derweil die Aufmerksamkeitsreserven des Westens von der Pandemiebekämpfung absorbiert scheinen, betreibt die Volksrepublik China ihren weiteren Machtausbau: still, effizient und mit einer Extraportion Dreistigkeit.
Fall 1: Das chinesische Außenministerium führte jenen Botschaftern der EU-Staaten den Stift, die für eine chinesische Tageszeitung einen Artikel verfasst hatten. Das Ministerium wollte nicht, dass die Herkunft des Coronavirus in dem Text erwähnt wird. Also wurde der entsprechende Halbsatz gestrichen. Die EU-Botschafter nickten geflissentlich. Im Interesse der Völkerfreundschaft wurden die westlichen Werte verraten: Die Meinungsfreiheit war verhandelbar.
Fall 2: Der Digitalkonzern Tencent aus Shenzhen ist weltweit an mehr als 700 Firmen beteiligt, in Europa beispielsweise am schwedischen Musikstreaming-Dienst Spotify. Vor allem aber betreibt es die Messenger-App WeChat, der von einer Milliarde Chinesen benutzt wird. Einer gestern veröffentlichten Studie der Universität von Toronto zufolge, hat Tencent die von ausländischen Accounts veröffentlichten politischen Inhalte genutzt, um seine eigenen Zensur-Algorithmen für inländische Accounts zu verfeinern. Mindestens ein Mann wurde inhaftiert, weil er Staatspräsident Xi Jinping als „gedämpftes Brötchen“ bezeichnet hatte. Eine Protestnote des Kanzleramtes oder des Élysée Palastes ist nicht zu fürchten.
Fall 3: Derweil Europa sich im Zuge der Klimapolitik aus der Kohle zurückzieht, steht China als Helfer bereit. Nach Greenpeace-Angaben sind chinesische Unternehmen und Banken an der Finanzierung von mindestens 13 Kohleprojekten auf dem afrikanischen Kontinent beteiligt, weitere neun befinden sich in Vorbereitung. So wird Afrika abhängig gemacht.
Eine Infografik mit dem Titel: Wie China die Welt erobert
Entwicklung von USA und China als wichtigste Handelspartner für andere Länder
Fast scheint es, als wolle China das in wenigen Tagen erscheinende Buch der deutschen Verlagsanstalt „Die lautlose Eroberung: Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“ mit seinen Handlungen bewerben. Der Australier Clive Hamilton und die deutsche China-Expertin Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund beschreiben – gewissermaßen als Hintergrundmusik zu den laufenden Ereignissen – in bisher nicht gekannter Präzision die Ziele der Kommunistischen Partei:
Gestützt auf seine gewaltige wirtschaftliche Macht, übt China diplomatischen Druck aus, wendet Überredungskunst an, betreibt ,Freundschaftsarbeit‘ und manipuliert Medien, Denkfabriken und Universitäten, wobei diese Taktiken einander überschneiden und gegenseitig verstärken.
Eine Infografik mit dem Titel: Peking: Prallgefüllter Geldspeicher
Währungsreserven und Fremdwährungsliquidität im Februar 2020, in Milliarden US-Dollar
Das Ziel ist jene sino-zentrische Welt, von der die Falken träumen, die Xi in die Parteiführung geholt hat. Diese betrachten eine von China dominierte Weltordnung als einen essenziellen Bestandteil der ,großen Wiederauferstehung des chinesischen Volkes‘.
Eine Infografik mit dem Titel: Exportmacht China
Anteil an Ausfuhren weltweit im Jahr 2019, in Prozent
Die Führung der Partei setze – anders als Trump – nicht auf öffentliche Angriffe, sondern auf lautlose Unterwanderung:
Einflussnahme soll durch ein subtiles und mehrgleisiges Programm der globalen Meinungssteuerung erreicht werden.
Es ginge der KP, so zitieren die Autoren Sha Qiguang, einen Funktionär aus dem Büro für Auslandspropaganda, um einen „Dritten Weltkrieg ohne Rauch“.
Eine Infografik mit dem Titel: Chinas Aufstieg
BIP nach Kaufkraftparität (PPP), in Billionen Internationale Dollar, eine Vergleichswährung der Weltbank
Die Autoren erläutern auch, warum es der KP Chinas so leicht fällt, mit ihren Initiativen durchzudringen:
Unwissenheit ist eine Erklärung dafür, dass es den westlichen Gesellschaften schwerfällt, die Bedrohung durch die KP richtig einzuschätzen.
Fazit: Die Eunuchenhaftigkeit der EU-Botschafter und die Leisetreterei der europäischen Politik sind die zwei Seiten der einen Medaille. Doch mit einer Strategie der vorsätzlichen Naivität verliert Europa am Ende beides – das Wohlwollen der Amerikaner und den Respekt der Chinesen. Der geistige Vater dieser Opportunismus-Offensive dürfte Groucho Marx sein:
Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.
Corona greift nicht nur die Atemwege an, sondern auch die Machtarchitektur der Bundesrepublik. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat sich laut ARD-Deutschlandtrend zum aussichtsreichsten potenziellen Kanzlerkandidaten der Union entwickelt. 53 Prozent der Deutschen sind nach dem am Donnerstag veröffentlichten Befund der Demoskopen von Infratest dimap der Meinung, dass der CSU-Politiker ein guter Unions-Kanzlerkandidat wäre. Im Vergleich zur letzten Befragung im Februar legte Söder damit um märchenhafte 22 Prozentpunkte zu.
Eine Infografik mit dem Titel: Söder: Klarer Favorit
ARD Deutschlandtrend* zur Kanzlerkandidatenfrage der Union, in Prozent
Über Friedrich Merz sagen 33 Prozent der Deutschen, er wäre ein guter Kanzlerkandidat der Union (-7 Prozentpunkte), von den Qualitäten eines Armin Laschet sind demnach nur 27 Prozent (-3) überzeugt; Norbert Röttgen bringt es auf 21 Prozent. Pikant: Vor allem bei den Unionsanhängern liegt Söder vorn – mit 67 Prozent Zustimmung.
Doch der Mann aus Bayern darf sich nur heimlich freuen – und muss seine Ambition weiter bestreiten. Die ungeschriebene Regel beim Kandidatenspiel ähnelt der Spielanleitung von Mikado. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Die Lage auf dem US-Arbeitsmarkt verschlechtert sich durch die Coronavirus-Pandemie spürbar:
► Seit der Zuspitzung der Krise Mitte März haben in den Vereinigten Staaten mehr als 33 Millionen Menschen ihren Job verloren.
► In der Woche bis zum 2. Mai stellten rund 3,2 Millionen Menschen einen Erstantrag auf Arbeitslosenhilfe, wie das US-Arbeitsministerium jetzt mitteilte.
Fazit: Anders als von ihm gedacht, kann Donald Trump also im Präsidentschaftswahlkampf nicht mit guten Wirtschaftsdaten punkten. Das Problem der Demokraten ist nur: Auch ihr Mann spielt ohne Joker.
Vor heute genau 75 Jahren ging Nazi-Deutschland in die Knie. Die Alliierten befreiten die KZ-Insassen und das Land. Heute Mittag legen die Kanzlerin sowie die Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht ihre Kränze nieder – an der Zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in Berlin. Danach hält Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine mutmaßlich würdevolle Rede.
© dpaDoch der Historiker Götz Aly ärgert sich darüber, wie Regierung und Bundespräsidialamt das Gedenken geplant haben. Er kritisiert, dass Deutschland einen Sieger von 1945 bewusst brüskiere: die Russen. So habe Berlin beispielsweise die Einladung von Präsident Wladimir Putin, an der Gedenkveranstaltung in Moskau teilzunehmen, schlicht ignoriert. Im Gespräch mit „Welt“-Vize Robin Alexander sagt Aly im Morning Briefing Podcast:
Mich hat empört, dass man auf die Einladung Russlands, an der Gedenkfeier teilzunehmen, überhaupt nicht reagiert hat. Man hat weder Ja noch Nein gesagt, offensichtlich auch bis zum Schluss nicht.
Putin ist nicht zum D-Day eingeladen worden, er ist nicht eingeladen worden zur Befreiung von Auschwitz, sondern ausdrücklich ausgeladen worden. Das sind Akte, die sich nicht einfach gegen Putin richten, sondern gegen die gesamte russische Bevölkerung.
Auch wenn der Westen unzufrieden sei mit der Entwicklung unter Putin: So dürfe man mit der Befreiungsmacht nicht umgehen. Hier fehle der Politik das Gefühl für politischen Anstand.
Gegenüber den USA würden wir das niemals tun. Da wird mit unterschiedlichen Maßstäben bewertet.
Aly plädiert dafür, die aktuellen politischen Entwicklungen strikt vom Erinnern zu trennen.
Ich bin dafür, das so weit wie möglich von der Gegenwart abzutrennen. Der 8. Mai ist ein Tag, das zu tun. Am 11. Mai können wir wieder darüber sprechen, was wir von den Hacker-Angriffen und von der Unterstützung von Rechtsradikalen durch die russische Regierung halten. Das gibt es ja. All das wird von mir nicht bestritten.
Sein Vorschlag für den heutigen Tag, der in der Hauptstadt einmalig ein gesetzlicher Feiertag ist:
Wir haben in Berlin eine große russische Gemeinde. Es ist schön, mit diesen Leuten am Sowjetischen Ehrenmal den 8. Mai zu begehen. Man trifft dort auf lustige, freundliche, verständnisvolle Menschen. Und ich glaube, es ist gut, wenn wir demonstrieren, dass wir mit den Leuten fühlen und dass wir uns an diese gemeinsame und sehr schwierige Vergangenheit erinnern wollen und nach einem Neuanfang suchen.
Fazit: Das Ende von Krieg und Hitler-Herrschaft wurde mit rund 25 Millionen russischen Toten erkauft. Es gibt keine russische Familie, die nicht für diesen 8. Mai im wörtlichsten aller Sinne geblutet hat. Die Münze, mit der man Putin für seine Gegenwartspolitik abstrafen will, ist dagegen Kleingeld. Eine deutsche Russlandpolitik, wenn sie politisch effektiv und historisch fair sein will, muss vom 8. Mai aus gedacht werden.
Erstens. Bevor nächste Woche die Steuer-Experten des Bundes (virtuell) zusammenkommen, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Staatskasse zu schätzen, sickert bereits eine erste Zahl zu den Steuereinbußen durch: Wie das „Handelsblatt“ berichtet, dürften die Steuereinnahmen in diesem Jahr um 100 Milliarden Euro geringer ausfallen als noch vor der Pandemie im Herbst geschätzt.
Zweitens. Die europäischen Hilfen im Kampf gegen die Wirtschaftskrise beschäftigen von 15.00 Uhr an erneut die Finanzminister der Eurogruppe. Konkret geht es um die genauen Bedingungen für Kreditlinien des Euro-Rettungsschirms ESM im Umfang von bis zu 240 Milliarden Euro.
Drittens. Der aktuelle konjunkturelle Ausnahmezustand bremst den weltweiten Handel. Das dürften die deutschen Exportunternehmen im März zu spüren bekommen haben, als die Pandemie Europa erreichte. Wie sich der Außenhandel im ersten Quartal insgesamt entwickelt hat, gibt das Statistische Bundesamt um 8 Uhr bekannt.
Viertens. Der Vorstand der Grünen in Baden-Württemberg berät ab 16.30 Uhr über mögliche Ordnungsmaßnahmen gegen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Jüngster Anlass dafür ist eine Äußerung des Grünen-Politikers zum Umgang mit Corona-Patienten. Er hatte in einem Interview gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Die Entschuldigung Palmers verschafft ihm womöglich mildernde Umstände.
Fünftens. Siemens in Turbulenzen: Der anstehende Chefwechsel, die Abspaltung des Energiegeschäfts und die Auseinandersetzung mit Klimaschützern beschäftigten den Konzern. Corona kommt noch hinzu. Joe Kaeser, der heute die Zahlen für das Quartal von Januar bis März vorlegt, hat die Jahresprognose noch nicht gekippt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Am Wochenende startet das Medienschiff ThePioneerOne Rhein abwärts von Bonn in Richtung Berlin. Mit der schwimmenden Redaktion und der neuen Medienmarke ThePioneer wollen wir unsere Vision eines politisch unabhängigen und werbefreien Journalismus in Deutschland umsetzen. Es geht darum, den Mainstream herauszufordern, den Perspektivwechsel zu befördern und die vielen kritischen und sachkundigen Bürgerinnen und Bürger im Lande in die journalistische Arbeit einzubeziehen.
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