wer die Umfragen der Meinungsforscher zu lesen versteht, der hört, wie das Volk aus ihnen spricht. Manchmal grummelt oder nuschelt es nur, im aktuellen ARD-Deutschlandtrend aber meldet es sich mit klarer und fester Stimme zu Wort:
► Nur 27 Prozent der Deutschen empfinden den Klimaschutz als politische Priorität. 73 Prozent haben andere Sorgen. Außerhalb der grünen Wählerschaft (derzeit in Umfragen bei 23 Prozent) stößt der Alarmismus von Politikern („Klimanotstand“) und Wissenschaftlern („Ökozid“) auf Befremden. Das Volk will der Groko sagen: Lasst die Kirche im Dorf und die Tassen im Schrank.
© dpa► Nur 36 Prozent der Befragten denken, dass die Parteien der Großen Koalition in der Lage sind, die Probleme in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu lösen. Vor der Bundestagswahl 2017 kamen die Regierungsparteien noch auf einen Wert von 58 Prozent. Das Volk will sagen: Der Vertrauensvorrat ist weitgehend aufgebraucht. Die Groko fährt in der Flüchtlingspolitik auf Reserve.
► Bei keinem anderen Thema hat die Problemlösungskompetenz der Union mehr gelitten als in der Wirtschaftspolitik. Vor zwei Jahren erreichten die Konservativen hier noch eine Zustimmung von 57 Prozent der Bevölkerung, die nun um 15 Prozent abgesackt ist. Die Bevölkerung denkt über Wirtschaftsminister Peter Altmaier wenig vorteilhaft: außen rund und innen zu luftig.
© dpa► Nur 18 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die SPD in der Außenpolitik einen guten Job macht. Das ist in Zeiten der Kriegsgefahr ein Armutszeugnis, namentlich ausgestellt auf Ressortchef Heiko Maas. Das Volk will sagen: Liebe Koalitionsspitzen, wenn ihr schon über das Auswechseln von Ministern sprecht, vergesst den Saarländer nicht.
► Trotz großer Unzufriedenheit mit den Regierungsparteien ist auch das Vertrauen in die Opposition weiter geschrumpft. Weniger als ein Drittel der Erwachsenen traut der FDP, den Grünen, der Linkspartei oder der AfD die Lösung der Gegenwartsprobleme bei der Digitalisierung, der Sicherung des Sozialstaates und in der Wohnungspolitik zu. Das Volk ist schlau: Es kann den Fuchs vom Knallfrosch unterscheiden.
Fazit: Die Probleme wurzeln tiefer, als viele Spitzenpolitiker glauben. Das Volk ist wählerisch geworden. Die zwei Hauptqualifikationen der Spitzenpolitiker, dran kommen und dran bleiben, empfindet eine Mehrheit nicht nur als unzureichend, sondern als aufreizend. Politische Ambitionenslosigkeit ist nicht länger politisch korrekt.
So sieht Symbolpolitik aus: Das US-Repräsentantenhaus hat heute Nacht mit knapper Mehrheit dafür gestimmt, die Militärbefugnisse von Trump zu beschneiden. Man will den Präsidenten hindern, im Alleingang einen Krieg mit dem Iran anzufangen. Allerdings: Im Fall eines befürchteten Angriffs darf er auf eigene Faust losschlagen. Genauso sehen es schon die bisher geltenden Gesetze der Vereinigten Staaten vor.
Fazit: Die Demokraten schießen mit Platzpatronen. Ihr Ziel ist nicht der Präsident, sondern die Schlagzeile des heutigen Morgens. Immerhin: Acht Demokraten verweigerten sich dem Unsinn.
Am kommenden Montag feiern die Grünen ihren 40. Geburtstag, heute beginnen die Feierlichkeiten mit einer Rede des Bundespräsidenten. Am 13. Januar 1980 wurde aus der Anti-Parteien-Partei, die sich vor ihrer Gründung „Sonstige Politische Vereinigung“ nannte, die Partei „Die Grünen“.
Die Forderungen der ersten grünen Politikergeneration muten heute an wie Exponate aus dem Arsenal des Neanderthal Museums:
► Umwandlung der Ford-Werke in Köln in eine Fahrradmanufaktur
► 12 autofreie Tage im Jahr
► Stopp des Ausbaus aller Fernstraßen
► Tempolimit auf den Autobahnen von 100 Stundenkilometern und von 30 Stundenkilometern in den Innenstädten
► Vergesellschaftung aller Schlüsselindustrien
► Austritt aus der NATO
Mittlerweile steht fest: Die Grünen sind gekommen, um zu bleiben. Ihre Verwandlung von der Protestpartei zur Gestaltungsmacht war eine Anfangsinvestition, die sich hoch verzinst. Der Tausch Utopie gegen Macht steht im Bund ein zweites Mal bevor.
Wie die Grünen unser Land verändert haben, das bespricht „Welt“-Vize Robin Alexander im Morning Briefing Podcast mit dem früheren Bremer Bürgermeister und späteren Chef der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks, der seit den frühen Tagen dabei ist. Sein Wunsch zum 40. Geburtstag:
Möge sie diese Unruhe aus den Gründerjahren, dieses Suchende, das Unbequeme, weiter aufrechterhalten und gleichzeitig mit einem nüchternen Sinn für das Mögliche, für das politisch Realistische, verbinden.
Kaum hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey den Ärger um ihre Doktorarbeit überlebt, droht neues Ungemach. Diesmal steht ihr Mann Karsten im Scheinwerferlicht der Medien.
Karsten Giffey war Tierarzt beim Berliner Landesamt für Gesundheit und wurde nun aus seinem Beamtenverhältnis entlassen. Der Grund: Der Veterinär soll dem Online-Magazin „Business Insider“ zufolge bei seinen Arbeitszeiten geschummelt und Dienstreisen abgerechnet haben, die es nicht gab.
Der Vorgang ist peinlich, aber für Franziska Giffey nicht gefährlich. Sie zählt wegen ihrer Bodenständigkeit und aufgrund einer natürlichen Vernunftbegabung zur Führungsreserve der SPD. Wenn das skurrile Pärchen an der Spitze von Deutschlands ältester Partei seinen Stepptanz beendet hat, wird sie gebraucht. Auch als Regierende Bürgermeisterin von Berlin ist die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln denkbar.
Lediglich die Karrieren der beiden Ehepartner entwickeln sich asymmetrisch: Er hat seine Beamtenlaufbahn hinter sich. Ihre Zukunft hat noch gar nicht begonnen. Eine Prognose sei gewagt: Das Gewitter dieser Mini-Affäre wird sich in den Schlagzeilen der Zeitungen entladen, nicht im Innenleben der SPD.
Nicht einmal die Hälfte der Deutschen besitzt einen Organspendeausweis. Während rund 10.000 Menschen auf ein Organ warten, gab es 2018 keine tausend Organspender. Darum soll das Organspendegesetz reformiert werden. Eine Widerspruchslösung ist geplant.
Das will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – und das will auch Karl Lauterbach. Mit dem SPD-Gesundheitsexperten und approbierten Arzt spricht mein Kollege Robin Alexander im Morning Briefing Podcast. Die Widerspruchslösung erklärt Lauterbach so:
Das heißt, es gibt die Vermutung, dass zunächst einmal jeder, der nicht widerspricht, im Prinzip bereit ist, zu spenden. Wenn man nicht Spender sein möchte, kann man sich sehr unkompliziert in eine Liste eintragen lassen.
Aber ist die Widerspruchslösung nicht – wie ihre Kritiker behaupten – ein Angriff auf die Rechte eines jeden Deutschen? Immerhin steht das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2 des Grundgesetzes. Lauterbach sagt:
Wir vergreifen uns nicht an Bürgerrechten. Diese werden ja gewahrt, weil man zu jedem Zeitpunkt widersprechen kann.
Noch bis zur Abstimmung in der kommenden Woche dürfte dieses Thema die Gemüter erhitzen. Die Widersprüchlichkeit wird sich nicht auflösen lassen. Fakt ist: Diese Regelung verletzt Gefühle - und rettet Menschenleben.
Marine Le Pen, die französische Rechtspopulistin, will sich mit ihrer Partei Rassemblement National (früher Front National) bei der Präsidentschaftswahl 2022 ihren lang gehegten Traum erfüllen: den Einzug in den Élysée-Palast. Ihre Chancen stehen gut.
Viele Franzosen sind nach nur gut zweieinhalb Jahren gefrustet von Amtsinhaber Emmanuel Macron. Der wollte dem Land nach den bleiernen Jahren unter Vorgänger François Hollande wieder Glanz und Gloria verleihen. Doch in den „Gelbwesten“-Protesten symbolisiert sich der Unmut über den oft abgehobenen Regierungsstil Macrons. Gestern demonstrierten wieder Hunderttausende in Paris.
Davon profitiert Macrons Erzfeindin Le Pen. In einer aktuellen Umfrage wünschen sich 71 Prozent der Franzosen eine Frau im Élysée-Palast. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt Frankreich-Korrespondentin Michaela Wiegel heute Morgen:
Le Pen hat verstanden, dass es reicht, sich nur von Zeit zu Zeit zu Wort zu melden, damit ihr die Sympathien zufliegen. Die soziale Unruhe, der Unmut über den Regierungsstil Präsident Macrons und die allgemeine Malaise im Lande spielen ihr zu. Sie befindet sich im Aufwind, ohne dass sie sich dafür groß anstrengen müsste.
Die deutsche Bundesregierung sollte sich beeilen und die europafreundlichen Reformvorschläge von Macron nicht länger ignorieren. Auf das milde Pariser Tauwetter folgt womöglich die Eiszeit.
Bei BMW und Daimler gibt es viele Gründe, die jüngst zu Gewinnwarnungen und Personalmaßnahmen geführt haben – die Kunden sind es nicht. Gestern ließ Daimler-Chef Ola Källenius zahlengenau verkünden, 2019 mit 2.339.562 ausgelieferten Autos der Marke Mercedes-Benz einen neuen Rekord aufgestellt zu haben. Das sind 1,3 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Stuttgarter bleiben damit Spitzenreiter unter den Premiumherstellern vor Konkurrent BMW. Der hatte am Tag zuvor zwar einen Absatz von 2,52 Millionen Autos (plus 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr) verkündet – allerdings inklusive der Marken Mini und Rolls-Royce. Zieht man die 319.000 von Januar bis November verkauften Autos der Marke Mini ab, liegt BMW hinter Mercedes-Benz. Um diesen Zweikampf beneidet uns die ganze Welt.
In der Reality-TV-Serie „Die blockierte Republik“ ist eine neue Folge abgedreht. Nur ein paar Kilometer entfernt von der größten Infrastruktur-Blamage der Bundesrepublik – der Baustelle des Berliner Flughafens BER – spürt US-Unternehmer Elon Musk nun auch bei seiner neuen Tesla-Fabrik in Brandenburg den Ermüdungsbruch der deutschen Planung. Für die Fabrik in Brandenburg ist kein Nahverkehrsanschluss vorhanden.
Auch zum BER steht zunächst kein Expresszug bereit. Die Strecke vom neuen Flughafen in die City wird nicht fertig sein, sollte der BER wie geplant im Oktober öffnen. Die Deutsche Bahn rechnet mit der Fertigstellung ihrer Zulieferstrecke frühestens im Jahr 2025. Niemand konnte schließlich ahnen, dass beim Flughafen alles so schnell geht.
Die politische Korrektheit halt die Kreuzschifffahrt erreicht. Die zweitgrößte Kreuzfahrtgesellschaft der Welt, Carneval Cruise Line, hat jetzt eine Vorschrift erlassen, die das tragen von T-Shirts, Sweatern und Accessoires verbietet, die „jegliche Art von anstößiger Botschaft enthalten, die Gefühle verletzt oder Nacktheit, Obszönität oder sexuelle Aufforderungen enthält. Weiterhin sollte Kleidung keine negativen ethnischen, rassistischen Äußerungen oder Hasssprache zeigen.“
© redbubble.comViele im Netz begrüßen die neue Prüderie, andere fragen, ob jetzt auch T-Shirts mit Kreuz oder Davidstern verboten seien. Für mich, postet ein Kreuzfahrer, ist schon ein T-Shirt mit dem Namen „Bernie Sanders“ anstößig, andere empfinden die rote Kappen der Trump Anhänger „Make America Great Again“ als Provokation. Aufruhr auch unter dem Partyvolk, das in Horden die Schiffe bevölkert: Was wird aus den beliebten Ugly Sweater Parties?
Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr