Corona-Politik und Hungersnöte

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Guten Morgen,

viele leben nach dem Motto: Was interessiert mich die Meinung der anderen; ich hab ja meine eigene.

Wer Wahrheit hingegen nicht als einen statischen Zustand begreift, sondern als eine Suchbewegung, wird den Blick ins Ausland zu schätzen wissen. Heute äußern sich zwei prominente Stimmen der internationalen Wirtschaftswelt zu den großen Themen, die auch unser Land umtreiben.

Erstens: Vorsicht Rettungspolitik!

 © imago

Die „Financial Times“ in Gestalt ihres ökonomischen Analysten Wolfgang Münchau knöpft sich die deutsche Rettungspolitik von Kanzlerin Merkel, Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier vor. Bisher habe man durch die Bereitstellung von Liquidität für den Unternehmenssektor alles richtig gemacht. Aber:

Die größte Gefahr besteht darin, dass die Regierung in 2021 dasselbe tut, was sie bereits in 2020 getan hat. Denn in Wahrheit muss die finanzielle Hilfe jetzt die Richtung wechseln – weg von der Protektion bestehender Strukturen hin zu einem Anreiz für Produktivitätswachstum. Vor diesem Hintergrund war die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes bis zum Ende 2021 ein Fehler. Selbst in einem Wahljahr macht es keinen Sinn, Jobs zu beschützen, die bereits vor der Krise unter Druck standen.

Das Urteil des renommierten Kollegen fällt hart aus:

Es kann durchaus sein, dass die Eurozone aus dieser Krise als der schwächste Wirtschaftsblock unter den entwickelten Staaten hervorgeht.

Zweitens: Corona-Politik verschärft Hungersnöte.

 © dpa

Der amerikanische Wirtschaftsdienst Bloomberg will uns die Furcht vor weiteren Corona-Infektionen nicht ausreden, aber er rät uns dringend, die aus der Furcht resultierende Corona-Politik zu relativieren. Denn die Nebenwirkungen eines Lockdowns, der noch immer wichtige Branchen wie den Unterhaltungssektor, die Reiseveranstalter und die Flugindustrie gefangen hält, seien für Millionen Menschen lebensbedrohlich:

Erste Prognosen der Vereinten Nationen zeigen, dass im schlimmsten Fall etwa ein Zehntel der Weltbevölkerung in diesem Jahr nicht genug zu essen hat. Die Auswirkungen werden über den reinen Hunger hinausgehen, da Millionen von Menschen wahrscheinlich auch andere Formen der Ernährungsunsicherheit erfahren, einschließlich der Tatsache, dass sie sich keine gesunde Ernährung leisten können, was zu Unterernährung oder Fettleibigkeit führt.

Bis Ende des Jahres könnten täglich bis zu 12.000 Menschen an dem mit Covid-19 verbundenen Hunger sterben, möglicherweise mehr als diejenigen, die an dem Virus selbst sterben, schätzt die Wohltätigkeitsorganisation Oxfam.

Covid-19 hat einige der tiefsten Ungleichheiten der Welt aufgedeckt. Es ist auch eine entscheidende Kraft, wer essen darf und wer nicht. Millionen von Menschen sind arbeitslos geworden und haben nicht genug Geld, um ihre Familien zu ernähren, trotz der Billionen an staatlichen Anreizen, die dazu beigetragen haben, globale Aktien auf ein Allzeithoch zu bringen.

Fazit: Es ist an der Zeit, die Verengung der Debatte auf die medizinischen Folgen von Covid-19 zu beenden. Die sozialen und wirtschaftlichen Nebenwirkungen der Pandemiebekämpfung sind gravierend. Gebraucht wird ein kühler politischer Kopf und nicht die zittrige Hand am Panikknopf.

 © imago

Groß, größer, Scholz:

Das ist ein Wumms-Paket, mit dem wir jetzt aus der Krise kommen wollen.

Mit diesen Worten verkündete Finanzminister Olaf Scholz im Juni den Beschluss der Regierung, den kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen und ein Programm mit Überbrückungshilfen für sie aufzulegen. Doch der Wumms erreichte lediglich die mediale Schlagzeilenindustrie, nicht aber die eigentliche Zielgruppe.

Eine Kleine Anfrage der Grünen hat nun ergeben, dass von den geplanten 24,6 Milliarden Euro bislang lediglich ein Prozent an notleidende Firmen ausgezahlt wurde. Initiatorin der Anfrage war die Bundestagsabgeordnete Claudia Müller. Sie ist 39 Jahre alt, stammt aus Mecklenburg-Vorpommern und war freiberufliche Reiseleiterin.

Aus den Gesprächen mit vielen Selbstständigen hat sie erfahren, dass die Mittel nicht im gewünschten Maß fließen und insbesondere Soloselbstständige immer mehr leiden. Den Grund dafür sieht sie in der Beschaffenheit des Programms: Der Staat erstattet bei diesem Konjunkturprogramm lediglich die Kosten. Diese fallen bei Firmen mit vielen Beschäftigten an, nicht aber bei Soloselbstständigen. Bei ihnen fallen vor allem die Lebenshaltungskosten an, die das Programm nicht bezahlt. Dafür, sagt der Staat, gebe es schließlich Hartz IV. Im Morning Briefing Podcast sagt die Mittelstandsexpertin:

Die Meisten, die das eigentlich betrifft, stellen fest, dass sie doch nicht berechtigt sind oder die Hürden so hoch sind, dass sie es nicht machen.

Auch die Ungewissheit plagt viele Selbstständige:

Hinzu kommt natürlich die Angst vor Rückforderungen. Auch bei den Soforthilfen sind viele davon bedroht.

Über die geringe Summe der bisher ausgezahlten Mittel sagt sie:

Das ist erschreckend wenig und es bedeutet nicht, dass keine Hilfe gebraucht wird. Es heißt schlicht und ergreifend: Sie kommt nicht an!

Abschließend kommt sie zu einem vernichtenden Urteil:

Das ist wirklich eine absolute Fehlkonstruktion. Die Regierung lässt die Selbstständigen im Regen stehen.

Fazit: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Die Regierung muss nachbessern.

 © imago

Nach dem ersten Tag der zweiten Sondersitzung des Finanzausschusses, der sich mit dem insolventen Wirecard-Konzern beschäftigt, wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss immer wahrscheinlicher. FDP und Linke plädieren dafür, nur die Grünen zieren sich noch und wollen sich auch nach der gestrigen 10,5-stündigen Sitzung nicht festlegen.

Eine Infografik mit dem Titel: Wirecard: Der tiefe Sturz

Aktienkurs seit dem 18. Juni, in Euro

Im Gespräch mit dem Morning Briefing Newsletter-Team sagt die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus:

Wir wollen der Regierung die Möglichkeit geben, uns bei der Aufklärung zu unterstützen. Deshalb haben wir vereinbart, erst nach den zwei Tagen zu entscheiden, ob wir für oder gegen einen Untersuchungsausschuss sind.

 © imago

Über die heute anstehende Entscheidung der Grünen hinsichtlich eines Untersuchungsausschusses signalisiert sie:

Die Wahrscheinlichkeit für einen Untersuchungsausschuss ist mit dem gestrigen Tag weiter gewachsen. Auf eine Frage tun sich immer noch mehr Fragen auf, wir haben heute noch einmal 1000 Seiten zur Information erhalten.

Eine Infografik mit dem Titel: Milliardenschweres Desaster

Marktkapitalisierung von Wirecard, in Milliarden Euro

Fazit: Der heutige Tag wird für die Karriere des Olaf Scholz womöglich wichtiger als seine Nominierung. Denn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss dürfte bis in den Bundestagswahlkampf hinein tagen. Direkt und indirekt würde nach der Verantwortung des Mannes gefragt, der für die Finanzaufsicht in Deutschland die oberste Verantwortung trägt. Die Albtraum-Schlagzeile der SPD sieht wie folgt aus: Fall Wirecard führt zum Fall von Scholz.

Am Montag war Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) zu Gast auf der Pioneer One und sprach mit Vizechefredakteur Gordon Repinski über die Folgen der Corona-Politik auf Wirtschaft und Gesellschaft sowie über die jüngsten Ausschreitungen bei den Demonstrationen in Berlin. Dazu sagte Schwesig:

Ich bin nicht dafür, dass der Reichstag völlig abgeriegelt wird.

Bürgernähe mit Demonstrationen auch vor dem Parlament sei „ein hohes Gut“ der Demokratie.

Das dürfen uns solche Leute nicht wegnehmen.

Schwesig sagte, sie sei „erschrocken und erschüttert“ gewesen über die Eskalation nach Ende der Demonstration.

Solche Bilder kennen ich und meine Generation zum Glück nur aus den Geschichtsbüchern.

All jenen, die im Moment die Corona-Politik ablehnen, rät sie dennoch zur Umsicht und verlangt Gesetzestreue:

Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung.

Mehr aus diesem nachdenklichen und sehr persönlich geführten Gespräch gibt es auf ThePioneer.de

Das neue Modewort in der Ökonomenwelt lautet Modern Monetary Theory. Dahinter versteckt sich eine intellektuelle Veredlung der Geldflutungspolitik. Die mit MMT abgekürzte Theorie besagt, dass Staaten mit eigener Währung beherzt auf die Notenpresse zurückgreifen sollen, um die Wünsche der Bürger zu befriedigen. Sollte es zur Inflation kommen, hätte der Staat jederzeit die Möglichkeit über höhere Steuern die Liquidität fast schon nach Belieben zu verknappen.

 © imago

Dr. Daniel Stelter, Podcast-Gastgeber sowie ehemaliger Chef und Partner der Boston Consulting Group, lässt in der neuen Ausgabe von „Beyond The Obvious” einen MMT-Befürworter zu Wort kommen. Dr. Dirk Ehnts aus dem Vorstand der Samuel Pufendorf Gesellschaft für politische Ökonomie sagt:

MMT basiert auf den Problemen, die wir haben. Wir haben seit den 1980er-Jahren Massenarbeitslosigkeit in den meisten europäischen Ländern. Die Frage ist, warum. Die Antwort lautet, weil der Staat zu wenig Geld ausgibt. Warum gibt er zu wenig Geld aus? Weil die Politiker sagen, dass die Staatsschulden all die zukünftigen Generationen belasten würden.

Wir sehen in der politischen Welt, vor allen Dingen im Neoliberalismus, dieses Bild vom Staat als Hausfrau. Da wird argumentiert, der Staat darf eigentlich nur das ausgeben, was er vorher eingenommen hat, alles andere wäre unsolide. Wir sagen, aus technischer Sicht ist es kompletter Unsinn, so zu argumentieren.

Stelter hält dagegen:

MMT verspricht die Lösung aller Probleme, von Arbeitslosigkeit über Ungleichheit und anderes. Einfach deshalb, weil man sagt: Der Staat kann viel mehr Geld ausgeben. Ich würde sagen: MMT ist eine Ausrede für Politiker, viel mehr Geld auszugeben, weil die Notenbank alles finanzieren kann.

 © dpa

Ich habe auch mit Professor Lars Feld, dem Chef der Wirtschaftsweisen, über diesen Vorstoß der Wirtschaftswissenschaft in bisheriges Tabugebiet gesprochen. Im heutigen Morning Briefing Podcast kommt er ausführlich zu Wort. Nur so viel sei hier verraten: Prof. Feld rät der EZB davon ab, eine zweite Fed zu werden.

 © Media Pioneer

Heute im Hauptstadt Newsletter von ThePioneer.de:

  • 30 Jahre nach der Deutschen Einheit bekommt der Bundestag einen Beauftragten, der sich um die SED-Opfer kümmern soll. Der entsprechende Gesetzentwurf liegt vor.

  • Top-Personalie in der Hauptstadt-CDU: Landeschef Kai Wegner will gegen Familienministerin Franziska Giffey (SPD) um das Bürgermeister-Amt kämpfen.

Mehr auf ThePioneer.de

Die Durststrecke bei den Dividenden wird für viele Aktionäre europäischer Unternehmen nach Einschätzung der DZ Bank auch in den nächsten Jahren anhalten. Der nun veröffentlichten Analyse „Dividenden im Fokus“ zufolge fallen die Gewinnausschüttungen im Corona-Jahr um 25 bis 30 Prozent niedriger aus als vor Jahresfrist.

Im Euro Stoxx 50, der die 50 bedeutendsten Aktiengesellschaften des Euroraums vereint, sind die Dividenden gar auf das Niveau von 2005 gesunken:

Eine Infografik mit dem Titel: USA vs. Europa

Entwicklung der Dividenden in ausgewählten Leitindizes seit 2004, in Prozent

15 der 50 Unternehmen im Euro Stoxx 50 haben demnach die Dividende gestrichen oder ausgesetzt, darunter alle Banken.

Das ernüchternde Fazit der DZ Bank lautet:

Es ist wahrscheinlich, dass das Ausschüttungsniveau in Europa frühestens 2022 wieder das Niveau von 2019 erreicht.

 © dpa

Tesla-Chef Elon Musk plant nach eigenen Angaben einen Besuch in Deutschland. Er komme wegen einer Zusammenarbeit mit dem Tübinger Unternehmen Curevac, das an einem Corona-Impfstoff arbeitet, und wegen des Baus der Elektroautofabrik in Grünheide bei Berlin, wie er auf Twitter ankündigte:

Tesla baut als Nebenprojekt RNA-Mikrofabriken für Curevac und möglicherweise andere. Deshalb und wegen der Fabrik bin ich diese Woche auf dem Weg nach Deutschland.

Die Begehrlichkeiten, den Pionier der Elektrozeit zu treffen, sind größer als dessen Zeitbudget. Seine dreifache Ambition, den Mars zu erobern, einen Covid-Impfstoff zu entwickeln und das E-Auto durchzusetzen, kann man großartig oder größenwahnsinnig finden. Aber so sehen moderne Helden aus. Nicht weil sie alles schaffen, aber weil sie alles wagen.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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