der Glaube an den Staat ist die Religion vieler Parteipolitiker. Dauernd soll er in ihrem Namen retten – das Klima vor der Erwärmung, die Armen vor der Armut, die Bürger vor dem Virus und den Kapitalismus vor seiner eigenen Gier.
In all diesen Disziplinen ist der Retterstaat nicht halb so gut, wie er glaubt. Das liegt vor allem daran, dass er die Marktwirtschaft und die in ihr handelnden Subjekte nicht versteht. Der Staat denkt mechanisch. Aber Wirtschaft lebt. Der Staat ist in Befehlsketten organisiert, die Wirtschaft als Kreislauf. Er will bewahren, sie aber bevorzugt die kreative Zerstörung.
So kommt es, dass der Staat als Investor und selbst in seiner Funktion als Aufseher und Manager immer wieder von der Wirklichkeit überrascht wird. Die Schlucht zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist größer als der Grand Canyon. Fünf Beispiele belegen die Misere:
Fall 1: Gestern zog der Bundesrechnungshof in einem 52-seitigen geheimen Gutachten zum Fall Wirecard eine verheerende Bilanz der staatlichen Aufsichtsarbeit:
Keiner der Akteure – Bundesfinanzministerium, Bundesjustizministerium, Deutsche Bundesbank, Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung – hat die Brisanz des Falls Wirecard frühzeitig erkannt und seine Handlungsoptionen ausgeschöpft, um die Aufklärung mit Nachdruck voranzutreiben und Fehlverhalten zu unterbinden.
Das Ergebnis: Der Schaden beim Betrugsfall Wirecard beläuft sich auf mindestens 22 Milliarden Euro, auch viele Privatanleger verloren ihr Geld. Das lediglich reaktive Verhalten des Staates, so die Rechnungsprüfer, untergrabe die Legitimation der Finanzaufsicht.
Fall 2: Selbst als Investor im prosperierenden Impfstoffgeschäft besaß der Staat kein glückliches Händchen. Derweil nahezu alle Pharmahersteller, die sich mit dem Corona-Impfstoff beschäftigt haben, auf den Märkten und an der Börse Erfolge feiern, wartet CureVac noch immer auf die Zulassung. China und Russland haben längst eigene Impfstoffe vorzuzeigen. Der deutsche Staat zog aus einer Lostrommel voller Hauptgewinne die eine Niete.
Eine Infografik mit dem Titel: Fehlinvestition CureVac
Kursverlauf der Aktien von BioNTech und CureVac seit dem 1. Januar 2021
Fall 3: Bei der Commerzbank hat der staatliche Einstieg die Misere nur vergrößert. Der Finanzminister und sein Staatssekretär halten zwar ständig Reden zur Digitalisierung der Geldwirtschaft, aber dort, wo sie das Sagen haben, hielten sie zu lange an der überkommenen Filialstruktur fest. Den einzigen Digitalexperten im Vorstand, den früheren ING-DiBa-Chef Roland Boekhout, ließ man ziehen. Als Aufsichtsratschef setzte man einen Staatsbanker alter Schule durch, der zwar die Sprache von Olaf Scholz spricht, aber eben nicht die Sprache des Marktes. Der Wertverfall seit dem Staatseinstieg: 79,62 Prozent.
Eine Infografik mit dem Titel: Das Scheitern der Commerzbank
Kursentwicklung der Commerzbank-Aktie seit dem 2.1.2006, in Euro
Fall 4: Die Deutsche Bahn AG könnte und müsste im Zentrum einer modernen Mobilitätspolitik stehen. Kann sie aber nicht. Die Staatsfirma, in der die Politik zu hundert Prozent das Sagen hat, ist seit Jahrzehnten dermaßen schlecht geführt, dass sie finanziell aus dem letzten Loch pfeift. Im Güterverkehr verliert das Unternehmen immer weiter Marktanteile. Auch im Personenverkehr verzeichnet die Bahn inzwischen einen Rückgang. Das bedeutet: Die Bahn tut exakt das Gegenteil dessen, was alle Politiker versprechen: Sie stärkt den Individualverkehr, verpestet damit indirekt die Atemluft und fördert die Erderwärmung.
Eine Infografik mit dem Titel: Weg von der Schiene
Anteil der Bahn am Güterverkehr seit 2016, in Prozent
Eine Infografik mit dem Titel: Güter noch immer auf der Straße
Anteile der Verkehrsträger am Güterverkehr 2019 in Deutschland, in Prozent
Fall 5: Das staatliche Impfmanagement hat mit maximalen Kosten minimale Ergebnisse hervorgebracht. Die laut deutscher Medienberichterstattung desolaten Gesundheitssysteme der USA und Großbritanniens schafften binnen kürzester Zeit einen kostengünstigen Einkauf und die effektive Verteilung der Impfdosen. Das Ergebnis: In beiden Ländern herrscht nahezu Herdenimmunität, der Lockdown wurde beendet und die Wirtschaft wächst 2021 deutlich schneller als die deutsche.
Fazit: Unser Staat blamiert sich ein ums andere Mal. Die Verantwortung, die er sich zumutet, kann er in dieser Verfasstheit nicht tragen. Der Staat wird gebraucht, aber nicht dieser Staat. Oder wie Andreas Reckwitz in „Das Ende der Illusionen“ schreibt:
Illusionslosigkeit kann eine Tugend sein, die einen nüchternen Realismus ermöglicht und den Raum für die Analyse öffnet.
Gestern trafen sich die Kanzlerkandidaten von SPD, Union und Grünen zum Fernduell. Rot-Grün war im RBB-Studio versammelt, Laschet saß bei ProSieben. Für die Kandidaten war es – das lag vor allem an der mechanischen Art der Befragung – eher ein Trainingslager. Keine Gegner, nur Sandsäcke.
Annalena Baerbock – um das vorweg zu nehmen – war die Rettung des TV-Abends. Sie besitzt zwar keine Regierungserfahrung, aber ihr Energie-Level ist deutlich höher als das der anderen. Die Frage, ob sie nicht nur will, sondern auch kann, wird sie bis auf die letzten Meter der Bundestagswahl begleiten. Richtig ist ja: Ihre Partei ist staatsgläubig, verbotsverliebt und steht mit Teilen der Wirtschaft auf Kriegsfuß. Sie selbst will die Deutschland AG führen, aber besitzt keinen Meisterbrief.
Nur: Der Mann ihr gegenüber hat alles schon gesehen und gefühlt und gesagt. Er wolle „maßvoll vorgehen“, sagt Olaf Scholz. So wie in der Corona-Politik denkt man unwillkürlich. Als er und seine Chefin so maßvoll vorgingen, dass Amerikaner, Briten und Israelis in ihrer Maßlosigkeit an uns vorbeizogen. Das wiederum quäle ihn schon, sagt er selbst. Kurt Tucholsky kommt einem in den Sinn: „Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.“
Baerbock dagegen will „nicht zaudern“ und schlägt den Bogen vom Stückwerk der Corona-Politik zur kleinparzelligen Klimapolitik. Das heißt noch immer nicht, dass sie es kann. Aber ihre Körpersprache sagt zumindest: Ich will. Er will auch, aber vor allem will er die Pendlerpauschale nicht abschaffen. Das ist sozial wichtig, aber politisch zu wenig. Bei den Buchmachern, die sich im politischen Geschäft Demoskopen nennen, rangiert man damit nur bei 16 Prozent. Deutschland hat zu viele Pendler-Pauschalen-Politiker.
Armin Laschet schlägt sich zur gleichen Stunde an anderem Ort nicht souverän, aber doch tapfer. Er kontert den Versuch der vor ihm sitzenden Sprachpolizei, den ehemaligen Verfassungsschutzpolizisten Hans-Georg Maaßen freihändig zum Antisemiten zu erklären. Er verweigert sich dem Distanzierungs-Ritual, das erkennbar durch Maaßen hindurch auf die Glaubwürdigkeit seiner CDU zielt. Er könne nicht erkennen, dass hinter dem Wort „Globalist“ sich bereits ein Antisemit verstecke, sagt Laschet.
Der CDU-Mann verteidigt Maaßen, ohne sich mit ihm zu solidarisieren. Wir erleben einen wohltemperierten Mann der Mitte, den auch linksidentitäre Fragen nicht aus der Ruhe bringen können. Wie bei der Jadghundprüfung werden Kanzlerkandidaten von ihren Interviewern auf Schussfestigkeit getestet. Die Idee dieser Prüfung: Wer gegen Erdogan und Putin bestehen will, dem dürfen bei einem Nachwuchstalent wie Louis Klamroth nicht gleich die Hosenbeine schlottern. Laschet bleibt kühl und klar. Er hat die Prüfung bestanden.
Am Ende dieses Fernduells weiß man wenig über die großen Pläne der drei Kandidaten. Aber das kann auch an den Plänen liegen. Alle drei Kandidaten müssen in die nächste Runde des Bewerbungsgesprächs.
Es ist eine besondere zeitliche Parallelität, die sich in diesem Jahr vollzieht. Wenn die Corona-Pandemie im Spätsommer kontrollierbar werden dürfte, wählen wir einen neuen Bundestag.
Nie zuvor geschah dies am Ende einer solchen gesellschaftlichen Grenzerfahrung. Aber was sind am Ende einer solchen Zeit die Themen, die die Bürgerinnen und Bürger wirklich interessieren? Wie sollen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur nach der Pandemie aussehen? Was kommt, was bleibt? Was soll kommen, was soll bleiben?
Das sind große Fragen, über die wir bei ThePioneer berichten und nachdenken. Aber wir wollen das nicht alleine tun, sondern mit Ihnen gemeinsam.
Zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa starten wir das PioneerPanel. In zehn Runden befragen wir Sie, unsere Pioneers, was Sie für wirklich wichtig halten. Wem Sie vertrauen und wem nicht, welche Themen Sie bewegen. Die Ergebnisse bereiten wir hier und auf unserer Website ThePioneer.de in den nächsten Wochen bis zur Bundestagswahl für Sie auf.
Wenn Sie Interesse haben, an dieser großen, politisch unabhängigen Befragung teilzunehmen, hier geht es zum PioneerPanel: Ihre Meinung zählt.
Die Lage am heutigen Morgen:
Bund und Länder haben sich darauf verständigt, die Impf-Priorisierung ab dem 7. Juni aufzuheben.
In Deutschland sind laut Daten des RKI mehr als 40 Millionen Impfdosen verabreicht worden. Insgesamt haben 37 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten, aber nur 11,2 Prozent sind vollständig geimpft.
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen ist in Indien das erste Mal seit fast vier Wochen unter 300.000 gesunken. Auch die Versorgung der Kranken mit Sauerstoff hat sich verbessert.
Der Deutsche Hausärzteverband fordert mehr Freiheiten für AstraZeneca-Erstgeimpfte, um einen positiven Anreiz zu schaffen, sich mit diesem Vakzin impfen zu lassen.
Der US-amerikanische Riese in der Telekommunikation AT&T legt seine Mediensparte Warner mit dem Kabel- und Streaming-Anbieter Discovery zusammen. Durch die Fusion entsteht laut „Financial Times“ ein Konzern mit einem Wert von rund 150 Milliarden Euro – allein Discovery erreicht bereits 88,3 Millionen Haushalte.
Die Medieninhalte, zu denen die Sender CNN, HBO und TLC gehören, würden gebündelt, kündigte AT&T an. Das neue Unternehmen soll 2023 einen Jahresumsatz von 52 Milliarden Dollar und ein Vorsteuerergebnis von 14 Milliarden Dollar erwirtschaften.
Damit könnte der Konzern zu einem echten Konkurrenten der Streaming-Dienste Netflix und Disney+ werden. Der Branchenprimus Netflix erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 25 Milliarden und besitzt weltweit 207,64 Millionen Abonnenten. Disney+ kann weltweit mit 100 Millionen Abonnenten aufwarten.
Die jüngste Berichtssaison offenbarte teils beachtliche Gewinne. Einige Firmen konnten sogar mit Rekordergebnissen aufwarten. Die gut gefüllten Kassen nutzen sie nun auch dafür, um ihren Aktionären etwas vermeintlich Gutes zu tun. In großem Stil kündigen sie Programme zum Aktienrückkauf an.
Das bedeutete: Die Firmen investieren nicht in Menschen, Maschinen und Patente, sondern in die Kursentwicklung. Sie wollen nicht ihren Kunden gefallen, sondern ihren Investoren. So entstehen Werte, die womöglich gar nicht werthaltig sind.
Apple erhöhte sein Aktienrückkaufprogramm von bisher 81,5 Milliarden US-Dollar, die der iPhone-Konzern 2020 insgesamt für Rückkäufe ausgab – um 90 Milliarden Dollar für 2021. Bei Alphabet wurden 2020 insgesamt 31,15 Milliarden Dollar für den Rückkauf eigener Aktien ausgegeben. Nun plant das Unternehmen, in diesem Jahr 50 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe zu spendieren.
Nach Angaben der US-Bank Goldman Sachs haben allein US-Unternehmen in den ersten vier Monaten dieses Jahres Rückkäufe im Umfang von insgesamt 484 Milliarden Dollar angekündigt. Das sei der höchste Wert seit mindestens zwei Jahrzehnten. Die Rückkäufe, so Goldman, könnten im laufenden Jahr das Volumen des Vorjahres um 35 Prozent übersteigen.
Fazit: Nicht nur Joe Bidens billionenschwere Konjunkturprogramme und die Anleihekaufprogramme der Notenbanken befeuern die Börsen. Die Unternehmen befeuern mit. Wir erleben einen Super-Zyklus, der nicht nur, aber auch, künstlich in Schwung gehalten wird.
Im Jahre 1969 brauste Peter Fonda in „Easy Rider“ auf einer umgebauten Harley-Davidson über die Kinoleinwände. Es war eine Geschichte, die vom Ausstieg aus der Effizienzgesellschaft und dem Einstieg in ein Leben mit harten Drogen und schnellen Flirts erzählte. Born to be wild.
Nun eröffnet sich die Chance, ein Stück dieser Grenzerfahrung zu kaufen. Die echte „Captain America Harley-Davidson“, wie das Motorrad mit US-Flagge auf dem Tank im Film genannt wurde, soll als Kultobjekt am 5. Juni in Texas versteigert werden. Der geschätzte Preis: zwischen 300.000 und 500.000 US-Dollar.
Doch die Geschichte des legendären Zweirads ist so mystisch, wie dessen Kultstatus selbst. Denn es gab damals zwei Exemplare des Motorrads und es ist unklar, welches nun zum Verkauf steht: Die Maschine von Peter Fonda, die er damals mit nach Hause nahm, wo sie ihm aus der Garage gestohlen wurde? Oder die Ersatzmaschine, die im Schlussakt zerstört wurde? Eine Explosion zerlegte das gute Stück planmäßig in seine Einzelteile.
© dpaDan Haggerty, der eine Nebenrolle in „Easy Rider“ spielte, hatte das im Film zerstörte Motorrad später wieder zusammengesetzt und bereits 2014 versteigert. Mit 1,35 Millionen US-Dollar hält die Maschine noch immer den Rekord für das teuerste Motorrad aller Zeiten. Ob nun erneut die rekonstruierte, oder die 1969 gestohlene oder womöglich doch eine ganz andere Harley zum Verkauf steht, bleibt offen.
Der Käufer braucht also nicht nur Geld, sondern auch Phantasie und Humor. Womöglich kauft er keine Maschine aus dem Film, sondern die Illusion einer Illusion – und damit wiederum Kunst. Dann wäre der hohe Preis zumindest gerechtfertigt.
Ich wünsche Ihnen einen herzhaften Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr