Corona spaltet Deutschland

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Guten Morgen,

am Beginn dieser Woche ist die gesellschaftliche Situation prekärer als die medizinische. Das Coronavirus spaltet die Bevölkerung in drei, sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager.

Da sind zum Einen die Corona-Leugner und leidenschaftlichen Verschwörungstheoretiker, deren Vertreter am Samstag mit bis zu 20.000 Personen durch den Berliner Tiergarten zogen. Die radikalsten unter ihnen bestreiten die Existenz von Covid-19, die gemäßigten, also gewissermaßen die Realos der Irrationalität, stellen die Gefährlichkeit des Virus infrage. Professor Lothar Wieler und sein Robert Koch-Institut sind in ihrer Logik eine staatlich finanzierte Fälscherbande, die gemeinsame Sache macht mit Bill Gates, der ARD und den amerikanischen Geheimdiensten. Das Reeducation-Programm der Nachkriegszeit wird demnach nun mit epidemiologischen Mitteln fortgesetzt.

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Einer der Sprecher auf der Kundgebung rief:

Wir akzeptieren gerade doch nur eine Meinung: Die, die von der Regierung vorgegeben wird, vom RKI mit den Fallzahlen, die nicht stimmen, wenn man sich die Zahlen anguckt. In Deutschland sterben gerade weniger Menschen als sonst.

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Der ehemalige vegane Starkoch Attila Hildmann, ebenfalls einer der Lautsprecher dieser Fraktion, sagte am Samstag in einer spätabendlichen Videobotschaft, aufgenommen vor dem Bundeskanzleramt:

Frau Merkel, das deutsche Volk weiß, Sie sind Satanistin.

Dazu muss man wissen: „Seuchen sind die sozialsten aller Krankheiten“, wie der Geschichtswissenschaftler Malte Thießen in einem Aufsatz bereits 2015 schrieb.

Sie treffen ganze Gesellschaften, schüren kollektive Ängste und verschärfen soziale Spannungen. An der Wahrnehmung und Bekämpfung von Seuchen lässt sich den Aushandlungen sozialer Normen, Hierarchien und Ordnungsvorstellungen im historischen Wandel nachspüren.

Nicht selten kam es infolge von Pandemien zu revolutionären Situationen und auch zum Umsturz. Unvergessen die sogenannte Moskauer Pestrevolte im Jahre 1771.

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Zweitens: Eine nicht minder große Gruppe sind die Zweifler, die nicht die Existenz des Virus bezweifeln, wohl aber die Angemessenheit der staatlichen Reaktion. Diese Gruppe argumentiert im Einklang mit ihren ökonomischen Interessen. Denn Einzelhändler, Busunternehmer, Konzertveranstalter Tourismusanbieter, Flugzeugbauer- und Betreiber, Diskothekenbesitzer und Reeder – anders als die Beschäftigten im Staatsdienst und bei den großen globalen Dax-Konzernen – zahlen den Preis für die Corona-Politik der Regierung.

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Sie fürchten zu Recht um ihre wirtschaftliche Existenz. Sie stellen die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen infrage und wundern sich, wieso der Staat tief in ihr Leben eingreift, während die Zahl der am oder mit dem Coronavirus Verstorbenen an 28 von 31 Juli-Tagen einstellig blieb. Diese Gruppe grämt es, dass in der Zeitung von einer „zweiten Welle“ die Rede ist, derweil auf den Intensivstationen deutscher Krankenhäuser offenbar Unterbeschäftigung herrscht.

Eine Infografik mit dem Titel: Wenig Todesfälle

Entwicklung der Zahl der Infizierten und der in Verbindung mit Covid-19 gestorbenen Menschen in der letzten Woche

Ihre politische Repräsentanz könnte dieses Lager am ehesten in der FDP erblicken. Doch die Liberalen finden weder Kraft noch Tonalität, um diesen Interessen Ausdruck zu verleihen. Der hinter den Kulissen geführte Machtkampf um die Führung von Christian Lindner – und für einige auch schon um dessen Erbe – lähmen die FDP.

Warnen vor den Folgen von Corona: RKI-Chef Wieler, Gesundheitsminister Spahn, Kanzlerin Merkel © dpa

Drittens: Und dann wäre da noch die große Mehrheit der Zufriedenen. Sie fürchtet das Infektionsgeschehen und ist deshalb bereit, weitere Unannehmlichkeiten zu ertragen. Die Mitte der Gesellschaft steht hinter den Corona-Verordnungen und betrachtet das Robert Koch-Institut nicht als Bande, sondern als eine medizinische Wahrheitskommission.

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Das Lebensgefühl dieser Menschen bilden am ehesten Robert Habeck, Annalena Baerbock, der Gesundheitsminister und die Kanzlerin ab. Auch Markus Söder, der sich als Vollstrecker einer unbequemen epidemiologischen Wahrheit versteht, hat in ihren Augen genau deshalb Kanzlerformat. Sie sind derzeit bereit, das zu hören, was sie eigentlich nicht hören wollen. Sie sind mental willig, aber auch ökonomisch in der Lage, sich rücksichtsvoll zu verhalten.

Dieses Lager, das bei der Sonntagsfrage mit fast 40 Prozent die Union und mit fast 20 Prozent die Grünen wählen würde, bildet die neue stabile Mitte, aus der sich womöglich die nächste Bundesregierung rekrutiert.

Fazit: Das politische Problem dieser Pandemie sind nicht die drei Lager selbst, sondern die fehlende Dialogfähigkeit zwischen ihnen. Wie in Zeiten des Kalten Krieges steht man sich unversöhnlich und das heißt sprechunfähig gegenüber.

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Pech für Armin Laschet: Dieser Unmöglichkeit zum Dialog ist auch die bisherige Wahlkampagne des Bewerbers um den CDU-Vorsitz zum Opfer gefallen. Sein libertärer Ansatz einer Balance zwischen Ökonomie und Virologie, seine Idee einer Aufweichung der Fronten und des versuchten Interessenausgleichs, konnte in einer derart erstarrten politischen Landschaft keine Früchte tragen.

In aufklärerischer Absicht spricht ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker im Morning Briefing Podcast mit einer besonnenen und kompetenten Stimme: Prof. Martin Exner ist Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn. Er hat zuletzt auch das berüchtigte Tönnies-Werk nach dem dortigen Corona-Ausbruch unter die Lupe genommen.

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Für Exner sind die Hygienemaßnahmen derzeit das wirkungsvollste Instrument gegen die weitere Ausbreitung des Virus:

Mund-Nasen-Schutz, die Abstandsregeln und die Händehygiene sind im Effekt genauso wirksam wie eine Impfung. Von daher gibt es keine Alternative zu diesen Maßnahmen.

Wer zu Corona-Zeiten ein Restaurant besucht, muss ein Stück seiner Privatsphäre aufgeben. Denn in vielen Bundesländern sind Gaststätten dazu verpflichtet, die Kontaktdaten ihrer Besucher zu sammeln, damit die Gesundheitsbehörden etwaige Infektionsketten nachverfolgen können: E-Mail-Adresse und Telefonnummer inklusive.

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Doch nicht nur die Gesundheitsbehörden, auch die Polizei verschafft sich in einigen Bundesländern, darunter Hamburg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Bremen, Zugang zu dem Datenschatz, um Straftaten zurückzuverfolgen, wie es heißt.

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Fazit: Es gibt viele Wege, das Vertrauen in den Staat zu erschüttern. Der Missbrauch der Corona-Daten für die Verbrechensbekämpfung ist einer davon. Das ist nicht der fürsorgliche, das ist der übergriffige Staat.

Das Siemens-Tochterunternehmen Healthineers plant die Komplettübernahme des US-Krebsspezialisten Varian Medical Systems. Siemens Healthineers lässt sich diesen Zusammenschluss 16,4 Milliarden Euro kosten. Damit wäre diese Übernahme die teuerste in der Geschichte des deutschen Traditionskonzerns.

Eine Infografik mit dem Titel: Wertvolles Tochterunternehmen

Marktkapitalisierung der Siemens AG und der Siemens Healthineers AG, in Milliarden Euro

Diese Übernahme hat aber nicht nur inhaltliche Gründe, sondern auch eine machtpolitische Seite. Denn das Tochterunternehmen Healthineers könnte durch die neu gewonnene Größe und die dadurch deutlich gesteigerte Börsenbewertung in den Dax aufsteigen. Für Siemens-Healthineers-Chef Bernd Montag ist es nur noch „eine Frage der Zeit“ bis das geschieht.

Auch die Siemens Energy drängt in den Dax, sodass womöglich der Münchner Konzern künftig mit drei Einheiten im deutschen Leitindex vertreten wäre – die zwei Töchter, gemeinsam mit der Mutter. Diese Dreifaltigkeit dürfte der heutige Siemens Vorstandschef Joe Kaeser mit Fug und Recht als seine Krönungsmesse begreifen.

Eine Infografik mit dem Titel: Gute Erholung nach Corona

Kursentwicklung der Siemens-Aktie seit dem 1.8.2019, in Euro

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager fand sich nach ihrem Veto gegen die Fusion von Siemens und dem Zughersteller Alstom in der unschönen Rolle wieder, Zerstörerin eines „europäischen Champion“ zu sein. Ein Jahr später ist die Dänin rehabilitiert. Sie zeigt, dass auch im Rahmen des geltenden EU-Wettbewerbsrechts europäische Champions entstehen können.

► Die EU-Kommission hat die Fusion des französischen Unternehmens mit der Schienentechnik-Sparte des kanadischen Industriekonzerns Bombardier, die zu den Weltmarktführern im Schienenverkehr gehören, unter Auflagen genehmigt. Die Übernahme, die Alstom nach eigenen Angaben 5,8 bis 6,2 Milliarden Euro kostet, soll bis Ende Juni 2021 abgeschlossen sein.

Eine Infografik mit dem Titel: Zweitgrößter Zughersteller weltweit entsteht

Umsatz der zehn größten Zughersteller weltweit 2019, in Milliarden Euro

► Die Fusionsauflagen betreffen auch Deutschland. Unter anderem wird Bombardier die Talent 3-Plattform und die damit verbundenen Produktionsanlagen am Standort Hennigsdorf mit knapp 300 Beschäftigten veräußern.

Fazit: Die industriepolitische Vernunft hat sich durchgesetzt. Europa zeigt sich von seiner wehrhaften Seite.

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In einem Interview mit t-online sagte der Grünen-Chef Robert Habeck über die BaFin, die seit dem Wirecard-Skandal unter Beschuss steht:

Die BaFin ist vielleicht gut darin, mittelständischen Unternehmen nachzuweisen, dass Handwerkerrechnungen falsch eingebucht wurden. Aber sie ist schlecht darin, internationale Finanzakteure zu kontrollieren. Das muss sich schleunigst ändern.

Das Problem an der Aussage: Für die Überprüfung der Handwerksrechnungen ist normalerweise das Finanzamt zuständig. Die Häme der Internetgemeinschaft folgte prompt. So twitterte der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler über Habeck:

Nichts wissen, nichts verstehen, alles sagen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer schrieb:

Man staunt über das Ausmaß der Ahnungslosigkeit.

Doch wir sollten Nachsicht üben. Denn auch der Präsident der BaFin, Felix Hufeld, besaß offensichtlich keine klare Vorstellung von dem, wofür seine Behörde steht. Als Wirecard-Aufpasser jedenfalls hat die BaFin nicht funktioniert. Oder anders gesagt: Die Verwirrung reicht deutlich über Robert Habeck hinaus.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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