Corona-Politik wird verschärft

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Guten Morgen,

heute verhandeln Bund und Länder über neue Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Schon jetzt ist klar: Die Bundeskanzlerin wird sich angesichts weiter steigender Infektionszahlen mit ihrem harten Kurs durchsetzen.

In der vergangenen Woche artikulierte sie in vertraulicher Journalistenrunde ihr Unverständnis für die neue Lässigkeit vieler Bürger und ihre Angst vor der kühlen Jahreszeit. Sie warb emotional für jene Verschärfungen, die heute ab 14:00 Uhr mit den Landesfürsten diskutiert und beschlossen werden sollen:

  • Der Bund schlägt für Feiern in privaten Räumen eine Beschränkung auf maximal 25 Teilnehmer vor. In öffentlichen Räumen dürfen sich demnach maximal 50 Menschen treffen.

  • Möglich ist, dass die Grenzen für private Feiern nur gelten, wenn bestimmte Grenzwerte bei den Neuinfektionen überschritten werden. Also etwa, wenn in einem Landkreis innerhalb von sieben Tagen die Zahl von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern überschritten wird.

 © Sebastian Gabriel
  • Sollten sogar mehr als 50 Menschen pro 100.000 Einwohner infiziert werden, seien weitere Maßnahmen zu erlassen, heißt es in der Vorlage. Die Teilnehmerzahl könnte dann weiter begrenzt werden – nach den Vorstellungen des Bundes auf 10/25 Teilnehmer (privat/öffentlich).

  • Um eine präzise Kontaktnachverfolgung zu ermöglichen, sollen Ordnungsbehörden Verstöße bei falschen persönlichen Angaben in Restaurants mit einem Mindestbußgeld von 50 Euro belegen können.

  • In besonders betroffenen Regionen soll der Alkoholausschank unter bestimmten Bedingungen befristet werden. Um Infektionen in der Gastronomie zu minimieren, müssten bei ansteigendem Infektionsgeschehen „zeitlich eingegrenzte Ausschankverbote für Alkohol erlassen werden“, heißt es in dem Entwurf für die heutige Sitzung.

Fazit: Bürgerproteste und die Mahnungen vieler Ökonomen vor beschleunigten Wohlstandsverlusten finden im Bundeskanzleramt derzeit kein Gehör. Beide Ohren der Angela Merkel gehören den Virologen. Links flüstert Professor Drosten; rechts souffliert das RKI.

Wolfgang Clement © dpa

Größe und Tragik

Kein Nachruf – von Bodo Hombach

Wolfgang Clement braucht keinen Nachruf, schon gar nicht die eiligen Testate derjenigen, die ihm zu Lebzeiten Steine in den Weg gelegt oder sogar ein Bein gestellt haben. Ein Quantum Dank allerdings wäre nicht schlecht für einen Homo Politicus, der seinen Weg gegangen ist.

Max Weber scheint ihn gekannt zu haben. Er beschrieb den Typus des Charismatikers, der die Akten vom Tisch fegt, wenn nichts mehr geht, weil die Selbstblockaden der Gesellschaft überhandnehmen.

Er nimmt es in Kauf, wenn dann die Regelwerker und Bürokraten zur Treibjagd blasen. Sie treten ihm ja auch nicht mit offenem Visier entgegen. Sie streiten nicht um das bessere Argument und den – vielleicht – richtigeren Weg. Sie hoffen, dass er irgendwann ermattet. Den „Vierzehnender“ können sie nur als Trophäe über dem Kamin ertragen.

Johannes Rau und Wolfgang Clement © dpa

Aber vielleicht muss es auch beide geben: den pragmatischen Visionär und das Kollektiv der Bedächtigen. Vielleicht müssen sie sich gar nicht verstehen, denn wenn am Ende einer gewinnt, haben beide verloren. Ein gutes System bietet ihnen die Tanzfläche, auf der sie aneinandergeraten, nicht im langsamen Walzer oder schlürfenden Blues, sondern im geregelten Konflikt eines argentinischen Tangos.

Wolfgang Clement erlebte die Chancen des politischen Systems, aber auch seine Korrosion. Politik und Politiker sind mehr denn je umstellt vom organisierten Misstrauen. Man beachtet kaum, dass sie Richtiges tun, sondern fragt nach dem, was nicht klappt. Man prangert an. Man lauert auf. Man bringt zur Strecke.

Wolfgang Clement uns Bodo Hombach © dpa

Der Staat ist daran nicht schuldlos.

Man wehrt sich gegen das ständige Erzogenwerden durch Medien, Hochsprache, Sozialmoral, aber der Gemeinwille ist mehr und Besseres als der „Deal“ des kleinsten gemeinsamen Nenners. Es herrscht eine Kultur des Gefühls:

Ich will nicht sachlich sein, ich bin besorgt.

Als individuelle Position ist das ehrenwert, es schafft aber einen Sog aus Missvergnügen, Empörung, Wut. Es wird zum „Brei der Herzen“, wie Hegel es verächtlich nannte.

Wolfgang Clement wusste: Mit schierer Sentimentalität ist kein Staat zu machen. Er fragte sich unablässig: Wie sieht eine Zukunft der Verantwortung aus? Welche Prognosen sind zu stellen, welche Therapien anzuraten? Handeln im Ungewissen ist das Risiko des Politikers, aber auch seine Ehre. Wer sie ihm ausreden will, macht ihn zum sicherungssüchtigen Opportunisten.

Gerhard Schröder und Wolfgang Clement © dpa

Wolfgang Clement litt unter der tatsächlichen oder vermeintlichen Fertigkeit der Zustände. Große Aufgaben waren sichtbar, aber im Grunde wurde immer nur repariert. Er litt unter dem Nebel des Ungefähren.

Größe und Tragik gehören zusammen. – Ich verneige mich vor diesem Menschen.

Anmerkung: Dies ist die leicht gekürzte Fassung eines Textes, den Bodo Hombach für thepioneer.de verfasst hat. Dort finden Sie das Original.

 © dpa

Kommunalwahlen funktionieren wie Seismografen. Hier zeigt sich zuerst, ob dem Land eine politische Veränderung bevorsteht oder ob alles bleibt, wie es ist. Beginnt es im Innersten der Demokratie zu rumoren, spuckt der Berg bald schon Lava aus. Nur, dass der Ascheregen der Demokratie nicht von Tod und Verderben kündet, sondern von der Vitalität im Innern, von der energiegeladenen Glut, die das politische Leben, das bisherige, unter sich bedeckt.

Deshalb ist auch die Kommunalwahl von Nordrhein-Westfalen kein singuläres Ereignis, sondern ein erneuter Hinweis auf den kommenden Machtwechsel in Berlin. Die alte Regierungspartei SPD, die von nunmehr 71 Jahren Bundesrepublik 19 Jahre den Kanzler und 14 weitere Jahre den Vize-Kanzler stellte, verschwindet womöglich im Nebel der Geschichte. Das sozialdemokratische Jahrhundert, das immer auch eine politische Spiegelung der Industriegesellschaft war, neigt sich dem Ende.

Eine Infografik mit dem Titel: Dominante Volksparteien

Wahlergebnis der Kommunalwahlen in NRW 1975

Eine Infografik mit dem Titel: Grüne mischen mit

Wahlergebnis der Kommunalwahlen in NRW 1999

Eine Infografik mit dem Titel: SPD in Bedrängnis

Wahlergebnis der Kommunalwahlen in NRW 2020

Das sind die vier Beobachtungen aus NRW:

  • Die Zeiten, als die Volksparteien die Macht unter sich aufteilten, sind vorbei. Das Deutschland der Gegenwart ist nicht mehr schwarz oder rot, sondern schwarz mit grünen Flecken.

  • Die Leitkultur der Städte hat von konservativ-bürgerlich auf ökologisch-progressiv gewechselt. Die Grünen stellen mittlerweile in Stuttgart, Aachen, Bonn, Tübingen, Darmstadt, Schifferstadt, Greifswald, Böblingen und Hannover den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin.

  • Die SPD verliert hingegen ein Rathaus nach dem anderen, darunter auch solche, die sie lange innehatte, wie beispielsweise Düsseldorf oder Wuppertal.

  • Der von vielen befürchtete Sturmlauf der AfD ist nicht erfolgt. Die rechtspopulistische Partei, ein Kind von Euroeinführung und Flüchtlingskrise, ist schnell gealtert. Die Kader brauchen keine parteipolitischen Gegner, sie haben sich selbst.

Fazit: Im Innern des deutschen Vulkans brodelt eine demokratische Energie, die das Land nicht erschüttern, aber verändern wird. Uns steht kein Umsturz, wohl aber ein Machtwechsel bevor. Das grün-schwarze Zeitalter hat begonnen.

 © dpa

Commerzbank Aufsichtsratschef Hans-Jörg Vetter und der Finanzstaatssekretär Jörg Kukies haben gute Arbeit geleistet. Die monatelange Suche nach einem neuen Vorstandschef für die Commerzbank hat sich gelohnt. Investoren begrüßten am Montag die Besetzung des Commerzbank-Vorstandsvorsitzes durch Manfred Knof, Leiter des bundesweiten Privatkundengeschäfts der Deutschen Bank, mit einem Kurssprung. Aktien des Instituts legten um 5,6 % zu.

Intern allerdings bleibt die Entscheidung umstritten. Viele hatten auf den ehemaligen ING-Diba-Chef Roland Boekhout gesetzt, der ein ausgewiesener Experte im Digitalgeschäft ist und dessen Biografie nicht mit der Tradition der Filialbank verknüpft ist. Der neue Vorstandschef wird also nicht nur als Finanzexperte, sondern auch als Brückenbauer gebraucht.

Eine Infografik mit dem Titel: Verhaltener Optimismus

Kursentwicklung der Commerzbank-Aktie seit dem 28.08., in Euro

In nationalen Umfragen liegt der Demokrat Joe Biden seit Wochen vor Donald Trump. Dieser hat heute Nacht die Chance, Millionen von noch unentschlossenen Wählern zu überzeugen - oder auch Stammwähler zu verlieren: In Cleveland, Ohio, findet die erste von drei Präsidentschaftsdebatten statt.

Wie knapp das Rennen zwischen Trump und Biden wirklich ist, zeigt ein Blick auf die Landkarte der besonders umkämpften Bundesstaaten, der sogenannten Battleground States. Zwar liegt Biden in zentralen Staaten wie Florida, Pennsylvania, Ohio und Michigan in Führung, das jedoch äußerst knapp:

Eine Infografik mit dem Titel: Trump vs. Biden

Welcher Präsidentschaftskandidat in ausgewählten "Swing States" in Führung liegt, in Prozent

In Texas und Georgia dagegen liegt Trump vorn. Die Spannung bis zum Wahltag dürfte also zu- statt abnehmen. Dafür sorgen auch die beiden anderen TV-Duelle am 15. Oktober in Miami, Florida, und am 22. Oktober in Nashville, Tennessee. Dazu kommt das Duell zwischen Vizepräsident Mike Pence und seiner Herausforderin Kamala Harris am 7. Oktober in Salt Lake City, Utah.

Morgen früh – oder besser heute Nacht – werden mein Team und ich noch eher aufstehen als sonst, um Ihnen im Morning Briefing und im Morning Briefing Podcast eine ausführliche Analyse der ersten Debatte liefern zu können.

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Alarmstimmung im Kanzleramt. Angela Merkel warnt in einer CDU-internen Runde vor einem zweiten europäischen Hilfspaket, das notwendig sein könnte, wenn Europa die Pandemie nicht in den Griff bekommt. Merkel sagte:

Die Situation ist fragil.

Für ein zweites Hilfspaket „haben wir nicht die Kraft.“

Weitere Details, auch zur heutigen Runde mit den Ministerpräsidenten, finden Sie unter thepioneer.de/hauptstadt.

 © imago

Die Großen kassieren, die Kleinen krepieren. Was wie eine Polemik klingt, beschreibt die Realität der derzeitigen Corona-Politik. Nach den Milliarden für Tui, Lufthansa und ThyssenKrupp ist auch die Ford AG sinnlich geworden.

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So berichtet das „Handelsblatt“, dass der US-Automobilkonzern Ford den Antrag auf eine Staatsbürgschaft in Höhe von 500 Millionen Euro gestellt habe. Einen großen Teil soll der Bund übernehmen, einen kleineren die Bundesländer.

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Gleichzeitig befinden sich die kleinen Firmen, deren Akteure nicht die Handynummer der Kanzlerin besitzen, in wirtschaftlicher Not. So kämpfen zum Beispiel die Kinobetreiber nach der Corona-Zwangspause um ihre Existenz. In einem Brief an die Kanzlerin schlagen sie Alarm:

Die gesamte Filmbranche ist paralysiert.

Der Grund: Durch strenge Hygieneauflagen dürfen die Betreiber aktuell mit einer maximalen Auslastung von nur 20 Prozent planen. Dazu kommen unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Bundesländern.

Tom Tykwer © dpa

Auch Regisseur Tom Tykwer ist wütend:

Ich komme nicht damit klar, dass die Leute in einem Flieger mit 400 Leuten sitzen und im Kino sind es zehn Meter Abstand.

Detlev Karsten Rohwedder © imago

Von der ausgebremsten Kinoindustrie profitiert auch hierzulande der Streaming-Anbieter Netflix. Seit dem 25. September gibt es auf Netflix die erste deutsche Doku-Serie zu sehen: „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“.

Sie widmet sich dem bis heute nicht aufgeklärten politischen Mord. Im April 1991 wurde der Treuhand-Manager Detlev Karsten Rohwedder in seiner Villa in Düsseldorf von einem Scharfschützen im Garten erschossen - aus 65 Metern Distanz.

 © dpa

Die vierteilige Serie dreht sich um den bis heute ungeklärten Mord – und fasziniert die Abonnenten. Das zeigt der Einzug in die Top-Ten-Liste von Netflix Deutschland.

Entwickelt und produziert wurde diese Dokumentation unter der Federführung von Grimme-Preisträger Christian Beetz. Im Morning Briefing Podcast sagt er:

Die offizielle Geschichtsschreibung sagt uns: Das war die RAF, die dritte Generation. Aber gab es diese dritte Generation überhaupt?

Staatsakt für Detlev Karsten Rohwedder © Bundesarchiv

Über eine mögliche Beteiligung der Staatssicherheit an dem Verbrechen sagt Christian Beetz:

Das ist der nächste Denkraum, den wir eröffnen. Aus einer DDR-Perspektive von ehemaligen Staatssicherheitsbeamten war Rohwedder der Kapitalist, also der Besatzer, der die DDR vereinnahmt. Auch dort gibt es Motive.

Die Verantwortlichen von Netflix lockte er mit einer Sicht auf die Wiedervereinigung, die stark mit den Schulbuchbildern von tanzenden Menschen auf der Mauer und dem Fahnenmeer von Leipzig kontrastiert:

Als ich vor zwei Jahren in Los Angeles bei Netflix war, habe ich gesagt, ich würde gern die dunkle Seite der deutschen Wiedervereinigung erzählen. Ich würde liebend gern dort mal hinschauen, wo dieser Phantomschmerz herkommt, den wir immer noch spüren in Deutschland. Ich würde gern auf ein Kapitel schauen, was wir in den deutschen Schulbüchern nicht zu lesen bekommen.

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Fazit: Hier wird eine Dokumentation vorgelegt, die den Zuschauer nicht manipuliert, sondern inspiriert. Christian Beetz überführt keinen Mörder, aber eröffnet Räume zum Selberdenken. Prädikat: Eine Deutschstunde der schmerzhaften Art.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in diesen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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