Corona-Politik: Trump attackiert EU

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Guten Morgen,

den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie kann niemand kennen. Aber das politische Drehbuch, das jetzt zum Einsatz kommt, kennen viele; in den USA alle namhaften Politiker.

Es stammt aus der Feder von Sidney Blumenthal, einst Reporter der „Washington Post“, später Sprecher von US-Präsident Bill Clinton und bis heute enger Berater von Hillary Clinton. Sein Buch „The Permanent Campaign“ wurde 1980 publiziert und ist die Bibel all jener, die Politik als Inszenierung begreifen. Zynismus und Realismus sind die zwei Charaktere in einer Brust.

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Der Politiker, so Blumenthal, beginne seine Wiederwahlkampagne am ersten Tag im Amte. Naturkatastrophen, Terroranschläge und Tragödien aller Art sind für ihn keine Katastrophen, sondern die willkommene Gelegenheit, Menschen tief zu berühren und von der Überlegenheit des eigenen Charakters zu überzeugen.

Vorausgesetzt der Politiker begreift: Katastrophe ist nur ein anderes Wort für Kampagne. Die Ängste der anderen sind seine Bühne. Während die Wähler den Sündenbock noch suchen, schießt der Campagnero bereits auf ihn, wie wir heute Nacht am Beispiel von Donald Trump studieren konnten.

Blumenthal glaubt, dass George W. Bush die Unterstützung der Amerikaner verlor, als er sich nach der Flutkatastrophe von New Orleans nicht zügig um die Opfer kümmerte, sondern Jagd auf Plünderer machte: „Der Moment, an dem seine Popularität kollabierte, war nicht das Ergebnis des Irakkrieges, sondern die Folgen des Hurrikan Katrina“, schrieb er in einer privaten E-Mail an Hillary Clinton, die später von russischen Hackern veröffentlicht wurde.

Beim nächsten großen Unwetter, es war der Hurrikan Isaac im Herbst 2012, riet Blumenthal dem damaligen Präsidenten Barack Obama unverzüglich „an der Golfküste aufzutauchen, umgeben von Nationalgardisten“, um den Republikanern die Schau zu stehlen: „Dieser Hurrikan ist unser Gegen-Parteitag.“ Obama tat, was Blumenthal ihm empfahl. Die Anlässe wechseln, die Mechanik bleibt. Die Corona-Pandemie, gestern von der Weltgesundheitsorganisation ausgerufen, hat weltweit die Spitzenpolitiker in Kampagnenmodus versetzt. Das wichtigste, was der Politiker besitzt, nämlich sein Vertrauenskapital, wird in diesen Tagen vermehrt oder aufgezehrt.

Wie am Aktienmarkt wird auch am Wählermarkt nun in großer Hektik neu disponiert: Optionsscheine auf junge Talente verfallen, genauso gut können tradiert Standardwerte ins Trudeln geraten. Und wenn alles schiefläuft, erlebt eine eben noch stabile Regierung den Leerverkauf.

Selbst der chinesische KP-Chef und Staatspräsident Xi Jinping, der in dieser Woche erstmals nach Ausbruch des Virus in Wuhan auftauchte, muss nun seine Führungsfähigkeit neu beweisen. Das Virus kann die Fundamente seiner Macht zerstören oder erneuern. Krisen sind auch für kommunistische Kader der ultimative Test auf Kompetenz und Charakterfestigkeit.

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Trump spürt ebenfalls den Klimawechsel. Die Methoden der Polarisierung und Diffamierung im Innern gelten in der Stunde der Not als unpatriotisch. Die Nation sammelt sich. Die Chancen eines gemäßigten Kandidaten, der Mitgefühl zeigt und die Methoden der Moderation beherrscht, steigen stündlich. Man könnte meinen, Joe Biden habe den Corona-Virus bestellt. Er ist zurzeit sein bester Wahlkampfhelfer.

Also trat Trump heute Nacht im Oval Office vor die Fernsehkameras. Im Drehbuch der permanenten Kampagne stand, er müsse nun in einer einzigen Rede Empathie mit den Opfern zeigen, zugleich unerschütterliche Führung demonstrieren und ungerührt einen ersten Schuss auf den Sündenbock abfeuern.

 © dpa

Genau das tat Trump heute Nacht. Zunächst zeigte er Empathie:

Mit Mitgefühl und Liebe werden wir die Kranken heilen, für die Bedürftigen sorgen, unseren Mitbürgern helfen und gestärkt und einheitlicher als je zuvor aus dieser Herausforderung hervorgehen.

Sodann die harte Maßnahme des großen Führers:

Wir werden alle Reisen von Europa in die USA für die nächsten 30 Tage aussetzen.

Und schließlich der beherzte Schuss auf Chinesen und Europäer, deren Inkompetenz und Halbherzigkeit sich gegen die große amerikanische Nation verschworen habe. Die Infektionen in den USA seien auf Reisende aus Europa zurückzuführen, sagte Trump und sprach von einem „ausländischen“ Virus:

Wir haben einen lebensrettenden Schritt unternommen, indem wir frühzeitig gegen China vorgegangen sind. Jetzt müssen wir mit Europa das Gleiche tun. Wir werden nicht zögern. Ich werde niemals zögern, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit des amerikanischen Volkes zu schützen.

Auch in Deutschland verändert sich die Beleuchtung auf die politischen Akteure über Nacht. Friedrich Merz und Norbert Röttgen stehen plötzlich im Schatten der Ereignisse. Das CDU-Duo Armin Laschet und Jens Spahn profitiert, weil Ministerpräsident und Bundesgesundheitsminister in Regierungsverantwortung stehen und nun ihre Rolle als Krisenmanager spielen können. Die anderen reden, sie handeln. Die Herausforderer attackieren, sie retten. Jede Corona-Pressekonferenz ein Gegen-Parteitag.

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Die aufgewühlte Nation sehnt sich plötzlich nicht mehr nach Neuanfang und Richtungsänderung, sondern nach Maß, Mitte und – ja, auch das – nach gepflegter Langeweile. Die Bedrohungen von gestern – vorneweg Klimakatastrophe, soziale Spaltung und verpasste Digitalisierung – werden durch die Ereignisse nicht revidiert, aber relativiert.

Die Menschen leben lieber klimatisch erhitzt als gar nicht. Besser eine teure Wohnung, als eine von der Krankenkasse finanzierte Intensivstation. Das Lästern über verspätete Züge und das löchrige Funknetz wirken wie die Erinnerung an die gute alte Zeit.

Man war sauer, aber nicht bedroht. Die Eliten wurden als unfähig empfunden, aber nie als gemeingefährlich. Angela Merkel wirkt in der Beleuchtung der Krise wie eine gute Fee aus den Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Hätten die Deutschen drei Wünsche frei, wäre einer davon dieser: Mutti, bitte bleib! Den ungebührlichen Angriff von Donald Trump auf ihre Integrität wird Merkel noch heute zurückweisen müssen. Dieser Virus hat sich auch in ihre Biografie gefressen, nach Finanzkrise, Griechenland-Krise, nach Krim-Besetzung, Ukraine-Krieg und Flüchtlingsdrama wird das Schlusskapitel ihrer Kanzlerschaft von der Corona-Krise erzählen. Erst mit dem letzten Tag im Kanzleramt endet die permanente Kampagne, die sie vor nunmehr 20 Jahren gestartet hat.

Fazit: Die Infektionswege der aktuellen Pandemie führen von Wuhan bis in die Zentralen der Macht. Die Bevölkerung und ihre Regierungen teilen dasselbe Schicksal: Es wird Tote und Ermattung geben, im Volk und an den Schalthebeln der Macht.

Rutger Bregman hatte im Jahr 2019 Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos seinen großen Auftritt. In einer Diskussionsrunde stellte der damals 30-jährige Niederländer die Eliten, die sich gerade in Sachen Klimawandel so engagiert gegeben hatten, an den Pranger.

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Ich bin zum ersten Mal in Davos und finde es ziemlich befremdlich, um ehrlich zu sein. 1500 Leute sind mit ihren Privatjets hierhergeflogen, um zu hören, wir Sir David Attenborough darüber spricht, wie wir den Planeten zugrunde richten.

Ich höre, wie die Leute reden über Teilhabe und Gerechtigkeit und Gleichheit und Transparenz. Aber fast niemand spricht das wirkliche Problem an: Steuervermeidung und Reiche, die nicht ihren fairen Beitrag leisten. Es fühlt sich an, als sei ich auf einer Konferenz von Feuerwehrleuten und niemand darf über Wasser sprechen.

In seinem neuen Buch „Im Grunde gut“ stellt der Historiker und Buchautor die These auf, dass der Mensch von Natur aus weder Finsterling noch Zyniker sei, sondern edel und gut. Darüber habe ich mich mit ihm in Berlin unterhalten. Im Morning Briefing Podcast sagt er:

Von Schwarz-Weiß-Denken hält er nichts:

Es existieren 500 Fallstudien in denen Wissenschaftler untersucht haben, wie sich Menschen nach einer Naturkatastrophe verhalten. Was wir sehen ist eine Explosion der Kooperation und des Altruismus.

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Über Menschen in Machtpositionen sagt er:

Macht ist eine gefährliche Droge. Bei Menschen in Machtpositionen kann man die Nebenwirkungen dieser Droge deutlich sehen. Sie werden narzisstischer, sie werden weniger empathisch. Sie verlieren die Fähigkeit, sich mit anderen Menschen zu identifizieren.

Würde sich die Politik nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen richten, müsste einiges anders gemacht werden, meint Bregman:

Wenn man seine Sicht auf die Menschheit ändert, stellt man fest, dass eigentlich alles anders gemacht werden müsste. Die Schulen müssten anders gestaltet werden, der Arbeitsplätze, unsere Demokratie, sogar unsere Gefängnisse.

Ich bin Teil einer Generation, die von dieser links-rechts Debatte gelangweilt ist. Manchmal funktionieren Märkte besser. Manchmal hat der Staat die besten Lösungen. Manchmal findet der Mensch auf der individuellen Ebene die besten Lösungen und es braucht weder Staat noch den Markt.

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Seine Empfehlung:

Sei einfach nicht dogmatisch!

Seine Selbstbeschreibung:

Ich bin ein Neo-Realist. Ich versuche neu zu definieren, was es bedeutet, Realist zu sein.

Fazit: Ich wünsche diesem jungen Autor und seiner menschenfreundlichen Philosophie allen erdenklichen Erfolg: Wer nach der Lektüre von „Im Grunde gut“ in den Spiegel schaut, sieht einen anderen Menschen, vielleicht zum ersten mal sich selbst.

Die negativen Auswirkungen des Coronavirus für die Wirtschaft sind enorm. Aber: Die Gegenbewegungen sind ebenfalls unverkennbar. ► Der Sportartikelhersteller Adidas rechnet im ersten Quartal 2020 mit einem Umsatzverlust von bis zu einer Milliarde Euro gegenüber Vorjahr, der operative Gewinn könnte um bis zu 500 Millionen sinken. Der Dax-Titel ging gestern mit minus 13 Prozent als Tagesverlierer aus dem Handel.

Eine Infografik mit dem Titel: Corona macht Adidas zu schaffen

Aktienkurs vor und nach Senkung der Prognose, in Euro

Aber: Deutschlands Vorstandschefs schauen dem Kursverfall nicht tatenlos zu: Lanxess-Chef Matthias Zacher investiert über 530.000 Euro in Aktien seines Unternehmens. Metro-Chef Olaf Koch gibt sogar mehr als eine Million für den Kauf eigener Aktien aus. Ihre Botschaft: Wir stemmen uns gegen die Wirklichkeit.

► Die Pandemie wird Deutschland nach aktuellen Schätzungen von Goldman Sachs das ohnehin mickrige Wirtschaftswachstum kosten. Die Investmentbank prognostiziert einen Rückgang um 0,2 Prozent.

Aber: Die Regierung steht Gewehr bei Fuß. Die Kanzlerin rückt ab von der Schwarzen Null. „Wir werden das tun, damit wir gut durch diese Situation kommen. Und dann werden wir uns am Ende anschauen, was das bedeutet hat für unseren Haushalt. Das andere geht jetzt erstmal vor.“

► Staaten wie die USA, Österreich und Israel verhängen Einreisestopps, Konzerne untersagen Dienstreisen, während Airlines ihr Streckenangebot zusammenkürzen.

Eine Infografik mit dem Titel: Videotelefonie-Anbieter profitieren

Aktienkurs von Zoom seit Januar 2020, in US-Dollar

Aber: Eine Gegenbewegung ist auch hier zu verzeichnen. Die Aktien von Technologieunternehmen, die mobiles Arbeiten erleichtern, legen zu: Bei Videokonferenzanbieter Webex ist der Datenverkehr in China seit Ausbruch des Virus eigenen Aussagen zufolge um das 22-fache gestiegen. Der Kurs des börsennotierten Wettbewerbers Zoom gewann seit Jahresbeginn über 60 Prozent.

Fazit: Die Welt ist schockiert, aber nicht wehrlos. Die Wirtschaft reagiert mit hoher Rationalität auf die Ereignisse. Noch ist es so und nicht anders: Die Boote der Politik schwanken, der ökonomische Anker liegt auf Grund.

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Wenn es um die Gründerszene in Deutschland geht, kommt niemand an Berlin vorbei. Im ersten Halbjahr 2019 flossen 2,8 Milliarden Euro frisches Kapital in deutsche Start-ups. Alleine 2,1 Milliarden Euro gingen nach Berlin. Das sind 28 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch die Zahlen für 2018 sprechen im Bundesvergleich eine deutliche Sprache.

Eine Infografik mit dem Titel: Berlin ist Investitionshauptstadt

Deutsche Standorte mit höchsten Risikokapitalinvestitionen in Start-ups im Jahr 2018, in Millionen Euro

Doch Berlin wird immer wieder hart kritisiert – auch aus der Start-up-Szene. Im neuen Tech Briefing Podcast spricht Christian Miele, Präsident des Bundesverbands Deutscher Start-ups und ThePioneer-Kolumnist, darüber mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller. Dieser wehrt sich seiner Haut:

Wenn ich mich mit Start-ups in einem kleinen Rahmen unterhalte, nennen sie Punkte bei denen es noch nicht gut in Berlin läuft. Aber insgesamt fühlen sie sich sehr wohl. Wenn ich dann in einer Zeitung von deren Verbänden und Institutionen lese, dann habe ich immer das Gefühl, alles ist in Berlin furchtbar und im Niedergang. Warum loben sie nicht auch mal unseren Standort?

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Auch an die Adresse der Giganten aus dem Silicon Valley sendet er klare Signale:

Ich will Amazon. Ich will Google. Ich will Microsoft. Aber die müssen auch ertragen, wenn wir sagen ,Passt mal auf Leute, so geht es nicht.

Fazit: Wer glaubt, den Berliner Regierenden Bürgermeister zu kennen, hat dieses Interview noch nicht gehört. Müller sieht brav und bieder aus, aber ist in Wahrheit leidenschaftlich und wehrhaft: Ein Berliner eben – mit der dazugehörigen Schnauze.

In diesem Sinne wünsche ich ihnen einen selbstbewussten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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