früher wurde jede westliche Regierung durch die parlamentarische Opposition herausgefordert, die sich per definitionem als Regierung der Reserve verstand. Die Geschichte der Demokratie ist die Geschichte heftiger Gefechte zwischen Politikern, die auf offener Bühne für ihre Wertvorstellungen kämpften: Der republikanische Scharfmacher Reagan gegen den demokratischen Friedensfreund Carter, der Anti-Establishment-Kandidat Trump gegen die Berufspolitikerin Clinton. Strauß vs. Schmidt, Helmut Kohl gegen das rot-grüne Duo Schröder und Fischer.
© dpaHeute spielt sich das Ringen um die politische und ökonomische Deutungshoheit in Amerika und Europa weitgehend außerhalb der Parlamente ab. Das Gegenüber hält sich im Halbdunkel der digitalen Netzwerke auf: Man kann es spüren, aber nicht sehen.
Herausforderung Fake News: Die Verbreitung von Falschnachrichten – zum Beispiel über die vermeintliche Gefährlichkeit der Corona-Impfstoffe und die angeblich finsteren Absichten der Pharmaindustrie – führt zu Massenprotesten in Frankreich und großer Impfmüdigkeit in den USA und Deutschland. Die werbefinanzierte Verbreitung von Falschnachrichten via YouTube ist heute ein Millionengeschäft.
© dpaHerausforderung Big Tech: Die US-Internetkonzerne entziehen sich den Wünschen der Regierungen nach Steuerehrlichkeit und auch eine Wettbewerbsordnung, in der nicht der Große den Kleinen frisst, bedeutet ihnen nicht viel. Deshalb hat US-Präsident Biden jetzt ein Antitrust-Team zusammengestellt, das aus Jonathan Kanter (ein erfolgreicher Anwalt für Kartellrecht), Lina Khan (die neue Vorsitzende der Federal Trade Commission) und Tim Wu (der Sonderassistent des Präsidenten für Technologie- und Wettbewerbspolitik) besteht und den Auftrag erhielt, die monopolartigen Strukturen im Geschäft von Facebook, Google und Amazon zu untersuchen – und womöglich Vorarbeiten für eine Zerschlagung dieser Strukturen zu schaffen. Die „New York Times“:
© dpaBiden prepares to take on corporate titans.
Herausforderung Kryptowährungen: Das Entstehen von Parallelwährungen wie Bitcoin, Ethereum und Tether und deren Akzeptanz im Zahlungsverkehr – zum Beispiel beim Kauf von Fahrzeugen der Marke Tesla – können Fed und EZB auf Dauer nicht akzeptieren. Die Dollardominanz ist – jenseits der Atomwaffenarsenale – die wichtigste Stütze amerikanischer Macht. Erodiert der Dollar – erst als Zahlungsmittel, dann womöglich als Reservewährung – gerät auch Amerikas Macht ins Rutschen.
Gefahr benannt, Gefahr gebannt? Wohl kaum. Wenn es so einfach wäre, mit den neuzeitlichen Herausforderungen umzugehen, wären sie keine Herausforderungen. Oder anders herum gedacht: Nur weil wir noch keine Lösung besitzen, sollten wir die Legitimationsprobleme unserer Demokratie nicht leugnen. Der britische Erzähler William Somerset Maugham hat uns ausdrücklich ermuntert, notfalls auch ins Unfertige zu denken:
Aufrichtigkeit ist höchstwahrscheinlich die verwegenste Form der Tapferkeit.
Allen düsteren Prophezeiungen der Crashpropheten zum Trotz, geht die Rallye an den Aktienmärkten weiter. Fünf Gründe treiben den Boom:
1. Die vierte Coronawelle schreckt die Börsianer derzeit nicht. Der Grund: Die steigenden Infektionszahlen korrelieren derzeit nicht mit steigenden Todeszahlen. Die Intensivstationen sind leer, weshalb auch nicht mit einem weiteren Lockdown gerechnet wird.
Eine Infografik mit dem Titel: Deutlich weniger Tote
Entwicklung der Neuinfektionen und Sterbefälle seit Beginn der Pandemie im Vereinigten Königreich
2. Die Inflationsentwicklung – 5,4 Prozent in den USA, 2,3 Prozent in Deutschland – wurde von EZB und Fed erfolgreich erklärt, man kann auch sagen relativiert. Im Moment folgen die Märkte der Analyse, dass die Geldentwertung nur temporär sei.
3. Daraus folgt, dass die Aufkaufprogramme in den USA und Europa zwar verlangsamt, aber fortgesetzt werden. Die Zinswende, die zur Verteuerung des Geldes führen würde, ist nicht in Sicht. Die Kleinanleger sind heiß.
Eine Infografik mit dem Titel: Börsianer in bester Stimmung
Stimmung der US-Kleinanleger seit März 2010 in Relation zur Börsenentwicklung
4. Die Berichtssaison zu den Quartalszahlen läuft. Die Konzerne haben bisher positiv überrascht; vor allem Automobilwerte, Finanztitel und Tech-Werte überzeugten mit steigenden Gewinn- und Umsatzzahlen.
5. Die Vorstandschefs spielen derzeit nicht auf Halten, sondern auf Angriff. Das spüren am ehesten die Investmentbanken, deren Geschäft mit Fusionen und Übernahmen deutlich anzieht. Der Deutschlandchef von Goldman Sachs, Wolfgang Fink, weiß, warum:
Wir sind in einer zyklischen Aufholphase mit gleichzeitig historisch niedrigen Zinsen und expansivem Finanzierungsumfeld.
Im Umgang mit den deutschen Impfverweigerern, die die Überwindung der Corona-Pandemie aufhalten, wagte Kanzleramtschef Helge Braun gestern einen provokanten Vorstoß. Der „Bild am Sonntag“ sagte er:
Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte.
Bei einem hohen Infektionsgeschehen müssten Ungeimpfte ihre Kontakte reduzieren, Geimpfte wären jedoch fein raus. Braun erläuterte:
Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Impfstand
Anteil der vollständig geimpften Personen nach Bundesland, in Prozent
Unterstützung bekommt der Kanzleramtschef vom saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans. Dieser sagte dem „RedaktionsNetzwerkDeutschland“:
Mit Impfen zeigt man Solidarität, mit Impfverweigerung zeigt man Egoismus.
Sein Vorschlag, um Ungeimpfte zur Spritze zu bewegen:
© dpaSie müssen für Schnelltests zahlen oder können nicht an jeder Veranstaltung teilnehmen.
Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, brachte gestern eine Impfpflicht ins Gespräch. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur:
© dpaFür alle Zeiten kann ich eine Impfpflicht nicht ausschließen.
Fazit: Erwartungsgemäß lehnten die Spitzen von CDU und FDP die Impfpflicht gestern ab. Das hat wenig mit der Sache und viel mit Wahlkampf zu tun. Die Freiheit des Einzelnen wird durch das Krankheitsrisiko des Anderen begrenzt.
Wie der Staat mit Katastrophen umzugehen hat und was für eine Rolle er beim Klimaschutz spielen sollte, das habe ich mit Prof. Dr. Monika Schnitzer vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Morning Briefing-Podcast besprochen. Sie spricht aus, was sonst im Schatten bleibt:
Dass die Energiepreise weiter steigen werden.
Dass der Staat sich nicht zurückzieht, sondern ausdehnt.
Dass die Lenkungsfunktion der neuen CO2-Steuer noch nicht greift.
Dass grüne Energie künftig stärker importiert werden muss.
Dass Politiker aus Angst vor Wählerzorn die Wahrheit fürchten.
Zur Klimaneutralität bis 2045 sagt die Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung:
Es ist ein sehr ambitioniertes Wahlversprechen. Um das realistisch werden zu lassen, ist eine Menge zu tun.
Angesichts der jüngsten Hochwasserkatastrophe spricht sich Schnitzer für eine Pflichtversicherung von Elementarschäden aus. Knapp 50 Prozent der Deutschen hätten eine solche Elementarversicherung, die die bei dem Hochwasser entstandenen Schäden abdeckt. Die andere Hälfte wartet darauf, dass der Staat aus Steuermitteln die entstandenen Schäden begleicht. Diese Bürger will die Wirtschaftsweise zur Versicherung ihres Hab und Gut verpflichten. Prädikat: präzise und provokant.
Die europäischen Banken dürften heute von einer Grundsatzentscheidung der EZB profitieren: Die nämlich hat das in der Corona-Pandemie verhängte Verbot, Dividenden an die Aktionäre auszuschütten, am Freitag aufgehoben. Damit werden Milliarden, die als Krisenpolster von der EZB gedacht waren, der Liquidität zugeführt.
Darüber spreche ich heute Morgen im Morning Briefing-Podcast mit Annette Weisbach, studierte Volkswirtin, Börsenreporterin in Frankfurt und dort unter anderem für das amerikanische Wirtschaftsfernsehen CNBC auf dem Parkett. Sie wird künftig unsere Börsenberichterstattung – für die von der Wall Street weiterhin Sophie Schimansky verantwortlich zeichnet – aus Frankfurt ergänzen. Ihr und unser Thema: Dax und MDax, Chancen und Risiken am heimischen Aktienmarkt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Im ARD-Sommerinterview bekräftigte der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner seine Einschätzung, dass die Planspiele einer rot-rot-grünen Regierung oder auch einer rot-grün-gelben Regierung eben das sind: Spielereien.
Ich sehe es als nahezu gesichert an, dass der Regierungsbildungsauftrag an die CDU geht.
Er selbst stehe als Finanzminister bereit.
Die Aufgabenstellung für den kommenden Finanzminister – egal von welcher Partei – definieren im ThePioneer Ökonomie-Briefing die beiden Professoren Lars Feld und Justus Haucap. Der eine ist der ehemalige Chef der Wirtschaftsweisen, der andere war von 2008 bis 2012 Chef der Monopolkommission. Prof. Dr. Feld warnt davor, dem Klimaziel die Wohlstandserzeugung unterzuordnen:
Nachhaltigkeit ist ein Wieselwort. Der entscheidende Punkt ist, dass Wirtschaftswachstum wesentlich ist, um solche Strukturwandlungen zur klimaneutralen Wirtschaft überhaupt bewerkstelligen zu können.
Prof. Haucap erinnert daran, dass im Hochsteuerland Bundesrepublik Reformbedarf besteht:
© dpaDeutschland hat im internationalen Steuerwettbewerb schon vor der Krise mit Blick auf die Unternehmensbesteuerung deutlich an Attraktivität eingebüßt.
Sein Satz für das Auftragsbuch des künftigen Ministers:
Dass da Handlungsbedarf besteht, ist glasklar.
Angesichts der jüngsten Entscheidung der EZB, den Niedrigzins beizubehalten und die Inflationserwartung von unter zwei Prozent auf zwei Prozent zu erhöhen, kritisiert Feld die Notenbank:
Es gibt Autoren, die davon sprechen, dass die Geldpolitik der EZB, aber auch die der USA, Großbritanniens und Japans, von den Finanzmärkten dominiert wird – wir also eine finanzielle Dominanz erleben. Wir fürchten, dass jetzt auch die Fiskalpolitik dem zur Seite springt und fiskalische Dominanz noch dazu kommt.
Fazit: Dieser von der Pioneer-Journalistin Josy Müller moderierte und produzierte Ökonomie-Podcast erhellt Hintergründe, die sonst im Dunkeln blieben. Zwei der führenden Ökonomen des Landes sprechen Klartext über das, was ist und über das, was geschehen muss.
Hunter Biden, der Sohn des amerikanischen Präsidenten Joe Biden, ist Geschäftsmann und Maler. Seine Werke sind seit Kurzem in der New Yorker Georges-Bergès-Galerie ausgestellt und werden dort zum Kauf angeboten. Bis zu einer halben Million Dollar wird dort für die Wohlfühlkunst des Präsidentensohns aufgerufen.
© Instagram: @hunterbidennFür Biden selbst, dessen Vergangenheit von Drogen und der Trauer um seinen früh verstorbenen Bruder Beau geprägt ist, hat das Malen keine therapeutische Funktion. Sagt er. Dem Kunstportal „artnet“ erklärte er kürzlich:
© Instagram: @hunterbidennIch male nicht aus Emotionen oder Gefühlen heraus, die meiner Meinung nach beide sehr flüchtig sind. Für mich geht es beim Malen viel mehr darum, die universelle Wahrheit zum Vorschein zu bringen.
Sein Galerist Georges Bergès weiß, wie man Bidens Tragik mit Kunst und Geld verbindet:
© Georges Bergès Gallery © Georges Bergès GalleryViele der Probleme, mit denen Hunter konfrontiert wird, sind es, die ihn wirklich großartige Arbeit produzieren lassen.
Die Kunst des 51-Jährigen gilt in der New Yorker Kunstszene als eher dekorativ und nicht sonderlich innovativ. Auf die Frage, ob Bidens Kunst gut sei, antwortete der Pulitzer Preis-gekrönte Kunstkritiker Sebastian Smee gegenüber CNN:
Für mich, nicht wirklich.
Der von der Kritik Geschmähte nimmt es – zumindest äußerlich – mit Gelassenheit. Seine Berufungsinstanz sei nicht der Kunstmarkt, sondern Daddy im Weißen Haus, ließ er seine Kritiker und Neider wissen:
© Georges Bergès GalleryMein Vater liebt alles, was ich tue.
Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr