der große deutsche Dichter und Essayist Gottfried Benn hat in seinem Erwachsenenleben zwei Weltkriege erlebt und überlebt. Nur so lässt sich sein spöttischer Optimismus erklären:
Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz. Und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort.
Doch so ganz sicher kann man sich da heute nicht mehr sein. Das Geschwätz ist zum florierenden Geschäftsmodell der TV-Sender geworden. Und die Propaganda hat es bis tief in unseren täglichen Medienkonsum geschafft.
© ThePioneerNicht tief genug, meint Wladimir Putin, der angetreten ist, Benn zu widerlegen. Der russische Präsident will – ermuntert durch die Erfolge seiner verdeckten Medienarbeit in den USA – nun auch ganz offiziell auf dem deutschen Marktplatz der Meinungen seinen Stand eröffnen. Noch in diesem Jahr plant der Kremlherrscher, einen eigenen Fernsehkanal in Deutschland zu starten. Hier sind die vier Fakten, die jeder dazu kennen sollte:
1. Ausgangspunkt der Putin’schen Pläne ist der vom russischen Staat 2005 gegründete und finanzierte Auslandsfernsehsender RT, der bis 2009 Russia Today hieß. Das Ziel von RT ist es, dem Publikum die ‚russische Sichtweise‛ auf das internationale Geschehen vorzustellen und ein Gegengewicht zu ‚westlichen Medien‛ zu bilden. Nach eigenen Angaben wird RT in mehr als 100 Ländern weltweit von rund 664 Millionen Menschen gesehen.
2. Bis Ende dieses Jahres soll das im November 2014 gegründete deutschsprachige Internetangebot RT Deutsch, das bis jetzt ausschließlich online bereitsteht und zusätzlich einen YouTube-Kanal betreibt, zu einem eigenen Fernsehsender ausgebaut werden: Für den „modernen und dynamischen TV-Sender“ (RT Eigenwerbung) sollen nach eigenen Angaben 200 neue Mitarbeiter eingestellt werden: Redaktionsleiter, Redakteure, IT-Administratoren, Moderatoren, Korrespondenten, Kameraleute und auch PR-Fachkräfte.
RT DE, wie das Portal nun heißt, ist auf dem Studiogelände in Berlin Adlershof angesiedelt, wo auch die Talkshow von Anne Will produziert wird. Der Fernsehsender will ab Ende des Jahres ein deutschsprachiges Vollzeitprogramm anbieten.
© ThePioneer3. Ziel sei es, „die führende alternative Nachrichtenquelle“ in Deutschland zu werden. Es gehe darum, „einen Blick über den Mainstream-Tellerrand“ zu werfen. So heißt es auf der Webseite von RT. Und weiter: „Mit dem deutschsprachigen Programm will RT einen Gegenstandpunkt zum einseitigen und oft interessengetriebenen Medien-Mainstream beziehen. Unser Ziel ist es, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen sowie Medienmanipulationen aufzuzeigen.“
4. Produziert und gesendet werden sollen auch Talkshows, in denen nicht die immer gleichen Gäste sitzen: „In diesem Sinne werden wir Stimmen zu Wort kommen lassen, die eine alternative, unkonventionelle Sichtweise präsentieren“, so die Erläuterung auf der Homepage. Zudem gebe es Nachrichten, die von den deutschen Sendern ignoriert würden oder über die einseitig berichtet würde, sagt die neue Chefredakteurin Dinara Toktosunova.
Fazit: Bisher interessiert sich nur der Verfassungsschutz für die Aktivitäten von Russia Today. Die Politik aber schaut zu und weg, obwohl in Deutschland die „Staatsferne“ des Fernsehens im Grundgesetz verankert ist. Rechtsstaat: Bitte aufwachen!
© ThePioneerGerhart Baum war zehn Jahre lang Kabinettsmitglied. Erst unter Willy Brandt. Dann als Innenminister unter Kanzler Helmut Schmidt. Und schließlich, im Schlussakkord der sozial-liberalen Ära, war er plötzlich: Dissident.
Die FDP-Fraktion wechselte im Oktober 1982 inmitten der Legislatur den Partner und die politische Richtung, von Schmidt zu Kohl, von progressiv zu konservativ. Gerhart Baum begründete im Deutschen Bundestag, warum er diesem Wechsel – die Sozialdemokraten sprachen von Verrat – nicht zustimmen werde.
Der Widerspruchsgeist in ihm ist bis heute wach geblieben. Gerhart Baum war damals fast 50 Jahre alt. Heute ist er 88. Und das Verrückte: Er ist der Alte geblieben. Wenn ich ihn mit nur einem Wort beschreiben sollte, dann wäre es dieses: gradlinig. Wenn ich noch ein zweites Wort zur Verfügung hätte, dann wohl das hier: wachsam.
Gradlinig als Mensch. Wachsam als Politiker – er hat ein besonderes Auge für Grenzverletzungen. Er spürt und riecht und fühlt es, wenn Bürgerrechte drangegeben werden sollen, wenn Machtpolitik sich gegen ethische Grundwerte durchsetzt, wenn mit dem Ressentiment gespielt wird, wenn die Lehren aus der deutschen Vergangenheit verbal zwar gezogen, aber real dann missachtet werden.
Dieser Gerhart Baum hat ein kleines Buch verfasst, das den Titel „Freiheit“ trägt. Und darüber haben wir gesprochen: Über die Freiheit, die er meint. Über sein Leben und Leiden an dieser FDP – und über die Liberalen unter Führung von Christian Lindner.
Das gesamte Gespräch, durchaus als Geschichtsstunde im Fach Freiheitskunde zu verstehen, hören Sie am Samstag als Morning Briefing Sonderpodcast. Und Auszüge daraus heute Morgen.
Die Impfungen gegen das Coronavirus ziehen an. Knapp jeder vierte Deutsche wird am Ende dieser Woche geimpft sein, im zweiten Quartal erwartet Deutschland weitere 80 Millionen Impfdosen.
Die Herdenimmunität, wenn 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, soll Mitte Juli bereits erreicht sein.
Mit den steigenden Impfungen wächst der Druck auf die Politik, Geimpften ihre ausgesetzten Freiheitsrechte zurückzugeben. Darüber stritten gestern auch die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin beim Impfgipfel.
Eine Infografik mit dem Titel: Impfen: Der Aufwärtstrend
Anteil der Personen, die mindestens eine Impfung erhalten haben, in Prozent
Die Ergebnisse:
Geimpfte und Genesene sollen – weil nach Angaben des Robert-Koch-Instituts kaum noch infektiös – früher Freiheiten wiedererlangen.
Sie sollen etwa beim Einkauf oder beim Friseurbesuch keine Schnelltests mehr vorzeigen müssen. Auch die Pflichtquarantäne nach der Einreise aus dem Ausland soll wegfallen. Wenn ein negativer Coronatest den Restaurantbesuch ermöglicht, müsste ein Stempel im Impfpass dies auch tun, hatte Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, gefordert.
Die Priorisierung beim Impfen soll „spätestens im Juni“ aufgehoben werden, sagte die Kanzlerin. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Berlins Bürgermeister Michael Müller wollten die Ärzte früher entscheiden lassen, wer dran ist.
Geimpft wird nun in der dritten Gruppe. Über-60-Jährige, chronisch Kranke, Personal in Gesundheitsberufen und im Lebensmitteleinzelhandel, auch Mitglieder von Verfassungsorganen wie dem Bundesverfassungsgericht und Bundesminister sind dran.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wollte in diesem Wahlkampf vor allem eines nicht: mit den bekannten sozialdemokratischen Verteilungsthemen um Wählerstimmen werben.
Dabei hatte eine Kommission des Parteivorstands monatelang an einem detaillierten Rentenkonzept gearbeitet. Am 5. Februar war das Dokument fertig – prompt verschwand es im Willy-Brandt-Haus in einer Schublade.
Dabei hat es der Bericht in sich:
Trotz des demografischen Wandels soll das Renteneintrittsalter in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr steigen.
Das Rentenniveau soll auf 48 Prozent festgeschrieben werden.
Statt Kapitaldeckung setzen die Sozialdemokraten auch in der Rente auf die Bürgerversicherung. Das Nebeneinander von unterschiedlichen Systemen sei „ungerecht“.
Alle Details lesen Sie hier:
Das Coronavirus hält die größte Demokratie der Welt im Würgegriff. Die Lage in Indien ist dramatisch:
Das Land ist derzeit für 40 Prozent der Corona-Neuinfektionen weltweit verantwortlich. Mit 352.991 Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden erreicht Indien den fünften Tag in Folge den weltweiten Höchstwert. Nur in den USA wurden seit Beginn der Pandemie mehr Fälle gemeldet.
Mit 2812 Corona-Toten innerhalb eines Tages und insgesamt 195.123 Toten hat Indien die meisten Todesfälle Südasiens. Zugleich sind die Krankenhäuser zu mehr als 200 Prozent ausgelastet. Patienten sterben auf dem Weg in die Klinik, Krematorien bitten Angehörige von Verstorbenen um Geduld.
Vermehrt wird medizinischer Sauerstoff für den Privatgebrauch gehortet, was eine ernsthafte Knappheit verursacht.
Peter Rimmele, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi, schildert im Gespräch mit meiner Kollegin Franziska von Haaren im Morning Briefing Podcast die Lage:
© dpaUns geht die Kapazität aus und das bringt das Gesundheitssystem an den Rand des Zusammenbruchs.
In der Tech-Welt stehen sich zwei Giganten zunehmend feindselig gegenüber: Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Apple-CEO Tim Cook. Die Unternehmenschefs, deren Konzerne zusammen einen Wert von über drei Billionen Dollar erreichen, streiten sich seit Jahren über Werbung, Privatsphäre und ihre Visionen für die Zukunft des Internets.
Eine Infografik mit dem Titel: Tech-Riese Apple
Kursverlauf der Apple-Aktie seit dem 1. April 2020
Im Zentrum des nun aufgeheizten Konflikts steht eine neue Datenschutzfunktion von Apple. In Zukunft werden iPhone-Nutzer explizit auswählen dürfen und auch müssen, ob Apps wie Facebook ihre Nutzungsdaten über andere Apps hinweg verfolgen dürfen.
Eine Infografik mit dem Titel: Kalifornische Konkurrenten
Marktkapitalisierung von Apple und Facebook - Stand 26. April 2021, in Milliarden US-Dollar
Facebook aber will diese Daten weiter nutzen, um sie an die Werbewirtschaft zu verkaufen. Das Wissen um die Online-Gewohnheiten der Nutzer ist der eigentliche Wert einer Firma wie Facebook. Diese Daten helfen Konzernen, ihre Werbung fein abzustimmen und Streuverluste zu vermeiden.
Nun wird erwartet, dass viele Menschen – jetzt wo sie sich bewusst entscheiden müssen – dieses Tracking ablehnen und damit das 70 Milliarden Dollar schwere Geschäft von Facebook womöglich zerstören.
Der Gegensatz der Interessen ist kaum auflösbar: Apple will endlich glaubwürdig und Facebook weiter profitabel sein.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Social-Media-Gigant
Kursverlauf der Facebook-Aktie seit dem 1. April 2021, in US-Dollar
Sowohl der weiter steigende Kostendruck als auch die anhaltende Niedrigzinsphase setzen der Commerzbank zu. Die Bank will neben der Weiterleitung von Negativzinsen und der Schließung von Filialen auch das kostenlose Girokonto für Bestandskunden abschaffen.
Die Commerzbank rechnet aufgrund der Verschlechterung der Konditionen damit, bis 2024 1,7 Millionen Kunden zu verlieren. Bereichsvorstand Arno Walter aber erklärt frohgemut:
Erfolg definiert sich nicht allein über die Anzahl von Kunden oder Konten, sondern über den Ertrag.
Fazit: Es gibt viele Wege, seine Kundschaft zu vergraulen: Die Commerzbank kennt sie alle.
Die 39-jährige Chloé Zhao wurde als beste Regisseurin mit einem Oscar ausgezeichnet. Ihr Film „Nomadland“ erzählt die Geschichte von einem Land, das nicht mehr für seine Bürger sorgen kann. Als Vorlage für den Film diente das Sachbuch „Nomaden der Arbeit“ von Jessica Bruder aus dem Jahr 2017.
Männer und Frauen ziehen in ihren Wohnmobilen durch die USA und finanzieren sich durch Gelegenheitsjobs ihren Unterhalt. Wenn sich die Wege dieser modernen Arbeitsnomaden kreuzen, geben sie sich gegenseitig emotionalen Halt, Wärme und Widerstandskraft, bis sie wieder getrennt durch die Weiten der USA ziehen.
© dpaDie Regisseurin Zhao, die gebürtig aus Peking stammt, besuchte mit 15 Jahren ein englisches Internat und studierte anschließend am liberalen Elite-College Mount Holyoke Politikwissenschaften.
Zhao ist erst die zweite Frau, die den Oscar für die beste Regie gewonnen hat. Und mutig ist sie obendrein: Die Filmemacherin, die in den USA lebt, bezeichnete vor sieben Jahren die Volksrepublik China, also ihr Geburtsland, als „Ort der Lügen“.
© dpaDas kann und will der chinesische Staatsapparat nicht dulden. Er löscht derzeit die Spuren Zhaos im chinesischen Netz. Der Kinofilm wurde in China bereits aus dem Programm genommen.
Die Liebe zur Freiheit, die Zhao in die demokratische Welt geführt hat, ist auch Leitmotiv des Films. Die Heldin sagt den schönen Satz:
Etwas im menschlichen Geist strebt nach Bewegung, nicht nach Stillstand.
Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr