Dax im Sinkflug

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 © The Pioneer

Guten Morgen,

das Coronavirus – sagen die Virologen immer wieder – treffe besonders hart alle Menschen mit Vorerkrankungen und hohem Lebensalter. Doch die Wahrheit ist: Das Virus bringt nicht nur Menschen mit diesem Risikoprofil zu Fall, sondern auch kränkelnde Unternehmen und reife Volkswirtschaften.

Womit wir bei der Deutschland AG wären. Die Fieberkurven der Börsen in Amerika und Deutschland verlaufen nur scheinbar synchron zueinander. In Wahrheit wird das Kernland der alten Industriegesellschaft, das mit seinen Produkten das vergangene Jahrhundert prägen konnte, deutlich härter abgestraft als die USA. Die Stars von gestern atmen flach.

Eine Infografik mit dem Titel: Absteiger Deutsche Bank

Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, in Euro

► Die Deutsche Bank – der Pate des deutschen Industrieadels – hat in den vergangenen fünf Jahren an der Börse über 75 Prozent verloren.

Eine Infografik mit dem Titel: Absteiger Daimler

Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, in Euro

► Der Mercedes-Stern hat das Glänzen eingestellt. Die Daimler-Aktie ist heute für rund 66 Prozent weniger zu haben als vor fünf Jahren.

Eine Infografik mit dem Titel: Dow Jones vs. Dax

Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, indexiert in Prozent

► In den vergangenen fünf Jahren verlor der Dax 14 Prozent seines Wertes, derweil die Unternehmen, die im Dow Jones gelistet sind, im selben Zeitraum um fast 16 Prozent zulegen konnten.

Deutschland erlebt den nunmehr beschleunigten Abstieg seiner Ikonen. Plötzlich fällt auf: Außer SAP und Wirecard ist kein Unternehmen der Digitalzeit entstanden. Die Helden der neuen Zeit heißen nicht mehr Robert Bosch, Gottlieb Daimler, Friedrich Krupp und Werner von Siemens, sondern Jeff, Mark, Bill und Steve. In Amerika entstand eine Generation von Giganten, die gegen Viren aller Art nahezu immun scheint:

► Microsoft ist mit 1,1 Billionen US-Dollar Wert und auf Fünf-Jahressicht der größte Gewinner im Dow Jones – mit plus 258 Prozent notiert die Aktie heute bei 147 US-Dollar. Allein die Firma des Bill Gates ist wertvoller als der gesamte Dax.

Eine Infografik mit dem Titel: Aufsteiger Apple

Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, in US-Dollar

Apples derzeitiger Börsenwert liegt ebenfalls bei 1,1 Billionen US-Dollar. In den vergangenen fünf Jahren ist der Kurs um 90 Prozent auf 246 US-Dollar gestiegen. Und nicht wie bei Siemens und ThyssenKrupp um 23 beziehungsweise 79 Prozent gefallen.

Eine Infografik mit dem Titel: Absteiger ThyssenKrupp

Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, in Euro

Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit „Mr. Dax“ Dirk Müller über die Coronakrise, die den Schleier wegreißt und den Blick auf ein Deutschland im Abstieg frei gibt. Für den einstigen Börsenmakler und heutigen Fondsmanager steht fest: „Der Virus ist ein auslösendes und verstärkendes Element“ – aber eben nicht die Ursache des Werteverfalls.

Müller sieht für die deutschen Werte daher auch keinen Grund zur Entwarnung:

Die Messe ist längst nicht gesungen.

Die Profiteure dieser Krise, sagt Müller, seien die Großen – die Großen aus den USA:

Es gehen jetzt weltweit reihenweise Reisebüros pleite, kleine Einzelhändler. Wo bekomme ich noch was? Bei Amazon.

Eine Infografik mit dem Titel: Aufsteiger Amazon

Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, in US-Dollar

Wer jetzt zu Hause ist und sich langweilt, wird Netflix schauen, und er wird dieses Abo weiter behalten.

Die unterschiedliche Kursentwicklung in den USA und Deutschland reflektiere eine historische Zeitenwende:

Man muss sich im Klaren sein, dass Deutschland – und das bezieht sich jetzt auf die Überlegungen der großen amerikanischen Geostrategen – dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg diese große Unterstützung der USA nicht bekommen hat, weil wir so toll sind, weil wir so lieb sind, sondern weil wir Frontstaat waren gegenüber den osteuropäischen Staaten.

Wir sollten ein Leuchtturm sein, der für die osteuropäischen Völker etwas Verlockendes hat, um die Spaltung auch in die UdSSR hinein zu treiben.

Die Stimmung habe sich geändert, die Interessen sich verlagert:

Die USA haben ihr Interesse an der deutschen Wirtschaft, an einem Erfolg der deutschen Wirtschaft verloren. Und jetzt sind wir nur noch Konkurrenten, haben diesen warmen Rückenwind nicht mehr. Jetzt bekommen die deutschen Unternehmen den Druck der USA zu spüren.

Und wir wundern uns, dass es nicht mehr läuft wie früher. Ein Grund: Unser größter Aktionär ist abgezogen.

Müller hat für die ihm anvertrauten Kundengelder daher eine harte, aber aus seiner Sicht unumkehrbare Entscheidung gefällt:

Ich investiere fast ausschließlich in den USA.

Fazit: Corona ist vielleicht nur ein anderes Wort für Klarheit. Deutschland – um das zu erkennen braucht man keinen Ultraschall – ist eine überreife Volkswirtschaft, die für Krisen aller Art besonders anfällig ist. Derweil die jungen Digitalkonzerne aus Asien und Amerika nur unter leichten Grippesymptomen leiden, liegt der Dax auf der Intensivstation. Olaf Scholz hat die große Sauerstoffflasche des Staates bereits entstöpselt. Die Atemschutzmasken für die Vorstandschefs und ihre Belegschaften liegen bereit. Früher nannten wir es Subvention, heute Rettungsschirm.

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Bis gestern lauteten die Vokabeln der Moderne: Teilhabe. Transparenz. Selbstbestimmung. Doch das Virus vom chinesischen Wochenmarkt hat den Diskurs verändert. Die beherrschenden Vokabeln der Gegenwart heißen nun: Kontaktsperre. Arbeitsverbot. Kontrolle.

Die Populisten, so freut man sich bei CDU, CSU und SPD, seien abgemeldet. Doch die Wahrheit ist: Ihr autoritärer Wertekanon ist drauf und dran, sich durchzusetzen. Deutschland ist in nur fünf Wochen deutlich repressiver geworden. Das Land wird nun mit hartem Gesicht regiert.

Im Verhältnis des Bürgers zum Staat haben sich die Kräfte verschoben und der Bürger begehrt keineswegs auf, sondern dankt es dem Staat, dass er ihn nun führt, schützt und bewacht: 95 Prozent der Deutschen stehen ausweislich des ARD-Deutschlandtrends hinter der Politik der harten Hand.

Die Politiker, zumal in Großer Koalition vereint, nutzen die Stunde:

Nach sechs Jahren ohne neue Schulden fällt die schwarze Null im Bundeshaushalt: Für den Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von rund 156 Milliarden Euro setzte der Bundestag die im Grundgesetz vorgesehene Notfallregelung in Kraft. Die Sozialpolitiker aller Parteien haben lange auf diesen Tag gewartet.

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► Der Staat soll sich notfalls – wie von Wirtschaftsminister Peter Altmaier vorgeschlagen – auch an Firmen beteiligen können. Marktwirtschaft mit Pausentaste.

► Außerdem sollen Vermieter ihren Mietern nicht mehr kündigen dürfen, wenn diese wegen der Krise ihre Miete nicht zahlen können. Eigentum verpflichtet – nun auch zum Verlustgeschäft.

► Dieselben Regelungen gelten auch für andere Dauerschuldverhältnisse, sodass die Schuldner aller Branchen mit leichter Hand eine Leistungsverweigerung durchsetzen können. Der Manager Wolfgang Reitzle (Multiaufsichtsrat bei Linde, Continental und Axel Springer) konstatiert einen „Eingriff in grundgesetzliche Freiheiten“, der „möglicherweise als Brandbeschleuniger dieser Krise“ wirkt.

Die neue Vorliebe fürs Autoritäre erreicht auch die Privatsphäre:

► Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur noch alleine, „mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet“. Nie zuvor wurde ein Demonstrationsverbot so problemlos durchgesetzt. Überall sieht die Regierung nun Staatsfeinde, die die Volksgesundheit schädigen wollen.

► Größere Partys auf Plätzen, aber auch zuhause soll es nicht mehr geben. Cafés, Restaurants und Kneipen sind geschlossen und sollen es bis nach Ostern bleiben. In den Gaststätten herrscht Schankverbot, härter als zu Zeiten der amerikanischen Prohibition. Im damaligen Amerika war Schnaps verboten, aber nicht das Schnitzel.

► Die Grenzen zwischen den Bundesländern werden von der Polizei kontrolliert und teilweise abgeriegelt - wie vor der deutschen Reichsgründung von 1871.

► Kinderspielplätze in ganz Deutschland sind mit Sicherheitsfolie abgeklebt - wie nach einem Mord.

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Nun bekommen die Deutschen auch noch ein offizielles Notfallgesetz. Am Mittwoch hat der Deutsche Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt. Das Parlament beschloss ein Gesetz, das dem Bund befristet zusätzliche Kompetenzen überträgt, um im Krisenmanagement schneller reagieren zu können. In dem Entwurf aus dem Ressort von Minister Jens Spahn heißt es:

Das Bundesministerium für Gesundheit wird unter anderem ermächtigt, durch Allgemeinverfügung oder durch Rechtsverordnung Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen und die Gesundheitsversorgung sicher zu stellen.

In unserer Podcast-Serie „Der achte Tag“ ermuntert uns Prof. Ulrike Ackermann, Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung, zum demokratischen Widerspruch:

Allmählich werden Fragen lauter, und das Krisenmanagement wird kritischer beäugt. Das finde ich wichtig, denn auch in einer Krise muss man Möglichkeiten und alternative Handlungswege vorschlagen und debattieren können.

Ohne die Eigentätigkeit der Bürger, die Zivilgesellschaft und ohne die Wirtschaft in Funktion, werden wir nicht wieder auf die Beine kommen.

Ihre Antwort auf die Stilllegung des öffentlichen Lebens lautet nicht Gehorsam und Demut, sondern:

Wir brauchen Streit.

Das Coronavirus ist unsichtbar für die Menschen, aber seine Folgen sind sichtbar, vor allem für die Wirtschaft. Wie empfindet man das Geschehen im Herzland der deutschen Industrie, im Ruhrgebiet? Im Morning Briefing Podcast spreche ich dazu mit Gisbert Rühl, dem Vorstandsvorsitzenden von Klöckner & Co.

An 160 Standorten in 13 Ländern verkauft das Unternehmen aus Duisburg Stahl, Aluminium und Metall – vor allem an die Schiffs- und Maschinenbauer, sowie die Automobilindustrie:

Wir erwarten jetzt ein deutliches Abbrechen der Nachfrage, weil die globalen Wertschöpfungsketten zusammengebrochen sind.

Über die Folgen für die weltweit 9000 Beschäftigten sagt er:

Gefährdet sind im Moment noch keine Beschäftigten, weil wir in allen Ländern, in denen es möglich ist, flächendeckend in Kurzarbeit gehen.

Wie sich die Situation langfristig entwickelt, sei abhängig davon, wie lange die Krise andauert. Rühls Prognose:

Es wird ein bis zwei Jahre dauern, bis die globalen Wertschöpfungsketten wieder angefahren sind.

Über einen bisher kaum beachteten Aspekt der Ausgangsbeschränkung in Deutschland berichtet der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel. Im Morning Briefing Podcast sagt er:

Dort, wo die Menschen dazu verdonnert sind, zuhause zu bleiben, nimmt der Lagerkoller zu. Dort, wo die Situation ohnehin vorher schon problematisch war, eskaliert sie jetzt offenbar häufig.

Was wir wissen, ist, dass die gerichtlichen Verfügungen auf der Grundlage des Gewaltschutzgesetzes zugenommen haben. Das ist ein Hinweis auf häusliche Gewalt. Die Frauenhäuser sind voll.

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Erstens: Die US-Regierung und der Kongress haben sich nach mehrtägigen Verhandlungen auf ein zwei Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket geeinigt. Mit einer XXL-Verschuldung und frisch geschöpftem Notenbankgeld sollen die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise eingedämmt werden. Pulitzerpreisträger Thomas Friedman („The World is Flat“) fragt in der „New York Times“: „Was um Himmels willen tun wir uns hier eigentlich an? Sind die Löscharbeiten verheerender als der Brand selbst?“

Zweitens: Mit 3647 gemeldeten Todesfällen sind in Spanien mittlerweile mehr Menschen an den Folgen des Coronavirus gestorben als in China. Weltweit hat Spanien damit nach Italien die meisten Todesfälle zu verzeichnen. Die Panzer, die durch Spaniens Straßen patrouillieren, sind das starke Symbol eines schwachen Gesundheitssystems.

Drittens: Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten sich heute per Videokonferenz. Im Zentrum der Gespräche steht das gemeinsame Vorgehen in der Coronakrise.

Viertens: Der Der ist von 96,1 Punkten im Februar auf 86,1 Punkte gefallen. Dies ist der stärkste jemals gemessene Rückgang im wiedervereinigten Deutschland und der niedrigste Wert seit Juli 2009. Das biologische Frühjahr beginnt, das Geschäftsleben gefriert. In der Wirtschaft regt sich Widerstand gegen die Idee, den Shutdown zu verlängern. Jürgen StackmannJürgen Stackmann, Vertriebsvorstand der Marke VW,, Vertriebsvorstand der Marke VW, sagt sagt in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:

Fünftens: In der Wirtschaft regt sich Widerstand gegen die Idee, den Shutdown zu verlängern. Jürgen Stackmann, Vertriebsvorstand der Marke VW, sagt in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:

Länger als bis zum Sommer kann der Stillstand nicht dauern. Das halten Gesellschaft und Wirtschaft nicht aus.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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