China: Diktatur im Stress

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Guten Morgen,

seit Mao Zedong hat in China kein Herrscher die Bühne betreten, der derart berauscht war von Macht in ihrer kristallinen Form. In der Vorstellung von Xi Jinping muss ein großer Führer nicht nur die Partei, das Militär und die Wirtschaft lenken, sondern vor allem die Köpfe seines Volkes. Sein System eines datengesteuerten Überwachungsstaates ist Orwell 4.0.

Der Mann, der als 17-Jähriger selbst von den Rotgardisten der Kulturrevolution festgesetzt und in die ländliche Verbannung geschickt wurde, hat den Untergang der Sowjetunion als Trauma erlebt. Sich selbst und alle Führungskader der chinesischen KP zwang er zum Studium dieser Zerfallsprozesse. Seine beiden Hassvokabeln sind „Glasnost“ und „Perestroika“.

Offen bekennt er sich zur Repression als Herrschaftsinstrument. In einem Interview sagte er im Jahr 2000:

Ich schaue hinter die Dinge, hinter die Macht, die Blumen, den Ruhm und den Applaus. Ich sehe die Haftanstalten und die Biegsamkeit der menschlichen Natur. Das gibt mir ein tieferes Verständnis von Politik.

Dieser Xi wird herausgefordert von einer Situation, die an Komplexität kaum zu überbieten ist. Sein Riesenreich wird derzeit nicht von außen, wohl aber aus seinem Innersten angegriffen. Viren überall.

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Das den Parteienstaat zersetzende Virus der Demokratie wirkt in Hongkong und in Taiwan. Xis Placebo „Ein Land, zwei Systeme“ wirkt nicht. In Hongkong wird protestiert; die Taiwanesen setzten mit der Wiederwahl von Präsidentin Tsai Ing-wen ein klares Zeichen ihrer Widerstandsfähigkeit: „Taiwan zeigt der ganzen Welt, wie sehr wir unseren demokratischen Lebenswandel lieben“, sagte sie nach ihrem Triumph.

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Das Virus der US-Wirtschaftspolitik setzt Chinas Volkswirtschaft unter Stress. Huawei, das zwar von Boris Johnson die Erlaubnis bekam, beim 5G-Ausbau in Großbritannien mitzumachen, wird in Deutschland und den USA als Aussätzige behandelt. Die Firma kann für die neuesten Smartphones nicht auf das Googles Betriebssystem Android zurückgreifen. In der Konzernzentrale in Shenzhen ist man auf sinkende Umsätze eingestellt: Der Huawei-Vorstand Eric Xu sagte in seiner Neujahrsbotschaft: „Überleben ist unsere erste Priorität.“

Eine Infografik mit dem Titel: Chinas Wirtschaft unter Druck

Entwicklung des Leitindex Shanghai Composite, in Punkten

Der Handelskonflikt bremst Chinas bisherige Erfolgsgeschichte. Die Wachstumsrate im 3. Quartal 2019 war die niedrigste seit fast 30 Jahren, der Leitindex Shanghai Composite verlor seit Anfang 2018 mehr als 13 Prozent (s. Grafik). In den Bilanzen der hoch verschuldeten Banken reift eine gefährliche Frucht heran. Niemand weiß um die Länge der Inkubationszeit.

Eine Infografik mit dem Titel: Corona breitet sich aus

Ausbreitung des Coronavirus in China seit Bekanntwerden im Dezember 2019

Das Coronavirus kommt nun hinzu und illuminiert die Misere der autoritären Führung. Weltweit sind laut dem amerikanischen Center for Systems Science and Engineering, das die Anzahl der Erkrankungen laufend aktualisiert, inzwischen mehr als 6000 Menschen infiziert, die meisten in China. Die Zahl der Toten in China ist heute Morgen auf 132 gestiegen. Die abgeriegelte Metropole Wuhan, in der das Virus weiter wütet, ist eine Geisterstadt, keine Vorzeigemetropole. Nationalstolz kommt da nicht auf.

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So entgleitet der chinesischen Führung die Kommunikationshoheit. Quarantäne und Einschränkungen im öffentlichen Raum treiben die Chinesen in die Parallelwelt des Internets, in der sie ihrer Frustration Luft machen. „Wenn man heute die chinesischen sozialen Medien betrachtet, hat man den Eindruck, dass die Zensur nicht mehr funktioniert“, berichtet der chinesische Journalist Ming Shi im „Deutschlandfunk“. Xis Plan, die bisherigen Versäumnisse auf die Regionalregierung abzuwälzen und sich selbst als Retter zu präsentieren, gehe nicht auf.

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Die Sucht nach Größe, Monopol, Dominanz, die Präsident Xi verkörpert, stößt in diesen Tagen an ihre Grenzen. Die wackelfeste, die antifragile Welt, die der Philosoph Nassim Nicholas Taleb den Mächtigen empfiehlt, weil sie in Zeiten von Hochgeschwindigkeit und Hyperkomplexität resistenter gegen Erschütterungen ist, wird in China nicht gebaut. Das Große und Starre sei einsturzgefährdet, sagt Taleb. Womöglich ist Chinas Präsident Xi angetreten, die Richtigkeit dieser Theorie zu beweisen.

Eine Infografik mit dem Titel: Infizierungen weltweit

Bestätigte Fälle des Coronavirus weltweit*

In Deutschland sind zur bislang in Bayern festgestellten Corona-Infizierung drei weitere hinzugekommen. Die neuen Fälle stehen laut Gesundheitsministerium im Zusammenhang mit dem ersten bestätigten Fall eines 33-Jährigen aus Bayern, der sich vermutlich bei einer chinesischen Kollegin infiziert hat, die zu Besuch in Deutschland war. Der Stand heute Morgen:

► Die Ermittler der bayerischen „Task-Force Infektiologie“ haben etwa 40 Kontaktpersonen des infizierten Mannes ermittelt, die nun beobachtet werden sollen. Auch der Kindergarten, in den seine Kinder gingen, werde überprüft.

► Die Neuinfizierten sind Kollegen des Mannes. Sie alle waren in der Zentrale des Automobilzulieferers Webasto tätig. Zum Schutz der Mitarbeiter hat die Firma den Standort vorübergehend geschlossen.

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► In Berlin wurde eine Frau nach einem „begründeten Verdachtsfall“ isoliert. Ob sich die Frau, die nach Angaben der Gesundheitssenatorin kürzlich in China war, tatsächlich infiziert hat, soll heute nach Tests der Berliner Charité feststehen.

► Die „Berliner Morgenpost“ berichtet von mehreren Hauptstadt-Apotheken, die einen höheren Absatz von Mundschutz melden. Teilweise seien komplette Vorräte aufgekauft worden.

► Die europäischen Staaten bereiten unterdessen Evakuierungsflüge aus China vor. Gestern Nachmittag startete ein Airbus der Luftwaffe vom Kölner Flughafen Richtung Wuhan, um 90 Deutsche zurück nach Deutschland zu bringen.

Wie gefährlich ist das Virus wirklich? Woher stammt es und wie pflanzt es sich fort? Darüber spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Susanne Herold. Sie ist Professorin für Infektionserkrankungen der Lunge am Universitätsklinikum in Gießen und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.

Zur Gefahr einer Ansteckung im deutschen Alltag sagt sie:

Wir müssen aktuell nicht wirklich damit rechnen, dass wir, wenn wir raus auf die Straße oder in die U-Bahn gehen oder im Bus sind, uns anstecken. Wir müssen vor der Gefährlichkeit des Virus derzeit keine Angst haben.

Wenn man es mit jährlich auftretenden Viren wie der Influenza vergleicht, wo bei einer schwer verlaufenden Saison mit bis zu 25.000 Toten allein in Deutschland zu rechnen ist, muss man sagen: Es steht im Moment nicht wirklich in Relation.

Die Expertin rät:

Ich glaube, man sollte nicht in Panik verfallen.

Das Tragen eines Mundschutzes sieht sie nicht als notwendig an:

Ich trage dann Mundschutz, wenn ich mit entsprechend infektiösen Patienten zu tun habe, wo es dann auch vorgeschrieben ist. Aber es besteht im Moment kein Grund, in Deutschland einen Mundschutz zu tragen.

Fazit: Wachsamkeit ist angesagt, Panik nicht. Wuhan ist nicht überall.

 © dpa

Wenn die Beschlüsse des jüngsten CDU-Bundesparteitags zur Grundrente noch gelten, darf sie nicht eingeführt werden.

Der automatische Datenaustausch zwischen den Finanzämtern und der Rentenversicherung sollte Voraussetzung für eine Einkommensprüfung und damit der Auszahlung sein. Fakt ist: Die Ämter sind bis zum 1. Januar 2021 dazu nicht in der Lage, wie die Deutsche Rentenversicherung mittlerweile melden musste.

Laut Parteitagsbeschluss darf die Grundrente erst kommen, wenn die Finanzierung über eine Finanztransaktionssteuer im europäischen Kontext gesichert ist. So sollte der Steuerzahler vor einem neuerlichen Transfer in die Rentenkasse bewahrt werden. Fakt ist: Die Verhandlungen zur Transaktionssteuer sind europaweit im Sand verlaufen. Jetzt legte der neue österreichische Finanzminister sein Veto ein.

Fazit: Der Parteitagsbeschluss der CDU ist ein Fall fürs Altpapier. Wenn die Grundrente trotzdem kommt, dann zu den Bedingungen der SPD-Sozialpolitiker. Der Schwanz wedelt mit dem Hund, was physikalisch auch deshalb bemerkenswert ist, weil dieser Schwanz nach mehrmaligem Kupieren nur noch ein Stummelschwanz ist.

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Die Vorwürfe des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton gegen US-Präsident Donald Trump entfremden zwei Freunde, die man für unzertrennlich hielt: Trump und den TV-Sender Fox News. Mehr noch als die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs erregt den Präsidenten, dass sein Lieblingssender darüber berichtet. Um 16.44 Uhr Ostküsten-Zeit twitterte er:

Wirklich erbärmlich, dass Fox News versucht, so politisch korrekt zu sein.

Unmittelbar danach folgte Tweet Nummer 2:

Passt auf! Das wird der Anfang vom Ende für Fox sein, genau wie bei den anderen beiden Sendern, die den Quotentod sterben. Social Media ist großartig!

Ob sich Trump da mal nicht irrt. Das Schicksal amerikanischer Politiker entscheidet sich im TV, das wusste schon der Watergate-Präsident Richard Nixon:

Die Amerikaner glauben nichts, bis sie es im Fernsehen sehen.

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In den vergangenen Quartalen gab es oft schlechte Nachrichten von Apple – nun aber meldet der Konzern Rekordzahlen. Das Weihnachtsgeschäft lief blendend, der Umsatz stieg im Jahresvergleich um neun Prozent auf 91,8 Milliarden Dollar. Der Gewinn erreichte 22,2 Milliarden Dollar nach knapp 20 Milliarden Dollar ein Jahr zuvor. Es sind Zahlen, die alle Erwartungen übertrafen.

Wir lernen: Apple produziert nicht nur iPhones und Kopfhörer, sondern vor allem Verblüffung und Begeisterung. Diese Firma hat keine Kunden, nur Fans.

Die neue Episode des Podcasts „The Americans“ ist jetzt online. Meine Kollegin Chelsea Spieker hat die Harvard-Historikerin Jill Lepore getroffen. Diese fordert als Rezept gegen den neuzeitlichen Populismus einen aufgeklärten Nationalismus. Ohne nationalistische Übersteigerung müssten auch die Progressiven sagen: „Ich bin stolz auf die Nation und ihre Ideale.“ Nur so könnten sie Verantwortung für jene Menschen übernehmen, „die von der Globalisierung zurückgelassen wurden“.

 © imago

Dieses bemerkenswerte Gespräch finden Sie unter www.the-americans.com und über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer. Prädikat: stimulierend.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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