in den Politikerreden ist die Mobilitätswende ein positiv besetzter Begriff. Gemeint ist eine Welt, in der Züge bequem und pünktlich fahren. Gemeint ist ein Land, in dem elektrifizierte Fahrzeuge die Bevölkerung emissionsfrei von Flensburg nach Hamburg bringen. Gemeint ist eine Volkswirtschaft, die ihren Güterverkehr auf die Schiene verlagert hat.
Doch in Wirklichkeit findet eine Mobilitätswende statt, die von allem das Gegenteil bedeutet. Wir erleben ausnahmslos eine Wende zum Schlechteren:
Die Autobahnen des Landes haben den Titel „Schnellstraße“ nicht mehr verdient. Die Staus auf deutschen Autobahnen nehmen in ihrer Häufigkeit und Länge stetig zu. Der Stau des Jahres bildete sich am 31. Juli auf der A8 in Richtung Salzburg: Auf 32 Kilometern stand der Verkehr still.
Eine Infografik mit dem Titel: Stauland
Staulänge auf Autobahnen in Deutschland seit 2002, in Kilometer
Der Schadstoffausstoß dreht im roten Bereich: Der CO2-Ausstoß des Straßenverkehrs hat sich in der EU seit 1990 um 24 Prozent erhöht. Auch in den vergangenen zehn Jahren war keine Trendumkehr zu erkennen.
Ein Grund für die Staus ist das katastrophale Baustellen-Management. Rund 1000 Autobahn-Baustellen zählt der ADAC derzeit in der Republik – doppelt so viele wie im gleichen Monat vor zwei Jahren. Das Problem: Die Verknappung von Mobilitätsfläche und der Ausweis von Alternativrouten folgt keiner strategischen und digital einsehbaren Planung.
Die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene will einfach nicht gelingen. 2002 machte der Straßenverkehr 68,8 Prozent des deutschen Gütertransports aus, 2019 stieg sein Anteil auf 71,2 Prozent – ein Plus von 144 Milliarden Tonnenkilometern. Am schnellsten wächst derweil der Anteil ausländischer LKW: Transportierten diese im Jahr 2002 erst 19,9 Prozent der Güter in Deutschland, waren es 2019 zuletzt 29,6 Prozent.
Eine Infografik mit dem Titel: Deutscher Güterverkehr
Anteile der Verkehrsträger am deutschen Güterverkehr, in Prozent
Das elektrische Fahren scheitert auch an der fehlenden Elektrifizierung der Tankstellen. Während die Autobauer fleißig ihre E-Modelle ankündigen, kommt der Staat mit den E-Tankstellen nicht hinterher. Die Niederlande verfügen über 3,53 Ladestationen pro 1000 Einwohner. In Deutschland sind es nur 0,53.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Bummelbahn
Pünktlichkeit im Fernverkehr der Deutschen Bahn seit Januar 2021, in Prozent
Die Bahn ist das Unternehmen, das im Zentrum einer Mobilitätswende stehen sollte. Aber die Staatsfirma liefert nicht: Nur 68,4 Prozent der Fernzüge waren im September pünktlich, obwohl die Bahn durch statistische Tricks (ausgefallene Züge z. B. zählen nicht mehr) bereits eine Verschönerung vorgenommen hat.
Eine Infografik mit dem Titel: Das Bahnland Deutschland ist weit abgehängt
Hochgeschwindigkeitsnetze (über 200km/h) im internationalen Vergleich
Nur der Flugverkehr entwickelt sich den ökologischen Vorgaben gemäß. Dank Corona sank das Volumen der Passagiere und der Flugkilometer signifikant. Und auch in der Nach-Corona-Zeit werden Fluggäste wie Gesindel behandelt, das man stundenlang zwischen Empfangshalle und Gepäckband hin und her schicken kann, was sich positiv auf die Ökobilanz der Flughäfen auswirkt: Viele Bürger verpassen derzeit ihren Flieger.
Geradezu mustergültig schreckt der nach 14 Jahren Bauzeit in Betrieb genommene Berliner Großflughafen BER die Flugpassagiere ab. Am Samstag musste man über zwei Stunden beim Einchecken warten. Aussteigende Passagiere starrten in die Luft, weil die mobilen Treppen fehlten. Die Lufthansa reagierte prompt: Sie empfahl ihren Gästen für das kommende Wochenende, vier Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein.
Nach einem Sturm der Entrüstung änderte die Lufthansa nicht die Bedingungen am Flughafen, wohl aber den Wortlaut ihrer Kundenkommunikation: Die Vier-Stunden-Regel wurde gestrichen. Jetzt heißt es mit Blick auf das kommende Ferienwochenende:
Nach wie vor bitten wir unsere Gäste, frühzeitig zum BER anzureisen, insbesondere bei Abflügen am Vormittag.
Fazit: Die Kluft zwischen Vision und Wirklichkeit ist im Verkehrsbereich tiefer als der Grand Canyon. Das Beste, was man über das staatliche Versagen sagen kann, ist – um hier ein Modewort der Politik zu verwenden – seine jahrzehntelange Nachhaltigkeit.
© imagoDie Juristin Nadine Schön zählt zu den jungen Köpfen, die in der CDU für den Neubeginn stehen. Durch den Mandatsverzicht von AKK und Peter Altmaier darf sie – trotz rückläufiger Ergebnisse in ihrem Wahlbezirk – nun doch in den Bundestag zurückkehren. Im Podcast-Gespräch äußert sie sich dankbar gegenüber den Altvorderen, die nun vom Bundestag in den Ruhestand wechseln:
Das war schon ein starkes Zeichen der beiden.
Zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann und anderen hat sie das Buch „Neustaat“ verfasst, das insbesondere eine Reform der Staatlichkeit beschreibt. Dort analysiert sie, dass der Staat in eine Komplexitätsfalle geraten sei und der Volkswirtschaft in diesem Zustand keinen wirklichen Dienst mehr erweisen könne. Deutschland bezahle mit einem Rückstand gegenüber den anderen Wirtschaftsblöcken, der dramatisch sei: Im Bereich der Plattformunternehmen seien 64 Prozent aus den USA, 31 Prozent aus Asien und lediglich ein sehr kleiner Teil aus Europa.
Eine Infografik mit dem Titel: Schlusslicht Europa
Wertvollste Plattformunternehmen nach Börsenwert und Region 2018
Um Antworten auf globale Herausforderungen zu finden, müsse die CDU zu ihren inhaltlichen Leitplanken zurückkehren:
Wir müssen die globalen Herausforderungen mit dem angehen, was uns als Union auszeichnet.
Schön stellt in unserem Gespräch unbequeme Fragen:
Wie gelingt eine digitale Transformation mit neuen Geschäftsmodellen? Wie können wir die Werte der digitalen Welt mit definieren? Wie schaffen wir es, dass wir nicht zum Spielball asiatischer und amerikanischer Unternehmen werden?
Nun sei in der Politik nicht Status-Quo-Denken, sondern Experimentierfreude gefragt:
Wir müssen Freiräume und Reallabore schaffen, um neuen Entwicklungen den Weg zu ebnen.
Der Bundesgesundheitsminister geht, doch das Finanzdefizit bleibt. Die gesetzliche Krankenversicherung steuert bereits 2022 auf ein gigantisches Defizit zu – bis zu sieben Milliarden Euro könnten nach Expertenschätzungen zusätzlich fehlen. So hat es mein Kollege Rasmus Buchsteiner recherchiert.
Es ist nicht allein die Corona-Pandemie, die zu diesen Defiziten führt. Es geht dabei auch um Zusatzvergütungen für schnellere Arzttermine, um mehr Personal in den Kliniken und um die Digitalisierung des Gesundheitswesens.
© dpaDiese Mehrausgaben bedeuten eine Bürde für die nächste Koalition – denn der geschätzte Fehlbetrag ist rechnerisch gleichbedeutend mit einer Beitragssatzerhöhung um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte. Für einen Durchschnittsverdiener beliefen sich die Mehrausgaben für die Krankenversicherung auf rund 93 Euro pro Jahr.
Lösen muss das Problem Jens Spahn nicht mehr, sondern sein Nachfolger. Das ohnehin selten karriereförderliche Amt dürfte nun noch ein wenig unbeliebter werden. Alle Details dazu lesen Sie in der heutigen Ausgabe von Hauptstadt - Das Briefing.
In Deutschland wird offener, aber auch hitziger denn je über Rassismus debattiert. Die Frage, die sich Aladin El-Mafaalani stellt: Wird so debattiert, weil Rassismus ein immer größeres Problem ist? Seine Antwortet lautet: nein, im Gegenteil. Die Debatte ergibt sich für ihn aus der Tatsache, dass die Gesellschaft Fortschritte macht, denn: Wer Integration als Teilhabe versteht, der kann gar nicht anders, als es als Fortschritt zu sehen, dass immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund ihre Interessen vertreten und Ansprüche geltend machen. Das ist laut El-Mafaalani der Beleg für das Angekommensein in einer Gesellschaft, die sich öffnet. In einer geschlossenen Gesellschaft wird sich kaum jemand über Rassismus beschweren, weil die Betroffenen aus dem Diskurs ausgeschlossen sind. Nur eine weniger rassistische Gesellschaft macht Rassismuskritik erst möglich.
Doch wie funktioniert Rassismus, wem dient er und wozu? Aladin El-Mafaalani ist Bestsellerautor („Das Integrationsparadox“, „Mythos Bildung“) und lehrt als Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück.
In seinem neuen Buch „Wozu Rassismus?“, das soeben bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, gibt er einen Überblick über die Begriffsverständnisse, die Geschichte und die Gegenwart des Rassismus als Herrschaftsideologie. Im Gespräch mit Alev Doğan nimmt der Soziologe die jüngsten Entwicklungen und Diskurse unter die Lupe, ordnet sie ein, warnt vor den spaltenden Tendenzen der Gegenwartsdebatte.
Das Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac gibt drei Monate nach Vorlage schlechter Testresultate die Erforschung eines eigenen Corona-Impfstoffes für die erste Generation auf. Der auf der mRNA basierenden Impfstoffkandidat „CVnCoV“ soll aus dem laufenden Zulassungsprozess bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zurückgezogen werden.
Sowohl der Vorab-Liefervertrag mit der EU als auch die Partnerschaft mit Bayer für den Vertrieb des Impfstoffs werden damit hinfällig. Über diese Vorgänge im Unternehmen hat Gordon Repinski mit Franz-Werner Haas, dem Vorstandsvorsitzenden von CureVac, für den Morning Briefing-Podcast gesprochen. Folgende Gründe führt er für das Scheitern des Impfstoffes an:
© dpaEinerseits hat unser Impfstoffkandidat nicht die Daten generiert, die andere Impfstoffe, die mittlerweile zugelassen sind, generiert haben. Andererseits hat die Entwicklung doch länger gedauert, weshalb wir in der jetzigen Pandemie keinen großen Unterschied mehr machen können.
Nun arbeitet das Unternehmen an der zweiten Generation eines Impfstoffes gegen das Virus. Dazu sagt der Chef des Unternehmens:
Auf der einen Seite soll der Impfstoff natürlich mindestens so potent sein wie andere zugelassene Impfstoffe. Auf der anderen Seite zeigt sich ja, dass es jetzt in der zweiten Generation darum gehen muss, Impfstoffe zu entwickeln, die auch weitere Varianten des Virus bekämpfen.
Fazit: Die gute Nachricht inmitten der schlechten: Die Börse glaubt, dass das Unternehmen mit seinen Wissenschaftlern noch immer einen Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung leisten kann. Trotz Kurssturz beträgt der Börsenwert der Firma noch immer mehr als 7,5 Milliarden Dollar.
Tesla bleibt das Wunderkind der Autoindustrie: Während die Branche weltweit unter der Knappheit von Halbleitern leidet und die Produktion zurückfahren muss, feiert Tesla Produktionsrekorde. Im dritten Quartal dieses Jahres konnte der Konzern seinen Absatz im Vergleich zum Vorjahr um fast 75 Prozent steigern. Weltweit wurden 241.300 Autos an den Mann und die Frau gebracht.
Auch in Deutschland verpasst Tesla den hiesigen Automobil-Platzhirschen einen Denkzettel. Im September wurden hierzulande mehr Tesla Model 3 Fahrzeuge zugelassen als von den deutschen Mittelklasse-Topsellern Audi A4, BMW 3er und Mercedes C-Klasse zusammen.
© dpaDie Investoren lieben staatlich verzinste Öko-Anleihen: Zwölf Milliarden Euro hat die EU über eine grüne Anleihe bei Investoren eingesammelt und damit für grüne Schuldner einen neuen Rekord aufgestellt.
In Zukunft möchte die EU der größte grüne Schuldner werden. Bis 2026 sollen bis zu 250 Milliarden Euro durch die „Green Bonds“ eingesammelt werden, um das 800-Milliarden-Corona-Paket zu finanzieren. Die Einnahmen der grünen Anleihen werden an die Mitgliedstaaten weitergereicht.
Die Nachfrage nach grünen Wertpapieren ist aufgrund der Fokussierung der Fondsmanager auf umwelt-, sozial- und governance-orientierte Investitionen (ESG) stark gestiegen. Inzwischen sind sie am Anleihemarkt dafür auch bereit, auf Teile der Rendite zu verzichten: Die Rendite des 15-jährigen „Green Bonds“ beläuft sich auf rund 0,45 Prozent, was laut ABN Amro-Zinsstrategin Floortje Merten rund 0,025 Prozentpunkte unter der Rendite herkömmlicher Anleihen liegt. Diesen Preisaufschlag für nachhaltige Investitionen nennen die Börsianer liebevoll „Greenium“.
Paul Simon feiert heute seinen 80. Geburtstag. Der Ausnahme-Musiker kann auf eine doppelte Karriere zurückblicken: Auf der einen Seite war der Erfolg im Duo mit seinem Partner Art Garfunkel. Dann kam die Solokarriere, aus der 1986 das Album „Graceland“ hervorging, das afrikanische Rhythmen mit westlichem Pop verband.
Der Durchbruch gelang den zwei New Yorkern 1965 mit dem Song „The Sound of Silence“. Das Lied gehört heute zu den 500 besten Songs aller Zeiten des „Rolling Stone“ und wurde in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Paul Simon war immer mehr als nur die Hälfte des Folk-Duos, das sich 1957 formte. Er schrieb praktisch alle Songs, Garfunkel war für deren Interpretation zuständig. Die Rollenverteilung war unter den beiden Schulfreunden klar, bis sie unklar wurde: Das Duo hat sich mehrfach verkracht. Paul Simon erinnerte sich, wie der 15 Zentimeter größere Art Garfunkel zu ihm sagte:
© imagoEgal was passiert, ich werde immer größer sein als du.
Aus der Feder von Paul Simon stammt auch „Bridge over Troubled Water“, eines der letzten Lieder des Duos. In diesen Herbsttagen bietet es Trost und Zuversicht, weil hier die aufkeimende Melancholie mit Zuneigung bekämpft wird.
When you're weary
Feeling small
When tears are in your eyes
I'll dry them all
I'm on your side
Oh, when times get rough
And friends just can't be found
Like a bridge over troubled water
I will lay me down
Like a bridge over troubled water
I will lay me down
Ich wünsche Ihnen einen einfühlsamen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr