Corona infiziert Politik

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Guten Morgen,

das Coronavirus hat die Politik befallen. Weltweit beobachten wir die Symptome einer Krankheit, die von Experten als das „Starke-Mann-Syndrom“ bezeichnet wird.

„Wir sind im Krieg“, rief ein fiebriger Präsident Emmanuel Macron gestern seinen Landsleuten zu. Ab heute Mittag dürfen die Menschen in Frankreich 15 Tage lang nur noch für die notwendigsten Erledigungen das Haus verlassen. Wer die Ausgangssperre missachtet, werde bestraft. La Grande Nation probt die La Petite Dictature.

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Wir kämpfen weder gegen Armeen noch gegen eine andere Nation. Aber der Feind ist da, unsichtbar, und er rückt vor.

So steigerte sich Macron in sein Sprachbild. Zuletzt wurden mehr als 6000 Infektionen in Frankreich gezählt, mehr als 140 Menschen sind bislang am Coronavirus gestorben. Wenn die Umfragewerte ebenfalls zulegen würden, wäre das halb so wild. Aber das tun sie nicht. Deshalb ist Macron alarmiert.

Eine Infografik mit dem Titel: Infiziertes Europa

Bestätigte Corona-Erkrankungen in Italien, Deutschland und Frankreich

Auch Donald Trump weiß, was die Stunde geschlagen hat. Er rief bereits vor vier Tagen den „nationalen Notstand“ aus, „zwei sehr große Worte“, wie er selbst befand. Keiner darf ihn jetzt an patriotischer Tatkraft überbieten, erst recht kein Demokrat.

In Deutschland tut sich vor allem Markus Söder als furchtloser Corona-Kämpfer hervor. Er verordnete dem Bayerland den Katastrophenfall, was bedeutet: Subvention für alle. Ein Härtefallfonds soll zum Einsatz kommen, um „systemrelevante“ Unternehmen, das sind in Bayern das Hofbräuhaus und die Allianz-Arena, zu stützen. Man werde in Härtefällen aktiv in die Betriebe „reingehen“, sagte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Als wenn die Politiker in diesen beiden Betrieben nicht jetzt schon Dauergäste wären.

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Derart schneidig unter Druck gesetzt legte auch Angela Merkel die Hand auf das Armaturenbrett der Macht. Die Kanzlerin verkündete „Maßnahmen, die es so in unserem Lande noch nicht gegeben hat“:

► Der Einzelhandel wird weitgehend geschlossen, nur noch Stellen des täglichen Bedarfs – Supermärkte, Apotheken, Tankstellen, Banken und die Läden von Fressnapf – bleiben weiter geöffnet. Der Verkauf von Toilettenpapier scheint hingegen weiterhin verboten, jedenfalls ist der dreilagige Stoff nur auf dem Schwarzmarkt zu haben.

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Bundesweit werden Theater, Opern, Konzerthäuser und Museen geschlossen, als wenn Schiller, Beethoven und Picasso für diese Pandemie verantwortlich wären. Cafés und Restaurants bleiben unter Auflagen geöffnet, allerdings frühestens ab 6 Uhr bis spätestens um 18 Uhr. Das entspricht der Sperrstunde von Pjöngjang.

► Der Besuch von Gottesdiensten oder das Zusammenkommen in Vereinen wird genauso untersagt wie alle weiteren Freizeitaktivitäten. Private wie öffentliche Sportstätten, Tierparks, Spielplätze bleiben geschlossen. Die Regierung der Kinderlosen – Merkel, Scholz, Altmaier, Spahn, Klöckner, Schulze – weiß, wie man den Nachwuchs anderer Menschen bestraft. Verzweifelte Eltern sollten ihre lieben Kleinen am besten im Bundeskanzleramt abliefern. Da kann man einen Perspektivwechsel gut gebrauchen.

► Untersagt werden auch Urlaubsreisen ins In- wie Ausland. Dienstreisen werden nicht verboten. Allerdings soll geregelt werden, dass diese nicht für touristische Zwecke genutzt werden dürfen. Die landesweit übliche Mischnutzung steht damit unter Verdacht: Die Reeperbahn, die Düsseldorfer Altstadt, Frankfurt Sachsenhausen und München Schwabing werden dafür jetzt wahrscheinlich von der KfW subventioniert.

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Die medizinische Dimension der Corona-Krise ist weiter nicht unter Kontrolle. Das deutsche Gesundheitssystem gerät – allen Deklarationen zum Trotz – an seine Grenzen.

► Angesichts der rasanten Verbreitung des Virus – mehr als 7000 in Deutschland gelten mittlerweile als infiziert – bereiten sich Bundesländer wie Bayern, wo mehr als 1000 Fälle bestätigt sind, bereits auf die Einrichtung von Notfallkliniken in Messehallen vor.

► Unikliniken werden von Forschung auf Versorgung umgestellt, bereits pensionierte Ärzte werden reaktiviert. Das Wappentier dieser Mobilmachung im Gesundheitswesen ist der Graue Panther.

Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit Professor Edwin Kohl, dem Gründer und Chef des hierzulande größten Arzneimittelimporteurs kohlpharma, über die aktuelle Situation. Er sagt:

Es gibt Knappheiten, aber die sind auch darauf zurückzuführen, dass große Mengen nach China und in andere Teile der Welt verkauft worden sind, sodass die Produktion nicht nachkommt.

Der Unternehmer bemängelt grundsätzlich die zunehmende Abhängigkeit von asiatischen Märkten:

Ich kenne Deutschland noch als Apotheke der Welt. Heute hängt die gesamte EU ab von der Produktion der Rohstoffe in Fernost ab.

Vor allem ausländische Aufkäufer hätten die heimische Produktion erst übernommen und dann nach Fernost verlegt:

Inzwischen gibt es nur noch wenige deutschen Namen. Es ist traurig. Aber das ist das freie Spiel der Märkte.

Ein ebenfalls eher düsteres Bild zeichnet Dr. Margit Inacker. Sie ist niedergelassene Allgemeinmedizinerin und beschreibt im Morning Briefing Podcast ihren Alltag, der ein Alltag der Knappheit ist.

Um es klar zu sagen: Wir Hausärzte fühlen uns im Moment sowohl von Herrn Spahn als auch von der Kassenärztlichen Vereinigung im Stich gelassen.

Es fehle vor allem an Schutzbekleidung, um den Corona-Test durchführen zu können:

Es ist ja so, dass am 10. März der Krisenstab des Bundesministeriums für Gesundheit, also Herr Spahn, uns versprochen hat, Schutzausrüstung zentral zu beschaffen.

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Ihre Kritik bezieht auch den Außenminister ein:

Herr Maas hat ja Anfang Januar Schutzkleidung, auch Schutzmasken, nach China verschenkt, was ich nicht verstehe und was ich für eine völlige Fehleinschätzung halte. Da hätte er sehen müssen, dass das ganze Thema Corona auch auf uns in Deutschland zukommen wird.

Sie wirft der Politik einen rhetorischen Umgang mit der Krise vor:

In dem Zusammenhang ist es für mich einfach nicht nachvollziehbar, dass eine der größten Industrienationen keine Lager für Schutzausrüstung für Ärzte vorhält.

Ihr Urteil fällt vernichtend aus:

Überall hören wir Ärzte, dass die Pandemiepläne stehen würden. Doch ich als Arzt erlebe etwas völlig anders. Deutschland ist meines Erachtens nicht gut aufgestellt, anders als wir es im Moment in den Medien immer wieder hören.

Die ökonomische Dimension der Coronakrise ist ebenfalls keine erfreuliche:

► Die erneute Zinssenkung in den USA sowie die Nachricht über den größten Einbruch der Industrie in China seit 30 Jahren schickten die weltweiten Leitindizes erneut auf Talfahrt. Der Dax fiel gestern um mehr als sieben Prozent. Seit seinem Jahreshöchststand hat der Index bereits über 35 Prozent verloren.

Eine Infografik mit dem Titel: Wirtschaft unter Druck

Entwicklung des Dax seit Jahreshoch am 19. Februar 2020, in Punkten

► An der Wall Street wurde der Handel zum mittlerweile dritten Mal in kürzester Zeit ausgesetzt: Der Dow Jones verlor dennoch fast 13 Prozent und verzeichnete damit den stärksten Rückgang seit dem Schwarzen Montag im Oktober 1987. „Wir sind Zeuge einer Art ‚Lehman-Moment‘“, sagt Blackrock-Kapitalstratege Felix Herrmann dem „Handelsblatt“ .

► Erste Erhebungen zeigen das Ausmaß auf die Automobilindustrie: Dem Auto- und Wirtschaftsexperten Ferdinand Dudenhöffer zufolge muss sich die Industrie im besten Falle – der keine Bankenpleiten und eine wirtschaftliche Stabilisierung nach drei Monaten vorsieht – auf „erhebliche Einschnitte“ am europäischen Automarkt einstellen.

Auch der deutsche Einzelhandel hat den Blues. „Schon in drei bis vier Wochen wird es Insolvenzen geben“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des deutschen Handelsverbands in der „FAZ“ . Pro Tag verliere der Einzelhandel (das Food-Segment nicht eingerechnet) 1,15 Milliarden Euro Umsatz. „Dauert der Shutdown acht Wochen, kann der Einzelhandel das nicht aushalten.

► Die derzeitigen Reiserestriktionen dürften den Umsatz der deutschen Tourismusbranche laut Statista auf zehn Prozent unter Vorjahr drücken – für Italien werden 24 Prozent, für China sogar 40 Prozent weniger als im Vorjahr erwartet. 53 Prozent der mehr als 800 vom Deutschen Reiseverband befragten Unternehmen geben an, bereits jetzt Umsatzrückgänge von mehr als 50 Prozent verkraften zu müssen. Für Fernweh ist derzeit Netflix zuständig.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutsche Tourismusbranche fürchtet ums Geschäft

Umfrage nach derzeitigen Umsatzeinbrüchen unter 812 Unternehmern, in Prozent

Fazit: Da baut sich eine Flutwelle auf, die sich spürbar im Alltag aller Bürger entladen dürfte. Der Staat mit seinen finanziellen Sandsäcken kann diese Urgewalt dämpfen, aber nicht brechen.

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Was heute noch wichtig wird:

Erstens: Die Lage an der türkisch-griechischen Grenze spitzt sich zu. Darüber wollen heute Angela Merkel, Recep Tayyip Erdogan und Emmanuel Macron beraten. Statt des geplanten Treffens in Istanbul werden sich die drei per Videokonferenz streiten.

Zweitens: Der Volkswagen-Konzern stellt am Morgen (9 Uhr) seine vollständige Bilanz zum vergangenen Geschäftsjahr vor. Die zentralen Eckdaten sind bereits seit Ende Februar bekannt. Demnach konnte die VW-Gruppe 2019 ihren Gewinn unterm Strich laut vorläufigen Zahlen um 12,8 Prozent auf 13,3 Milliarden Euro steigern. Spannend wird der Ausblick 2020.

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Drittens: In den US-Bundesstaaten Arizona, Florida, Illinois und Ohio stehen Vorwahlen der Demokraten an. Joe Biden liegt derzeit bei der Anzahl der gewonnenen Delegierten für den Parteitag im Juli vor seinem Konkurrenten Bernie Sanders. Der ist zwar nicht erfolgreich, aber dafür unfassbar stur. Zurückziehen will er sich bislang nicht. Zyniker sprechen von altersgerechtem Verhalten.

Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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