Coronapolitik: Wie Deutschland seine Führung verspielte

Teilen
Merken

Guten Morgen,

Angela Merkel klang im Februar 2021 noch so: „Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schief gelaufen ist.” Der Wahrheitsgehalt dieses Satzes war schon damals – nach dem harten und zunächst wirkungslosen Weihnachtslockdown – von fragwürdiger Substanz. Heute würde ihn auch die Kanzlerin und Pfarrerstochter so nicht wiederholen.

International hat die deutsche Politik ihren guten Ruf mit dem Fortschreiten der Pandemie verspielt; aus Bewunderung wurde Befremden, aus Befremden schließlich Spott. Die Bundestagswahl ging für die Union auch deshalb verloren, weil für Millionen Menschen die Kompetenzvermutung – Konservative können Staat – sich so nicht bewahrheitet hat.

Hier sind die sieben Gründe, warum Deutschland im internationalen Bloomberg-Ranking der „Covid-Resilienz” seit Oktober um 19 Plätze auf Platz 32 abgerutscht ist:

Grund 1: Die Entscheidung für die Booster-Impfung kam deutlich zu spät: Erst am 18. November – da hatte die 4. Welle bereits eingesetzt – empfahl die Ständige Impfkommission die Auffrischungsimpfung für alle Personen ab 18 Jahren. In den USA war der BioNTech-Impfstoff bereits zwei Monate zuvor für Auffrischungsimpfungen zugelassen. Amerika hat so jene Zeit gewonnen, die Deutschland verlor.

Eine Infografik mit dem Titel: Die deutsche Impf-Stagnation

Entwicklung der Impfquote in Deutschland seit dem 27. Dezember 2020, in Prozent

Grund 2: Die 3G-Regel am Arbeitsplatz gilt in Deutschland seit dem 24. November, also auch deutlich später als anderswo. In Frankreich dagegen müssen bereits seit dem 30. August rund 1,8 Millionen Beschäftigte auf der Arbeit einen Nachweis vorlegen, dass sie geimpft, getestet oder genesen sind. Betroffen sind alle Beschäftigten in den Bereichen mit viel Publikumsverkehr, beispielsweise Zugbegleiter und Verkäuferinnen.

Eine Infografik mit dem Titel: Frankreich zieht vorbei

Vergleich der Impfquoten zwischen Deutschland und Frankreich seit Beginn der Impfungen, in Prozent

Grund 3: Vor der Bundestagswahl traute sich kein Politiker, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Eine Benachteiligung von Ungeimpften darf es nicht geben, hieß es unisono. Eine Impfpflicht sei ausgeschlossen. Der Lockdown wurde mehrfach ausgeschlossen. Die politische Klasse spielte das Freiheitslied, die Warnungen von Prof. Christian Drosten wollte jetzt keiner hören:

Wenn die Impfquote nicht signifikant erhöht wird, ist eine schwere Winterwelle zu erwarten.

Armin Laschet © dpa

Der Kanzlerkandidat der Union tourte als Armin Arglos durchs Land:

Wenn wir im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, dann muss man weiter nachdenken. Aber nicht jetzt.

Markus Söder sekundierte:

Ich bin gegen eine Impfpflicht.

Olaf Scholz © dpa

Auch ein erneutes Herunterfahren der Wirtschaft wurde ausgeschlossen. Olaf Scholz im TV-Triell:

Es wird keinen Lockdown mehr geben.

Die Politiker sendeten Signale der Entwarnung, die von Millionen Deutschen als Rückkehr zur Normalität übersetzt wurden.

Grund 4: Das Misstrauen vieler Deutschen in die Wissenschaft ist offenbar erschüttert. Der Fußballer Joshua Kimmich begründete seine Impfskepsis mit fehlenden Langzeitstudien – ein fataler Denkfehler wie der Immunologe Carsten Watzl erläutert:

Was offensichtlich viele Menschen unter Langzeitfolgen verstehen – nämlich, dass ich heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt – das gibt es nicht, hat es noch nie gegeben und wird auch bei der Covid-19-Impfung nicht auftreten.

Carsten Watzl © dpa

Grund 5: Es gab und gibt Lieferengpässe beim Impfstoff: Erst Ende vergangener Woche meldeten Niedersachsen und Brandenburg Lieferengpässe bei Corona-Impfstoffen. Nach Angaben von Hausärzten und anderen Impfteams seien die von ihnen bestellten Mengen für die kommende Woche „nicht in vollem Umfang lieferbar".

Grund 6: Etwa 3100 Intensivbetten stehen in Deutschland noch zur Verfügung. Doch es gibt zwei Probleme: Erstens ist die Lage regional sehr unterschiedlich, so wurden aus Bayern Patienten in andere Bundesländer geflogen. Zweitens fehlt es an Personal. 72 Prozent der Krankenhäuser steht weniger Intensivpflegepersonal zur Verfügung als noch Ende 2020, das ergab eine Umfrage des deutschen Krankenhausinstituts.

Grund 7: Deutschland fehlt bisher die traumatische Erfahrung von Italienern und Spaniern. In Spanien patrouillierte das Militär auf den Straßen und in Bergamo lagen die Menschen auf den Fluren der Kliniken – und starben. Der europäische CSU-Politiker Manfred Weber erklärt:

Das steckt den Italienern, auch den Spaniern, noch echt in den Knochen.

Die Gesellschaften in den südeuropäischen Ländern besitzen daher eine deutlich höhere Impfquote.

Fazit: Die deutsche Situation hat nicht aus pandemischen, sondern aus politischen Gründen in den roten Bereich gedreht. Das Land wird derzeit nicht rechts oder links, sondern armselig regiert.

Der Corona-Konflikt

Seit Pandemiebeginn arbeiteten Union und SPD gemeinsam an Lösungen - nun überwiegt der Streit.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Intensivbetten © dpa

Von den 25.002 Intensivbetten sind laut RKI derzeit 4.637 Betten mit Corona-Patienten belegt. Die Situation ist allerdings regional unterschiedlich. Im Morning Briefing Podcast berichtet Prof. Bert Bosche, Facharzt für Neurologie und Leiter der Intensivmedizin an der MEDICLIN Klinik Reichshof im Oberbergischen und Privatdozent an der Universitätsklinik Essen. Er sagt zur aktuellen Situation:

Natürlich gibt es immer wieder Ausbrüche, wo die Intensivkapazitäten nicht mehr ausreichen. Wenn ich jedoch für meinen Bereich spreche – das östliche NRW und den Großraum Essen, – dann ist die Lage angespannt, aber nicht ‚out of order’.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Er lehnt nicht das Impfen ab, wohl aber die vom Gesetzgeber geplante Impfpflicht:

Wenn ein Patient meine Hilfe als Arzt nicht in Anspruch nehmen möchte, dann kann ich ihn dazu nicht zwingen. Genauso sehe ich es bei einer Impfung: Wer nicht geimpft werden möchte, den sollte ich mit guten Argumenten dahin führen. Die Argumente sind eigentlich schlagend.

Klick aufs Bild führt zum Dossier

Bundesverfassungsgericht © dpa

In Karlsruhe haben die Bundesverfassungsrichter die „Bundesnotbremse“ gebilligt. Über 450 Verfahren gegen die Corona-Maßnahmen aus dem vergangenen Frühjahr sind bei den Richterinnen und Richtern eingegangen – für ​​insgesamt 21 isolierte Eilanträge sowie 180 Verfassungsbeschwerden haben sie nun entschieden: Die Beschränkungen waren verfassungskonform.

Das Gericht erkannte zwar an, dass „in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte“ eingegriffen worden sei, doch aufgrund der „äußersten Gefahrenlage der Pandemie“ stehe dem Gesetzgeber „ein Spielraum zu”. Dabei beziehen sich die Entscheidungen mehrfach auf die Schwierigkeit von Beschlüssen unter Unsicherheit. Doch mit Blick auf die neuen Unsicherheiten der vierten Welle gibt Karlsruhe der neuen Regierung eine Mahnung auf den Weg:

Je länger eine unter Nutzung von Prognosespielräumen geschaffene Regelung in Kraft ist, [obwohl] der Gesetzgeber fundiertere Erkenntnisse hätte erlangen können, umso weniger kann er sich auf seine ursprünglichen, unsicheren Prognosen stützen.

Moderna Hauptsitz © dpa

Die neue Omikron-Variante bereitet immer mehr Experten Sorge. Jetzt bezweifelt auch noch der CEO von Moderna Stéphane Bancel die volle Wirksamkeit seines hauseigenen Impfstoffes. Nach Gesprächen mit Forschern und Wissenschaftlern befürchtet er, dass der Impfschutz seines Vakzins schwächer als bei der hochansteckenden Delta-Variante ausfällt. Er sagt:

Das sieht nicht gut aus.

Seine Aussagen verschreckten auch die Anleger, die einen erneuten Rückschlag für die Weltwirtschaft befürchten. Mehr zu den Hintergründen und den Turbulenzen auf den Aktienmärkten und wie die Analysten die Lage einschätzen, hören Sie heute Morgen im Investment-Briefing mit Annette Weisbach in Frankfurt und Anne Schwedt aus New York.

Weshalb wir auch mit Radikalen und Extremisten sprechen müssen

Alev Doğan spricht mit Journalist Thilo Mischke

Podcast hören

Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Norbert Lammert © dpa

Sie sollen mit Steuergeld jungen Talenten das Studium finanzieren, dabei stecken sie das Geld in großen Portionen sich selber in die Tasche: Die Rede ist von der Führungsriege politischer Stiftungen, die nun mit harter Kritik vom Bundesrechnungshof konfrontiert ist.

In einem Prüfbericht der Behörde, der dem Spiegel vorliegt, heißt es, dass politische Stiftungen hierzulande tief in die Trickkiste gegriffen haben, um das sogenannte Besserstellungsverbot auszuhebeln. Dieses Verbot soll eigentlich sicherstellen, dass institutionell geförderte Einrichtungen ihre Beschäftigten nicht besser bezahlen können als vergleichbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Bundes.

Bei den Stiftungen seien allerdings Spitzengehälter durch einen fiktiven "Versorgungszuschlag" aufgebessert worden. Das zuständige Bundesinnenministerium habe hierbei die Verwendung von Mitteln nur unzureichend kontrolliert. In dem Schreiben heißt es weiter:

Die Stiftungen zahlten ihren Vorständen, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern oder Generalsekretärinnen und Generalsekretären außertarifliche Entgelte bis zur Höhe der Besoldungsgruppe B9. Das sind derzeit mehr als 12.000 Euro monatlich.

Das daraus resultierende Gehalt für die Führungskräfte der vergleichsweise kleinen Stiftungen erreiche somit „ein Gehaltsniveau wie Spitzenbeamte”. Des Weiteren übt der Bundesrechnungshof Kritik an aufgeblähten Geschäftsführungen sowie steuerfinanzierten Chauffeuren.

Martin Schulz © Gong Bing Xinhua

Gegenstand der Untersuchung waren alle politischen Stiftungen, die im Prüfzeitraum von 2015 bis 2019 sogenannte Globalzuschüsse des Bundesinnenministeriums erhielten. Dazu zählten:

  • die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung

  • die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung

  • die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung

  • die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung

  • die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung

  • die Linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung hat damals noch keine Förderung erhalten.

Ola Källenius © dpa

Wundersame Zellteilung: In Kürze werden aus der Daimler AG zwei Konzerne. Es entstehen Daimler Trucks für Lastwagen und Busse und Mercedes-Benz für Autos und Vans. Daimler-Chef Ola Källenius hofft, dass zwei an der Börse notierte Gesellschaften in Summe eine bessere Bewertung erzielen als gemeinsam. So wie bei Siemens zu besichtigen.

Auch die Börsenbewertung von VW und Daimler klafft auseinander: 106 vs. 89 Milliarden Euro. Und das obwohl Mercedes PKW alleine im dritten Quartal 2021 3,6 Milliarden Euro Gewinn erzielte, Volkswagen hingegen „nur” 2,9 Milliarden. Eine ausführliche Analyse zur Mercedes-Strategie gibt es morgen im Tech Briefing Newsletter. Diesen können Sie hier kostenlos abonnieren und morgen direkt in Ihrem Posteingang lesen.

Josephine Baker © dpa

Frankreich hat eine neue Heldin und zum ersten Mal handelt es sich um eine schwarze Bürgerrechtlerin. Emmanuel Macron ehrt die Tänzerin und Vorkämpferin gegen Rassismus Josephine Baker mit der Aufnahme ins Panthéon.

Das Pariser Panthéon ist die nationale Ruhmeshalle Frankreichs und die Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten. Hier ruht der Philosoph Voltaire. Die Aufnahme ist auch heute noch die größtdenkbare Auszeichnung in der französischen Kulturpolitik und obliegt einzig und allein dem französischen Präsidenten.

Sarg von Josephine Baker vor dem Pantheon-Denkmal © dpa

Josephine Baker kam 1906 als uneheliche Tochter in der amerikanischen Kleinstadt Missouri zur Welt und erlebte früh, was Rassismus bedeutet. Bereits im Alter von acht Jahren musste sie als Dienstmädchen arbeiten, mit 13 wurde sie zwangsverheiratet.

Über die Musik schaffte sie den Aufstieg. 1925 tourte sie als Tänzerin – oft halbnackt und zuweilen im Bananenrock – durch Frankreich und verzauberte mit ihren exotisch-erotischen Auftritten die damalige Kolonialmacht.

Während des Zweiten Weltkrieges ließ sich die Besitzerin eines Pilotenscheins von der französischen Luftwaffe rekrutieren und leistete – als informelle Mitarbeiterin des GeheimdienstesWiderstand gegen die Nazis. Dafür bekam sie später den Orden der französischen Ehrenlegion.

Josephine Baker © imago

Mit der Auszeichnung Bakers will Emmanuel Macron auch ein Zeichen für die Werte der fünften Republik setzen. Das Élysée begründet die Aufnahme mit den Worten:

Es geht um alle ihre Kämpfe, die sie geführt hat.

Und sie hat wahrlich viele Kämpfe gekämpft, den gegen Rassismus und den gegen die Nazis, den gegen die Prüderie („Ich war nicht wirklich nackt. Ich hatte nur keine Kleider an.“) und in die Schlacht gegen die Humorlosigkeit zog sie auch:

„Viele Frauen sind nur auf ihren guten Ruf bedacht“, sagte sie einst, „aber die anderen werden glücklich.“

Das Provokante an ihr aber war die Tatsache, dass sie in einer Zeit politischer Verwirrung, militärischer Eskalation und gesellschaftlicher Tristesse den utopischen Kern ihres Charakters pflegte wie einen Diamanten. Sie ließ sich ihren Glauben an ein besseres Morgen nicht ausreden:

Unsere Träume können wir dann verwirklichen, wenn wir uns entschließen, daraus zu erwachen.

Ich wünsche Ihnen einen kämpferischen Start in den Tag.

Es grüßt Sie auf das Herzlichste,

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing