warum er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch im Genre der Graphic Novel darstellt, antwortet er:

Wenn man die Wissenschaft nicht in ein zugänglicheres Genre übersetzt, lässt man die Arena offen für alle Arten von verrückten Verschwörungstheorien und gefälschten Nachrichten.

 © dpa

Über den Wandel der Arbeitswelt, die durch Corona einen enormen Digitalisierungsschub erfahren hat, sagt er:

Es ist einfacher, Investmentbanker zu ersetzen als Kellner in Restaurants.

Seine Analyse der gegenwärtigen geopolitischen Situation lautet so:

Ich hoffe, dass die Konkurrenz nicht ausschließlich zwischen China und den USA ausgetragen wird. Wir brauchen andere Mächte, vielleicht mehr Mittelmächte wie die EU, um dieser Tendenz zu einem neuen Kalten Krieg entgegenzuwirken.

Seine Befürchtung: Bald werden nicht nur Firmen und demokratische Regierungen in den Datensätzen der Bürger lesen können, sondern auch „der Stalin des 21. Jahrhunderts“.

Prädikat: erhellend.

Rüdiger Grube © dpa

Die ehemaligen Bahn-Vorstände und Manager staatlicher Firmen lassen es sich nach getaner Arbeit gut gehen: Im Schnitt kassieren sie im Ruhestand 20.000 Euro pro Monat, wie die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf das Bundesverkehrsministeriums berichtet.

Konkret erhalten 26 Bahnvorstände und 16 ehemalige Manager von Unternehmen, die beispielsweise durch Übernahmen in der Bahn aufgegangen sind, jeweils rund 240.500 Euro im Jahr. Zum Vergleich: Die Ruhegehälter ehemaliger Bundesminister belaufen sich je nach Amtsdauer auf maximal 11.786 Euro pro Monat.

 © dpa

Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt NOS in den Niederlanden entfernt wegen zunehmender Anfeindungen alle Logos von ihren Übertragungswagen. Ein radikaler, aber offenbar notwendiger Schritt, wie der Chefredakteur der Anstalt mitteilte. Die Übergriffe auf Mitarbeiter nehmen Überhand. Nahezu täglich würden Kollegen auf der Straße beschimpft, mit Müll beworfen und die Firmenwagen auf der Autobahn von anderen Fahrzeugen geschnitten. Mehr als hundert solcher Vorfälle habe es im Laufe des Jahres schon gegeben.

Auch in Deutschland sind Angriffe auf Journalisten keine Seltenheit mehr. Allein von Juli bis September gab es 34 gemeldete Übergriffe von Privatpersonen auf Journalisten. “Inakzeptabel”, nennt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) dieses Verhalten.

Es ist ein schreckliches gesellschaftliches Versagen, dass Journalisten inzwischen so zu Feindbildern geworden sind.

Gewalt ist kein Mittel der Auseinandersetzung. Doch das Versagen ist womöglich ein beidseitiges. Wo die Empörung endet, sollte die Ursachenforschung beginnen. Dass es auch zivilisierte und damit per definitionem gewaltfreie Kritik an den neuzeitlichen Erscheinungsformen des Journalismus geben kann, beweist Peter Sloterdijk. Der Philosoph hat dem Thema bei der Entgegennahme des Ludwig Börne Preises folgenden Gedanken gewidmet:

Mir war klar geworden, auf der Themenbörse haben nur jene Verzerrungen einen Marktwert, der dem Verzerrer Gewinn eintragen - bitte achten Sie darauf, dass Verzerrer ein technischer Ausdruck ist wie Schalldämpfer und Lautstärkeregler. Er bezeichnet einen Investor in Erregungen, die als öffentliche Themen zirkulieren. Das Verzerrer als ihren Beruf in der Regel Journalist angeben, davon soll man sich nicht beirren lassen.

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing