die grüne Wahlkampagne, die so steil gestartet war, leidet ausweislich der demoskopischen Befunde weiter unter Druckabfall. Das allerdings liegt nicht nur an den kleinen Frisierarbeiten, die Annalena Baerbock an ihrer Biografie vorgenommen hatte.
Das Problem ist von eher grundsätzlicher Natur. Jedes grüne Versprechen, das die eigenen Anhänger zum Schnurren bringt, wird vom anderen Teil der Gesellschaft unverzüglich als Bedrohung gelesen. Hier stellen sich die Nackenhaare auf. Und je konkreter die Spitzenpolitiker der Öko-Partei mit dem Wähler sprechen – über das Eigenheim, das immer auch Ackerland versiegelt, das Flugzeug, das immer auch Kohlendioxid ausstößt, den Benzinpreis, der aus Gründen der automobilen Abschreckung steigen soll – desto verschreckter reagiert dieser andere, größere Teil der Gesellschaft und zieht sich in den demoskopischen Befragungen von der grünen Spitzenkandidatin zurück.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Union setzt sich ab
Aktuelle Umfrage zur Bundestagswahl, in Prozent
Die Deutschen sortieren sich, sagt eine aktuelle Studie der Universität Münster, im Grunde nicht so sehr nach parteipolitischen Präferenzen, sondern sie teilen sich in Gruppen, die sehr unterschiedlich auf das Leben, das künftige, schauen. Da sind einerseits „die Verteidiger“, die den Status quo liebens- und daher verteidigungswert finden. Ihnen gegenüber stehen „die Entdecker“, die sich von der Politik einen Impuls zur Modernisierung des Landes erwarten.
Beide Gruppierungen allerdings werden immer dann empfindlich, wenn ihre eigenen materiellen Interessen berührt sind. Der erfahrene Wahlkämpfer weiß das. Der Höhenflug von Armin Laschet und Christian Lindner in den Umfragen liegt denn auch keineswegs daran, dass sie besonders Krasses oder Kluges gesagt hätten.
Beide sprechen zwar viel, aber sie sagen wenig. Das genau ist das Erfolgsrezept einer jeden erfolgreichen politischen Projektion. Und da Laschet neuerdings im Frieden mit seiner Partei lebt – die Attacken der Nebenbuhler Merz, Röttgen und Söder unterblieben – und Lindner im Frieden mit sich selbst lebt – die eigene, seinen liberalen Geist kompromittierende Lautsprecherei unterlässt er neuerdings – fliegen beide in den Umfragen hoch.
Der erfolgreiche Wahlkämpfer redet nicht ständig über sich und er meidet die Festlegung.
© dpaBarack Obama:
Change you can believe in.
Willy Brandt:
© imagoWer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.
Helmut Kohl:
Die Wende wählen.
Werfen wir einen Blick in die Werkzeugkiste der Gegenwartspolitik, dann erkennen wir dort vier Wahlkampfsätze, die nicht innovativ, aber effektiv sind:
Wir müssen den Klimaschutz ernst nehmen – dürfen allerdings unseren Wohlstand nicht gefährden.
Die breiten Schultern müssen mehr tragen als die schmalen Schultern. Aber zugleich sollten wir niemanden überfordern.
Ein „weiter so“ wird es mit mir nicht geben. Aber natürlich müssen wir darauf achten, dass wir alle mitnehmen.
Die Digitalisierung sollte energisch vorangetrieben werden, wobei wir die berechtigten Ängste derer, die skeptisch sind, nicht ignorieren dürfen.
Fazit: Das Publikum wünscht sich seine Spitzenpolitiker keineswegs als scharfzüngige Rhetoriker und begnadete Polarisierer, sondern als Menschen mit Maß und Mitte. Auch im Entdecker steckt ein Verteidiger – und umgekehrt.
Wenn Annalena Baerbock das nicht mehr lernt, währt ihre Kanzlerambition kürzer als jeder Kurzstreckenflug. Der gute Wahlkämpfer hält Händchen mit dem Wähler, und steht ihm nicht dauernd auf den Füßen.
Grüne Kanzlerambition Teil 2: Christian Lindner lässt die Luft raus. Via „Bild“ sickert heute Morgen durch, dass der FDP-Chef nicht bereit wäre, in einem rot-grün-gelben Bündnis Annalena Baerbock zur Kanzlerin zu wählen. Damit signalisieren die Liberalen ihren Wählern, dass sie nicht als Steigbügelhalter für ein derartiges Experiment im größten Industrieland Europas zur Verfügung stehen. Prädikat: smart.
Gestern gaben CDU und CSU ihrem gemeinsamen Wahlprogramm den Feinschliff. Nach einer letzten Beratung von Armin Laschet und Markus Söder am Abend einigten sich die Schwesterparteien auf ein gut 140-seitiges Programm für die Zukunft der Bundesrepublik. Titel: „Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland.“
Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Bis 2045 soll Deutschland sich zu einem klimaneutralen Industrieland entwickelt haben. Mithilfe von neuen Technologien und Innovationen will man den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad begrenzen.
Ab 2025 soll am Markt ein CO2-Preis entstehen, dessen Einnahmen an die Verbraucher zurückgegeben werden. Dazu sieht die Union vor, die EEG-Umlage sowie die Stromsteuer auf europäischer Ebene abzuschaffen.
Das bestehende Ehegattensplitting soll um ein Familiensplitting ergänzt werden. Ein Anheben des Kinderfreibetrags soll zur steuerlichen Entlastung von Familien führen.
Die europäische Schuldenaufnahme im Zuge der Coronakrise soll befristet und einmalig bleiben. Eine Schuldenunion lehnen die Schwesterparteien ab.
Die CSU bringt die Idee einer „Generationenrente“ ins Programm, ein staatliches Vorsorgekonto für jedes Neugeborene.
Beim Asylverfahren soll konsequenter entschieden und abgeschoben werden.
Möglichst bald will die Union zur Schuldenbremse zurückkehren und erteilt Steuererhöhungen generell eine Absage.
Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent soll erst bei höheren Einkommen als bisher greifen.
Die Steuerlast für Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, soll auf 25 Prozent begrenzt werden.
Start-ups sollen ihre Mitarbeiter einfacher am Unternehmen beteiligen können und die Verwaltung konsequent digitalisiert werden (one stop only).
Bürokratieabbau gemäß der Regel „one in, two out”, also für jedes neue Gesetz müssen zwei auslaufen.
Der Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer soll erheblich steigen. Hinzu kommen weitere Entlastungen pro Kind.
Fazit: Die Pläne der Union sind nicht aufregend, aber stimmig. Oder wie der Brite sagen würde: Some more spice would be nice!
Die Hausbesetzerszene beschäftigt einmal mehr die Hauptstadt. Nach den turbulenten Zeiten zu Beginn der 80er Jahre, als in West-Berlin annähernd 200 Häuser besetzt waren und Anfang der 90er Jahre, als Ost- und West-Besetzer in der Mainzer Straße einen ganzen Straßenblock unter ihre Kontrolle brachten, meldet sich eine gewaltbereite linksextreme Szene in der Rigaer Straße 94 nun zurück.
1300 Einsatzkräfte der Polizei mussten vergangene Woche rund 2000 schwarz vermummte Autonome in Schach halten. Die Besetzer wollten eine Brandschutzprüfung durch den Eigentümervertreter verhindern. Es kam zu Stein- und Flaschenwürfen auf Einsatzkräfte der Polizei. 70 Polizistinnen und Polizisten wurden verletzt.
Dr. Hanno Hochmuth ist Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Sein Spezialgebiet: Die Hausbesetzerszene im Wandel der Zeit. Im heutigen Morning Briefing Podcast spreche ich mit ihm über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der damaligen und der heutigen Hausbesetzer. Er erklärt:
Die Frage, ob man bereit ist, zu verhandeln oder nicht, spaltete die Bewegung. Darüber zerbrach sie im weiteren Verlaufe der 80er Jahre.
Die derzeitigen Unruhen in Berlin-Friedrichshain unterscheiden sich wesentlich von denen der 80er und 90er, als die Besetzungen vor allem ein Protest gegen Leerstand und Wohnraumspekulation waren:
Die Situation hat sich grundlegend geändert. Die heutigen Akteure verstehen das Ganze als politische Aktionen gegen den Staat und gegen die Eigentumsverhältnisse.
Der Historiker prognostiziert:
Das ist jetzt ein absolut singuläres Phänomen. Der Hausbesetzer ist eine historische Figur, mit Sicherheit kein Massenphänomen und auch nichts, was die Politik in den nächsten Jahren in erster Linie beschäftigen wird.
Dennoch oder vielleicht auch deshalb rät er dem Rechtsstaat, die Eskalation nicht weiter voranzutreiben; Gewalt nicht zwingend mit Gegengewalt zu beantworten:
Der Staat und die Polizei sollten auf diese Gewalt nicht nur mit Gewalt reagieren, sondern verschiedene Wege ausloten, um das Ganze zu beruhigen.
Zweifelhafte Staatsgeheimnisse: Was kosten die Geheimoperationen des Militärs?
Seit etwa drei Jahren läuft im afrikanischen Niger das Projekt Gazelle der Bundeswehr: Mitten in der Wüste entstand das Camp Wüstenblume, dort schulen deutsche Soldaten nigrische Spezialkräfte – und statten sie mit Waffen aus. Öffentlich ist kaum etwas darüber bekannt. Recherchen von ThePioneer und „Welt“ ergaben, dass dieses Projekt – das durch keinen expliziten Beschluss des Bundestages legitimiert ist – für zivile Firmen äußerst lukrativ war und ist. Millionen flossen offenbar ohne Kontrolle. Pflichtlektüre für den Rechnungshof und die Mitglieder im Haushaltsausschuss des Bundestages.
Die Franzosen haben am Sonntag gewählt. Oder besser: Sie hätten wählen können. Die erste Runde der französischen Regionalwahlen erlebte gestern eine historisch niedrige Wahlbeteiligung: Weniger als ein Drittel der 48 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.
Die Wahlmüdigkeit wurde im Voraus als Chance für die von Marine Le Pen geleitete rechtspopulistische Partei Rassemblement National gesehen. Tatsächlich schnitt die Partei mit etwa 19 Prozent der Stimmen allerdings wesentlich schwächer ab als erwartet. Die bürgerlich-konservativen Les Républicains wurden nach ersten Hochrechnungen des französischen Senders Franceinfo mit rund 29 Prozent stärkste Kraft.
Ob die Rassemblement National es nun überhaupt schaffen wird, regionale Ämter zu besetzen, wird sich nach den Stichwahlen am 27. Juni zeigen.
Fazit: Marine Le Pen ist die am meisten überschätzte Politikerin Europas, der regelmäßig große Siege prognostiziert werden, die sie bisher nie holte. Nach der letzten Nationalratswahl musste sie sogar um den Fraktionsstatus bangen.
Die Delta-Variante könnte laut ifo-Institut eine Gefahr für die Konjunkturerholung der deutschen Wirtschaft darstellen.
BioNTech möchte erneute Verhandlungen mit CureVac aufnehmen, um dort den eigenen Impfstoff herstellen zu lassen: Das könnte die Produktionskapazitäten deutlich erhöhen.
Gesundheitsminister Jens Spahn kann sich keinen vollen Normalbetrieb für Schulen nach den Sommerferien vorstellen. Maskenpflicht und Wechselunterricht sollen wohl bestehen bleiben.
Die Regierung will FFP2-Masken in Kindergrößen einführen. Bislang mussten Kinder auf erwachsene Gesichtsformen zugeschnittene Masken tragen.
Kassenärzte-Chef Andreas Gassen spricht sich für Lockerungen der Maskenpflicht aus.
Mit der Neuausrichtung auf erneuerbare Energien ist Deutschlands größter Stromproduzent RWE ins Visier der internationalen Ölkonzerne geraten. Diese suchen unter dem Druck der Klimaschützer nach einem Weg in die klimaneutrale Energie – und das möglicherweise durch die Übernahme des Essener Konzerns, so das Urteil der Branchenexperten.
Eine Infografik mit dem Titel: Der kommunale Anteil
Aktionärsstruktur der RWE AG im Jahre 2020, in Prozent
Bisher sind zwar noch keine konkreten Übernahmepläne bekannt, doch geschlossen stellen sich die kommunalen Aktionäre von RWE schon jetzt in den Weg. Knapp 80 Städte, Landkreise und Zweckverbände an Rhein und Ruhr sind es, die rund 15 Prozent der RWE-Anteile kontrollieren und den Konzern schützen wollen. Günther Schartz, der Vorsitzende des Verbandes der kommunalen Aktionäre im Rheinland, sagt gegenüber dem „Handelsblatt“:
Die kommunalen Aktionäre haben ein Interesse daran, dass RWE selbstständig bleibt.
Aus Angst, die Fünf-Prozent-Hürde nicht zu erreichen, hielten die Linken am gestrigen Tag zusammen. Mit großer Mehrheit verabschiedeten sie ihr Wahlprogramm für die anstehende Bundestagswahl. Auf dem Online-Parteitag stimmten 362 Delegierte dafür, 30 dagegen und 20 haben sich enthalten. Ihr Schwerpunkt ist deutlich: Die Linke möchte mit klassischer Sozialpolitik im Wahlkampf punkten und macht ihrem Ruf als „Robin-Hood-Partei“ alle Ehre.
Hier die wichtigsten und zugleich absurdesten Programmpunkte:
Die Tatsache, dass das Projekt „Mietendeckel“ bereits in Berlin gescheitert ist, scheint die Linken nicht zu stören. Sie möchten es in der gesamten Republik durchsetzen.
Hartz IV möchte man aufgeben. Stattdessen fordern die Linken ein garantiertes Mindesteinkommen von 1200 Euro und eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Gefordert wird zudem ein Mindestlohn von 13 Euro. Leiharbeit und sachgrundlose Befristungen sollen abgeschafft, eine Viertagewoche mit 30 Stunden und Lohnausgleich durchgesetzt werden.
Abrüstung und Frieden: Die Linken sprechen sich für das Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und Rüstungsexporte aus. Die Nato soll aufgelöst und durch ein „kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands“ ersetzt werden.
Mit einer Vermögensabgabe möchte man die Folgen der Pandemie bewältigen. Davon betroffen wären Nettovermögen von über zwei Millionen Euro. Die Abgaben sollen 20 Jahre lang über Raten abgestottert und progressiv von 10 bis 30 Prozent gestaffelt werden.
Ab einem Einkommen von 261.000 Euro möchte man eine Reichensteuer von 60 Prozent erheben. Kapitalerträge sollen nicht länger bevorzugt werden.
Um den Kapitalismus erträglicher zu gestalten, sollen die Bürger günstiger trinken. Die Abschaffung der Schaumweinsteuer wurde beschlossen. Der Grund: Mit dieser Steuer sei Anfang des 20. Jahrhunderts die kaiserliche Flotte des Deutschen Reiches finanziert worden. Geht es nach den Linken, gilt künftig: Trinken für den Frieden.
Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Start in diese neuerliche Sommerwoche. Heute wartet auf uns der längste Tag und die kürzeste Nacht des Jahres. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr