Das Leiden der Liberalen | Internet Giganten unter Druck | EU gegen Lukaschenko

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Guten Morgen,

in der Parteipolitik gibt es ein physikalisch interessantes Phänomen, das wissenschaftlich nicht erklärt werden kann. Das Echo ist zuweilen lauter als der Ruf. Der Widerhall übertönt den Sender, womit wir bei Christian Lindner und seiner Trennung von Linda Teuteberg sind.

Derweil der Parteichef durch einen betont sachlichen Ton bemüht war, dem Ereignis den Anschein von Drama zu nehmen, hat es in den sozialen Medien mächtig gescheppert. Die Filterblase der FDP wackelt noch immer. Die Reaktionen reichen von giftig bis gallig, weil hier einer Frau, die in Corona-Zeit keine Chance zum großen Auftritt hatte, der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Da, wo sie eben noch stand, steht nun ein Mann.

#FDP-Chef @c_lindner moniert öffentlich, dass er sich von #Teuteberg mehr Unterstützung erhofft hätte. Was wäre dann ihr Auftrag gewesen: Beihilfe zu parteischädigendem Verhalten?

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Ist das jetzt eigentlich diese Cancel Kultur, von der so viel geschrieben wird? #LindaTeuteberg #Lindner

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#kemmerich irrlichtert weiterhin in #Thueringen rum, aber #LindaTeuteberg muss gehen. Bromance regelt. #lindner #FDP #Generalsekretär

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Wenn Lindner jetzt noch den Vorsitzenden der FDP absägt, dann ist der Weg für eine neue liberale Politik frei. #Teuteberg

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 © dpa

In den Parteigremien gab es keinen Widerstand. Lindner und die Funktionäre sind „partner in crime“, wie die Amerikaner den kollektiv abgenickten Anschlag auf die Generalsekretärin nennen würden. Aber dennoch gibt es auf diesem Schlachtfeld keine Gewinner, nur drei Verlierer.

Eine Infografik mit dem Titel: Liberale im Rückwärtsgang

Bundestagswahlergebnis 2017 und Umfrageergebnisse der FDP, in Prozent

Erstens. Der Parteichef arbeitet emsig weiter an seiner Entzauberung. Das im Wahlkampf 2017 entworfene und seither gepflegte Selbstbild vom modernen Mann entspricht offensichtlich nicht ganz der Realität. Die Frau, die er 2019 selbst aus dem Hut zauberte, steckt er bei erstbester Gelegenheit wieder dahin zurück. Der Vorhang fällt. Im Separee herrscht ausgelassene Stimmung. Frauenförderung mit Zigarre.

 © imago

Zweitens. Linda Teuteberg, die hoffnungsfroh gestartet war, aber in ihrer Rolle keine Akzente setzen konnte, steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Ambitionen. Der Hosenanzug der angriffslustigen Generalsekretärin war ihr zu groß. Auch da, wo Geist und Sprachwitz hingehört hätten, schlackerte es.

Drittens. Der politische Liberalismus kommt so nicht zu Kräften. Die hehren Prinzipien einer vernunftbasierten, aufgeklärten und der Zukunft zugewandten Politik bleiben einmal mehr im Unterholz der Personalpolitik stecken.

Fazit: Personalrochaden gehören zur Politik. Aber sie ersetzen sie nicht.

Im Morning Briefing Podcast kommen drei Frauen mit drei unterschiedlichen Meinungen zu Wort. Sie sind der FDP verbunden oder beobachten sie schon lange, wie Eva Quadbeck, die Hauptstadt-Chefin der „Rheinischen Post“:

Der Abgang von Frau Teuteberg ist auch ein Bauernopfer. Lindner steht im Moment mit dem Rücken zur Wand.

 © imago

Die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder, ist folgender Ansicht:

Ich erwarte, dass von der Führungsspitze im Dialog mit Problemen umgegangen wird, aber nicht, dass man das über die Presse regelt. Über die Zeitung zu kommunizieren, ist kein respektvoller Umgang.

 © dpa

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und heutige Vorständin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit dagegen begrüßt Lindners Entscheidung:

Dieser Befreiungsschlag kann für die FDP positiv sein - strategisch, inhaltlich, personell.

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Podcast-Folge

Das World Wide Web steht für den freien, nicht regulierten und Kontinente umspannenden Austausch von Wissen, Meinungen und Ideen. In der Realität ist dieser Gründungsmythos vielfach ein Mythos geblieben.

Denn längst haben vier US-Konzerne das Internet unter sich aufgeteilt. Google, Amazon, Facebook und Apple entscheiden, was die Menschen wissen, denken, fühlen und auch kaufen sollen. Gegen die GAFA-Giganten — der addierte Börsenwert beträgt rund 5,3 Billionen Dollar – regt sich daher Widerstand. Die Gründe:

Eine Infografik mit dem Titel: Wertvolles Quartett

Börsenwert der vier größten US-Tech Konzerne im Vergleich zu Dow Jones, EuroStoxx und Dax, in Billionen US-Dollar

Die Abgabe von 30 Prozent, die Apple und Google bei In-App-Käufen verlangen, sorgt für Ärger. Die Macher des Online-Spiels „Fortnite“ – weltweit gibt es rund 350 Millionen Nutzer – sind zum Wortführer der Proteste gegen die Höhe der Abgabe geworden. Prompt wurde „Fortnite“ aus Apples App-Plattform und aus Googles Play Store verbannt.

Hierzulande prüft das Bundeskartellamt, ob Amazon in der Corona-Krise eine marktbeherrschende Stellung missbraucht hat. Dabei geht es um den Online-Marktplatz von Amazon, über den andere Händler ihre Waren direkt an Kunden verkaufen können.

Obgleich von einer Zerschlagung der Tech-Unternehmen bei den zuständigen Behörden offiziell noch keine Rede ist, wird der Ton rauer. Den Aufschlag machte Kamala Harris, Joe Bidens Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, die eine Aufspaltung von Facebook zumindest prüfen lassen will:

Facebook ist massiv gewachsen und hat dieses Wachstum den Interessen seiner Verbraucher vorgezogen. Es ist im Wesentlichen ein Dienstprogramm, das nicht reguliert wurde.

Auch der Demokrat David Cicilline bekräftigte Harris’ Linie bei einer Anhörung der GAFA-Chefs im US-Repräsentantenhaus:

Unsere Gründer verneigten sich nicht vor dem König, genauso sollten wir uns nicht vor den Kaisern der Online-Wirtschaft verneigen. Einige sollten zerschlagen werden, andere muss man angemessen regulieren. Das muss ein Ende haben.

Der oberste Wortführer einer Zerschlagung der Tech-Unternehmen kommt allerdings von den Republikanern - und heißt Donald Trump:

Wenn der Kongress keine Fairness bei Big Tech herstellt, was er vor Jahren hätte tun sollen, werde ich es selbst tun. In Washington ist seit Jahren ALLES GESPRÄCH und es gibt KEINE MASSNAHMEN. Die Menschen in unserem Land haben es satt!

Fazit: Der politische Unmut wächst. Der Tag einer Entscheidung rückt näher. Die Geschichte der Demokratie im Internet ist noch nicht zu Ende erzählt.

Kampf für die Freiheit: Die Bevölkerung von Minsk geht seit Wochen auf die Straße. © imago

Angesichts der Massenproteste nach der Präsidentenwahl in Weißrussland hat EU-Ratschef Charles Michel für morgen Mittag um zwölf Uhr einen EU-Videogipfel angesetzt. Auf ihm wollen die EU-Staatschefs über die Lage in dem Land beraten.

Die Menschen in Weißrussland hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel auf Twitter. Gewalt gegen die Demonstranten sei inakzeptabel.

Scheidet als Kanzlerin aus - und auch als Wahlkreisabgeordnete in Greifswald: Angela Merkel © imago

Deutliche Worte fand nun auch die Bundeskanzlerin. Angela Merkel verurteilte den Einsatz von „brutaler Gewalt“ bei Protesten gegen Machthaber Lukaschenko. „Sie ist erschüttert über Berichte, wonach Inhaftierte misshandelt wurden”, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Fazit: Lukaschenko verliert nicht seine Macht, aber Europa verliert die Geduld. Die Opposition von Minsk besitzt nun das, was sie bis gestern nicht besaß: ein fruchtbares Hinterland. Das Hoffen ist wieder erlaubt.

 © dpa

Apropos Hoffnung: Zur Eröffnung des Parteitags der US-Demokraten in Milwaukee ergriff die frühere First Lady Michelle Obama das Wort:

In den vergangenen vier Jahren haben mich viele Leute gefragt: ,Wenn andere so tief sinken, klappt das dann wirklich mit dem Darüberstehen?' Meine Antwort: Darüberstehen ist das Einzige, was funktioniert.

Und weil ihr das nicht deutlich genug war, wurde sie – rund 90 Tage vom Wahltag entfernt – deutlicher: Donald Trump sei der falsche Präsident:

Er kann offenbar nicht der sein, der er für uns sein müsste.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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