China: Eine Diktatur dreht auf

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Guten Morgen,

jeder tote Winkel, der Name gibt uns einen Hinweis, kann tödlich sein. Denn in seinem Schatten nähert sich mitunter eine Gefahr, die nicht als solche erkannt wird. Das gilt beim Autofahren und auch in der Weltpolitik.

Womit wir bei der Volksrepublik China wären. Derweil der Westen mit der Corona-Pandemie und ihren ökonomischen Folgen kämpft, hat China den Krisenmodus verlassen und nutzt das westliche Abgelenkt-Sein zum weiteren Machtausbau. Die im Dunkeln sieht man nicht:

1. In Hongkong wurde das Wahlgesetz geändert. Und zwar so, dass man nicht mehr wirklich von Wahlmöglichkeiten sprechen kann. Das Parlament in Hongkong soll künftig 90 statt 70 Sitze haben. 40 davon werden von einem pekingtreuen Komitee vergeben, 30 von „Fachwahlkreisen“, die ebenfalls als pekingtreu gelten. Die übrigen 20 dürfen in direkten Wahlen bestimmt werden. Allerdings: Hier sichert sich die chinesische Regierung Vetorechte, um bestimmte Kandidaten schon an der Kandidatur zu hindern. So sehen Wahlgesetze aus, wenn Diktatoren sie schreiben.

Carrie Lam, Regierungschefin Hongkongs, auf der Pressekonferenz zur umstrittenen Wahlrechtsreform © dpa

2. Im südchinesischen Meer ist China in das Hoheitsgebiet der Philippinen eingedrungen. 220 chinesische Fischerboote wurden etwa 300 Kilometer westlich der philippinischen Insel Palawan gesichtet – allerdings nicht, um zu fischen. Manila wertete das Vorgehen so, wie es auch gemeint war, als gezielte Provokation. Das betroffene Seegebiet wurde vom Internationalen Gerichtshof zwar zu philippinischem Gebiet erklärt. Peking aber erhebt weiterhin Anspruch.

3. Durch kostspielige Impfstoff-Einkäufe in der westlichen Welt hat sich Peking eine neue Währung zugelegt, mit der sich in Entwicklungsländern Gefolgschaft einkaufen lässt: „China hat 69 Entwicklungsländern Impfdosen gespendet“, verkündete Außenminister Wang Yi, „und exportiert Impfstoffe in 43 Länder“. Mit dieser Impf-Diplomatie schafft Peking neue Abhängigkeiten und erhöht so seinen Einfluss in der Welt.

Xi Jinping © dpa

4. Als Antwort auf die aggressive China-Politik der Amerikaner strebt die Regierung in Peking nach größerer Autarkie. Und mit der Verabschiedung des Fünf-Jahres-Plans Anfang März, der eine Politik der zwei Wirtschaftskreisläufe skizziert, ist China diesem Vorhaben näher gerückt.

 © dpa

5. Die chinesische Regierung reagiert zunehmend aggressiv auf Kritik der Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren. Unter dem Deckmantel der Sicherheitspolitik werden Angehörige der muslimischen Minderheit in Lager gesperrt, zwangssterilisiert, zur Arbeit gezwungen und von ihrem kulturellen Erbe entfernt. Umerziehung nennt das die chinesische Regierung, Genozid nennen das die Regierungen Kanadas, der USA und der Niederlande.

Angela Merkel mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping © dpa

Die Brüsseler EU-Kommission und die Bundesregierung sind in Schweigsamkeit vereint. Angesichts der vielen Probleme im Zuge der Pandemie-Bekämpfung traut man sich eine Neujustierung der bisherigen China-Politik nicht zu.

Doch die Welt der Geopolitik kennt keine strategischen Pausen. Sigmar Gabriel – der einstige Vizekanzler, Außenminister und SPD-Chef – füllt das Vakuum mit einem eigenständigen, realpolitischen Denkansatz. In der neuesten Folge seines Pioneer Original Podcasts World Briefing – das wir in kurzen Ausschnitten heute im Morning Briefing Podcast veröffentlichen – analysiert er mit großer Präzision die aktuelle Lage:

China ist eine kommunistische Parteidiktatur.

Eine Diktatur, die sich keineswegs im Zuge des ökonomischen Erfolges dem Westen geöffnet habe:

Insgesamt ist das Land heute verschlossener, als das vor 20 Jahren der Fall war.

Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister zu Besuch in Hongkong im Jahr 2016 © dpa

Den Irrtum des Westens beschreibt er so:

Im Grunde haben wir an die Formel geglaubt: Du gibst vorne Demokratie und Freiheit rein und kriegst hinten wirtschaftlichen Erfolg raus. China stellt zumindest derzeit dieses Denkmodell auf den Kopf und sagt: ‚Nein, wir können auch wirtschaftlichen und sozialen Erfolg produzieren, ohne dass wir Freiheit und Demokratie im westlichen Sinne zulassen.‛

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge

Gabriel rät den Europäern aber keineswegs zu einer aggressiven Chinapolitik, wie sie von Donald Trump formuliert und von Joe Biden fortgesetzt wird:

Für uns ist China beides: ein politischer Gegner und ein wirtschaftlicher Partner.

Eine Infografik mit dem Titel: Exportnation China

Handelsbilanzdefizit der USA bzw. der EU gegenüber China 2020, in Milliarden Euro

Die Konsequenz einer Entkoppelung von China würde enorme Verluste an Arbeitsplätzen und Wohlstand bedeuten.

Eine Infografik mit dem Titel: Exportmarkt China

Absatz ausgewählter deutscher Autohersteller in China im Jahr 2020, in Prozent

Für die Chinesen und ihre Strategie der Stärke hat Gabriel durchaus Verständnis:

Ein 1,4-Milliarden-Volk wird sich doch nicht damit zufriedengeben, ein billiger Marktplatz für frühere Kolonialmächte oder die USA zu sein. Warum sollte das Land sich damit zufriedengeben?

Eine Infografik mit dem Titel: Der große Überschuss

Länder mit den höchsten Handelsbilanzüberschüssen (blau) und -defiziten (rot) in 2019, in Milliarden US-Dollar

Aber zugleich mahnt er die Chinesen nicht zu überziehen:

Der Aufstieg Chinas war nur möglich, weil der Westen eine liberale Weltordnung abgesichert hat und China auf diese verlässliche Weltordnung gestoßen ist. Das muss man ihnen ab und zu sagen, wenn sie jetzt beginnen, diese liberale Weltordnung in Frage zu stellen.

Er empfiehlt die Neudefinition dessen, was Realpolitik heute zu bedeuten hat:

Ein Management der Krise muss ein Management des strategischen Wettbewerbs sein. Das gibt es noch nicht und das muss man entwickeln. Sonst bestehen enorme Gefahren – bis hin zu der des militärischen Konflikts.

Fazit: Die Ein-Mann-Denkfabrik Gabriel skizziert eine Chinapolitik, die unseren Wohlstand verteidigt, ohne unsere Werte zu verraten.

“Management der Rivalität”

Sigmar Gabriel über die neue Weltwirtschaftsmacht China: Partner und Rivale.

Podcast hören

Veröffentlicht in World Briefing von Sigmar Gabriel .

Podcast mit der Laufzeit von

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 24.300 Corona-Neuinfektionen gemeldet und damit 1643 mehr als am vergangenen Donnerstag. Die 7-Tage-Inzidenz lag vor einer Woche noch bei 113,3, heute beträgt sie 134,2. Zudem wurden 201 weitere Todesfälle registriert.

  • Die WHO und die EMA halten an den bisherigen Bestimmungen zum Einsatz von AstraZeneca fest und sehen derzeit keine altersspezifischen Risiken. Kate O'Brien aus der WHO-Abteilung Impfungen erklärt: „Wir sind sehr klar in unserer Nutzen-und-Risiko-Einschätzung: Dies ist ein sicherer Impfstoff.“

  • Deutschland verfehlt, wie viele andere Länder der EU, das selbstgesteckte Impfziel. Bis Ende März sollten 80 Prozent der über 80-Jährigen mindestens einmal geimpft worden sein. In Deutschland liegt die Quote je nach Bundesland zwischen 59 und 79 Prozent.

Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister von Hamburg © dpa
  • In Anbetracht der steigenden Infektionszahlen in Hamburg hat der Senat eine nächtliche Ausgangssperre beschlossen, die ab Karfreitag gelten soll.

  • Im Zusammenhang mit den steigenden Fallzahlen in der Modellstadt Tübingen können Menschen, die nicht in der Stadt und im Landkreis leben, bis Ostermontag keine Tagestickets mehr erhalten. Boris Palmer will so seine Modellstadt absichern.

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Polizisten in Vila Nova de Gaia, Portugal  © dpa

Im Februar war das Gesundheitssystem in Portugal ausgelastet und stand kurz vor dem Zusammenbruch. Die Virusvariante B.1.1.7 breitete sich zu dieser Zeit sehr schnell aus, sodass keine freien Betten mehr auf den Intensivstationen zur Verfügung standen.

Daraufhin kam es zu weitreichenden Einschränkungen. Die Menschen wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben und Touristen durften nicht mehr in das Land einreisen. Innerhalb von acht Wochen sank die Inzidenz dadurch von über 800 auf unter 30.

Damit weist Portugal mittlerweile eine der niedrigsten Inzidenzen in Europa auf. Das Land im Süden Europas gilt den Lockdown-Befürwortern als Musterstaat.

Der Mandate-Check

Wer kommt in den Bundestag? Wer schiebt sich auf den Parteilisten nach vorne? Auftakt einer Serie.

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Felix Hufeld © dpa

Nicht die BaFin deckte den Wirecard-Skandal auf, sondern Journalisten der „Financial Times“. Dass Felix Hufeld seinen Posten schließlich räumen musste, war für alle – außer dem Betroffenen – eine Selbstverständlichkeit.

Doch der Mann ist bereits wieder auf Akquise. In einer Mail, die dem Wirtschaftsportal „Capital.de“ vorliegt, wendet sich Hufeld an „Kollegen, Geschäftspartner, Freunde“ und zieht eine Bilanz seiner acht Jahre bei der Finanzaufsicht. Er schreibt, dass er zwar keine operative Rolle mehr anstrebe, doch ganz zurückziehen wolle er sich aus dem Berufsleben nicht:

Ich [...] versuche, ein kleines aber feines Portfolio von Mandaten zu übernehmen, in denen ich meine spezifische Erfahrung aus der privaten Wirtschaft wie auch dem öffentlichen Amt einbringen kann.

Seine private Mail-Adresse sowie seine Mobiltelefonnummer fügte er gleich noch hinzu. Potentielle Kunden: Bitte melden, bitte melden!

Detlev Rohwedder © imago

Die Öffentlichkeit hat ihn weitgehend vergessen. Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel nicht. Zusammen mit den einstigen Bundespräsidenten Horst Köhler und Joachim Gauck, sowie seiner Nachfolgerin Birgit Breuel und einigen Getreuen erinnert er in einer „FAZ“-Anzeige heute Morgen des 30. Todestages von Detlev Karsten Rohwedder.

Der Treuhand-Chef, ein ehemaliger Stahlmanager und Sozialdemokrat, hatte sich die Mammutaufgabe zugemutet, die DDR Kombinate zu entflechten und zu privatisieren. Die Volkswirtschaft profitierte, aber das Volk giftete. Rohwedder war die Zielscheibe von bösartiger Kritik.

Der Staat aber ließ jenen Mann, von dem es in der „FAZ“-Anzeige heißt, er habe Deutschlands damals schwierigsten Job übernommen, allein. Als ein Scharfschütze ihn am 1. April 1991 aus 63 Metern Entfernung in seinem Düsseldorfer Arbeitszimmer ermordete, hatte er leichtes Spiel. Kein kugelsicheres Glas und kein Sicherheitsmann des Staates schützten ihn, obwohl Tage zuvor Morddrohungen eingegangen waren. Das Haus und die Straße waren gänzlich unbewacht.

Der Mord ist bis heute unaufgeklärt. Der Rechtsstaat hat sich in der Stunde der Bewährung blamiert. Auch wir gedenken heute Morgen eines Mannes, der mit Mut und Empathie nicht sich, aber seinem Land einen Dienst erwiesen hat.

 © imago
Bildet sich vor unseren Augen eine Blase? Die Startup-Bewertungen boomen

Im Interview: Investor und Podcaster Jason Calacanis in der Start-up Edition bei Christian Miele.

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Veröffentlicht in Tech Briefing Business Class Edition von Christoph KeeseLena Waltle.

Podcast mit der Laufzeit von

PayPal-CEO Dan Schulman © dpa

In den USA ermöglicht der Zahlungsdienstleister PayPal seit vergangenem Dienstag das unkomplizierte Bezahlen mit Kryptowährungen. Die digitalen Währungen können auf den privaten PayPal-Konten gesichert und als Alternative zur Bezahlung mit Dollar verwendet werden. Die Funktion trägt die Bezeichnung „Checkout with Crypto“ und steht vorerst nur US-Kunden zur Verfügung. Der Präsident und CEO von PayPal, Dan Schulman, sagt dazu:

Dies ist das erste Mal, dass Sie Kryptowährungen nahtlos wie eine Kreditkarte oder eine Debitkarte in Ihrer PayPal-Brieftasche verwenden können.

Fazit: Damit wird die private Währung von Freaks und Spekulanten an den offiziellen Kreislauf angeschlossen. Der Staat verliert sehenden Auges sein Geldmonopol.

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#174 - Neil Heinisch: Wie die Generation Z wirklich tickt

Marktanalysen und Kommunikation mit Jugendlichen

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Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

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Julia Jäkel © dpa

Für das Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr ist dieser Gründonnerstag ein trauriger Tag. Die Frau, die dem Traditionshaus zehn Jahre lang Gesicht, Charakter und Rhythmus verlieh, hat ihren Schreibtisch geräumt. Sie gehe freundschaftlich und auf eigenen Wunsch, sagte gestern Julia Jäkel.

Die Trauer, die Ihren Abschied begleitet, ist insofern nicht privat, sondern politisch, weil hier erneut eine publizistisch unabhängige Stimme leiser wird, bevor sie womöglich bald ganz verschwindet. Der Verkauf des erfolgreichen Frankreich-Geschäfts von G+J und die enge Tuchfühlung mit dem Fernsehsender RTL sind das Wetterleuchten einer neuen Zeit.

Der Mann, der das Wetter macht, ist Bertelsmann-Chef Thomas Rabe, der die einzelnen Unternehmensteile seines weltweiten Reiches wie ein Portfolio-Manager immer wieder neu seziert und arrondiert. Er ist wirtschaftlich erfolgreich, weshalb sein Vertrag von der Eigentümerfamilie vorzeitig verlängert wurde.

Thomas Rabe © dpa

Wie ein Investmentbanker baut er ein Medienhaus, das von Controllern und nicht von Programmmachern dominiert wird. Er liebt die Synergie mehr als die gute Story. Content ist für ihn nur ein anderes Wort für Cash. Er ist der Mann, dessen Magie darin besteht, dass er keine Magie versprüht, wohl aber virtuos die Sprache des Finanzmarktes spricht – Transaktion, Transformation, Testosteron. Rabe ist ein Middelhoff ohne Grössenwahn und Glitzer.

Ein selbstständiges Verlagshaus in Hamburg, das nur noch für sechs Prozent der weltweiten Bertelsmann-Umsätze steht, hält er für nostalgisch, aber eben nicht mehr für notwendig. Die zweistelligen Renditen, die Julia Jäkel bei ihm ablieferte, hat er gern genommen. Aber einer wie er hält alles für optimierungsbedürftig und steigerungsfähig. Aus RTL und Gruner + Jahr würde er gerne einen „nationalen Crossmedia Champion“ schmieden: „Durch bessere Zusammenarbeit können wir noch viel mehr erreichen“, sagt er kürzlich im „Spiegel“.

So ist denn der überraschende Abschied der Verlegerin Julia Jäkel keiner der üblichen Managerwechsel, sondern das Ende einer Ära. Wenn der Ex-Chef der Werbeagentur Grey, Frank Dopheide, mit seinem neuen Buch „Gott ist ein Kreativer – kein Controller“ Recht haben sollte, dann ist in Hamburg gestern eine Göttin gestorben.

Julia Jäkel © G+J

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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