Das Gespenst lebt

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Guten Morgen,

jedes Zusammentreffen mit Menschen ist interessant. Aber diese Diskussion mit Geldexperten in Frankfurt, von der ich Ihnen heute Morgen erzählen möchte, war für mich sehr besonders. Es ging um die Gefahr einer groß angelegten Geldentwertung.

In allen Zeitungen stand damals das Wort Deflation und das Buch von Roger Bootle, das vom „Ende der Inflation“ erzählte, erfreute sich auf den internationalen Bestsellerlisten großer Beliebtheit. In diesem Buch aus dem Jahr 1998 fand sich der denkwürdige Satz:

Es ist jetzt möglich, das wirtschaftliche Potenzial so zu maximieren, dass dabei Preisstabilität, also keine Inflation, entsteht.

Und so drehte ich am Ende einer Veranstaltung mit Hedgefonds-Managern und anderen Kapitalmarkt-Experten in Frankfurt den Spieß einfach um: Was denken und was fühlen Sie, wollte ich von ihnen wissen: Ist die Inflation eine historische Erinnerung oder kehrt ihr Echo bald schon mit großem Grollen zurück? Weil das nun einsetzende Murmeln im Publikum für mich undefinierbar blieb, ließ ich wie in der Schule abstimmen. Das Ergebnis fiel deutlich aus:

  • 20 Prozent der anwesenden Geldexperten glaubten, die Gefahr der Inflation sei auf absehbare Zeit gebannt. Die Gespenster der Vergangenheit würden nicht wieder auferstehen.

  • Aber rund 80 Prozent der Großinvestoren und ihrer angestellten Fondsmanager prognostizierten die Rückkehr einer für alle spürbaren Geldentwertung. Sie hielten den Terminus vom Ende der Inflation für eine mediale Fiktionalisierung der Wirklichkeit.

Sie sollten Recht behalten. Noch haben wir es nicht mit einer galoppierenden Entwicklung zu tun. Aber die Inflation hat zu traben begonnen. In den USA lag die Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat im April bei 4,2 Prozent. In der Bundesrepublik betrug der Preissprung im vergangenen Mai gegenüber dem Vorjahresmonat 2,5 Prozent. Beide Zahlen sind noch nicht schockierend, aber in ihrer Tendenz besorgniserregend.

Eine Infografik mit dem Titel: Inflation: Sprunghafter Anstieg

Inflationsrate in den USA gegenüber Vorjahresmonat von Januar 2020 bis April 2021, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Inflation: Es geht wieder los

Inflationsrate in Deutschland gegenüber Vorjahresmonat von Januar 2020 bis April 2021, in Prozent

Folgende fünf Umstände sind es, die in diesen Tagen als Preistreiber wirken:

  • Die Pandemie in Kombination mit der lockeren Geldpolitik der Notenbanken führt zu einer aufgestauten Kaufkraft, die sich nun in höheren Preisen entlädt.

  • Bei wichtigen Rohstoffen, wie zum Beispiel bei Holz, Aluminium, Kupfer und Stahl herrscht Mangel, was die Produktion von beispielsweise Elektrogeräten, Autos oder Kunststoffwaren erschwert und deren Preise in die Höhe treibt.

 © ThePioneer
  • Die Ölscheichs haben die Förderung bewusst gedrosselt, um höhere Preise pro Barrel erzielen zu können. Der Ölpreis kletterte wie erwartet nach oben, mit der Folge, dass Deutschland den höchsten Anstieg der Benzinpreise seit 27 Jahren verzeichnet.

Eine Infografik mit dem Titel: Steigende Energiepreise

Durchschnittlicher Preis für einen Liter Superbenzin in Deutschland von April 2020 bis April 2021

  • Die Sorge der Welt vor dem Klimawandel und die daher bewusst vorgenommene Verteuerung der Energiekosten – zum Beispiel durch CO2-Steuern für Kraftstoff und Heizöl sowie empfindliche Strafgebühren für die zu großen Benziner-Flotten der Autoindustrie – sind politisch administrative Preistreiber par excellence.

Eine Infografik mit dem Titel: Für den Bürger wird es teurer

Auf Verbraucherwerte umgerechnete Preissteigerung von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas durch die im Januar 2021 eingeführte CO2-Steuer in Deutschland

  • Die Grünen stehen mit ihrem Programm, das der Landwirtschaft, den Energiekonzernen, den Automobilherstellern und der verarbeitenden Industrie bewusst höhere Kosten zumutet, für eine Politik der planmäßig erhöhten Lebenshaltungskosten. Die externen Kosten des Ressourcenverbrauchs werden mit Ansage internalisiert.

Eine Infografik mit dem Titel: Strompreise: Deutschland vorn

Strompreis in Eurocent je Kilowattstunde für Privathaushalte mit einem Verbrauch bis 1200 KWh

 © ThePioneer
  • Die Politik hat die Vermögenswerte inflationär aufgebläht, was sich am Anstieg der Immobilienpreise und der Aktienbewertungen ablesen lässt. Diese Reichtums-Illusion führt in zahlreichen Märkten zum Sinken der Preissensibilität. Es entsteht zusätzlicher Überwälzungsspielraum zum Beispiel für teure Autos und andere Luxusgüter.

 © The Pioneer

Die Entwicklung ist nicht, wie EZB-Direktoriumsmitglied Prof. Isabel Schnabel die Öffentlichkeit glauben machen will, von temporärer Bedeutung. Die westlichen Volkswirtschaften sind nach langen Jahren der Stabilität in eine Dekade der Geldentwertung eingetreten. Bloomberg meldet: Roger Bootle, der Autor des Buches vom Ende der Inflation, habe seine Thesen im Interview mit dem Wirtschaftsportal widerrufen.

Der Ökonom, der die Inflation einst für tot erklärt hat, glaubt nun an ihre Auferstehung: Die Inflation lebt.

Fazit: Wer die Gefahren der Geldentwertung unterschätzt oder herunterspielt, wird von den Wählern mit Liebesentzug bestraft. Von allen sozialen Missständen ist die heimliche Entwertung der Kaufkraft der gravierendste.

Jill Gallard © dpa

Als Botschafterin war die Nordirin Jill Gallard bisher in Lissabon, Brüssel und Prag tätig. Deutsch ist bereits die vierte Fremdsprache, die die 52-Jährige lernte, um sich den Menschen in ihrem neuen Einsatzgebiet mit Respekt und Einfühlungsvermögen zu nähern. Denn im November 2020 wurde sie offiziell als britische Botschafterin nach Berlin entsandt. Damit ist sie die erste Frau, die als höchste Repräsentantin das Vereinigte Königreich in Deutschland vertritt.

Im heutigen Morning Briefing Podcast spreche ich mit der Diplomatin über den anstehenden G7-Gipfel in Cornwall, die deutsch-britischen Beziehungen und das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, das Großbritanien erfüllt und Deutschland seit jeher verfehlt.

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Der diesjährige Gipfel findet unter dem Motto „Build back Better“ statt. Für die Diplomatin hat dies eine besondere Bedeutung:

Wir legen den Fokus auf grüne Erholung und mehr Innovation, Technologie und erneuerbare Energien.

Denn Boris Johnson sei, trotz des Brexits, von der Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit überzeugt. Sie erklärt:

Boris Johnson ist ein Freund von Europa. Er hat immer gesagt: ‚Wir haben die Europäische Union verlassen, aber wir verlassen nicht Europa.‘

Nach dem G7-Gipfel folgt unmittelbar ein Nato-Gipfel, bei dem die Briten nicht nur Erwartungen an Deutschland, sondern auch an alle anderen Mitglieder haben werden:

Wir glauben, dass die Nato der Eckpfeiler für die Sicherheit der Vereinigten Staaten, aller Nato-Mitglieder und Europas ist. Deshalb ist es wichtig, dass auch alle Mitglieder mehr Geld geben.

Fazit: Großbritannien ist nicht weg, nur woanders. Hier spricht die sympathische Stimme eines schwierigen Freundes.

Jill Gallard © Anne Hufnagl
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Den Kollegen von unserem Hauptstadt-Team liegt ein vertraulicher Entwurf der Ständigen Impfkommission vor. Die Wissenschaftler haben überprüft, ob Corona-Impfstoffe auch für Kinder bis 17 Jahre geeignet sein könnten.

Ergebnis: Nein. Der BioNTech-Impfstoff wird lediglich für Kinder mit Vorerkrankungen empfohlen, die ein erhöhtes Risiko für eine schwere Covid19-Erkrankung haben.

Für alle anderen eher nicht.

Das Fazit der Stiko: Kinder seien nicht Treiber des Pandemiegeschehens, es gebe kaum Krankenhausaufenthalte, kaum Intensivfälle.

Die Krankheitslast von Covid19 bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren ist mit der Krankheitslast bei Influenza in dieser Altersgruppe vergleichbar.

Nach abschließender Risiko-Nutzen-Abwägung habe man entschieden, keine allgemeine Impfempfehlung abzugeben. Alle Details im Newsletter „Hauptstadt – Das Briefing“.

Die Rüstungsspenden an Parteien

Fast zwei Millionen Euro haben Rüstungsunternehmen seit 2005 an die Parteien gespendet.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

 © imago

Bislang hat Google’s Autokorrektur geholfen, Rechtschreib- und Grammatikfehler zu vermeiden. Nun geht der Tech-Gigant einen Schritt weiter: Für englischsprachige Nutzer soll Geschriebenes künftig auch auf politische Korrektheit überprüft werden, berichten einige Medien.

So sollen maskulin-konnotierte Worte wie „mankind“, Menschheit, zu „humankind“ geändert werden. Bei anderen Beispielen sähe die Sprachkorrektur danach weniger elegant aus. Ein paar Beispiele:

  • „Mailman”, Postbote, soll zu „mail carrier”, Post-Tragender, werden

  • „Man hours”, Arbeitsstunden, werden zu „person hours”

  • Aus „chairman”, Vorstand, wird „chairperson”

Noch würden die Worte allerdings nicht automatisch ausgewechselt. Der Algorithmus macht seine gender-neutralen Vorschläge. Der Mensch entscheidet.

Olaf Scholz © dpa

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss befragte über 100 Zeugen, darunter auch Finanzminister Olaf Scholz und Kanzlerin Angela Merkel, um dem Betrug des Finanzdienstleisters auf den Grund zu gehen. Nun legten die Vertreter der Oppositionsparteien Linke, Grüne und FDP ihren Abschlussbericht vor – und gehen mit der Bundesregierung hart ins Gericht. In ihrem Votum heißt es:

Deutsche Aufsichtsbehörden sind nicht fit für das Internet-Zeitalter.

Statt nach Möglichkeiten zu suchen, um aufsichtsrechtlich tätig zu werden, suchte man nach Gründen, um nicht tätig zu werden.

Über Olaf Scholz persönlich sagt der Chef-Aufklärer im Untersuchungsausschuss und Linke-Abgeordnete Fabio De Masi:

Er hat sich immer weggeduckt.

Fazit: Wer die Aussagen des Untersuchungsausschusses als Führungszeugnis liest, wird Zweifel an der Führungskompetenz des Hamburgers kaum unterdrücken können. Olaf Scholz kämpft in diesem Wahlkampf nicht nur gegen CDU, FDP und Grüne, sondern auch gegen die eigene durchwachsene Bilanz.

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Peter Handke © dpa

Heute vor 55 Jahren wurde Peter Handkes Sprechstück „Publikumsbeschimpfung“ in Frankfurt am Main im Theater am Turm uraufgeführt. Regie führte kein Geringerer als Claus Peymann.

Die Uraufführung des Einakters geriet zum Theaterskandal des Jahres: Tumulte und Prügeleien spielten sich im Theaterhaus ab, manche Zuschauer weigerten sich, zu gehen und empörten sich über die Dreistigkeit des damals 23-jährigen Autors.

Handkes Sprechstück beginnt mit einer klaren Ansage:

„Sie werden kein Schauspiel sehen.

Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden.

Sie werden kein Spiel sehen.

Hier wird nicht gespielt werden.“

Vier namenlose Personen treten lässig gekleidet auf und sprechen das Publikum, das im grellen Licht sitzt, direkt an. Die Reflexionen über das Verhältnis von Zuschauer und Schauspieler entfalten sich in Sätzen wie „Wir spielen nicht mal uns selbst“ oder „Wir sind Objekte unserer Worte“ oder „Wir verkörpern keine Gefühle“. Die Schauspieler üben sich zunächst in Selbstbezichtigung, zweifeln an ihrer Funktion, plagen sich ab mit „der toten Sprache“ und begehren auf gegen Regieanweisungen.

Erst im letzten Teil des Stückes findet die eigentliche Publikumsbeschimpfung statt: Zuschreibungen mit historischer Konnotation wie „Kriegstreiber“ und „Untermenschen“ fallen. Die Anklage gipfelt in der Beleidigung:

Ihr Auswürfe der Gesellschaft, ihr Maulaffenfeilhalter, ihr Genickschuss-Spezialisten.

Den Verfasser machte die Uraufführung schlagartig berühmt. Damit war der österreichische Rebell im Kulturbetrieb etabliert und wurde zum Popstar unter den Dichtern. Mit seiner bedächtigten, zuweilen abgehackten Sprechweise, die an die Musik der Rolling Stones erinnert, und seiner Ins-Visier-Nahme der Zuschauer provozierte Handke das klassische Theaterpublikum am Vorabend der 68er Revolte. Das Publikum wurde von ihm nicht unterhalten, sondern konfrontiert.

Peter Handke ist bis heute der Provokateur von einst geblieben: klug und großmäulig, auf charmante Art anstößig, das Kind, das sich seiner Zeit verweigert. Oder um es mit den Worten des Schriftstellers selbst zu sagen:

Die beste Entwicklung, die ein Mensch nehmen kann, ist, dass er das Kind bleibt, das er ist.

Genau das ist dem mittlerweile 78-Jährigen hervorragend gelungen. Er blieb der Kindskopf und wir stehen da wie der Erziehungsberechtigte, der mit wohligem Entsetzen den eigenen Spross betrachtet.

Publikumsbeschimpfung (1966)

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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