Der gekaufte Aufschwung

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Guten Morgen,

die ökonomische Stimmung in Deutschland ist besser als die heimische Lage. Der aktuelle ifo-Geschäftsklimaindex nähert sich mit einem Wert von 92,4 Punkten dem Vorkrisenniveau. Der Grund: Derweil die Bundesregierung den Lockdown-Tango tanzt – zwei vor, eins zurück – zeigen sich wichtige Handelspartner, die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China, in ökonomisch robuster Verfassung. Der Aufschwung in beiden Wirtschaftsräumen ist der beste Aufschwung, den man für Geld kaufen kann:

Eine Infografik mit dem Titel: Vorsichtiger Optimismus

ifo-Geschäftsklimaindex* (2015 = Index 100), saisonbereinigt, in Punkten

Der neue Präsident der Vereinigten Staaten will noch in dieser Woche ein 1,9 Billionen Dollar schweres Programm durch das Repräsentantenhaus bringen. Wenn in der kommenden Woche auch der Senat zustimmt, womit zu rechnen ist, dürften der Einzelhandel, das Baugewerbe und der Dienstleistungssektor spürbar profitieren.

Im Paket enthalten sind weitere direkte Finanzhilfen für die Privathaushalte, welche der einzelne konsumfreudige Amerikaner unverzüglich ausgeben soll, zur Not eben online.

Joe Biden © imago

Zuvor hatte bereits Donald Trump mit der großen Geldkanone geschossen, weshalb die Haushaltseinkommen im vergangenen Jahr um sechs Prozent stiegen – trotz einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf zwischenzeitlich 15 Prozent. Einen Scheck über 600 US-Dollar erhielten damals viele Amerikaner. Noch vor Amtsantritt Joe Bidens hatte sich das Repräsentantenhaus die Pandemie 4,9 Billionen US-Dollar kosten lassen.

Über die US-Notenbank FED sitzt der Präsident mehr oder minder direkt an der Notenpresse. Die Maßnahmen scheinen zu wirken: Für 2021 rechnet Statista mit einem Wirtschaftswachstum von 3,08 Prozent für die Vereinigten Staaten.

Eine Infografik mit dem Titel: USA: Höchstes Rettungspaket weltweit

Höhe der bisher verabschiedeten Rettungspakete der USA, EU und China im Vergleich, seit Beginn der Corona-Pandemie, in Billionen US-Dollar

In China führt die Staatsführung ein straffes Anti-Corona-Regiment, das dazu beitrug, die Pandemie innerhalb kurzer Zeit nahezu zu besiegen. Laut offiziellen Zahlen liegen die täglichen Neuinfektionen seit dem 9. März 2020, von einigen Ausnahmen abgesehen, durchschnittlich zwischen 20 und 40. Bisher hat die Volksrepublik 4833 Todesfälle zu beklagen – bei knapp 1,4 Milliarden Einwohnern. Vergleichsweise niedrig ist auch die Summe, welche der chinesische Staat zur Unterstützung der Wirtschaft bisher ausgab: Die Hilfsgelder belaufen sich auf lediglich 139,2 Milliarden US-Dollar.

Das strikt unterbundene Infektionsgeschehen sorgt für eine florierende Wirtschaft: 2020 wuchs die chinesische Volkswirtschaft um 1,85 Prozent, für 2021 prognostiziert Statista ein Wirtschaftswachstum von 8,24 Prozent.

Xi Jinping © imago

Das kommt auch der deutschen Wirtschaft zugute: Laut Statistischem Bundesamt ist China 2020 zum fünften Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner gewesen. Gegenüber 2019 stieg der Außenhandel mit der Volksrepublik um drei Prozent an – trotz Corona.

Auch Europa, wohin rund 60 Prozent unserer Industrieprodukte exportiert werden, schlägt sich dank der umfangreichen Kreditprogramme der EU mehr als achtbar. Die Wachstumszahlen von Italien, Spanien und Frankreich werden laut dem Internationalen Währungsfonds für 2021 auf über fünf Prozent prognostiziert.

Ursula von der Leyen © dpa

Insgesamt fließen aus den europäischen Hilfsprogrammen 818,16 Milliarden US-Dollar in die Stabilisierung der Nachfrage. Mit 2,06 Billionen US-Dollar ist der EU-Wiederaufbaufonds das größte kreditfinanzierte Konjunkturpaket der europäischen Geschichte.

Fazit: Der ifo-Geschäftsklimaindex reflektiert die Stimmung einer Volkswirtschaft, die unter dem Einfluss psychedelischer Substanzen steht. Schon bei leichten Entzugserscheinungen wird Kredit nachgespritzt. Der Kater kommt, aber womöglich deutlich später.

Andrea Zietzschmann © Stefan Höderath

Die Herbert-von-Karajan-Straße Nummer 1 in Berlin ist eine weltberühmte Adresse im Universum der klassischen Musik, denn dort steht die Philharmonie. Die Berliner Philharmoniker bestehen sogar länger als das Gebäude – und zwar seit 1882. Selbst während der beiden Weltkriege hatten die Philharmoniker nicht so lang geschlossen wie in dieser Pandemie. Berlinerinnen und Berliner fanden im Zweiten Weltkrieg trotz Bombenhagel den Weg, um die Musik „ihres“ Orchesters zu hören.

Aber selbst dieser Weltklasse-Truppe zog Corona den Stecker. Seit einem Jahr haben die Philharmoniker nicht mehr vor den 2400 Menschen im großen Saal gespielt, die dort sonst platziert werden dürfen. Die wöchentlich aufgeführten und ausgestrahlten Digital-Konzerte können das Live-Erlebnis nicht ersetzen.

Berliner Philharmonie.  © dpa

Gestern stellte die Intendantin des Hauses Andrea Zietzschmann gemeinsam mit Wissenschaftlern und anderen Kulturmanagern ein Konzept vor, das zugleich eine klare Ansage an die Politik enthält. Wie die Stimmung im Orchester ist, wie sie die Corona-Politik bewertet, erzählte sie im Morning Briefing Podcast.

Den andauernden Ausnahmezustand, in dem sich das Ensemble befindet, beschreibt die Intendantin anschaulich:

Wir spielen jede Woche ein Programm für unser digitales Publikum. Ich darf in der Ehrenloge sitzen und erlebe den leeren Saal und sehe das Orchester, das sich motivieren muss, vor leeren Rängen wieder ein Konzert zu spielen.

Doch nicht nur das Publikum, sondern auch der Kontakt untereinander fehlt den Musikern:

Wir versuchen jegliche Kontakte auch hinter der Bühne zu vermeiden. Das heißt, es gibt jetzt wenig persönlichen Austausch. Jeder geht auf die Bühne, verlässt sie dann wieder und geht danach nach Hause.

Andrea Zietzschmann © dpa

Andrea Zietzschmann hat kein Verständnis dafür, dass die Kulturbranche auf der Prioritätenliste der Politik ganz unten zu stehen scheint:

Der Tiefpunkt war, als bei den Öffnungsdebatten die Kultur mit Freizeit, Fitnessstudios und so weiter gleichgestellt wurde.

Deshalb fordert sie:

Wenn der Einzelhandel öffnet, dann muss auch die Kultur aufmachen.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge © Stefan Höderath
Der neue Öffnungsplan

Das Kanzleramt bereitet die Öffnung vor. Das Motto: Intensivbetten statt Inzidenzwerten.

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Sergej Lawrow, Heiko Maas © dpa

Die EU-Außenminister haben sich bei einem Treffen in Brüssel auf neue Sanktionen gegen Russland wegen des Umgangs mit dem Kreml-Kritiker Alexei Nawalny verständigt. Die geplanten Strafmaßnahmen zielten laut Diplomaten vor allem auf Personen des Sicherheitsapparats. Details sollen nun weiter ausgearbeitet werden.

Heiko Maas © dpa

Mit dabei war Bundesaußenminister Heiko Maas, der sich im neuen Hauptstadt-Podcast von ThePioneer über die Beziehungen zu Russland so äußert:

Wer der Auffassung ist, keine wirtschaftlichen Beziehungen mehr zu Russland zu haben, der begeht einen großen geopolitischen Fehler. Ich halte das nicht nur für falsch, sondern ich halte das für gefährlich.

Das gesamte Gespräch hören Sie in Hauptstadt – der Podcast.

"Seibert ist eine Marke geworden"

Ex-Regierungssprecher Thomas Steg spricht über Nachfolger Steffen Seibert und dessen Twitterpräsenz.

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Veröffentlicht von Gordon Repinski .

Artikel

Das ist die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 3883 Corona-Neuinfektionen gemeldet und es wurden 415 weitere Todesfälle registriert.

  • Bund und Länder haben sich darauf verständigt, Lehrkräfte an Grund- und Förderschulen sowie Erzieher in Kitas früher impfen zu lassen. Der Entwurf zur Änderung der Impfverordnung soll voraussichtlich am Mittwoch in Kraft treten.

  • Gesundheitsminister Jens Spahn muss sein Versprechen, der ganzen Bevölkerung kostenlose Schnelltests anzubieten, zurückziehen. Die neue Öffnungsstrategie der Bundeskanzlerin sieht nun vor, ab dem 1. März Schnelltests möglicherweise in Restaurants und Schulen einzusetzen – für Spahns Vorhaben reichen die Bestände danach nicht mehr aus.

  • Die Vereinigten Staaten haben aktuell die Marke von 500.000 Corona-Toten durchbrochen. Bezogen auf die gemeldeten Todesfälle pro 100.000 Einwohner liegen die USA weltweit auf Platz 10.

  • Doch es gibt gute Gründe zur Hoffnung: Die Impfkampagne in den USA verläuft zügig. Bereits über 13 Prozent der Menschen haben mindestens eine Erstimpfung erhalten und das Land erwartet die bisher größte Lieferung an Impfstoffen: 600 Millionen Dosen sollen bis Juli eintreffen.

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 © dpa

Für den amerikanischen Flugzeugbauer Boeing bleibt die Zukunft ungewiss. 2018 und 2019 stürzten zwei ihrer 737-MAX-Maschinen ab – 346 Menschen starben. Als Folge wurde ein Flugverbot für alle 371 verbliebenen 737-Max erteilt und weitere Auslieferungen gestoppt. Für Boeing entstand ein enormer Image- und finanzieller Schaden.

Nachdem die 737-Max Ende Januar in Europa wieder die Flugerlaubnis erhalten hat, gibt es nun neue Zwischenfälle. In den USA und den Niederlanden fielen Triebwerksteile vom Himmel. Die Maschinen Boeing 777 und 747 starteten mit nicht erkannten Rissen in der Außenhülle des Antriebsteils. In Denver kam es nur zu Sachschäden, in Maastricht wurden zwei Menschen verletzt. Weltweit dürfen Boeing-Maschinen mit dem Triebwerksmodell PW4000 vorerst nicht mehr fliegen. Bitter, aber wahr: Amerikas großer Flugzeugbauer braucht keine Pandemie, um sich schweren Schaden zuzufügen.

 © dpa

Es ist das bekannteste Werk von Edvard Munch: „Der Schrei”. Lange wurde gerätselt, von wem die feine Kritzelei auf dem norwegischen Original stammt. In der oberen linken Ecke steht mit Bleistift geschrieben:

Kan kun være malet af en gal Mand!

Auf Deutsch übersetzt:

Kann nur von einem Verrückten gemalt worden sein!

 © dpa

Kuratoren des Nationalmuseums für Kunst, Architektur und Design in Oslo scheinen nun eine Antwort gefunden zu haben. Die Kritzelei stammt, wie die „New York Times” zuerst berichtete, von Munch selbst. Daran gebe es keinen Zweifel, sagt die Museumskuratorin Mai Britt Guleng.

Doch was veranlasste den Künstler dazu, sich selbst als verrückt zu bezeichnen? Laut Guleng dürften die Reaktionen seiner Mitmenschen auf das Werk ausschlaggebend gewesen sein. Denn „Der Schrei” war zunächst alles andere als ein Publikumsliebling. Ein Medizinstudent soll nach der Ausstellung Munchs mentale Gesundheit infrage gestellt haben – in Anwesenheit des Künstlers. Seinen Tagebucheinträgen zufolge trafen die Reaktionen den Künstler schwer. Wahrscheinlich hat der eigenhändige Spott ihn gerettet.

Erich Kästner © dpa

Heute würde Erich Kästner seinen 122. Geburtstag feiern. Der Kinderbuchautor („Emil und die Detektive“, „ Pünktchen und Anton“) feierte in der Weimarer Republik große Publikumserfolge und musste dann als Augenzeuge am 10. Mai 1933 die Verbrennung seiner Bücher am heutigen Berliner Bebelplatz erleben. Studenten übergossen seine Werke mit Benzin. Allein in Berlin wurden in dieser konzertierten NS-Aktion 20.000 Bücher verbrannt.

Kästners literarisches Werk ist – nicht erst seither – zweigeteilt. In den Kinderbüchern fühlte er sich als „verhinderter Lehrer“ dazu berufen, eine möglichst heile Welt darzustellen, während er in seinen Gedichten, Essays und Glossen bereits während der Weimarer Republik die Welt satirisch und sozialkritisch, vor allem antimilitaristisch betrachtete. Später legt er sich mit der Adenauer-Regierung und ihrem Wiederbewaffnungsplan an.

 © dpa

Den Krieg überlebte Erich Kästner nur unter Pseudonym, aber in Deutschland. Er zog in die innere Emigration, wofür er sich später gegenüber seinen Schriftstellerkollegen rechtfertigen musste. Er tat es in Gedichtform:

„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.

Mich lässt die Heimat nicht fort.

Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –

wenn's sein muss, in Deutschland verdorrt.”

Erich Kästner, 1969 © dpa

Ich wünsche Ihnen einen Tag der Gelassenheit. Herzlichst grüßt Sie

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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